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152 lines
10 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 40/02
  4. vom
  5. 9. Februar 2005
  6. in der Familiensache
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. ja
  12. BGB § 1685 Abs. 2
  13. Zu den Anforderungen an die sozial-familiäre Beziehung einer Bezugsperson
  14. des Kindes.
  15. BGH, Beschluß vom 9. Februar 2005 - XII ZB 40/02 - KG
  16. AG Berlin Tempelhof-Kreuzberg
  17. -2-
  18. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2005 durch die
  19. Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
  20. Prof. Dr. Wagenitz und Dose
  21. beschlossen:
  22. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluß
  23. des 3. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin - als Senat für
  24. Familiensachen - vom 23. Januar 2002 aufgehoben.
  25. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung
  26. - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Kammergericht zurückverwiesen.
  27. Gründe:
  28. I.
  29. Die minderjährige Isabel S. wurde am 10. Januar 1996 als Kind der miteinander verheirateten Antragsgegner geboren. Der Antragsteller ist der leibliche Vater von Isabel; er begehrt eine Regelung des Umgangs mit dem Kind.
  30. Der Antragsteller hatte - nach seinem Vortrag - Anfang 1995 ein Verhältnis mit der Antragsgegnerin begonnen und sich seit Isabels Geburt, spätestens
  31. aber seit August 1997, um diese gekümmert. Er lebte jedenfalls von Mitte August 1997 bis zu seinem Auszug etwa September 1998 gemeinsam mit der Antragsgegnerin und Isabel in einer Wohnung zusammen. In der Zeit von Novem-
  32. -3-
  33. ber 1998 bis März 1999 bestand zwischen dem Antragsteller und Isabel, welche
  34. - nach seinem Vortrag - die Wochenenden bei ihm verbrachte, weiterhin Kontakt. Nach einem Umzug im März 1999 gestattete die Antragsgegnerin dem
  35. Antragsteller bis Mitte Mai 1999 keinen Umgang mit Isabel. Danach wurde der
  36. Umgang wieder aufgenommen. Seit August 1999 ist er unterbrochen, nachdem
  37. die Antragsgegnerin dem Antragsteller jeden Kontakt zu Isabel untersagt hatte.
  38. Das Amtsgericht hat den Antrag auf Regelung des Umgangs mit Isabel
  39. abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat das
  40. Kammergericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde
  41. verfolgt der Antragsteller sein erstinstanzliches Begehren weiter.
  42. II.
  43. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen
  44. Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Kammergericht.
  45. 1. Nach Auffassung des Kammergerichts ist die Beschwerde des Antragstellers unbegründet, weil diesem bereits kein eigenes Antragsrecht zustehe. Der Kreis der Umgangsberechtigten werde ausschließlich durch die
  46. §§ 1684, 1685 BGB bestimmt. Zu diesem Kreis gehöre der Antragsteller nicht.
  47. Ein Umgangsrecht nach § 1684 BGB scheide aus, da diese Vorschrift nur dem
  48. Vater im Rechtssinne ein Umgangsrecht einräume, nicht aber dem "Erzeuger",
  49. von dem das Kind genetisch abstamme. Auch § 1685 BGB (i.d.F. des Kindschaftsrechtsreformgesetzes vom 16. Dezember 1997, BGBl. I 2942) begründe
  50. für den Antragsteller kein Umgangsrecht. Nach dieser Vorschrift könnten zwar
  51. der Ehemann der Kindesmutter, deren früherer Ehemann oder derjenige, der
  52. -4-
  53. das Kind in Familienpflege gehabt habe, ein Umgangsrecht beanspruchen. Eine
  54. analoge Anwendung auf andere Personen - hier auf den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als "sozialen Vater" - scheide jedoch aus, da eine
  55. Regelungslücke nicht bestehe. Der Gesetzgeber habe sich vielmehr bewußt für
  56. eine enumerative Aufzählung der Umgangsberechtigten entschieden, um eine
  57. zu starke Ausweitung von Umgangsrechtsstreitigkeiten zu verhindern.
  58. 2. Ob diese von der weiteren Beschwerde angegriffene Beurteilung nach
  59. der bei Erlaß der angefochtenen Entscheidung bestehenden Rechtslage zutrifft,
  60. kann dahinstehen. Durch das mit seinem wesentlichen Inhalt am 1. April 2004
  61. in Kraft getretene Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung
  62. der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes, zur
  63. Registrierung von Vorsorgeverfügungen und zur Einführung von Vordrucken für
  64. die Vergütung von Berufsbetreuern vom 23. April 2004 (BGBl. I S. 598) ist
  65. § 1685 Abs. 2 BGB neu gefaßt worden. Nach dessen Satz 1 haben - neben
  66. Eltern (§ 1684 BGB) sowie Großeltern und Geschwistern (§ 1685 Abs. 1 BGB) nunmehr "enge Bezugspersonen des Kindes, wenn diese für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben (sozial-familiäre Beziehung)",
  67. ein Recht auf Umgang mit dem Kind, sofern dieser dem Wohl des Kindes dient.
  68. Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung ist dabei nach § 1685 Abs. 2
  69. Satz 2 BGB n.F. in der Regel dann anzunehmen, wenn die Person mit dem
  70. Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Da diese
  71. Neuregelung keine Überleitungsregelung vorsieht, gilt sie für bereits bestehende kindschaftsrechtliche Verhältnisse ebenso wie für bereits anhängige Umgangsrechtsverfahren. Sie ist auch für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens maßgebend; denn das Rechtsbeschwerdegericht hat das bei Erlaß seiner Entscheidung geltende Recht auch dann anzuwenden, wenn das Gericht
  72. der Vorinstanz - wie hier - diese Rechtslage bei seiner Entscheidung noch nicht
  73. -5-
  74. berücksichtigen konnte (vgl. etwa Senatsurteil vom 24. März 1999 - XII ZR
  75. 190/97 - FamRZ 1999, 778, 780 [für das Revisionsverfahren]).
  76. Unter Zugrundelegung der neuen Rechtslage kann der Antragsteller
  77. nicht, wie in der angefochtenen Entscheidung geschehen, von vornherein aus
  78. dem Kreis der umgangsberechtigten Personen ausgeschlossen werden:
  79. Der Antragsteller hat, wie § 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. es voraussetzt,
  80. für Isabel tatsächliche Verantwortung getragen. Das ergibt sich aus der Vermutung des § 1685 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F.. Nach den Feststellungen des Kammergerichts hat der Antragsteller über ein Jahr mit Isabel und deren Mutter zusammengewohnt und damit die Voraussetzungen des § 1685 Abs. 2 Satz 2
  81. BGB n.F. erfüllt. Umstände, die darauf schließen lassen, daß der Antragsteller
  82. trotz des über längere Zeit andauernden Zusammenlebens mit Isabel und ihrer
  83. Mutter keine tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat, sind
  84. nicht ersichtlich. Der vom Kammergericht festgestellte Umstand, daß der Antragsteller auch nach seinem Auszug aus der mit Isabel und deren Mutter gemeinsam bewohnten Wohnung weiterhin Kontakt zu dem Kind unterhalten hat,
  85. spricht - im Gegenteil - für die (jedenfalls damalige) sozial-familiäre Beziehung
  86. des Antragstellers zu dem Kind, an die das Gesetz die Umgangsberechtigung
  87. knüpft. Auf die Frage, ob das Kind, wie vom Antragsteller geltend gemacht, an
  88. den Wochenenden regelmäßig bei ihm übernachtet hat, kommt es dabei nicht
  89. entscheidend an.
  90. Der Umstand, daß der Kontakt des Antragstellers zu Isabel seit August
  91. 1999 unterbrochen ist, nachdem ihm die Antragsgegnerin den Umgang untersagt hat, steht einer Umgangsberechtigung nicht entgegen. Denn die Frage, ob
  92. die sozial-familiäre Beziehung noch fortbesteht, ist für die Einräumung eines
  93. Umgangsrechts für sich genommen - also vorbehaltlich der Frage, ob der be-
  94. -6-
  95. gehrte Umgang dem Kindeswohl dient (§ 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. i.V. mit
  96. § 1685 Abs. 1 BGB) - ohne Belang. Zwar billigt § 1685 Abs. 2 BGB n.F. ein Umgangsrecht nur "engen Bezugspersonen des Kindes" zu. Damit soll - entgegen
  97. einer mißverständlichen Gesetzesfassung - aber kein aktueller persönlichvertrauter Bezug des Kindes zu der den Umgang begehrenden Person zur Voraussetzung des Umgangsrechts erhoben werden. Ausreichend ist vielmehr,
  98. daß die den Umgang begehrende Person für das Kind in der Vergangenheit
  99. tatsächlich Verantwortung getragen hat, daß sie damit eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind begründet hat und daß sie deshalb für das Kind - jedenfalls in der Vergangenheit - eine enge Bezugsperson war.
  100. Dieses Verständnis wird auch durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift belegt: Das Bundesverfassungsgericht hatte § 1685 Abs. 2 BGB a.F. für
  101. mit Art. 6 Abs. 1 GG insoweit nicht vereinbar erklärt, als er den leiblichen, aber
  102. nicht rechtlichen Vater in den Kreis der Umgangsberechtigten auch dann nicht
  103. mit einbezog, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht oder bestanden hat (BVerfG FamRZ 2003, 816, 824). Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes
  104. wollte diese verfassungsgerichtliche Vorgabe umsetzen, den Kreis der nunmehr
  105. Umgangsberechtigten aber nicht auf (biologische) Väter beschränken. Nach
  106. § 1685 Abs. 2 BGB i.d.F. des Regierungsentwurfs sollten deshalb auch "sonstige Bezugspersonen des Kindes" umgangsberechtigt sein, "wenn zwischen diesen und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht oder bestanden hat"
  107. (BT-Drucks. 15/2253 S. 5, 12). Eine Beschränkung auf "aktuelle" Bezugspersonen des Kindes war mit dieser Formulierung nicht beabsichtigt. Das zeigt auch
  108. die Stellungnahme des Bundesrates zu dem Entwurf, nach der das Umgangsrecht auf bestimmte enumerativ aufgezählte Personengruppen beschränkt bleiben und deshalb (u.a.) dem Ehegatten oder früheren Ehegatten eines Eltern-
  109. -7-
  110. teils sowie dem leiblichen Vater des Kindes zustehen sollte, "wenn zwischen
  111. diesen Personen und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht oder
  112. bestanden hat" (BT-Drucks. 15/2253, S. 15 und BT-Drucks. 15/2716 S. 1). Die
  113. Gesetz gewordene Fassung ist das Ergebnis des Vermittlungsverfahrens; an
  114. der mit den vorangehenden Entwürfen übereinstimmenden Zielsetzung, dem
  115. leiblichen Vater ein Umgangsrecht losgelöst vom Fortbestand der sozialfamiliären Beziehung zu dem Kind zu eröffnen, hat die Endfassung nichts geändert.
  116. 3. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben.
  117. Der Senat vermag jedoch in der Sache nicht abschließend zu entscheiden.
  118. Nach § 1685 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. i.V. mit § 1685 Abs. 1 BGB steht einer
  119. engen Bezugsperson des Kindes ein Umgangsrecht nur dann zu, wenn der begehrte Umgang dem Wohl des Kindes dient. Ob diese Voraussetzung unbeschadet des längere Zeit zurückliegenden Kontakts des Antragstellers mit Isabel hier vorliegt, hat das Kammergericht - von seinem Ausgangspunkt her folgerichtig - nicht festgestellt. Der angefochtene Beschluß war daher aufzuheben
  120. -8-
  121. und die Sache an das Kammergericht zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen nachholt.
  122. Hahne
  123. Sprick
  124. Wagenitz
  125. Weber-Monecke
  126. Dose