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23 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 287/11
  5. vom
  6. 29. November 2011
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. 1.
  10. 2.
  11. 3.
  12. wegen versuchten besonders schweren Raubes u.a.
  13. -2-
  14. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
  15. 29. November 2011, an der teilgenommen haben:
  16. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  17. Nack
  18. und die Richter am Bundesgerichtshof
  19. Dr. Wahl,
  20. Dr. Graf,
  21. Prof. Dr. Jäger,
  22. Prof. Dr. Sander,
  23. Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
  24. als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
  25. Rechtsanwalt
  26. (bei der Verhandlung),
  27. Rechtsanwalt
  28. als Verteidiger des Angeklagten Dr. S. ,
  29. Rechtsanwalt
  30. als Verteidiger des Angeklagten M.
  31. Rechtsanwalt
  32. Rechtsanwalt
  33. Rechtsanwalt
  34. als Verteidiger des Angeklagten B.
  35. ,
  36. ,
  37. Rechtsanwalt
  38. Rechtsanwalt
  39. als Nebenklägervertreter,
  40. Justizangestellte
  41. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  42. für Recht erkannt:
  43. -3-
  44. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom
  45. 4. November 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die
  46. Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  47. über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  48. Von Rechts wegen
  49. Gründe:
  50. 1
  51. Die Revisionen von Staatsanwaltschaft und Nebenkläger wenden sich
  52. gegen die Freisprüche der Angeklagten von folgenden Anlagevorwürfen:
  53. 2
  54. Der Angeklagte Dr. S.
  55. , ein in K.
  56. (
  57. ) tätiger
  58. rumänischer Zahnarzt, hatte mit dem Nebenkläger R.
  59. geschäftliche
  60. Beziehungen gehabt und stritt mit ihm um hohe Beträge. Er wusste, dass er
  61. keine Ansprüche mehr hatte, nachdem R.
  62. zur Abgeltung aller Ansprü-
  63. che 700.000 € bezahlt hatte. Er erhob aber immer neue, höher werdende Forderungen. Man erstattete in Rumänien gegenseitig Strafanzeigen und prozessierte über eine Villa in Bukarest. Dr. S.
  64. Angeklagten M.
  65. auf, der R.
  66. nahm schließlich Kontakt mit dem
  67. bei einem seiner Aufenthalte in Re.
  68. , wo dessen Tochter Gastronomiebetriebe führte, "mit Gewalt unter Druck
  69. setzen" sollte, damit er zu Zahlungen und zur Beendigung des Prozesses im
  70. Sinne von Dr. S.
  71. bereit würde. Dr. S.
  72. und M.
  73. nahmen Kontakt mit der
  74. "Rockergruppe Hells Angels" auf, am Ende wurden der Angeklagte B.
  75. und
  76. ein weiteres Bandenmitglied "beauftragt". "M.
  77. das
  78. plante nun für ... Dr. S.
  79. -4-
  80. weitere Vorgehen". Am 19. August 2009 versuchten B.
  81. engem Kontakt mit M.
  82. - in Re.
  83. und sein "Team" - in
  84. vergeblich, ihn mit der Lüge, man
  85. habe seinen Porsche angefahren, auf die Straße zu locken, um ihn zu überfallen und Autoschlüssel und Bargeld wegzunehmen. Die Beute hätten B.
  86. sein Mittäter behalten sollen. Als R.
  87. seiner Pension kam, eilten B.
  88. und
  89. zwei Tage später zum Parkplatz
  90. und sein Mittäter aus einer gegenüberliegen-
  91. den Pension hinzu, beschossen ihn mit Reizgas, was ihn am Auge verletzte,
  92. schlugen ihn mit einer Schreckschusspistole und versuchten, ihm Autoschlüssel und Brieftasche abzunehmen. Sie flüchteten ohne Beute, als Angehörige
  93. R.
  94. 3
  95. zu Hilfe eilten.
  96. Am 15. September 2009, so wird Dr. S.
  97. seien an R.
  98. Re.
  99. und M.
  100. weiter vorgeworfen,
  101. , dessen Frau (nach Bukarest) und dessen Tochter (nach
  102. ) je eine Postkarte mit Motiven aus Re.
  103. den, die Dr. S.
  104. geschickt wor-
  105. (auf Rumänisch) mit folgendem Text beschrieben hatte:
  106. "Gebt zurück, was ihr gestohlen habt, ihr Betrüger. Dies ist die letzte Warnung.
  107. Vlad Tepes.". Vlad Tepes war ein auch als Dracula bekannter rumänischer
  108. Fürst, der "Pfählung als Hinrichtungsart bevorzugte". Die darin liegende Drohung hätte letztlich R.
  109. dazu veranlassen sollen, doch noch auf die For-
  110. derungen einzugehen. Wenige Tage später schickte Dr. S.
  111. an R.
  112. den Entwurf eines "Abkommens", mit dem dieser sich zur Übertragung von
  113. Geld und Wertgegenständen im Wert von jedenfalls weit über 1 Mio. € an
  114. Dr. S.
  115. 4
  116. verpflichten sollte. Er kam dieser Aufforderung nicht nach.
  117. Die Angeklagten wurden freigesprochen, die Täter des Überfalls und
  118. auch eine Verbindung von Dr. S.
  119. und M.
  120. zu dieser Tat seien nicht fest-
  121. stellbar, die Postkarten hätten keinen strafbaren Inhalt, darüber hinaus sei eine
  122. Tatbeteiligung von M.
  123. hinsichtlich der Postkarten nicht festzustellen.
  124. -5-
  125. 5
  126. Die Revisionen haben (schon) mit der Sachrüge Erfolg:
  127. 6
  128. 1. Bezüglich des Überfalls beruht dies darauf, dass das Urteil keine genügende Grundlage einer revisionsgerichtlichen Überprüfung ist.
  129. 7
  130. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen sind regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen festzustellen, ehe in der Beweiswürdigung darzulegen ist, warum die für einen
  131. Schuldspruch erforderlichen Feststellungen nicht getroffen werden konnten (st.
  132. Rspr.; vgl. zusammenfassend nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2008 - 3 StR
  133. 261/08, b. Cierniak/Zimmermann NStZ-RR 2011, 225, 232). Die Strafkammer
  134. teilt dagegen nach dem Anklageinhalt protokollartig das (wohl) gesamte Beweisergebnis in allen Details mit, auch soweit sie offenbar für die Entscheidung
  135. über Verurteilung oder Freispruch keine Bedeutung haben können, wie etwa um nur ein Beispiel zu nennen - Hinweise eines Sanitäters an einen Arzt zu
  136. einem möglichen Sonnenbrand R.
  137. s. Eingefügt in diese Darlegungen sind
  138. immer wieder beweiswürdigende Überlegungen, die meist jeweils streng auf die
  139. zuvor geschilderten Teile der Beweisergebnisse begrenzt sind. Die Staatsanwaltschaft und der Generalbundesanwalt haben zutreffend insgesamt (nur) etwa zehn, auf mehr als fünfzig Urteilsseiten verstreute Passagen aufgezählt
  140. - meist nicht mehr als ein Absatz, manchmal nur einzelne Sätze -, die als Sachverhaltsfeststellungen zu bewerten sind. Abgesehen von der Notwendigkeit,
  141. diese Bruchstücke aus den umfangreichen Ausführungen herauszufiltern, ist es
  142. insgesamt kaum möglich, sie zu einer in sich geschlossenen, einer revisionsrechtlichen Überprüfung zugänglichen Sachverhaltsfeststellung zusammenzufassen.
  143. 8
  144. 2. Ein weiterer Rechtsfehler liegt darin, dass die Strafkammer die erforderliche Gesamtwürdigung aller für und gegen eine Täterschaft der Angeklag-
  145. -6-
  146. ten sprechenden Indizien (vgl. BGH aaO mwN) unterlassen hat, die - in ihrer
  147. Vielzahl vom Generalbundesanwalt zutreffend hinsichtlich sämtlicher Angeklagter umfangreich und im Detail dargelegt - weitgehend allenfalls isoliert bewertet
  148. sind. Bei einer Gesamtschau könnte eine Vielzahl einzelner Gesichtspunkte auf
  149. Grund ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung möglicherweise die
  150. Überzeugung von der Richtigkeit des Anklagevorwurfs vermitteln (BGH aaO).
  151. 9
  152. 3. Der Angeklagte B.
  153. hat "im Laufe der Hauptverhandlung" zunächst
  154. mündlich und am zehnten Verhandlungstag schriftlich über seinen Verteidiger
  155. folgendes erklärt:
  156. Er sei von einem Mitglied der "Hells Angels" beauftragt worden, in Re.
  157. bei einer "Abreibung … Schmiere zu stehen" und erforderlichenfalls einzugreifen. Der Tatort sei ihm genannt worden, sonst nichts. Die Täter der Abreibung
  158. seien ihm ebenso unbekannt gewesen wie Dr. S.
  159. Ferne beobachtet, wie zwei Männer R.
  160. und M.
  161. . Er habe aus der
  162. angriffen. Als diesem eine Frau
  163. zu Hilfe kam, seien die Männer geflüchtet, worauf auch er (der Angeklagte) geflüchtet sei. Sonst wisse er nichts.
  164. 10
  165. a) Die Strafkammer hält für möglich, dass der Angeklagte mit der Tat
  166. nichts zu tun hatte und er sich mit diesen Angaben zu Unrecht belastet habe.
  167. Der Verteidiger habe vor Abgabe der Erklärung auf Gespräche mit der Staatsanwaltschaft verwiesen, "in die das Gericht bewusst nicht einbezogen … und
  168. über deren Inhalt … Stillschweigen vereinbart worden sei". Der Angeklagte wolle bald aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Zumal, da der Staatsanwalt (in der Hauptverhandlung) erklärt habe, nach der bisherigen Beweisaufnahme komme nur eine Bewährungsstrafe wegen Beihilfe zu gefährlicher Körperverletzung in Betracht, sei, so folgert die Strafkammer, insgesamt eindeutig,
  169. dass die Staatsanwaltschaft "eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt" habe.
  170. Es liege daher nicht fern, dass der Angeklagte, um das Verfahren gegen sich
  171. -7-
  172. entsprechend zu beenden, wahrheitswidrig die genannten Angaben gemacht
  173. habe.
  174. 11
  175. b) Hierzu bemerkt der Senat:
  176. 12
  177. (1) Verständigungen können außerhalb der Hauptverhandlung vorbereitet werden, jedoch ist dann hierüber Transparenz in der Hauptverhandlung herzustellen. Das Transparenzgebot kennzeichnet das Verfahren über eine Verständigung im Strafverfahren insgesamt (vgl. zusammenfassend auch Niemöller/Schlothauer/Weider, Verständigung im Strafverfahren D Rn. 49 ff. mwN,
  178. auch aus den Gesetzgebungsmaterialien), wie sich aus einer Reihe von Bestimmungen über hieraus erwachsende Pflichten des Gerichts ergibt (vgl.
  179. § 202a Satz 2 StPO, § 212 StPO, § 243 Abs. 4 StPO, § 257c Abs. 3 StPO,
  180. § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO, § 273 Abs. 1a StPO).
  181. 13
  182. Eine spezielle gesetzliche Regelung für nur zwischen Staatsanwaltschaft
  183. und Verteidigung im Rahmen des (Zwischen- oder) Hauptverfahrens außerhalb
  184. der Hauptverhandlung geführte Gespräche, die letztlich das Ziel haben, die
  185. Hauptverhandlung abzukürzen, gibt es nicht. Jedoch hat die Staatsanwaltschaft
  186. im Ermittlungsverfahren zur Verfahrensförderung mit anderen Verfahrensbeteiligten (naheliegend häufig der Verteidigung) geführte Gespräche aktenkundig
  187. zu machen (§ 160b Satz 2 StPO), besonders sorgfältig, wenn eine Verständigung i.S.d. § 257c angestrebt wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 160b
  188. Rn. 8).
  189. 14
  190. All dies spricht dafür, dass auch derartige Gespräche offen zu legen
  191. sind, zumal das Gericht sonst nach solchen Gesprächen abgegebene Erklärungen des Angeklagten nicht auf umfassender Grundlage würdigen könnte.
  192. Dies würde im Übrigen in besonderem Maße gelten, wenn solche Gespräche
  193. -8-
  194. bei einer gegen mehrere Angeklagte geführten Hauptverhandlung nur mit der
  195. Verteidigung eines Angeklagten geführt würden, dessen anschließende Aussagen dann die übrigen Angeklagten belasten (vgl. BGHSt 52, 78, 83; 48, 161,
  196. 168).
  197. 15
  198. Dies ist hier aber nicht einschlägig, da B.
  199. M.
  200. erklärt hat, Dr. S.
  201. und
  202. nicht zu kennen. Im Übrigen ist hier im Ergebnis durch die genannte Er-
  203. klärung des Verteidigers die gebotene Klarstellung jedenfalls ansatzweise,
  204. wenn auch im Hinblick auf das vereinbarte Stillschweigen über den näheren
  205. Inhalt des Gesprächs nicht in vollem Umfang (vgl. § 273 Abs. 1a StPO) erfolgt.
  206. Der Senat braucht alledem aber nicht näher nachzugehen, weil in diesem Zusammenhang insgesamt die Möglichkeit eines den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehlers nicht zu erkennen ist.
  207. 16
  208. (2) Unabhängig von alledem wäre bei der Einbeziehung der Aussagegenese in die Würdigung der - etwas lebensfremd erscheinenden - Erklärung
  209. des Angeklagten nicht nur die Möglichkeit einer selbstbelastenden Erfindung
  210. eines Unschuldigen zu prüfen gewesen. Jedenfalls nicht weniger naheliegend
  211. und daher erörterungsbedürftig erscheint auch die Möglichkeit, dass zur Erreichung einer milden Strafe zwar eine Tatbeteiligung grundsätzlich eingeräumt
  212. sein soll, die nach Art und Maß mit Entlastungstendenz aber (zu) gering geschildert sein kann.
  213. 17
  214. c) Zudem, so führt die Strafkammer aus, sei der Angeklagte selbst bei
  215. Zugrundelegung seiner Angaben straflos. Sie ergäben nämlich nicht zwingend,
  216. dass den Haupttätern die Anwesenheit des Angeklagten am Tatort bekannt
  217. gewesen sei. Der rechtliche Ansatz dieser Ausführungen ist zutreffend, (auch)
  218. sie beruhen aber auf einer nicht rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung.
  219. -9-
  220. 18
  221. (1) Von Beihilfe, die objektiv die Tat fördert, braucht der Haupttäter
  222. nichts zu wissen (BGH, Urteil vom 8. Juli 1954 - 4 StR 350/54, BGHSt 6, 248,
  223. 249 f.). Die bloße, objektiv die Tat nicht fördernde Anwesenheit am Tatort kann
  224. "psychische" Beihilfe sein (BGH, Beschluss vom 17. März 1995 - 2 StR 84/95,
  225. NStZ 1995, 490, 491; zusammenfassend zur Rechtsprechung Kudlich in v.
  226. Heintschel-Heinegg, StGB, § 27 Rn. 9.4 mwN), aber nur, wenn sie dem Haupttäter bekannt ist.
  227. 19
  228. Dies war hier nicht der Fall. Andererseits war der Angeklagte nicht nur
  229. anwesend, sondern er stand "Schmiere" und war bereit, wenn nötig, zu helfen.
  230. Ob dies auch dann zu strafbarer Beihilfe führt, wenn der Haupttäter von der
  231. Anwesenheit und der nicht realisierten Bereitschaft zur Hilfe nichts weiß, wird
  232. unterschiedlich beurteilt (dafür z.B. Murmann in SSW-StGB, § 27 Rn. 4;
  233. Maurach/Gössel/Zipf, StGB AT Tb 2, 7. Aufl. § 52 Rn. 8; dagegen z.B. Roxin in
  234. FS Miyazawa 504, 511 f.; Dreher MDR 1972, 553, 557).
  235. 20
  236. Nach Auffassung des Senats liegt keine strafbare Beihilfe vor. Die Tat ist
  237. in einem solchen Fall nicht objektiv gefördert, sondern eine solche Förderung
  238. ist nur vorbereitet. Dass dadurch der Bereich strafbaren Verhaltens (noch) nicht
  239. erreicht ist, folgt aus der Straflosigkeit der gegenüber einer Vorbereitung sogar
  240. weiter gehenden versuchten Beihilfe (Roxin aaO 512).
  241. 21
  242. (2) Die Annahme fehlender Kenntnis der Haupttäter ist allerdings nicht
  243. rechtsfehlerfrei begründet. Richterliche Überzeugung erfordert nicht, dass das
  244. gefundene Ergebnis "zwingend", ein anderes Ergebnis also denknotwendig
  245. ausgeschlossen ist. Dies wäre ein überspannter und daher rechtlich unzutreffender Maßstab (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 20. September 2011
  246. - 10 -
  247. - 1 StR 120/11 mwN). Darüber hinaus beschränkt sich die Strafkammer allein
  248. auf die Bewertung der Erklärung des Angeklagten, was auch hier eine nur isolierte Würdigung der einzelnen Beweismittel besorgen lässt.
  249. 22
  250. 4. Die Annahme, der Inhalt der von Dr. S.
  251. versandten Postkarten sei
  252. strafrechtlich irrelevant, ist vor allem darauf gestützt, dass der historische Dracula "einerseits als grausamer Tyrann, der seine Feinde pfählen ließ, und andererseits als fanatischer Kämpfer für die Gerechtigkeit" gelte. Daher sei nicht
  253. "zwingend", dass Dr. S.
  254. die Familie R.
  255. bedrohen wollte, möglicher-
  256. weise habe er nur ankündigen wollen, "dass er mit Nachdruck für Gerechtigkeit
  257. kämpfen werde". Hierfür spreche auch, dass er sie "Betrüger" genannt habe.
  258. Gegen die Annahme, dass er sein Verhalten selbst als strafbar werte, spreche,
  259. dass er als Akademiker dann kaum offene Postkarten verschicken würde, da er
  260. auf diese Weise leicht überführt werden könne. Dass die Empfänger sich nach
  261. ihren Aussagen bedroht gefühlt hätten - ohne dass dies die Strafkammer als
  262. unzutreffend bewertet hätte, bedeute, so ein Zeuge, "Vlad Tepes" in Rumänien
  263. "Tod" - sei irrelevant. Ob eine Drohung i.S.d. §§ 240, 241, 255 StGB vorliege,
  264. richte sich nicht danach, ob der Bedrohte die Ankündigung des Übels ernst
  265. nehme, abzustellen sei allein auf den Drohenden. Auch sei nicht klar genug,
  266. was überhaupt angedroht sei.
  267. 23
  268. Diese Ausführungen halten weder zur objektiven noch zur subjektiven
  269. Seite rechtlicher Überprüfung stand.
  270. 24
  271. a) Eine Drohung im Sinne der genannten Vorschriften ist die Ankündigung eines künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Täter Einfluss hat oder jedenfalls zu haben vorgibt (vgl. zusammenfassend Fischer, StGB, 59. Aufl.,
  272. § 240 Rn. 31 mwN). An der Ankündigung eigenen künftigen Verhaltens hat die
  273. - 11 -
  274. Strafkammer zu Recht keinen Zweifel. Ob ein empfindliches Übel angekündigt
  275. ist, richtet sich nach dem Inhalt der Erklärung, der nach dem Empfängerhorizont zu bestimmen ist (Vogel in LK, 12. Aufl., § 253 Rn. 7).
  276. 25
  277. Hier haben die Empfänger der Postkarten, so die Strafkammer, deren
  278. Inhalt in dem für sie landläufigen Sinn als Bedrohung mit dem Tod oder jedenfalls mit schwerer körperlicher Misshandlung verstanden und ernst genommen.
  279. 26
  280. Nicht tragfähig ist die in diesem Zusammenhang - hilfsweise - angestellte
  281. Erwägung der Strafkammer, wenn eine Drohung vorläge, sei sie zu unpräzise.
  282. Dass hier eine (etwaige) Drohung auf etwas anderes gerichtet sein könnte als
  283. Tod oder jedenfalls schwere körperliche Misshandlung, ist nicht erkennbar. Eine solche Drohung bedarf aber keiner präzisierenden Erläuterung.
  284. 27
  285. b) Der Vorsatz des Täters muss darauf gerichtet sein, dass der Empfänger die Äußerungen als Drohung versteht und ernst nimmt. Anhaltspunkte für
  286. die - eher fern liegend erscheinende - Annahme, Dr. S.
  287. hätte geglaubt, der
  288. Karteninhalt würde von den Empfängern entgegen seinem für sie landläufigen
  289. Sinn wegen uneindeutiger historischer Überlieferungen nur als Streben nach
  290. Gerechtigkeit bewertet, sind weder genannt noch erkennbar. Offenbar kommt
  291. die Strafkammer deshalb zu dieser Annahme, weil anderes nicht "zwingend"
  292. sei; wie dargelegt, ist dies jedoch ein rechtsfehlerhafter Maßstab.
  293. 28
  294. c) In subjektiver Hinsicht kann im Übrigen allein der Hinweis, dass die
  295. Empfänger der Karten als "Betrüger" bezeichnet wurden, nicht tragfähig belegen, ob Dr. S.
  296. (anders als ihm vorgeworfen) überhaupt glaubte, noch (im
  297. Einzelnen wiederholt wechselnde) Ansprüche zu haben. Andernfalls wäre für
  298. - 12 -
  299. Überlegungen zu besonderem Einsatz für die Gerechtigkeit ohnehin kein
  300. Raum.
  301. 29
  302. d) Es wäre auch zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte kurz nach
  303. der Versendung der Postkarten ohne erkennbare weitere Begründung neue
  304. hohe Forderungen erhob. Dies könnte dagegen sprechen, dass er nur künftiges
  305. Bemühen um Gerechtigkeit ankündigen wollte.
  306. 30
  307. e) Nicht rechtsfehlerfrei begründet ist die Annahme, gegen eine auf
  308. strafbares Verhalten gerichtete Vorstellung von Dr. S.
  309. spreche auch, dass er
  310. als Zahnarzt (Akademiker) dann schwerlich für "jeden lesbare" offene Karten
  311. verschickt und so die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung erhöht hätte. Es fehlt
  312. die Erörterung des offensichtlich gegenläufigen Gesichtspunkts, dass er die
  313. Karten nicht mit seinem Namen unterschrieben hat. Soweit die Karten in
  314. Deutschland gelesen werden konnten, kommt hinzu, dass wohl die wenigsten
  315. potentiellen Leser Rumänisch können.
  316. 31
  317. 5. Hinsichtlich des Angeklagten M.
  318. stützt sich die allein getroffene
  319. Feststellung, insoweit hätten sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben, nur auf dessen Angabe, er habe zwar den Inhalt der Postkarten gekannt und gewusst,
  320. dass sie Dr. S.
  321. abschicken wollte, damit jedoch nichts zu tun gehabt. Nicht
  322. erörtert ist jedoch in diesem Zusammenhang die festgestellte Aussage einer
  323. Freundin von M.
  324. , R.
  325. hätte gezwungen werden sollen, anzuerkennen,
  326. "dass irgendein Grundstück in Rumänien Dr. S.
  327. falls mitgeteilte Aussage R.
  328. gehöre"; dies, so die eben-
  329. s, deckt sich mit Forderungen, die bald
  330. nach den Postkarten an ihn gestellt wurden. M.
  331. und seine Leute, so die
  332. Freundin, hätten diese Unterschrift erzwingen wollen. Schon dieses Beweisergebnis ist - unabhängig davon, wie es letztlich tatrichterlich zu werten ist - un-
  333. - 13 -
  334. vereinbar mit der Annahme, nichts deute auf eine Mitwirkung von M.
  335. an der
  336. Drohung mit den Postkarten hin.
  337. 32
  338. 6. Da die Sachrüge durchgreift, kann der in der Hauptverhandlung hilfsweise gestellte Aussetzungsantrag eines Verteidigers auf sich beruhen. Zu
  339. Grunde liegt, dass ein am 22. Februar 2011 an das Landgericht gerichteter
  340. Akteneinsichtsantrag dort unbearbeitet blieb; auch die Staatsanwaltschaft hat
  341. bei der Aktenweiterleitung am 22. März 2011 hierauf nicht hingewiesen. Wiederholt wurde der Antrag nicht (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 1. Februar
  342. 2000 - 4 StR 635/99, NStZ 2000, 326 mwN). Der Aussetzungsantrag war jedenfalls nur für den Fall gestellt, "dass der Senat den … Verfahrensrügen Bedeutung beimessen und die dort in Bezug genommenen Verfahrenstatsachen
  343. … verwerten will". Dies ist nicht der Fall.
  344. 33
  345. 7. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zuerkennung von Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft ist mit der
  346. Aufhebung des Urteils gegenstandslos (BGH, Urteil vom 24. Januar 2006
  347. - 1 StR 357/05 mwN).
  348. 34
  349. 8. Wie auch im Urteil mitgeteilt ist, bewertet die (unverändert zugelassene) Anklage die Versendung der Postkarten als versuchte besonders schwere
  350. räuberische Erpressung (§§ 253, 255, § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB), die in Tateinheit mit den durch den gescheiterten Überfall in Re.
  351. verwirklichten
  352. Tatbeständen stehe. Dies veranlasst folgende vorsorgliche Hinweise:
  353. 35
  354. a) Es bedarf der Klärung, ob die Postkarten an Frau und Tochter nur
  355. Druck auf den Nebenkläger ausüben sollten oder ob auch diese zur Zahlung
  356. - 14 -
  357. aufgefordert werden sollten, wofür die Formulierung "gebt zurück ihr Betrüger"
  358. sprechen könnte.
  359. 36
  360. Sollte nur auf den Nebenkläger Druck ausgeübt werden - auch Dritten in
  361. Aussicht gestellte Übel können genügen (vgl. Gropp/Sinn in MüKo § 240 Rn. 82
  362. mwN) - könnte hier letztlich eine tatbestandliche Handlungseinheit vorliegen
  363. (vgl. Vogel aaO Rn. 51).
  364. 37
  365. Sollten dagegen auch Frau und Tochter zur Zahlung aufgefordert werden, wäre (versuchte) Erpressung mehrfach erfüllt, selbst wenn sich die Forderungen, jedenfalls wirtschaftlich, nur gegen ein Vermögen richtete, da § 253
  366. StGB auch das höchstpersönliche Rechtsgut Willensfreiheit schützt (BGH, Urteil vom 28. April 1992 - 1 StR 148/92 mwN). Allein dadurch, dass, wie die
  367. Strafkammer festgestellt hat, die Postkarten - sei es auch gleichzeitig - (von
  368. K.
  369. etwa 45 km entfernt) im selben Briefpostzentrum in Ko.
  370. auf-
  371. gegeben wurden, wären diese Taten nicht zu einer natürlichen Handlungseinheit verbunden (BGH, Urteil vom 24. November 2004 - 5 StR 220/04, wistra
  372. 2005, 56, 57).
  373. 38
  374. b) Räuberische Erpressung (§ 255 StGB) erfordert eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Genaue zeitliche Grenzen dafür, wann
  375. eine für die Zukunft angedrohte Gefahr noch gegenwärtig ist, lassen sich nicht
  376. allgemein festlegen. Gegenwärtigkeit kann grundsätzlich auch dann noch vorliegen, wenn dem Opfer eine - nicht zu lang bemessene - Zahlungsfrist gesetzt
  377. ist. Entscheidend sind die nicht zuletzt nach Maßgabe der vom Täter für möglich gehaltenen Opfersicht zu beurteilenden Umstände des Einzelfalls, wobei
  378. das Revisionsgericht im Wesentlichen nur den vom Tatrichter angelegten Maßstab überprüfen kann (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 1998 - 4 StR 332/98,
  379. - 15 -
  380. NStZ-RR 1999, 266, 267; Beschluss vom 4. September 1997 - 1 StR 489/97,
  381. NStZ-RR 1998, 135; Urteil vom 28. August 1996 - 3 StR 180/96, BGHR StGB
  382. § 255 Drohung 9 jew. mwN).
  383. 39
  384. c) Wieso durch die Versendung von Postkarten eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet sein könnte (§ 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB),
  385. ist nicht ersichtlich.
  386. 40
  387. d) Tateinheit zwischen dem gescheiterten Überfall und der versuchten
  388. Erpressung durch die Postkarten läge nicht vor, auch wenn, wie die Strafkammer erwägt, die Motive von Re.
  389. auf den Karten auf den dort versuchten
  390. Überfall hinweisen und so die neue Drohung unterstreichen sollten. Auch wenn
  391. im Rahmen einer (versuchten) Erpressung mehrere Einzelakte auf den Willen
  392. des Opfers einwirken sollen und somit nur die ursprüngliche Drohung durchgehalten wird, liegt Tateinheit im Blick auf einen einheitlichen Lebenssachverhalt
  393. nur bei engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang dieser Einzelakte vor
  394. (BGH, Urteil vom 30. November 1995 - 5 StR 465/95, BGHSt 41, 368, 369).
  395. Dies ist im Verhältnis zwischen einem versuchten Überfall in Re.
  396. und
  397. Wochen später von Ko.
  398. ge-
  399. mit der Post nach Bukarest und Re.
  400. schickten Drohungen nicht der Fall. Hinzu kommt, dass die erste Tat die Erpressung nur vorbereiten sollte, ohne dass der Erpresser am unmittelbaren
  401. Taterfolg wirtschaftliches Interesse hatte. Wären aber nicht einmal zwei unmittelbare Erpressungsversuche unter den gegebenen Umständen tateinheitlich
  402. verbunden, kann für einen Erpressungsversuch und den vorangegangenen
  403. Versuch, die Aussichten dieses Erpressungsversuchs durch die einschüchternde Wirkung einer anderen Straftat zu vergrößern, erst recht nichts anderes gelten.
  404. - 16 -
  405. 41
  406. 9. Die Hauptverhandlung, die sich, naheliegend wegen der schwierigen
  407. Beweislage, über 21 Verhandlungstage hinzog, fand mit reduzierter Gerichtsbesetzung statt. Die nach der Zurückverweisung einer Sache mögliche Änderung der Besetzungsentscheidung erscheint hier erwägenswert.
  408. Nack
  409. Wahl
  410. Jäger
  411. Graf
  412. Sander