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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XII ZR 273/98
  5. Verkündet am:
  6. 30. Mai 2001
  7. Küpferle,
  8. Justizamtsinspektorin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. a) AGBG § 9 Bb, Ci Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1
  16. Die in einem langfristigen gewerblichen Mietvertrag enthaltene Vereinbarung eines vorzeitigen "Sonder"kündigungsrechts für den Mieter mit der Folge unterschiedlich langer Bindung der beiden Vertragsparteien an das Mietverhältnis verstößt nicht gegen wesentliche Grundgedanken des gesetzlichen Mietrechts.
  17. b) ZPO §§ 139, 539
  18. Zur Annahme eines Verstoßes gegen die richterliche Aufklärungs- und Hinweispflicht als wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne von § 539 ZPO.
  19. BGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - XII ZR 273/98 - OLG Bamberg
  20. LG Aschaffenburg
  21. -2-
  22. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  23. vom 30. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die
  24. Richter Dr. Krohn, Sprick, Weber-Monecke und Fuchs
  25. für Recht erkannt:
  26. Auf die Revision der Kläger und die Anschlußrevision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
  27. Bamberg vom 11. August 1998 aufgehoben.
  28. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer
  29. des Landgerichts Aschaffenburg vom 2. Dezember 1997 abgeändert.
  30. Die Klage wird abgewiesen.
  31. Die weitergehende Revision der Kläger wird zurückgewiesen.
  32. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern auferlegt.
  33. Von Rechts wegen
  34. Tatbestand:
  35. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung eines langfristigen Mietverhältnisses.
  36. -3-
  37. Durch Vertrag vom 17. Dezember 1976/25. März 1977 vermieteten die
  38. Brüder H.
  39. an die Firma T.
  40. ein noch zu erstellendes Ladenlokal
  41. für einen SB-Markt. In § 3 des Mietvertrages wurde folgende Vereinbarung getroffen:
  42. "Die Mietzeit beginnt mit Übernahme des bezugsfertigen Mietobjektes, das spätestens fünfzehn Monate nach Erteilung der Baugenehmigung fertiggestellt sein muß, und beträgt 20 Jahre. Sie
  43. verlängert sich jedesmal nach Ablauf der halben Vertragsdauer
  44. um den jeweils abgelaufenen Zeitraum mit der Folge, daß das
  45. Mietverhältnis von diesem Zeitpunkt ab immer wieder über die
  46. volle ursprünglich vereinbarte Mietzeit läuft; diese Verlängerung
  47. tritt nicht ein, wenn eine der Vertragsparteien vorher der Verlängerung schriftlich widerspricht.
  48. Der Mieter ist berechtigt, im 20. Mietjahr zu erklären, daß er das
  49. Mietverhältnis um weitere 5 Jahre fortzusetzen wünscht (Option).
  50. Eine vom Vermieter ausgesprochene Kündigung verliert für den
  51. Zeitraum, für den von dem Optionsrecht Gebrauch gemacht worden ist, ihre Wirksamkeit.
  52. Unabhängig von dieser Regelung ist der Mieter berechtigt, erstmalig nach Ablauf von acht Mietjahren, den Vertrag während der
  53. Mietzeit unter Einhaltung einer Frist von zwölf Monaten jeweils
  54. zum Quartalsende zu kündigen. Wenn der Mieter von diesem
  55. Recht innerhalb der ersten 15 Mietjahre Gebrauch macht, ist er
  56. verpflichtet, an den Vermieter eine Ausgleichszahlung zu leisten.
  57. Diese beträgt bei Beendigung des Mietverhältnisses innerhalb der
  58. ersten zehn Mietjahre eine Jahresmiete, ab Beginn des elften bis
  59. zum Ende des fünfzehnten Mietjahrs eine halbe Jahresmiete."
  60. Durch dreiseitigen "Übernahmevertrag" vom 10. August 1978 traten die
  61. Kläger anstelle der Brüder H.
  62. als Vermieter in den Vertrag ein. Am 1. April
  63. 1979 wurde das Mietobjekt an die Firma T.
  64. einbarung zwischen der Klägerin, der Firma T.
  65. übergeben. Durch Verund der Beklagten
  66. vom 3. März/17. März 1995 trat die Beklagte mit Wirkung ab 1. Februar 1995
  67. -4-
  68. als Mieter in alle Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis ein; zugleich
  69. wurde der Mietzins - auf monatlich 13.648,61 DM - erhöht.
  70. Mit Schreiben vom 20. März 1995 kündigte die Beklagte das Mietverhältnis unter Berufung auf ihr Sonderkündigungsrecht zum 31. März 1996. Die
  71. Kläger widersprachen der Kündigung und machten geltend, die Regelung in
  72. § 3 Abs. 3 des Mietvertrages verstoße gegen § 9 AGBG mit der Folge, daß die
  73. Vereinbarung des außerordentlichen Kündigungsrechts unwirksam sei. Die
  74. Beklagte hielt die Kündigung aufrecht und leistete seit dem 1. April 1996 keinen Mietzins mehr.
  75. Mit der Klage haben die Kläger zum einen die Feststellung begehrt, daß
  76. das Mietverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20. März 1995
  77. beendet worden sei, sondern ungekündigt über den 31. März 1996 hinaus fortbestehe, und zum anderen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von
  78. 163.783,32 DM nebst gestaffelten Zinsen als Mietzins für die Zeit von April
  79. 1996 bis März 1997.
  80. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat die auf § 3 Abs. 3
  81. des Mietvertrages gestützte Kündigung der Beklagten wegen Verstoßes der
  82. Vertragsbestimmung gegen § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AGBG für unwirksam gehalten. Die Regelung in § 3 Abs. 3 des Mietvertrages, die wegen der unterschiedlich langen Bindung der Vertragsparteien an das Mietverhältnis dem
  83. "Kerngehalt" des gesetzlichen Mietrechts widerspreche, sei bei Vertragsabschluß von der Firma T.
  84. als vorformulierte Vertragsbedingung gestellt
  85. und entgegen der Behauptung der Beklagten nicht individuell ausgehandelt
  86. worden. Soweit die Beklagte erstmals nach der mündlichen Verhandlung vom
  87. 21. Oktober 1997 in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 5. November
  88. 1997 behauptet habe, bei einem Gespräch der ursprünglichen Vertragspartei-
  89. -5-
  90. en vom 23. Februar 1977 sei über die Vereinbarung eines Sonderkündigungsrechts verhandelt worden, sei dieser Vortrag gemäß § 296 a Satz 1 ZPO nicht
  91. mehr zu berücksichtigen. Die Klausel in § 3 Abs. 3 des Mietvertrages stelle
  92. daher eine vorformulierte Vertragsbedingung im Sinne von § 1 Abs. 1 AGBG
  93. dar, die der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG unterliege und ihr nicht standhalte.
  94. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
  95. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Kläger mit der Revision, mit
  96. der sie die Aufhebung des Berufungsurteils und die Wiederherstellung des
  97. landgerichtlichen Urteils erstreben. Die Beklagte hat sich der Revision angeschlossen. Sie verfolgt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der erhobenen Klage.
  98. Entscheidungsgründe:
  99. 1. a) Das Berufungsgericht hat einen wesentlichen Mangel im Verfahren
  100. des ersten Rechtszugs angenommen und dazu ausgeführt: Das Landgericht
  101. sei davon ausgegangen, daß der gesetzesfremde Kerngehalt der Regelung in
  102. § 3 Abs. 3 des Mietvertrages von der Firma T.
  103. auch nach dem Vor-
  104. trag der Beklagten bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nicht zur Disposition gestellt, d.h. ausgehandelt, worden sei. Bei diesem Verständnis des
  105. Vortrags der Beklagten hätte das Landgericht, auch im Hinblick auf die erhebli-
  106. -6-
  107. che wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreits, seiner Aufklärungspflicht gemäß § 139 ZPO nachkommen und darauf hinwirken müssen, daß sich die Beklagte vollständig erklärte, insbesondere die ungenügenden Angaben zum Inhalt des Gesprächs vom 23. Februar 1977 ergänzte. Aus dem Sachvortrag der
  108. Beklagten habe sich ergeben, daß diese gemeint habe, ihr tatsächliches Vorbringen zum Aushandeln der streitigen Klausel sei schlüssig, vollständig und
  109. nicht ergänzungsbedürftig. Spätestens in der mündlichen Verhandlung vom 21.
  110. Oktober 1997 hätte das Landgericht den Beklagtenvertreter deshalb darauf
  111. hinweisen müssen, daß der bisherige Sachvortrag der Beklagten unzureichend
  112. sei. Wäre das Landgericht der Aufklärungs- und Hinweispflicht nachgekommen, dann hätte die Beklagte mit Sicherheit ihren Vortrag zum Ablauf und Inhalt des Gesprächs vom 23. Februar 1977 ergänzt und vorgetragen, daß über
  113. das Sonderkündigungsrecht überhaupt bzw. über dessen grundsätzliche Vereinbarung verhandelt worden sei. Der aufgezeigte Verfahrensmangel sei wesentlich im Sinne von § 539 ZPO, weil er für das landgerichtliche Urteil ursächlich und für das Ergebnis - antragsgemäße Verurteilung der Beklagten oder
  114. Klageabweisung - erheblich sei.
  115. Eine eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichts nach § 540 ZPO
  116. erscheine - trotz der mit der Zurückverweisung verbundenen Verzögerung und
  117. Verteuerung des Verfahrens - unter den gegebenen Umständen nicht als
  118. sachdienlich, zumal eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich sein werde und den Parteien der volle Instanzenzug erhalten bleiben solle.
  119. b) Diese Ausführungen des Berufungsgerichts werden sowohl von der
  120. Revision als auch von der Anschlußrevision zu Recht angegriffen. Beide beanstanden rechtlich zutreffend eine Verletzung der §§ 539, 540 ZPO durch das
  121. Oberlandesgericht.
  122. -7-
  123. aa) Der Verfahrensmangel, den das Berufungsgericht dem Landgericht
  124. - durch Verletzung der Aufklärungs- und Hinweispflicht - vorwirft, betrifft die
  125. Frage, ob die Regelung in § 3 Abs. 3 des Mietvertrages im Sinne von § 1
  126. Abs. 2 AGBG im einzelnen ausgehandelt wurde, so daß bejahendenfalls eine
  127. Allgemeine Geschäftsbedingung nicht vorläge und eine Unwirksamkeit des
  128. vereinbarten Sonderkündigungsrechts gemäß § 9 AGBG nicht in Betracht käme. Der streitige Mietvertrag wurde zwar bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen am
  129. 1. April 1977 geschlossen. Nach § 28 Abs. 2 AGBG gilt jedoch die Vorschrift
  130. des § 9 des Gesetzes auch für solche Fälle, soweit die entsprechenden Verträge, wie es hier der Fall ist, bei Inkrafttreten des AGBG noch nicht abgewikkelt waren (vgl. BGHZ 91, 375, 384). Die Prüfung nach dem Maßstab des § 9
  131. AGBG ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
  132. bb) Es stellt indessen keinen Verfahrensfehler im Sinne von § 539 ZPO
  133. dar, daß das Landgericht die Regelung in § 3 Abs. 3 des Mietvertrages als Allgemeine Geschäftsbedingung beurteilt und den Vortrag der Beklagten über
  134. das behauptete Aushandeln der Vereinbarung als verspätet zurückgewiesen
  135. hat, ohne zuvor auf eine Ergänzung des Vorbringens der Beklagten hinzuwirken.
  136. Zwar ist dem Oberlandesgericht im Grundsatz darin zuzustimmen, daß
  137. Verstöße gegen die richterliche Aufklärungspflicht einen Mangel des Verfahrens im Sinne von § 539 ZPO darstellen können (vgl. BGH, Urteil vom
  138. 9. Dezember 1987 - VIII ZR 374/86 = BGHR ZPO § 539, Verfahrensmangel 1).
  139. Dabei ist jedoch Zurückhaltung geboten. Vor allem ist die Frage, ob dem Verfahren des Landgerichts ein Mangel, etwa durch Unterlassung eines Hinweises
  140. an die Partei, anhaftet, nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung vom
  141. -8-
  142. materiell-rechtlichen Standpunkt des Erstgerichts aus zu beurteilen, auch wenn
  143. das Berufungsgericht diesen Standpunkt nicht teilt. Danach begründet es keinen Fehler im Verfahren der Vorinstanz, wenn das Berufungsgericht Parteivorbringen materiell-rechtlich anders wertet als das Erstgericht, indem es etwa
  144. geringere Anforderungen an die Schlüssigkeit und die Substantiierungslast
  145. stellt und infolgedessen eine Beweisaufnahme für erforderlich hält, die das
  146. Landgericht nicht durchgeführt hat. Ein Verfahrensfehler kann in einem solchen
  147. Fall auch nicht mit einer Verletzung der richterlichen Hinweis- und Fragepflicht
  148. nach § 139 ZPO begründet werden. Vielmehr muß das Berufungsgericht
  149. grundsätzlich auch insoweit bei der Prüfung der Frage, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, den Standpunkt des Erstgerichts zugrunde legen (st.Rspr., vgl.
  150. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1996 - VI ZR 314/95 = NJW 1997, 1447, 1448
  151. m.w.N.).
  152. Das Landgericht ist in seinem Urteil davon ausgegangen, daß die Beklagte nach ihrem ursprünglichen Vortrag bis zur mündlichen Verhandlung
  153. nicht schlüssig behauptet habe, das Sonderkündigungsrecht nach § 3 Abs. 3
  154. des Mietvertrages sei als solches inhaltlich zur Disposition gestellt worden;
  155. nach dem ursprünglichen Vortrag der Beklagten sei lediglich über den Zeitpunkt für die erstmalige Ausübung des Sonderkündigungsrechts verhandelt,
  156. dieser also ausgehandelt worden. Hingegen habe die Firma T.
  157. nach
  158. dem ursprünglichen Vortrag der Beklagten bei dem fraglichen Gespräch vom
  159. 23. Februar 1977 keine Verhandlungsbereitschaft darüber zum Ausdruck gebracht, ob ein Sonderkündigungsrecht überhaupt mit in den Vertrag einbezogen werden sollte. Erstmals in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom
  160. 5. November 1997 habe die Beklagte vorgetragen, daß bei dem Gespräch vom
  161. 23. Februar 1977 nicht nur über die Aussetzungsdauer des Sonderkündigungs-
  162. -9-
  163. rechts, sondern auch über dessen grundsätzliche Vereinbarung verhandelt
  164. worden sei.
  165. Dieser Bewertung des erstinstanzlichen Vorbringens der Beklagten
  166. durch das Landgericht ist das Oberlandesgericht - rechtsfehlerfrei - nicht entgegengetreten. Von dem danach zugrunde zu legenden Rechtsstandpunkt des
  167. Landgerichts aus bestand für das Gericht aber kein begründeter Anlaß zu einem Aufklärungs- oder Ergänzungshinweis an die Beklagte. Die Kläger hatten
  168. in der Klageschrift ausführlich dargetan, daß sie die Vereinbarung in § 3 Abs. 3
  169. des Mietvertrages als Allgemeine Geschäftsbedingung ansahen, die wegen
  170. Verstoßes gegen § 9 AGBG unwirksam sei und deshalb die von der Beklagten
  171. ausgesprochene Kündigung nicht rechtfertigen könne. Darauf hatte die
  172. - anwaltlich vertretene - Beklagte mit Schriftsätzen vom 26. Mai und vom
  173. 22. Juli 1997 im einzelnen ausgeführt, § 9 AGBG sei hier nicht anwendbar;
  174. denn § 3 Abs. 3 des Mietvertrages sei bei dem Gespräch am 23. Februar 1977
  175. individuell ausgehandelt worden; in diesem Gespräch hätten die Brüder H.
  176. für die der Mieterin gewährten Sonderkündigungsrechte die Vorstellung geäußert, daß diese Rechte für einen Zeitraum von zwölf Jahren seit Mietbeginn
  177. ausgesetzt würden; die Mieterin habe den Wunsch einer Aussetzung von
  178. sechs Jahren gehabt; in den Verhandlungen hätten sich beide Seiten schließlich auf die Aussetzung des Sonderkündigungsrechts von acht Jahren seit
  179. Mietbeginn mit der vereinbarten Ausgleichszahlung geeinigt. Hiermit sei die
  180. fragliche Sonderkündigungsregelung im klassischen Sinn zwischen den Vertragsparteien ausgehandelt worden.
  181. Dieses Vorbringen bot aus der Sicht des Landgerichts, das die Voraussetzungen für ein Aushandeln des Sonderkündigungsrechts bei dem vorgetragenen Sachverhalt allerdings aus Rechtsgründen nicht für erfüllt hielt, keinen
  182. - 10 -
  183. Anhaltspunkt zu einem Ergänzungshinweis an die Beklagte. Diese hatte sich
  184. zu der für die Parteien und auch für das Gericht maßgeblich erscheinenden
  185. Frage des Aushandelns der Regelung in § 3 Abs. 3 des Mietvertrages geäußert und dazu in tatsächlicher Hinsicht über die Vorgänge bei den Vertragsverhandlungen in einer Weise vorgetragen, die - entgegen der Auffassung des
  186. Oberlandesgerichts - weder unvollständig bzw. ungenügend noch ergänzungsbedürftig erschien, sondern im Gegenteil den Eindruck einer aus der Sicht der
  187. Partei umfassenden, abschließenden Sachverhaltsdarstellung vermittelte. Unter diesen Umständen oblag dem Landgericht keine Hinweispflicht nach
  188. §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO. Ein entsprechender Hinweis hätte sich bei der gegebenen Sachlage vom Rechtsstandpunkt des Landgerichts aus allenfalls auf die
  189. von diesem beabsichtigte rechtliche Wertung des beiderseitigen Parteivorbringens beziehen können. Dazu bestand indessen verfahrensrechtlich keine Verpflichtung.
  190. Da das Berufungsgericht demnach zu Unrecht einen wesentlichen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens im Sinne von § 539 ZPO angenommen
  191. hat, kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben.
  192. 2. Einer Zurückverweisung an das Berufungsgericht bedarf es jedoch
  193. nicht. Der Rechtsstreit ist nach dem festgestellten Sachverhalt zur Endentscheidung reif (§ 565 Abs. 3 ZPO; vgl. BGH Urteil vom 22. Januar 1997
  194. - VIII ZR 339/95 = WM 1997, 1713, 1716).
  195. Die Klage ist unbegründet. Sie ist daher auf die Anschlußrevision und
  196. Berufung der Beklagten - unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils - abzuweisen.
  197. - 11 -
  198. a) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kann für die zu treffende
  199. Entscheidung dahingestellt bleiben, ob die Regelung in § 3 Abs. 3 des Mietvertrages zwischen den seinerzeitigen Vertragsparteien im Sinne von § 1
  200. Abs. 2 AGBG im einzelnen ausgehandelt worden ist. Auch wenn das nicht der
  201. Fall war und es sich demgemäß um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt, ist die Klausel rechtlich nicht zu beanstanden, sondern in gleicher Weise
  202. wirksam wie im Fall einer Individualvereinbarung.
  203. b) Ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AGBG liegt nicht vor.
  204. Nach § 9 Abs. 1 AGBG sind formularmäßige Vertragsbestimmungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Das ist nach § 9
  205. Abs. 2 Nr. 1 AGBG im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen
  206. wird, nicht zu vereinbaren ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, ob die
  207. dispositive gesetzliche Regelung nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen
  208. beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt. Dabei
  209. brauchen Grundgedanken eines Rechtsbereichs nicht in Einzelbestimmungen
  210. formuliert zu sein. Es reicht aus, daß sie in allgemeinen, an Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten und auf das betreffende Rechtsgebiet anwendbaren
  211. Grundsätzen ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BGHZ 115, 38, 42; 114,
  212. 238, 240; 96, 103, 109; 89, 206, 211).
  213. Das Landgericht - und ihm insoweit folgend auch das Oberlandesgericht - haben den von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung
  214. abweichenden, "gesetzesfremden Kerngehalt" der Regelung des § 3 Abs. 3
  215. des Mietvertrages darin gesehen, daß der Mieter danach anders als der Vermieter nicht an die fest vereinbarte Mietzeit von grundsätzlich 20 Jahren ge-
  216. - 12 -
  217. bunden ist, sondern das Mietverhältnis vor Ablauf der fest vereinbarten Mietzeit
  218. im Wege einer vorzeitigen Kündigung ohne Vorliegen besonderer Gründe kündigen kann. Diese Regelung widerspricht nach der Auffassung der Vorinstanzen dem gesetzlichen Leitbild über die Möglichkeit außerordentlicher Kündigungen bei befristeten Mietverhältnissen.
  219. Dem kann nicht gefolgt werden.
  220. Zu den wesentlichen Grundgedanken des gesetzlichen Mietrechts, von
  221. denen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht zu Lasten des Vertragsgegners abgewichen werden darf, gehören etwa die Zulässigkeit langfristiger Bindung an ein Mietverhältnis (vgl. § 567 BGB; auch Gerber/Eckert, Gewerbliches
  222. Miet- und Pachtrecht, 3. Aufl., Rdn. 282; Senatsurteil vom 10. Februar 1993
  223. - XII ZR 74/91 = NJW 1993, 1133, 1134), die Festlegung der Kündigungsfristen
  224. in § 565 BGB, die wesentlichen Interessen der Vertragspartner dienen und
  225. deshalb nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG nicht entgegen den gesetzlichen Vorschriften ganz ausgeschlossen und auch nicht zu Lasten des Mieters formularvertraglich verkürzt werden dürfen (vgl. Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl.,
  226. § 9 Rdn. M 45; Grapentin in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. IV Rdn, 136; Sternel, Mietrecht 3. Aufl. I Rdn. 186; OLG
  227. Celle MDR 1990, 154), sowie auch das grundsätzliche Recht zur fristlosen
  228. (außerordentlichen) Kündigung bei Vorliegen besonders schwerwiegender
  229. Gründe (vgl. Bub in NZM 1998, 789, 795; von Westphalen in EWiR § 9 AGBG
  230. 25/91 S. 1041, 1042), das allerdings aus Gründen des Bestandsschutzes von
  231. Mietverhältnissen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht über den gesetzlich
  232. geregelten
  233. Bereich
  234. hinaus
  235. Wolf/Horn/Lindacher aaO Rdn. M 46).
  236. erweitert
  237. werden
  238. darf
  239. (vgl.
  240. - 13 -
  241. Die am Gerechtigkeitsgedanken ausgerichteten wesentlichen Grundsätze des gesetzlichen Mietrechts fordern hingegen nicht eine unterschiedslos
  242. gleichlange Bindung beider Vertragspartner an das Mietverhältnis (vgl. Gerber/Eckert aaO Rdn. 297). Schon das im Mietrecht anerkannte Institut der
  243. Verlängerungsoption ist ein Beispiel für unterschiedlich lange Bindung des optionsberechtigten (in der Regel) Mieters einerseits und des anderen Vertragsteils (in der Regel des Vermieters) andererseits, der keinen Einfluß auf die
  244. endgültige Dauer des Mietverhältnisses (mit oder ohne Verlängerung) ausüben
  245. kann. Das Gesetz selbst regelt etwa in § 570 BGB eine Reihe von Fällen, in
  246. denen befristete Mietverträge aus Gründen aus der Sphäre des Mieters von
  247. diesem unter Einhaltung der gesetzlichen Frist vorzeitig gekündigt werden
  248. können, während der Vermieter an die vertraglich vereinbarte Mietdauer gebunden ist. Nach der beschlossenen Mietrechtsreform werden für das Wohnraummietrecht ausdrücklich unterschiedlich lange Kündigungsfristen für den
  249. Mieter (drei Monate) und den Vermieter (maximal neun Monate) gesetzlich vorgegeben.
  250. Vor diesem Hintergrund ist die Vereinbarung unterschiedlich langer
  251. Kündigungsfristen für beide Vertragsteile auch durch Formularvertrag grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Emmerich/Sonnenschein, Miete
  252. 7. Aufl., § 565 Rdn. 16; MünchKomm/Voelskow, BGB 3. Aufl., § 565 Rdn. 7;
  253. von Westphalen aaO S. 1042; OLG Hamm ZMR 1988, 386, 387; OLG Hamburg ZMR 1991, 476, 477 = NJW-RR 1992, 74). Teilweise werden entsprechende Formularklauseln als "nicht von vorneherein unzulässig" (AGBKlauselwerk/
  254. Drettmann, Geschäftsraummiete Rdn. 175) bezeichnet. Sie werden aber im
  255. Einzelfall unter Bezugnahme auf die im vorliegenden Fall auch im Urteil des
  256. Landgerichts behandelten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Hamm
  257. - 14 -
  258. (aaO) und Hamburg (aaO) wegen Einseitigkeit (Wolf/Horn/Lindacher aaO § 9
  259. Rdn. M 44), Störung des Äquivalenzverhältnisses (von Westphalen aaO
  260. S. 1042) oder "bei krassen Abweichungen" (Drettmann aaO) nach § 9 Abs. 1
  261. AGBG, also wegen allgemeiner gegen Treu und Glauben verstoßender unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners, für unwirksam gehalten.
  262. Eine solche einseitig unangemessene Benachteiligung des Vermieters
  263. ist indessen in der hier zu beurteilenden Regelung des § 3 Abs. 3 des Mietvertrages entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht enthalten. In den zitierten Urteilen der Oberlandesgerichte Hamm und Hamburg hatte sich der den
  264. Formularmietvertrag verwendende Mieter jeweils das Recht vorbehalten, bei
  265. fester Laufzeit des Mietvertrages (OLG Hamm: 30 Jahre, OLG Hamburg: 10
  266. Jahre mit Verlängerungsoption für den Mieter) und entsprechender Bindung
  267. des Vermieters seinerseits das Mietverhältnis "zum Schluß eines jeden Kalendervierteljahres" mit halbjähriger Frist (OLG Hamm) bzw. "jederzeit" mit einer
  268. Frist von sechs Monaten (OLG Hamburg) zu kündigen, ohne daß die Gerichte
  269. besondere schützenswerte Interessen der Mieter für diese Ungleichbehandlung gegenüber dem Vermieter zu erkennen vermochten. Mit derartigen Fallgestaltungen ist die hier streitige Kündigungsvereinbarung nicht zu vergleichen. Zwar waren die Kläger als Vermieter durch die Bestimmung des § 3
  270. Abs. 3 des Mietvertrages grundsätzlich für 20 Jahre an das Mietverhältnis gebunden. Die Beklagte (bzw. ihre Rechtsvorgängerin) konnte den Vertrag aber
  271. als Mieterin weder "jederzeit" noch von Anbeginn an "zum Schluß eines jeden
  272. Kalendervierteljahres" kündigen. Die ihr eingeräumte vorzeitige Kündigung war
  273. vielmehr erstmals nach Ablauf von acht Jahren mit einer zwölfmonatigen Kündigungsfrist zulässig und zudem bei Ausübung innerhalb der ersten zehn
  274. Mietjahre an die Zahlung einer vollen "Jahresmiete", bei Ausübung innerhalb
  275. der nächsten fünf Mietjahre an die Zahlung einer halben "Jahresmiete" ge-
  276. - 15 -
  277. knüpft. Den Vermietern war damit jedenfalls für die Dauer von zehn Jahren ein
  278. Anspruch auf Beträge in Höhe des vollen Mietzinses gewährleistet. Außerdem
  279. stand ihnen ein volles Jahr für die Suche nach einem etwaigen Nachmieter zur
  280. Verfügung. Bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Risiken, die die Vertragsparteien mit dem Mietvertrag eingingen, erscheint die aufgezeigte Regelung weder in einer gegen Treu und Glauben verstoßenden Weise unangemessen noch unzumutbar für die Vermieter. Diese hatten zwar die Mieträume
  281. nach den Wünschen und Vorgaben der Mieterin zu erstellen und gegebenenfalls bestimmte bauliche Änderungen an dem Mietobjekt zu dulden. Sie trugen
  282. jedoch für die Dauer von mindestens zehn Jahren praktisch kein Risiko, das
  283. nicht durch entsprechende Ansprüche gegen die Mieterin gedeckt gewesen
  284. wäre. Demgegenüber trug die Beklagte als Mieterin das volle wirtschaftliche
  285. Risiko für die Entwicklung und den geschäftlichen Erfolg des von ihr geführten
  286. SB-Marktes, und sie war nach dem Vertrag ihrerseits jedenfalls für neun Jahre
  287. an das Mietverhältnis gebunden und für zehn Jahre zur Zahlung verpflichtet,
  288. selbst wenn der SB-Markt von den Kunden nicht in der erwarteten Weise angenommen werden und der beabsichtigte geschäftliche Erfolg sich aus nicht
  289. vorhersehbaren Gründen nicht einstellen oder nicht auf Dauer anhalten sollte.
  290. Bei Berücksichtigung dieser Umstände hält die vereinbarte Kündigungsregelung einer etwa gebotenen Inhaltskontrolle nach dem Maßstab des § 9
  291. AGBG stand.
  292. Da die Bestimmung des § 3 Abs. 3 des Mietvertrages demnach sowohl
  293. als Formularklausel als auch als Individualvereinbarung keinen rechtlichen Bedenken unterliegt, hat die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 20. März 1995
  294. rechtswirksam unter Berufung auf das Sonderkündigungsrecht das Mietverhältnis gekündigt. Dieses ist damit zum 31. März 1996 beendet worden. Die auf
  295. - 16 -
  296. Feststellung seines Fortbestandes und Weiterzahlung des Mietzinses über den
  297. 1. April 1996 hinaus gerichtete Klage hat nach alledem keinen Erfolg.
  298. Blumenröhr
  299. Krohn
  300. Sprick
  301. Weber-Monecke
  302. Fuchs