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9.5 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XI ZR 140/09
  4. vom
  5. 9. Februar 2010
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  9. Wiechers, den Richter Dr. Joeres, die Richterin Mayen und die Richter
  10. Dr. Grüneberg und Maihold
  11. am 9. Februar 2010
  12. beschlossen:
  13. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil
  14. des
  15. 17. Zivilsenats
  16. des
  17. Oberlandesgerichts
  18. München
  19. vom
  20. 23. März 2009 aufgehoben.
  21. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  22. über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens und
  23. die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  24. Gegenstandswert: 60.151,77 €
  25. Gründe:
  26. I.
  27. Der Kläger verlangt von der Beklagten zu 2), einer Bank (im Folgenden:
  28. 1
  29. Beklagte), Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage bei der
  30. V.
  31. KG,
  32. (im Folgenden: Filmfonds).
  33. 2
  34. Der Kläger ist langjähriger Kunde der Beklagten. Mit Zeichnungsschein
  35. vom 28. November 2000 beteiligte er sich mit einer Kommanditeinlage über
  36. -3-
  37. 100.000 DM zuzüglich 5.000 DM Agio an dem Filmfonds. Auf diese Kapitalanlage war der Kläger von der Zeugin S.
  38. , einer Mitarbeiterin der Beklagten,
  39. aufmerksam gemacht worden. Bei dem Gespräch war dem Kläger auch der
  40. Verkaufsprospekt des Filmfonds ausgehändigt worden. In der Folgezeit erhielt
  41. der Kläger Ausschüttungen des Fonds in Höhe von 1.533,88 €. Im Jahr 2002
  42. geriet der Filmfonds in eine wirtschaftliche Schieflage.
  43. 3
  44. Der Kläger hält den Verkaufsprospekt hinsichtlich der Belehrung über die
  45. Risiken der Anlage, insbesondere das Risiko eines Totalverlustes, für fehlerhaft. Die Zeugin S.
  46. habe diesen Fehler nicht richtig gestellt. Vielmehr ha-
  47. be sie erläutert, der Fonds sei besonders gesichert und eine - unstreitig nicht
  48. abgeschlossene - Erlösausfallversicherung werde eintreten, falls ein Film nicht
  49. erfolgreich sein werde. Die Beklagte behauptet, den Kläger auf das Totalausfallrisiko hingewiesen zu haben.
  50. 4
  51. Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten - unter Abzug der
  52. Ausschüttungen - die Rückzahlung der Beteiligungssumme von 52.151,77 €
  53. nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Ansprüche aus seiner
  54. Beteiligung an dem Filmfonds und die Feststellung, dass die Beklagte den Kläger von etwaigen Nachteilen freizustellen hat, die dieser dadurch erleidet, dass
  55. er die Schadensersatzleistung im Jahre des Zuflusses zu einem höheren
  56. Steuersatz als im Jahr 2000 zu versteuern hat.
  57. 5
  58. Das Landgericht hat der Klage gegen die Beklagte bis auf einen Teil der
  59. Zinsen stattgegeben, weil es aufgrund der Anhörung des Klägers und der Aussage der Zeugin S.
  60. ein Aufklärungsdefizit über das im Prospekt zu positiv
  61. gezeichnete Bild von der Sicherheit der Anlage angenommen hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Dies hat es im Wesentlichen wie folgt be-
  62. -4-
  63. gründet: Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung des zwischen den Parteien im November 2000 zustande gekommenen Anlagevermittlungsvertrages. Zwar sei der Fondsprospekt
  64. im Hinblick auf die Risikodarstellung fehlerhaft, weil dieser das Gesamtbild eines nur begrenzten wirtschaftlichen Risikos vermittle, obwohl ein Totalverlustrisiko bestehe. Nach dem Ergebnis der vor dem Landgericht erfolgten Beweisaufnahme sei aber erwiesen, dass die Zeugin S.
  65. den Kläger bei dem
  66. Vermittlungsgespräch auf das Risiko eines Totalverlustes hingewiesen habe.
  67. Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
  68. II.
  69. 6
  70. Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer
  71. einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl.
  72. Senatsbeschlüsse, BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 18. Januar 2005 - XI ZR
  73. 340/03, BGH-Report 2005, 939 f.). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und zur neuen Verhandlung und
  74. Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  75. 7
  76. 1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen,
  77. dass der Fondsprospekt fehlerhaft ist, weil der Prospekt bei einer Gesamtschau
  78. hinsichtlich des Risikos eines Totalverlusts einen unrichtigen Eindruck vermittelt
  79. (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juni 2007 - III ZR 125/06, WM 2007, 1503, Tz. 15
  80. und vom 6. März 2008 - III ZR 298/05, WM 2008, 725, Tz. 22). Damit steht die
  81. Pflichtverletzung des Anlageberaters aufgrund der Übergabe des falschen
  82. Prospektes fest (Senatsbeschluss vom 17. September 2009 - XI ZR 264/08,
  83. -5-
  84. BKR 2009, 471, Tz. 5). Sie entfällt nur dann, wenn er diesen Fehler berichtigt
  85. hat. Dafür, dass er dies getan hat, ist der Anlageberater und nicht etwa der Anleger beweispflichtig (Senatsbeschluss aaO). Soweit das Berufungsgericht nicht
  86. geprüft hat, ob nach den Grundsätzen des Bond-Urteils (Senat BGHZ 123, 126,
  87. 128) von dem Zustandekommen eines Anlageberatungsvertrages statt des von
  88. ihm angenommenen Anlagevermittlungsvertrages auszugehen ist, hat sich dies
  89. nicht entscheidungserheblich ausgewirkt.
  90. 8
  91. 2. Das Berufungsgericht hat indes den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil es zur Beantwortung der
  92. Frage, ob die Beklagte den Prospektfehler in dem Beratungsgespräch mit dem
  93. Kläger richtig gestellt hat, die erstinstanzlich vernommene Zeugin entgegen
  94. § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO nicht erneut vernommen hat, obwohl es
  95. deren Aussage anders gewürdigt hat als das Landgericht.
  96. 9
  97. a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich
  98. an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen ist eine erneute Beweisaufnahme zwingend geboten (vgl. BVerfG,
  99. NJW 2005, 1487; BGH, Beschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR
  100. 2009, 1291, Tz. 5). Insbesondere muss das Berufungsgericht die bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es deren Aussagen anders würdigen will als die Vorinstanz (BGH,
  101. Urteile vom 28. November 1995 - XI ZR 37/95, WM 1996, 196, 198 und vom
  102. 8. Dezember 1999 - VIII ZR 340/98, NJW 2000, 1199, 1200). Die nochmalige
  103. Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das
  104. Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit,
  105. das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (BGH, Urteile
  106. -6-
  107. vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, NJW 1991, 3285, 3286 und vom 10. März
  108. 1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223). Ein solcher Ausnahmefall liegt
  109. hier entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung nicht vor. Insoweit ist
  110. auch unschädlich, dass die Beschwerde nicht ausdrücklich die Verletzung der
  111. § 398 Abs. 1, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gerügt hat; es genügt, dass sie die abweichende Beweiswürdigung des Berufungsgerichts beanstandet und hierin
  112. eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103
  113. Abs. 1 GG sieht.
  114. 10
  115. b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Das
  116. Landgericht hat den von der Beklagten zu erbringenden Beweis über die Berichtigung des Prospektfehlers als nicht geführt angesehen. Es hat die Aussage
  117. der von ihm vernommenen Zeugin S.
  118. dahin gewürdigt, dass sie den Klä-
  119. ger anhand des Prospekts beraten und sie damit dem in dem Prospekt zu positiv gezeichneten Bild von der Sicherheit der Anlage nicht entgegengewirkt habe.
  120. Aufgrund dessen hat das Landgericht ausdrücklich ein Aufklärungsdefizit festgestellt. Das Berufungsgericht hat demgegenüber gemeint, dass sich der Aussage der Zeugin eine ausreichende Aufklärung über das Totalausfallrisiko entnehmen lasse. Somit hat das Berufungsgericht die Zeugenaussage ebenfalls
  121. für ergiebig erachtet, aber abweichend gewürdigt, ohne sich durch erneute Vernehmung der Zeugin einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Zudem hätte es in
  122. diesem Fall auch den Kläger, der eine solche Aufklärung bei seiner Anhörung
  123. vor dem Landgericht verneint hat, aus Gründen der prozessualen Waffengleichheit nochmals anhören müssen (vgl. BVerfG, NJW 2001, 2531; 2008,
  124. 2170, 2171).
  125. 11
  126. c) Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen
  127. Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es die Zeugin erneut vernom-
  128. -7-
  129. men und auch den Kläger nochmals angehört hätte. Sollte danach von einem
  130. Beratungsfehler der Beklagten auszugehen sein, könnte sich der Kläger in Bezug auf die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens berufen. Es obliegt dann dem Aufklärungspflichtigen, hier
  131. also der Beklagten, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte, er also
  132. den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte (vgl. BGHZ 61, 118, 122;
  133. 124, 151, 159 f.; Senatsurteil vom 12. Mai 2009 - XI ZR 586/07, WM 2009,
  134. 1274, Tz. 22). Das Verschulden der Beklagten ist gemäß § 282 BGB aF (§ 280
  135. Abs. 1 Satz 2 BGB nF) zu vermuten, so dass sich die Beklagte insoweit entlasten muss (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 17. September 2009 - XI ZR
  136. 264/08, BKR 2009, 471, Tz. 6 ff.). Die übrigen Anspruchsvoraussetzungen hat
  137. der Kläger ebenfalls schlüssig dargelegt.
  138. Wiechers
  139. Joeres
  140. Grüneberg
  141. Mayen
  142. Maihold
  143. Vorinstanzen:
  144. LG München I, Entscheidung vom 22.07.2008 - 28 O 19706/07 OLG München, Entscheidung vom 23.03.2009 - 17 U 4337/08 -