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26 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XI ZR 32/16
  5. Verkündet am:
  6. 15. November 2016
  7. Herrwerth,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 765, 138 Bb
  19. Zur Widerlegung der Vermutung der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung
  20. bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des mitverpflichteten
  21. Ehepartners.
  22. BGH, Urteil vom 15. November 2016 - XI ZR 32/16 - OLG Schleswig
  23. LG Kiel
  24. ECLI:DE:BGH:2016:151116UXIZR32.16.0
  25. -2-
  26. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat gemäß § 128 Abs. 2 ZPO im
  27. schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 13. Oktober 2016 eingereicht werden konnten, durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ellenberger,
  28. die Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
  29. Dr. Derstadt
  30. für Recht erkannt:
  31. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des
  32. Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom
  33. 24. September 2015 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
  34. ihre Berufung gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 23. Januar 2015 zurückgewiesen worden ist.
  35. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  36. und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens
  37. und die durch die Wiedereinsetzung entstandenen Kosten, an das
  38. Berufungsgericht zurückverwiesen.
  39. Von Rechts wegen
  40. Tatbestand:
  41. 1
  42. Die Klägerin wendet sich gegen ihre Inanspruchnahme aus einer Mithaftungserklärung für die Rückzahlung eines Darlehens und aus einem notariellen
  43. Schuldanerkenntnis sowie gegen die Vollstreckung aus einer notariellen Unterwerfungserklärung.
  44. -3-
  45. 2
  46. Die Klägerin und ihr am 4. Juni 2012 verstorbener Ehemann waren je zur
  47. Hälfte Miteigentümer eines Einfamilienhauses in K
  48. . Der Ehemann
  49. besaß außerdem als Alleineigentümer ein Mehrfamilienhaus in L.
  50. ein Grundstück in G.
  51. und
  52. . Zur Finanzierung des von ihm geplanten Bau-
  53. vorhabens auf dem Grundstück in G.
  54. , eines Mehrfamilienhauses mit
  55. sechs Wohneinheiten, beantragte der Ehemann der Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte) Ende November 1993 eine
  56. Förderung im Rahmen des Wohnungsbauprogramms Sachsen-Anhalt, die die
  57. Beklagte mit Bescheid vom 5. Juli 1994 bewilligte. Die Förderung bestand in der
  58. Gewährung des streitgegenständlichen Darlehens über 560.300 DM, das mit
  59. jährlich 1% zu tilgen, jedoch erst ab August 2010 in Höhe von 8% p.a. zu verzinsen war, und eines (verlorenen) Aufwendungszuschusses in Höhe von
  60. 213.940,80 DM. Ferner hatte der Ehemann der Klägerin Eigenmittel über
  61. 197.700 DM zu investieren. Zudem nahm er bei der Sparkasse L.
  62. , der
  63. damaligen Arbeitgeberin der Klägerin, zur Baufinanzierung des Objekts ein weiteres Darlehen über 515.000 DM auf, so dass die gesamten Investitionskosten
  64. ca. 1,5 Mio. DM betrugen.
  65. 3
  66. Der Darlehensvertrag zwischen dem Ehemann der Klägerin und der Beklagten wurde am 20. Dezember 1994/17. Januar 1995 unterzeichnet. Vor Auszahlung der ersten Darlehensrate legte der Ehemann der Klägerin gegenüber
  67. der Beklagten seine Vermögensverhältnisse und diejenigen der Klägerin offen.
  68. Nach Auszahlung der ersten Darlehensrate unterzeichnete auf Verlangen der
  69. Beklagten auch die Klägerin den Darlehensvertrag. Mit Schreiben vom 17. Mai
  70. 1995 teilte die Beklagte dem Ehemann der Klägerin mit, die erste Darlehensrate
  71. nur ausnahmsweise ausgezahlt zu haben, obwohl die Auszahlungsvoraussetzungen noch nicht vorgelegen hätten. Zugleich forderte sie ein notariell beurkundetes Schuldanerkenntnis der Klägerin, das diese am 15. Juni 1995 über
  72. einen Betrag von 560.300 DM abgab. Daneben wurde an dem Grundstück in
  73. -4-
  74. G.
  75. in Abteilung III des Grundbuchs unter Nummer 2 zugunsten der
  76. Beklagten eine Grundschuld über 560.300 DM nebst Zinsen eingetragen, die
  77. einer zugunsten der Sparkasse L.
  78. bewilligten Grundschuld über
  79. 515.000 DM nebst Zinsen nachrangig war. Im August 2006 vereinbarte der
  80. Ehemann der Klägerin mit der Beklagten eine Herabsetzung des für das Baudarlehen zu zahlenden Zinssatzes bis Ende des Jahres 2015 auf 2,5% p.a.
  81. Zum Zeitpunkt des Todes des Ehemanns der Klägerin valutierte das Darlehen
  82. der Beklagten noch mit 239.000 €.
  83. 4
  84. Nach dem Tod ihres Ehemanns schlugen die Klägerin und die gemeinschaftlichen Kinder die Erbschaft aus, weshalb ein Nachlasspfleger bestellt
  85. wurde, der infolge Überschuldung des Nachlasses Insolvenzantrag stellte. Mit
  86. Schreiben vom 19. März 2013 kündigte die Beklagte das Darlehen und forderte
  87. die Klägerin zur Zahlung von 248.652,34 € auf. Zugleich kündigte sie für den
  88. Fall der Nichtzahlung die Zwangsvollstreckung an. Die Insolvenzverwalterin
  89. veräußerte das Einfamilienhaus und das Haus in L.
  90. . Dabei wurde das
  91. Einfamilienhaus zu einem Preis von 245.000 € verkauft, wovon die noch bestehenden Belastungen in Höhe von 110.000 € abgelöst wurden. Mit dem übrigen
  92. Erlös wurden teilweise Verbindlichkeiten des Ehemanns gegenüber der Sparkasse L.
  93. getilgt. Für das Mehrfamilienhaus in G.
  94. ergaben sich
  95. zunächst Verwertungsschwierigkeiten; es wurde im Juli 2013 im Einvernehmen
  96. mit der Beklagten zu einem Kaufpreis von 158.000 € veräußert.
  97. 5
  98. Mit der Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass der Beklagten
  99. gegen sie weder aus dem Darlehensvertrag vom 20. Dezember 1994/17. Januar 1995 noch aus dem Schuldanerkenntnis vom 15. Juni 1995 Ansprüche
  100. zustehen würden und dass die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde vom 15. Juni 1995 unzulässig sei. Sie macht unter anderem geltend, dass
  101. Darlehensvertrag und Schuldanerkenntnis wegen finanzieller Überforderung
  102. -5-
  103. sittenwidrig und nichtig seien. Hierzu trägt die am 23. März 1951 geborene Klägerin vor, im Jahr 1994 ein monatliches Nettoeinkommen von 2.430 DM erzielt
  104. und im Übrigen über kein ausreichendes Vermögen zur Abdeckung des Darlehens verfügt zu haben.
  105. 6
  106. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht der Klage lediglich insoweit stattgegeben, als es
  107. die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde vom 15. Juni 1995 für
  108. unzulässig erklärt hat, soweit sie 231.300 € übersteigt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
  109. Entscheidungsgründe:
  110. 7
  111. Die Revision ist begründet. Sie führt, soweit das Berufungsgericht die
  112. Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat, zur Aufhebung des angefochtenen
  113. Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  114. I.
  115. 8
  116. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit
  117. für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
  118. 9
  119. Die Klage sei im Wesentlichen unbegründet, weil der Beklagten gegen
  120. die Klägerin ein Anspruch auf Zahlung der noch offenen Darlehensvaluta zustehe. Die Klägerin sei zwar nicht - neben ihrem Ehemann - Mitdarlehensnehmerin, sondern lediglich Mithaftende gewesen, weil sie kein eigenes Interesse
  121. an der Kreditaufnahme gehabt habe. Auch habe die Klägerin die Mithaftung
  122. nach den Maßgaben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs finanziell
  123. -6-
  124. krass überfordert, so dass die Voraussetzungen des § 138 BGB in objektiver
  125. Hinsicht vorliegen würden; denn der Klägerin sei es mit ihrem auf das Jahr
  126. 2011 zu prognostizierenden monatlichen Nettoeinkommen von 1.602,08 € nicht
  127. möglich gewesen, die Zinslast für das dann mit 8% p.a. zu verzinsende Darlehen, das in diesem Jahr planmäßig noch mit 243.505,29 € valutiert gewesen
  128. wäre, zu erbringen. Sie hätte auch mit ihrem Vermögen, das sich auf maximal
  129. 187.644,12 € belaufen habe, die jährliche Zinslast von 19.485,24 € nicht erbringen können.
  130. 10
  131. Der Beklagten sei es aber gelungen, die aus der krassen finanziellen
  132. Überforderung herrührende Vermutung, die Beklagte habe die emotionale Verbundenheit der Klägerin zu ihrem Ehemann ausgenutzt, zu widerlegen. Nach
  133. den Feststellungen des Landgerichts habe die Beklagte im Zeitpunkt der Abgabe der Mithaftungserklärung davon ausgehen dürfen, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin gegeben gewesen sei. Diese habe nach dem unbestrittenen
  134. Vortrag der Beklagten entsprechend den Angaben ihres Ehemanns über eigene
  135. Vermögenswerte von 30.000 DM verfügt und weitere Geldanlagen von deutlich
  136. über 200.000 DM zuzüglich des hälftigen Miteigentumsanteils an dem Einfamilienhaus in K.
  137. besessen. Ernstliche Zweifel daran bestünden nicht.
  138. Darüber hinaus habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass sie im Hinblick
  139. auf die Gesamtinvestitionssumme von 1,5 Mio. DM durch die auf dem Grundstück in G.
  140. eingetragene zweitrangige Grundschuld hinreichend gesi-
  141. chert sei. Aufgrund dessen würde bereits damit eine krasse finanzielle Überforderung der Klägerin ausscheiden. Zumindest habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin nur in geringem Maße in Anspruch genommen
  142. werden würde.
  143. 11
  144. Davon abgesehen stehe fest, dass die Beklagte nicht davon ausgegangen sei, die Klägerin unterzeichne den Darlehensvertrag aus emotionaler Ver-
  145. -7-
  146. bundenheit. Vielmehr habe sie annehmen dürfen, dass die Klägerin die Auszahlung der ihrem Ehemann zugesagten Subventionen habe erreichen wollen, die
  147. im wirtschaftlichen Ergebnis auch ihr zugutegekommen wären. Die Auszahlung
  148. der Fördermittel sei nach den Förderbedingungen von ihrer Mithaftung abhängig gewesen. Schließlich habe die Beklagte die Vermutung auch deshalb widerlegt, weil die auf das Darlehen zu leistenden Zinsen bei Eingehung der Mithaftung noch nicht endgültig festgestanden hätten. Die Beklagte sei nämlich nach
  149. Maßgabe des öffentlichen Rechts verpflichtet gewesen, die Zinsen den Marktbedingungen anzupassen. Dies sei vorliegend im August 2006 auch erfolgt,
  150. indem der Zinssatz auf 2,5% p.a. abgesenkt und damit die monatliche Zinslast
  151. auf 507,30 € vermindert worden sei.
  152. 12
  153. Die Klage sei lediglich in Bezug auf die Vollstreckungsgegenklage zu einem kleinen Teil begründet, soweit nämlich die Vollstreckung über einen Betrag
  154. von 231.300 € hinausgehe. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass das Darlehen
  155. nur noch mit 239.000 € valutiert gewesen sei und sich die Beklagte darauf einen Veräußerungserlös von 7.700 € anrechnen lassen müsse. Insoweit müsse
  156. sich diese an ihrem wechselnden Vorbringen in erster und zweiter Instanz festhalten lassen.
  157. II.
  158. 13
  159. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung in einem
  160. wesentlichen Punkt nicht stand.
  161. 14
  162. 1. Im Ausgangspunkt hat das Berufungsgericht allerdings zutreffend angenommen, dass die Klägerin keine echte Mitdarlehensnehmerin, sondern Mithaftende ist.
  163. -8-
  164. 15
  165. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt
  166. die rechtliche Qualifizierung der von dem Ehepartner oder Angehörigen des
  167. Darlehensnehmers übernommenen Verpflichtung als eigene Darlehensschuld
  168. oder als reine Mithaftung davon ab, ob der Ehepartner oder Angehörige nach
  169. dem maßgeblichen Willen der Beteiligten als gleichberechtigter Vertragspartner
  170. neben dem Darlehensnehmer einen Anspruch auf Auszahlung der Darlehensvaluta haben und im Gegenzug gleichgründig zur Rückzahlung des Darlehens
  171. verpflichtet sein oder aber ob er ausschließlich zu Sicherungszwecken mithaften und damit eine ihn einseitig belastende Verpflichtung übernehmen sollte. Zu
  172. den bei der Ermittlung des wirklichen Parteiwillens zu beachtenden Auslegungsgrundsätzen gehören insbesondere die Maßgeblichkeit des Vertragswortlauts als Ausgangspunkt jeder Auslegung und die Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragspartner (vgl. nur Senatsurteile vom 25. Januar 2005
  173. - XI ZR 325/03, WM 2005, 418, 419 und vom 16. Juni 2009 - XI ZR 539/07, WM
  174. 2009, 1460 Rn. 14 mwN).
  175. 16
  176. b) Der Wortlaut des vorformulierten Darlehensvertrages spricht zwar dafür, dass die Klägerin echte Mitdarlehensnehmerin ist. Die Bezeichnung als
  177. "Darlehensnehmerin" deutet für sich genommen darauf hin, dass der Darlehensvertrag mit ihr und ihrem verstorbenen Ehemann gemeinsam geschlossen
  178. wurde. Dem Wortlaut ist aber angesichts der Stärke der Verhandlungsposition
  179. der kreditgewährenden Bank und der allgemein üblichen Verwendung von Vertragsformularen grundsätzlich weniger Bedeutung beizumessen als sonst (Senatsurteile vom 25. Januar 2005 - XI ZR 325/03, WM 2005, 418, 419 und vom
  180. 16. Juni 2009 - XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rn. 15 mwN). Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats ist als Mitdarlehensnehmer daher
  181. ungeachtet der konkreten Vertragsbezeichnung in aller Regel nur derjenige anzusehen, der für den Darlehensgeber erkennbar ein eigenes sachliches
  182. und/oder persönliches Interesse an der Kreditaufnahme hat sowie im Wesentli-
  183. -9-
  184. chen gleichberechtigt über die Auszahlung bzw. Verwendung der Darlehensvaluta bzw. bestimmter Teile davon mitentscheiden darf (Senatsurteile aaO).
  185. 17
  186. Ein solches Interesse an der Kreditaufnahme hatte die Klägerin nicht.
  187. Nach dem übereinstimmenden Willen der Vertragsschließenden diente das
  188. Darlehen über 560.300 DM ausschließlich zur Finanzierung des Bauvorhabens
  189. auf dem im Alleineigentum des Ehemanns der Klägerin stehenden Grundstück
  190. in G.
  191. und ist ausschließlich dazu verwandt worden. Dass die Klägerin
  192. gleichwohl über die Auszahlung und Verwendung der Darlehensvaluta oder
  193. Teilen davon als im Wesentlichen gleichberechtigte Vertragspartei mitbestimmen durfte und von einem solchen Recht ganz oder teilweise Gebrauch gemacht hat, ist nicht ersichtlich. Der Verwendungszweck, d.h. die Finanzierung
  194. des Bauvorhabens des Ehemanns der Klägerin, war bereits im Darlehensvertrag festgelegt. Zwar mag die Errichtung des Mehrfamilienhauses in G.
  195. auch der Erzielung von Mieteinkünften und steuerlichen Vorteilen sowie der
  196. privaten Altersvorsorge gedient haben. Anders als die Revisionserwiderung mit
  197. ihrer Gegenrüge geltend macht, spricht dies aber nicht für eine gleichberechtigte Mitdarlehensnehmerschaft, sondern allenfalls für einen mittelbaren Vorteil
  198. der Klägerin aus der Kreditaufnahme (vgl. Senatsurteile vom 28. Mai 2002
  199. - XI ZR 205/01, WM 2002, 1649, 1650 f. und vom 16. Juni 2009 - XI ZR 539/07,
  200. WM 2009, 1460 Rn. 16).
  201. 18
  202. 2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts überforderte die Mithaftungsübernahme die Klägerin von Anfang an finanziell in krasser Weise.
  203. Dies ist von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen worden, so dass davon für das Revisionsverfahren auszugehen ist.
  204. 19
  205. 3. Dagegen hält die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe
  206. die tatsächliche Vermutung, dass die Klägerin die ruinöse Mithaftung aus emo-
  207. - 10 -
  208. tionaler Verbundenheit mit ihrem Ehemann übernommen und die Beklagte dies
  209. in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat, widerlegt, den Angriffen der Revision nicht stand.
  210. 20
  211. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist - was das Berufungsgericht im Ausgangspunkt auch nicht verkannt hat - bei Vorliegen einer
  212. krassen finanziellen Überforderung des Mitverpflichteten ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Wege einer tatsächlichen Vermutung von der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung auszugehen, wenn der Hauptschuldner dem Mithaftenden persönlich besonders nahe steht, wie dies im Verhältnis zwischen
  213. Ehegatten und damit auch hier der Fall ist. Dann kann nach der allgemeinen
  214. Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass der Mithaftende die ihn
  215. vielleicht bis an das Lebensende übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner gestellt
  216. und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (vgl. nur
  217. Senatsurteile vom 14. Oktober 2003 - XI ZR 121/02, BGHZ 156, 302, 307, vom
  218. 25. Januar 2005 - XI ZR 28/04, WM 2005, 421, 422 und vom 25. April 2006
  219. - XI ZR 330/05, FamRZ 2006, 1024, 1025). Es handelt sich hierbei um eine tatsächliche Vermutung, die der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Gläubiger zu widerlegen hat (vgl. nur Senatsurteil vom 24. November 2009 - XI ZR
  220. 332/08, WM 2010, 32 Rn. 20 mwN).
  221. 21
  222. b) Nach diesen Maßgaben hält die angefochtene Entscheidung der
  223. rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Begründung des Berufungsgerichts ist
  224. in mehrfacher Hinsicht von Rechtsfehlern beeinflusst.
  225. 22
  226. aa) Mit Erfolg beanstandet die Revision die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte durfte davon ausgehen, dass eine Inanspruchnahme der
  227. Klägerin im Hinblick auf die zu Gunsten der Beklagten auf dem Grundstück in
  228. - 11 -
  229. G.
  230. lastende zweitrangige Grundschuld allenfalls zu einem solch gerin-
  231. gen Teil erfolgen würde, dass damit deren finanzielle Leistungsfähigkeit nicht
  232. überfordert würde.
  233. 23
  234. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind anderweitige Sicherheitsleistungen des Kreditnehmers - vor allem dingliche Sicherheiten - im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung finanziell übermäßig belastender Bürgschaften
  235. oder Schuldbeitritte zu berücksichtigen, wenn sie das Haftungsrisiko des Betroffenen in rechtlich gesicherter Weise auf ein vertretbares Maß beschränken.
  236. Nach dem Willen verständiger Parteien darf den finanziell krass überforderten
  237. Bürgen oder Mithaftenden jedoch mit Rücksicht auf die weitere Sicherheit allenfalls eine seine finanzielle Leistungsfähigkeit nicht übersteigende und damit von
  238. § 138 Abs. 1 BGB nicht erfasste "Ausfallhaftung" treffen (vgl. nur Senatsurteile
  239. vom 14. November 2000 - XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37, 44 und vom 16. Juni
  240. 2009 - XI ZR 539/07, WM 2009, 1460 Rn. 21 mwN). Dazu muss gewährleistet
  241. sein, dass der Kreditgeber ihn erst nach einer ordnungsgemäßen Verwertung
  242. der anderen Sicherheit in Anspruch nimmt. Dies ist vorliegend nach den vertraglichen Regelungen nicht der Fall. Davon abgesehen wird die krasse finanzielle Überforderung der Klägerin durch die Grundschuld hier zudem deshalb
  243. nicht beseitigt, weil die Grundschuld - was das Berufungsgericht übersehen
  244. hat - nach § 10 Abs. 1 des Darlehensvertrags vom 20. Dezember 1994/17. Januar 1995 nicht nur zur Sicherung des streitgegenständlichen Darlehens, sondern auch aller gegenwärtigen und künftigen Ansprüche der Beklagten gegen
  245. den Ehemann der Klägerin diente (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2009 - XI ZR
  246. 539/07, aaO Rn. 22 mwN).
  247. 24
  248. Diese Umstände waren der Beklagten bekannt, so dass unter diesen
  249. Gesichtspunkten - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - eine Widerlegung der tatsächlichen Vermutung nicht in Betracht kommt. Aufgrund dessen
  250. - 12 -
  251. kommt es auf die Werthaltigkeit der Grundschuld nicht mehr an. Soweit das
  252. Berufungsgericht in diesem Zusammenhang allerdings von der Summe der Investitionen von ca. 1,5 Mio. DM auf einen nämlichen Grundstückswert schließt,
  253. ist dies ohne konkrete Feststellungen zum Wert nicht haltbar.
  254. 25
  255. bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte die Beklagte
  256. im Hinblick auf die Vermögensverhältnisse der Klägerin auch nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, dass diese über die in dem Schreiben ihres Ehemanns
  257. vom 30. März 1995 angegebenen Vermögenswerte verfügte. Für eine solche
  258. Annahme fehlt es - wie die Revision zu Recht rügt - an entsprechenden Feststellungen des Berufungsgerichts.
  259. 26
  260. Nach der Rechtsprechung des Senats wird die tatsächliche Vermutung
  261. einer verwerflichen Gesinnung des Gläubigers nicht ohne weiteres dadurch widerlegt, dass Wertangaben des Bürgen oder Mithaftenden in einer in zeitlichem
  262. Zusammenhang mit dem Abschluss des Bürgschaftsvertrags bzw. der Mithaftungserklärung erteilten Selbstauskunft seine objektiv krasse finanzielle Überforderung nicht erkennen lassen (vgl. Senatsbeschluss vom 1. April 2014
  263. - XI ZR 276/13, WM 2014, 989 Rn. 21 mwN). Den (subjektiven) Vorwurf der
  264. Sittenwidrigkeit räumen sie nur aus, wenn sie einer sorgfältigen Überprüfung
  265. des Gläubigers standhalten (Senatsbeschluss aaO). Für Angaben durch einen
  266. Dritten gilt dies erst recht.
  267. 27
  268. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Beklagte die Angaben des Ehemanns der Klägerin der gebotenen sorgfältigen Überprüfung unterzogen hat. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Ehemann der Klägerin in
  269. der Selbstauskunft vom 21. Oktober 1993 die Guthaben der Klägerin bei Kreditinstituten und Bausparkassen nur mit insgesamt 30.000 DM beziffert hat, während er in dem Schreiben vom 30. März 1995 für die Klägerin und sich noch
  270. - 13 -
  271. "weitere Geldanlagen, wie z.B. Wertpapiere ca. TDM 38, Bausparguthaben
  272. TDM 13, Wertpapieranteile TDM 20, Rückkaufwerte aus Lebensversicherungen
  273. TDM 153 und einige Kleinsparverträge" aufgeführt hat.
  274. 28
  275. cc) Soweit das Berufungsgericht die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung für die Übernahme der Mithaftung aufgrund einer emotionalen Verbundenheit der Klägerin mit ihrem Ehemann und für das Ausnutzen dieser Lage
  276. durch die Beklagte ferner darauf gestützt hat, dass die Klägerin aus der Sicht
  277. der Beklagten den Darlehensvertrag nicht aus emotionaler Verbundenheit, sondern zwecks Auszahlung der Subvention an ihren Ehemann unterzeichnet habe, trägt dies - wie die Revision zu Recht rügt - die angefochtene Entscheidung
  278. ebenfalls nicht.
  279. 29
  280. Nach der Rechtsprechung des Senats kann zwar ein auf einen freien
  281. Willensentschluss hindeutendes und ein Handeln allein aus emotionaler Verbundenheit widerlegendes Eigeninteresse des finanziell krass überforderten
  282. Ehepartners an der Darlehensgewährung grundsätzlich zu bejahen sein, wenn
  283. er zusammen mit dem Ehepartner ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung hat oder ihm aus der Verwendung der Darlehensvaluta unmittelbare
  284. und ins Gewicht fallende geldwerte Vorteile erwachsen (Senatsurteil vom
  285. 14. November 2000 - XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37, 45; BGH, Urteil vom
  286. 27. Mai 2003 - IX ZR 283/99, WM 2003, 1563, 1565). In einem solchen Fall ist
  287. dann auch die tatsächliche Vermutung widerlegt (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai
  288. 2003 - IX ZR 283/99, aaO).
  289. 30
  290. Ein solcher unmittelbarer Vorteil, wie insbesondere das Miteigentum an
  291. dem finanzierten Objekt, liegt hier aber bei der Klägerin nicht vor. Nur mittelbare
  292. Vorteile, wie etwa eine Verbesserung des Lebensstandards oder der Wohnverhältnisse oder die Aussicht auf eine spätere Mitarbeit im Betrieb, ändern an der
  293. - 14 -
  294. Sittenwidrigkeit nichts (vgl. Senatsurteil vom 28. Mai 2002 - XI ZR 205/01, WM
  295. 2002, 1649,1650 f.). Ihnen kommt daher auch für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung keine Bedeutung zu.
  296. 31
  297. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gilt nichts anderes,
  298. wenn für den Ehepartner mit der Darlehensgewährung die Erzielung eines verlorenen Zuschusses verbunden ist und das Darlehen in den ersten 15 Jahren
  299. zinsfrei ist. Denn auch dabei handelt es sich im Verhältnis zur Klägerin allenfalls
  300. um mittelbare geldwerte Vorteile (vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 2005 - XI ZR
  301. 28/04, WM 2005, 421, 423 [staatlich gefördertes Existenzgründungsdarlehen]).
  302. Ansonsten würde dem mithaftenden Ehepartner nur wegen der Gewährung von
  303. Eigenkapitalhilfen die Mitverantwortung für das Scheitern der Investitionspläne
  304. des anderen aufgebürdet, damit der eheliche Frieden gefährdet und der betroffene Partner allein damit einem erheblichen psychologischen Druck ausgesetzt. Dies spricht indes gerade gegen die Berücksichtigung eines verlorenen
  305. Zuschusses oder einer Zinsvergünstigung im Rahmen der Widerlegung der tatsächlichen Vermutung. Es versteht sich von selbst, dass staatliche Fördermaßnahmen nicht davon abhängig gemacht werden dürfen, ob ein Dritter finanzielle
  306. Verpflichtungen übernimmt, die er nicht erfüllen kann, die ihn andererseits aber
  307. für den Rest seines Lebens auf den pfändungsfreien Betrag seiner Einkünfte
  308. beschränken, falls er nicht die Voraussetzungen für etwaige künftige gesetzliche Entschuldungsmodelle erfüllt (vgl. Senatsurteil vom 11. März 1997 - XI ZR
  309. 50/96, BGHZ 135, 66, 71).
  310. 32
  311. dd) Schließlich rügt die Revision zu Recht, dass es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts für die Widerlegung der tatsächlichen Vermutung
  312. ohne Belang ist, dass die auf das Darlehen zu leistenden Zinsen bei Eingehung
  313. der Mithaftung noch nicht endgültig festgestanden haben. Dies gestaltet zwar
  314. zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses (vgl. Senatsurteile vom
  315. - 15 -
  316. 14. November 2000 - XI ZR 248/99, BGHZ 146, 37, 42 f. und vom 11. Februar
  317. 2003 - XI ZR 214/01, BKR 2003, 288, 289) die Prognose schwieriger, ob die
  318. Klägerin im Zeitpunkt des Zinsbeginns die Zinslast aus ihrem Einkommen aufbringen konnte, enthebt das Berufungsgericht aber nicht von entsprechenden
  319. Feststellungen, ob die Beklagte eine solche - belastbare - Prognose angestellt
  320. hat, die im Ergebnis dazu geführt hat, dass aus Sicht der Beklagten eine krasse
  321. finanzielle Überforderung der Klägerin zu verneinen gewesen wäre. Daran fehlt
  322. es hier.
  323. 33
  324. In diesem Zusammenhang rügt die Revision auch mit Erfolg, dass das
  325. Berufungsgericht bei der Berechnung der jährlichen Zinsbelastung der Klägerin
  326. die nach § 3 Abs. 3 des Darlehensvertrags vom 20. Dezember 1994/17. Januar
  327. 1995 anfallenden jährlichen Verwaltungskosten übersehen und bei den Einkommensverhältnissen der Klägerin deren Eintritt in das (Vor-)Ruhestandsalter
  328. nicht berücksichtigt hat.
  329. 34
  330. 4. Ohne Erfolg bleibt die Revision dagegen, soweit sie sich gegen die
  331. Auffassung des Berufungsgerichts wendet, das von der Beklagten vorformulierte abstrakte Schuldversprechen der Klägerin halte einer Inhaltskontrolle nach
  332. §§ 307 ff. BGB stand.
  333. 35
  334. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt die Übernahme der
  335. persönlichen Haftung ein abstraktes Schuldversprechen gemäß § 780 BGB dar.
  336. Auch wenn es vorformuliert in eine Grundschuldbestellungsurkunde aufgenommen ist, hält ein solches Schuldversprechen der Inhaltskontrolle nach
  337. §§ 307 ff. BGB stand, sofern es - wie hier in der Zweckerklärung festgelegt nicht der Sicherung fremder, sondern eigener Verbindlichkeiten des Schuldners
  338. dienen soll (vgl. Senatsurteile vom 5. März 1991 - XI ZR 75/90, BGHZ 114, 9,
  339. - 16 -
  340. 13 und vom 10. Dezember 1991 - XI ZR 48/91, WM 1992, 132). Dagegen bringt
  341. die Revision nichts Erhebliches vor.
  342. III.
  343. 36
  344. Das angefochtene Urteil ist daher im erkannten Umfang aufzuheben
  345. (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache insoweit nicht zur Endentscheidung reif ist,
  346. ist sie zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
  347. (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird dabei Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwänden der Parteien - insbesondere zum
  348. Vorliegen der krassen finanziellen Überforderung der Klägerin und der insoweit
  349. von der Revisionserwiderung im Schriftsatz vom 10. Mai 2016 erhobenen Gegenrüge - zu befassen.
  350. Ellenberger
  351. Grüneberg
  352. Menges
  353. Maihold
  354. Derstadt
  355. Vorinstanzen:
  356. LG Kiel, Entscheidung vom 23.01.2015 - 5 O 508/13 OLG Schleswig, Entscheidung vom 24.09.2015 - 5 U 18/15 -