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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XII ZR 46/07
  5. Verkündet am:
  6. 22. Oktober 2008
  7. Küpferle,
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in der Familiensache
  12. -2-
  13. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 22. Oktober 2008 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter
  15. Sprick und Fuchs, die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose
  16. für Recht erkannt:
  17. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Senats für
  18. Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Februar
  19. 2007 aufgehoben.
  20. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
  21. Oberlandesgericht zurückverwiesen.
  22. Von Rechts wegen
  23. Tatbestand:
  24. 1
  25. Der Kläger nimmt den Beklagten auf gemäß § 1607 Abs. 3 Satz 2 BGB
  26. übergegangenen Kindesunterhalt für die Monate Juni und Juli 2003 in Anspruch. Ferner verlangt er vom Beklagten Erstattung nicht festsetzungsfähiger
  27. außergerichtlicher Anwaltskosten.
  28. 2
  29. Während der 1985 geschlossenen Ehe des Klägers mit Maria L. gebar
  30. diese am 19. Januar 1990 das Kind Björn L. Als vermeintlicher Vater leistete
  31. der Kläger dem Kind Naturalunterhalt.
  32. -3-
  33. 3
  34. Mit - rechtskräftigem - Urteil vom 18. April 2005 stellte das Amtsgericht
  35. - Familiengericht - Bad Iburg fest, dass Björn L. nicht das Kind des Klägers ist.
  36. 4
  37. Der Kläger behauptet, der Beklagte sei der Vater des Kindes. Unstreitig
  38. hat der Beklagte während der gesetzlichen Empfängniszeit mit der Kindesmutter geschlechtlich verkehrt. Der Kläger hat sich für seine Behauptung, dass die
  39. Kindesmutter in dieser Zeit ausschließlich mit den Parteien geschlechtlich verkehrt habe, auf das Zeugnis der Kindesmutter berufen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat diese keine Zweifel an der Vaterschaft des Beklagten und dies auch dem - inzwischen volljährigen - Kind mitgeteilt.
  40. 5
  41. Die Vaterschaft zu dem Kind ist weder anerkannt noch gerichtlich festgestellt. Die mit der Zusicherung der Kostenübernahme verbundenen Aufforderungen des Klägers mit Schreiben vom 11. April und 9. Dezember 2005, an einem Vaterschaftsgutachten mitzuwirken, lehnte der Beklagte ab.
  42. 6
  43. Das Amtsgericht wies die Klage ab. Die dagegen eingelegte Berufung
  44. blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Begehren weiter.
  45. Entscheidungsgründe:
  46. 7
  47. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
  48. -4-
  49. I.
  50. 8
  51. Das Oberlandesgericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2007, 1764 ff.
  52. veröffentlicht ist, hat - ebenso wie die Vorinstanz - dahinstehen lassen, ob der
  53. Beklagte der biologische Vater des Kindes ist. Der Kläger sei nämlich nach
  54. § 1600 d Abs. 4 BGB gehindert, den Beklagten auf gemäß § 1607 Abs. 3 BGB
  55. übergegangenen Kindesunterhalt in Anspruch zu nehmen, solange die Vaterschaft des Beklagten weder anerkannt noch mit Wirkung für und gegen alle gerichtlich festgestellt sei.
  56. 9
  57. Dem stehe nicht entgegen, dass der Beklagte möglicherweise nicht im
  58. Interesse des Kindeswohls, sondern vorrangig zur Vermeidung seiner Inanspruchnahme durch den Kläger davon absehe, seine Vaterschaft feststellen zu
  59. lassen. Das genüge nicht, die Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4
  60. BGB zu überwinden. Auch sei es unter den gegebenen Umständen (noch) nicht
  61. rechtsmissbräuchlich, wenn der Beklagte sich auf diese Vorschrift berufe.
  62. II.
  63. 10
  64. Das hält der revisionsrechtlichen Prüfung und den Angriffen der Revision
  65. nicht in allen Punkten stand.
  66. 11
  67. 1. Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass
  68. § 1600 d Abs. 4 BGB eine Inzidentfeststellung der Vaterschaft im Regressprozess zwischen dem Scheinvater und dem von ihm vermuteten Erzeuger des
  69. Kindes grundsätzlich ausschließt (vgl. Senatsurteil BGHZ 121, 299 = FamRZ
  70. -5-
  71. 1993, 696 f. zu §§ 1600 a, 1615 b Abs. 2 BGB a.F.; Schwonberg FamRZ 2008,
  72. 449, 450 m.N. in Fn. 19).
  73. 12
  74. Aufgrund inzwischen veränderter Gesetzeslage hat der Senat an dieser
  75. Rechtsprechung jedoch nicht mehr uneingeschränkt festgehalten und - nach
  76. Erlass des Berufungsurteils - mit Urteil vom 16. April 2008 (- XII ZR 144/06 FamRZ 2008, 1424 ff.) weitere Ausnahmen zugelassen, in denen die
  77. Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB durchbrochen und eine Vaterschaft im Rahmen des Scheinvaterregresses inzidenter festgestellt werden
  78. kann. Nach dieser Entscheidung, auf deren Gründe zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, kommt eine solche Ausnahme insbesondere dann
  79. in Betracht, wenn davon auszugehen ist, dass ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren auf längere Zeit nicht stattfinden wird, weil die zur Erhebung einer solchen Klage Befugten dies ausdrücklich ablehnen oder von einer solchen Möglichkeit seit längerer Zeit keinen Gebrauch gemacht haben (Senatsurteil vom
  80. 16. April 2008 - XII ZR 144/06 - FamRZ 2008, 1424, 1426).
  81. 13
  82. a) Diese Voraussetzung ist hier - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - gegeben. Der Beklagte lehnt es ab, ein Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft einzuleiten. Auch die Kindesmutter hat als gesetzliche
  83. Vertreterin des Kindes ein solches Verfahren nicht eingeleitet und dies bei ihrer
  84. Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 24. Januar 2007 damit begründet, das Kind wolle das nicht. Im Zeitpunkt der (letzten)
  85. Tatsachenverhandlung waren auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass
  86. das Kind seine Ansicht ändern und mit Erreichen der Volljährigkeit am 19. Januar 2008 von der Möglichkeit Gebrauch machen würde, seine Abstammung vom
  87. Beklagten feststellen zu lassen.
  88. -6-
  89. 14
  90. Seit der gerichtlichen Feststellung vom 18. April 2005 waren bereits
  91. 1 ¾ Jahre vergangen, ohne dass die hierzu Berechtigten eine Vaterschaftsfeststellung betrieben hatten. Dies ist eine "längere Zeit" im Sinne des Senatsurteils
  92. vom 16. April 2008 (- XII ZR 144/06 - FamRZ 2008, 1424, 1426), denn darunter
  93. ist jedenfalls ein Zeitraum zu verstehen, der deutlich über die Zeitspanne hinausgeht, innerhalb derer ein Scheinvater nach dem bis zum 30. Juli 1998 geltenden Recht damit hätte rechnen können, dass das Jugendamt als Pfleger
  94. gemäß §§ 1706, 1709 BGB a.F. namens des Kindes ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren eingeleitet hätte. Sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte ersichtlich sind, die die alsbaldige Einleitung eines solchen Verfahrens erwarten
  95. lassen, rechtfertigt dies die Vermutung, dass ein solches Verfahren auch weiterhin auf längere Zeit nicht stattfinden wird.
  96. 15
  97. b) Zwar ist auch unter diesen Umständen eine Durchbrechung der
  98. Rechtsausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB nicht schon dann gerechtfertigt, wenn der Kläger die Vaterschaft des Beklagten "ins Blaue hinein" behauptet und sie erst durch ein Vaterschaftsgutachten bewiesen werden soll. Vielmehr werden zumindest die Voraussetzungen darzulegen sein, an die § 1600 d
  99. Abs. 2 BGB die Vermutung der Vaterschaft knüpft. Diese sind im vorliegenden
  100. Fall aber unstreitig; die Einholung eines Vaterschaftsgutachtens erübrigt sich
  101. daher, es sei denn, dass nunmehr der Beklagte die Einholung eines solchen
  102. Gutachtens beantragt, um die Vermutung seiner Vaterschaft zu entkräften.
  103. Denn an den Beweis sind im Rahmen einer solchen Zahlungsklage nicht die
  104. Anforderungen zu stellen, die eine inter omnes wirkende Vaterschaftsfeststellung erfordert (Senatsurteil vom 16. April 2008 - XII ZR 144/06 - FamRZ 2008,
  105. 1424, 1426).
  106. 16
  107. c) Im vorliegenden Fall greift eine Inzidentfeststellung der Vaterschaft
  108. des Beklagten auch nicht in verfassungsrechtlich geschützte Rechte Dritter ein.
  109. -7-
  110. Ein schützenswertes Interesse der Kindesmutter, ihre eheliche Untreue nicht
  111. offenbar werden zu lassen, kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil sie bereits durch den Erfolg des vorausgegangenen Vaterschaftsanfechtungsverfahrens offenbar geworden ist.
  112. 17
  113. Auch die ablehnende Haltung des Kindes gegenüber der gerichtlichen
  114. Feststellung seiner Abstammung vom Beklagten steht einer entsprechenden
  115. Inzidentfeststellung im vorliegenden Verfahren nicht entgegen, da diese seinen
  116. derzeitigen Status nicht verändern würde. Wie die Anhörung der Kindesmutter
  117. ergeben hat, möchte das Kind sein Verhältnis zum Kläger erhalten; es solle alles so bleiben wie es ist. Auch wenn das Interesse des Kindes somit ausnahmsweise (vgl. Senatsurteil vom 16. April 2008 - XII ZR 144/06 - FamRZ
  118. 2008, 1424, 1427) auf die Beibehaltung eines statusrechtlich "vaterlosen" Zustandes gerichtet sein sollte und das Kind keinen Wert darauf legt, die ihm von
  119. seiner Mutter offenbarte Vaterschaft des Beklagten zur Gewissheit werden zu
  120. lassen, greift eine Inzidentfeststellung der Vaterschaft des Beklagten nicht in
  121. seine verfassungsrechtlich geschützten Rechte ein.
  122. 18
  123. 2. Mit der gegebenen Begründung kann die angefochtene Entscheidung
  124. daher keinen Bestand haben. Sie erweist sich auch nicht aus anderen Gründen
  125. als richtig:
  126. 19
  127. a) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Klage nicht
  128. etwa deshalb unzulässig, weil der Kläger den gesamten von ihm bis zur Feststellung seiner Nichtvaterschaft geleisteten Unterhalt hätte einklagen können,
  129. hier aber nur den Unterhalt für zwei Monate verlangt. Dem Kläger bleibt es unbenommen, mit Rücksicht auf das Kostenrisiko oder aus anderen Gründen nur
  130. den Unterhalt für einen beschränkten Zeitraum zum Gegenstand seiner Klage
  131. zu machen. Ohne Erfolg beruft die Revisionserwiderung sich insoweit auf die
  132. -8-
  133. Rechtsprechung des BGH (Urteile vom 20. Januar 2004 - VI ZR 70/03 - VersR
  134. 2004, 1334 und vom 20. März 2001 - VI ZR 325/99 - VersR 2001, 876), die sich
  135. mit der Zulässigkeit von Teilklagen allein unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes befasst und auf teilbare Unterhaltsforderungen
  136. nicht anwendbar ist.
  137. 20
  138. Auch der Umstand, dass der Beklagte für ein von ihm eingeholtes DNAGutachten zur Widerlegung seiner (aufgrund unstreitigen Verkehrs mit der Kindesmutter vermuteten) Vaterschaft Kosten aufwenden müsste, die den hier eingeklagten Betrag übersteigen, steht der Zulässigkeit einer Teilklage nicht entgegen. Abgesehen davon, dass die Höhe der von einem (gegen)beweisbelasteten Beklagten vorzustreckenden Kosten die Zulässigkeit einer Klage nicht in
  139. Frage stellen kann, hätte der Beklagte es in der Hand, durch eine negative
  140. Feststellungswiderklage auch die weiteren in Betracht kommenden Unterhaltsansprüche des Klägers zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.
  141. 21
  142. Ohne Erfolg macht die Revisionserwiderung weiter geltend, die Durchbrechung der Ausübungssperre des § 1600 d Abs. 4 BGB führe in Verbindung
  143. mit der fehlenden Rechtskraftwirkung der dann möglichen Inzidentfeststellung
  144. zu einem nicht hinnehmbaren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Kindes,
  145. dem "mit jeder Teilklage ein anderer Vater beschert" werden könne, und der
  146. Kindesmutter, die etwa im Falle öffentlicher Zustellung und Aushang an der Gerichtstafel damit rechnen müsse, dass unbeteiligte Dritte sie mit "wechselnden
  147. Vätern" in Verbindung bringen würden. Mit einer solchen Gefahr ist vernünftigerweise nicht zu rechnen, da es jeder Lebenserfahrung widerspricht, dass ein
  148. Scheinvater, der seinen Regressanspruch im Wege der Teilklage erfolgreich
  149. gegen einen Beklagten verfolgt hat, weil dessen Vaterschaft unstreitig ist oder
  150. inzidenter festgestellt wurde, wegen weiterer Teilansprüche nunmehr einen Dritten in Anspruch nimmt.
  151. -9-
  152. 22
  153. b) Ohne Erfolg rügt die Revisionserwiderung weiter, das Berufungsgericht hätte in entsprechender Anwendung des § 640 e Abs. 1 ZPO das inzwischen volljährige Kind beiladen müssen, zumal die im Wege der Amtsermittlung
  154. zu prüfende Frage, ob alsbald mit der Einleitung eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens zu rechnen sei, erst nach Beiladung des volljährigen Kindes
  155. getroffen werden könne. Für eine entsprechende Anwendung des § 640 e ZPO
  156. ist schon deshalb kein Raum, weil es im Scheinvaterregress nicht um eine inter
  157. omnes wirkende Feststellung der Vaterschaft geht und das Verfahren allein die
  158. Parteien betrifft, ohne den Status des Kindes zu berühren oder sonst in seine
  159. Rechte einzugreifen. Sofern Anhaltspunkte bestehen, dass das inzwischen volljährig gewordene Kind seinerseits ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren eingeleitet hat oder dies alsbald zu tun beabsichtigt, bietet die Amtsermittlung auch
  160. ohne eine Beiladung hinreichende Möglichkeiten, dies zu klären.
  161. 23
  162. c) Auch der Einwand der Revisionserwiderung, das Amtsgericht Bad Driburg als Wohnsitzgericht des Beklagten sei in entsprechender Anwendung des
  163. § 640 a ZPO örtlich unzuständig gewesen, kann der Revision schon deshalb
  164. nicht zum Erfolg verhelfen, weil die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit im Revisionsverfahren nach § 545 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist, wie auch die Revisionserwiderung im Grundsatz anerkennt. Warum für Verfahren der vorliegenden Art etwas anderes gelten soll, hat sie nicht darzulegen vermocht.
  165. 24
  166. 3. Der Senat kann in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden,
  167. weil das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen
  168. zu den für die Unterhaltsansprüche maßgeblichen Einkommensverhältnissen
  169. des Beklagten getroffen hat. Zur Nachholung dieser Feststellungen muss die
  170. Sache daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Die erneute
  171. mündliche Verhandlung wird dem Berufungsgericht zugleich Gelegenheit geben, von Amts wegen zu prüfen, ob die Prognose, dass mit der alsbaldigen Ein-
  172. - 10 -
  173. leitung eines Vaterschaftsfeststellungsverfahrens nicht zu rechnen ist, nach wie
  174. vor gerechtfertigt ist.
  175. Hahne
  176. Sprick
  177. Vézina
  178. Fuchs
  179. Dose
  180. Vorinstanzen:
  181. AG Warendorf, Entscheidung vom 24.07.2006 - 9 F 26/06 OLG Hamm, Entscheidung vom 14.02.2007 - 11 UF 210/06 -