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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 270/00
  5. vom
  6. 17. Oktober 2000
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen
  10. -2-
  11. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Oktober
  12. 2000, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Schäfer
  15. und die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Nack,
  17. Dr. Wahl,
  18. Schluckebier,
  19. Schaal,
  20. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  21. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  22. Rechtsanwalt
  23. als Verteidiger,
  24. Justizangestellte
  25. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  26. für Recht erkannt:
  27. -3-
  28. 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  29. Landgerichts Landshut vom 14. Februar 2000
  30. a) mit den Feststellungen in demjenigen unter Ziffer II.2.d der
  31. Urteilsgründe festgestellten Falle, in dem der Angeklagte der
  32. Geschädigten mit Vergewaltigung gedroht hat, sowie
  33. b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe
  34. aufgehoben.
  35. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige
  36. Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  37. Von Rechts wegen
  38. Gründe:
  39. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von
  40. Schutzbefohlenen in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
  41. und drei Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision in einem der abgeurteilten
  42. Fälle auch eine Verurteilung wegen tateinheitlich begangener sexueller Nötigung. Hierauf ist ihr Rechtsmittel wirksam beschränkt. Zwar hat die Beschwerdeführerin einen unbeschränkten Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag
  43. -4-
  44. gestellt. Dieser steht aber im Widerspruch dazu, daß sie ihre Revision lediglich
  45. mit Ausführungen zu dem im Tenor bezeichneten Fall begründet. Deshalb ist
  46. das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGHR
  47. StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 5 m.w.N.),
  48. die hier einen entsprechenden Beschränkungswillen der Beschwerdeführerin
  49. ergibt. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat Erfolg.
  50. 1. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, daß die vom Landgericht gegebene Begründung, mit der es in einem der unter Ziffer II. 2.d der Urteilsgründe festgestellten Fälle die Annahme einer tateinheitlich begangenen
  51. sexuellen Nötigung abgelehnt hat, nicht tragfähig ist.
  52. a) Nach den getroffenen Feststellungen legte sich der Angeklagte auf
  53. der Wohnzimmercouch in seiner Wohnung auf seine zur Tatzeit 15-jährige
  54. Tochter, die zu diesem Zeitpunkt mit ihm allein in der Wohnung lebte. Er drohte
  55. ihr, falls sie "es nicht mache", werde er sie vergewaltigen. Er versuchte, sein
  56. Glied in die Scheide des Mädchens einzuführen. Ein vollständiges Eindringen
  57. des Angeklagten konnte die Geschädigte dadurch verhindern, daß sie sich
  58. verkrampfte.
  59. Das Landgericht sieht hierin keine vollendete sexuelle Nötigung und
  60. keine Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1
  61. StGB. Es ist der Ansicht, die Drohung des Angeklagten, er werde seine Tochter
  62. vergewaltigen, sei keine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dafür sei nicht jede drohende einfache Körperverletzung ausreichend, sondern nur "eine schwerere". Eine Vergewaltigung müsse aber nicht notwendig auch eine erhebliche Körperverletzung mit sich bringen.
  63. -5-
  64. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach der Rechtsprechung
  65. des Bundesgerichtshofs erfordert das Merkmal der Drohung mit Gefahr für Leib
  66. oder Leben eine gewisse Schwere des in Aussicht gestellten Angriffs auf die
  67. körperliche Unversehrtheit. Deshalb ist nicht jede Drohung mit einer Handlung,
  68. die im Falle ihrer Verwirklichung Gewalt wäre, eine Drohung mit Gefahr für Leib
  69. oder Leben (vgl. BGH StV 1994, 127 m.w.N.). Der Senat hat indes bereits früher hervorgehoben, daß die Androhung gegenüber einer 11-jährigen Tochter,
  70. mit ihr gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr auszuführen, mehr als nur
  71. die Androhung einer letztlich nicht sehr bedeutsamen Beeinträchtigung der
  72. körperlichen Integrität ist; sie ist in ihrem Gewicht mit der Androhung etwa einer
  73. Ohrfeige nicht vergleichbar (so BGHR StGB § 178 Abs. 1 Drohung 1). So liegt
  74. es auch hier. Der Gebrauch des Begriffs der Vergewaltigung durch den Angeklagten im Geschehenszusammenhang schloß erkennbar die Anwendung von
  75. Gewalt, also den Einsatz wenigstens solcher Körperkraft ein, die erforderlich
  76. gewesen wäre, nachhaltigere Abwehrreaktionen des Opfers zu brechen und
  77. den Geschlechtsverkehr gegen dessen Willen zu vollziehen. Eine solche - hier
  78. konkret in Aussicht gestellte - Verletzung der körperlichen Integrität der
  79. 15-jährigen leiblichen Tochter durch den Vater ist unter den gegebenen Umständen ersichtlich von solcher Intensität und Erheblichkeit, daß sie die Voraussetzungen gegenwärtiger Leibesgefahr für das Opfer (im Sinne des § 177
  80. Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllt (vgl. auch zur Erschöpfung und Ermüdung eines
  81. zehnjährigen Opfers als Gewaltanwendung: BGH NStZ 1996, 276; zur Berücksichtigung der Situation des Opfers: BGH bei Miebach NStZ 1993, 225 Nr. 22).
  82. Das Landgericht hat mithin die Anforderungen an die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals überspannt.
  83. b) Die Strafkammer geht weiter zu Gunsten des Angeklagten davon aus,
  84. dieser habe die Gegenwehr der Geschädigten nicht bemerkt und damit inso-
  85. -6-
  86. weit ohne Vorsatz (Nötigungsvorsatz) gehandelt. Dabei stützt es sich auf die
  87. Angaben der Geschädigten, die bekundet hatte, sie könne nicht sagen, ob der
  88. Angeklagte ihren Widerstand bemerkt habe. Sie habe ein Eindringen des Angeklagten dadurch vermeiden können, daß sie sich versteift oder einfach das
  89. Glied des Angeklagten mit der Hand weggedrückt habe.
  90. Diese Würdigung des Landgerichts ist in tatsächlicher Hinsicht lückenhaft. Die Strafkammer hätte sich zur Frage des Nötigungsvorsatzes des Angeklagten mit den gesamten festgestellten Tatumständen auseinandersetzen
  91. müssen, denen insoweit indizielle Bedeutung zukommen kann. Schon die
  92. Rahmenumstände des Tatgeschehens deuteten hier darauf hin, daß die gerade 15 Jahre alt gewordene leibliche Tochter des Angeklagten nicht freiwillig zur
  93. Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen bereit war. In diesem Zusammenhang kann weiter von Bedeutung sein, daß die Geschädigte sich auch in
  94. den anderen Fällen des sexuellen Mißbrauchs zumeist verkrampfte oder einfach das Glied des Angeklagten mit ihrer Hand wegdrückte, um ein Eindringen
  95. in die Scheide zu verhindern. In weiteren Fällen des Oralverkehrs mußte sie
  96. würgen und sich einmal auch übergeben. Der Angeklagte erklärte darauf, sie
  97. solle das nicht vortäuschen. Das, aber auch der Umstand, daß der Angeklagte
  98. in der gegebenen Situation überhaupt die Drohung aussprach, er werde seine
  99. Tochter vergewaltigen, falls sie "es nicht mache", kann Schlüsse auf einen entsprechenden Nötigungsvorsatz des Angeklagten ermöglichen und bedurfte
  100. deshalb tatrichterlicher Würdigung. Das bloße Abstellen auf die Aussage der
  101. Geschädigten, die nicht zu sagen vermochte, ob der Angeklagte bemerkte, daß
  102. sie "sich sperrte", greift hier zu kurz.
  103. 2. Nach allem ist in dem bezeichneten Falle eine erneute tatrichterliche
  104. Würdigung geboten. Das bedingt auch den Wegfall der insoweit zugemesse-
  105. -7-
  106. nen Einzelstrafe sowie die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
  107. Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des
  108. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen, der Angeklagte also eine Lage des Opfers
  109. ausgenutzt hat, in der dieses seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert war.
  110. Das Revisionsvorbringen der Beschwerdeführerin gibt darüber hinaus
  111. Anlaß zu dem Hinweis, daß die bisherigen Feststellungen nicht sicher ergeben,
  112. ob der Angeklagte den Beischlaf mit seiner Tochter vollzogen hat. Ein vollständiges Eindringen des Gliedes in die Scheide ist dazu nicht erforderlich (vgl.
  113. BGHSt 16, 175; 37, 153, 154). Wäre es - unter den Voraussetzungen einer
  114. Nötigung - zur Vollendung des Beischlafes (i.S.v. BGHSt 16, 175) gekommen,
  115. könnte der Angeklagte das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt
  116. haben und der Vergewaltigung schuldig zu sprechen sein. Läge indessen nur
  117. eine "versuchte Vergewaltigung" bei vollendeter sexueller Nötigung (§ 177
  118. Abs. 1 StGB) vor, müßte die Tatvollendung (sexuelle Nötigung) im Schuldspruch zum Ausdruck kommen. Die Tat kann in einem solchen Falle nicht nur
  119. als Versuch bezeichnet werden (BGH NJW 1998, 2987, 2988).
  120. 3. Die auf die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der
  121. Staatsanwaltschaft hin gemäß § 301 StPO gebotene Nachprüfung des angefochtenen Urteils in dem hier allein in Rede stehenden Einzelfall auf etwaige
  122. den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler hat einen solchen nicht ergeben.
  123. Die unter Ziffer II. 2.d der Urteilsgründe festgestellte Tat, um die es hier geht,
  124. -8-
  125. ist noch hinreichend konkretisiert und auch gegen die weiteren Einzelfälle abgrenzbar. Sie zeichnet sich durch die Besonderheit aus, daß der Angeklagte
  126. der Geschädigten mit ihrer Vergewaltigung drohte.
  127. Schäfer
  128. Nack
  129. Schluckebier
  130. Wahl
  131. Schaal