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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. X ZR 32/99
  4. URTEIL
  5. in dem Rechtsstreit
  6. Verkündet am:
  7. 13. November 2001
  8. Wermes
  9. Justizhauptsekretär
  10. als Urkundsbeamter
  11. der Geschäftsstelle
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. PatG 1981 §§ 9, 12
  18. Biegevorrichtung
  19. Dem Vorbenutzer sind Weiterentwicklungen, die über den Umfang der bisherigen Benutzung hinausgehen, jedenfalls dann verwehrt, wenn sie in den Gegenstand der im Patent unter Schutz gestellten Erfindung eingreifen.
  20. BGH, Urt. v. 13. November 2001 - X ZR 32/99 - OLG Düsseldorf
  21. LG Düsseldorf
  22. -2-
  23. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. September 2001 durch den Richter Prof. Dr. Jestaedt als
  24. Vorsitzenden, die Richter Dr. Melullis, Scharen, die Richterin Mühlens und den
  25. Richter Dr. Büscher
  26. für Recht erkannt:
  27. Die Revision gegen das am 14. Januar 1999 verkündete Urteil des
  28. 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf wird mit der
  29. Maßgabe zurückgewiesen, daß unter Teilaufhebung des angefochtenen Urteils der Tenor des am 24. Juni 1997 verkündeten Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt wird:
  30. I. Die Beklagten werden verurteilt,
  31. 1. es bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft
  32. bis zu sechs Monaten, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs
  33. Monaten, im Wiederholungsfall bis zu zwei Jahren, zu unterlassen,
  34. tragbare Vorrichtungen zum Biegen von Rohren mit einer
  35. scheibenabschnittförmigen Biegematrize, deren Umfang eine
  36. Nut von halbkreisförmigem, dem zu biegenden Rohr entsprechenden Querschnitt aufweist, an der ein Rohrhalter befestigt
  37. -3-
  38. ist und die drehantreibbar ist, mit einer in Rohrzuführrichtung
  39. sich erstreckenden Gegenmatrize, auf deren der Biegematrize
  40. zugekehrten Seite eine Nut mit einem dem zu biegenden Rohr
  41. angepaßten Querschnitt vorgesehen ist, und mit einem die
  42. Gegenmatrize abstützenden Halteglied, durch das die Gegenmatrize gegenüber der Biegematrize verstellbar ist,
  43. herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder
  44. zu besitzen,
  45. bei denen die Nut der Gegenmatrize einen an deren Eingangskante beginnenden Abschnitt, in dem der Radius des
  46. Nutquerschnitts dem des zu biegenden Rohres bzw. dem der
  47. Nut der Biegematrize entspricht, und einen weiteren Abschnitt
  48. aufweist, der an der - gegenüberliegenden - Ausgangskante
  49. mit einem Radius des Nutquerschnitts beginnt, der kleiner ist
  50. als der Radius des an der Eingangskante beginnenden Abschnitts, und der sich stetig auf den Radius des letztgenannten Abschnitts erweitert;
  51. 2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang
  52. sie die zu I. 1. bezeichneten Handlungen begangen haben,
  53. und zwar unter Angabe
  54. a) der Herstellungsmengen und -zeiten,
  55. -4-
  56. b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen
  57. sowie den Namen und Anschriften der jeweiligen Abnehmer,
  58. c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen
  59. sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
  60. d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und
  61. Verbreitungsgebiet,
  62. e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten
  63. Entstehungskosten und des erzielten Gewinns,
  64. wobei sich die Verpflichtung zur Rechnungslegung für die Zeit
  65. vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt sowie
  66. die Angaben vorstehend zu e) von der Beklagten zu 1 für die
  67. Zeit seit dem 4. September 1994 und die Angaben vorstehend
  68. zu a) bis e) von der Beklagten zu 2 nur für die Zeit vom
  69. 4. September 1994 bis zum 24. Oktober 1996 zu machen
  70. sind.
  71. -5-
  72. II. Es wird festgestellt,
  73. 1. daß die Beklagte zu 1 verpflichtet ist, der Klägerin für die
  74. zu I. 1. bezeichneten, in der Zeit vom 14. November 1982 bis
  75. zum 3. September 1994 begangenen Handlungen eine angemessene Entschädigung zu zahlen, wobei sich die Verpflichtung für die Zeit vor dem 1. Mai 1992 auf Handlungen in
  76. dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum
  77. 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt,
  78. 2. daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der
  79. Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1.
  80. bezeichneten, in der Zeit vom 4. September 1994 bis zum
  81. 24. Oktober 1996 begangenen Handlungen entstanden ist
  82. und noch entstehen wird,
  83. 3. daß die Beklagte zu 1 weiter verpflichtet ist, der Klägerin allen
  84. Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I. 1. bezeichneten,
  85. seit dem 25. Oktober 1996 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
  86. III.Im übrigen ist der Rechtsstreit hinsichtlich des Antrages auf
  87. Rechnungslegung in der Hauptsache erledigt.
  88. IV. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.
  89. -6-
  90. Von Rechts wegen
  91. -7-
  92. Tatbestand:
  93. Die Klägerin ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme italienischer Prioritäten vom 16. März 1981, 12. November 1981 und 8. Februar 1982 am
  94. 16. März 1982 angemeldeten deutschen Patents 32 09 536 (Klagepatents), das
  95. eine tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren betrifft.
  96. Patentanspruch 1 des Klagepatents lautet:
  97. "Tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren, mit einer scheibenabschnittförmigen Biegematrize, deren Umfang eine Nut von
  98. halbkreisförmigem, dem zu biegenden Rohr entsprechenden Querschnitt aufweist, an der ein Rohrhalter befestigt ist und die drehantreibbar ist, mit einer in Rohrzuführrichtung sich erstreckenden Gegenmatrize, auf deren der Biegematrize zugekehrten Seite eine Nut
  99. mit einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt vorgesehen ist, und mit einem die Gegenmatrize abstützenden Halteglied, durch das die Gegenmatrize gegenüber der Biegematrize
  100. verstellbar ist,
  101. dadurch gekennzeichnet ,
  102. daß die Nut der Gegen-
  103. matrize (218) einen an deren Eingangskante (218') beginnenden
  104. Abschnitt (245), in dem der Radius (y) des Nutquerschnitts dem
  105. des zu biegenden Rohrs (t) bzw. dem der Nut (214) der Biegematrize (213) entspricht, und einen weiteren Abschnitt (246) aufweist,
  106. der an der - gegenüberliegenden - Ausgangskante (218") mit einem Radius (x) des Nutquerschnitts beginnt, der kleiner ist als der
  107. -8-
  108. Radius des an der Eingangskante beginnenden Abschnitts, und
  109. der sich stetig auf den Radius des letztgenannten Abschnitts erweitert."
  110. Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführerin bis zum 24. Oktober 1996
  111. die Beklagte zu 2 war, bezog in der Vergangenheit von der Klägerin elektrisch
  112. betriebene tragbare Rohrbiegemaschinen und vertrieb diese. Seit 1988 stellt
  113. sie selbst solche Rohrbiegemaschinen her und vertreibt sie. Die Klägerin sieht
  114. hierin eine Verletzung des Klagepatents. Sie hat die Beklagten auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Die Beklagten haben sich auf ein privates Vorbenutzungsrecht berufen.
  115. Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg.
  116. Mit ihrer Revision begehren die Beklagten weiterhin die Klageabweisung. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ihre Schadensersatzund Rechnungslegungsansprüche gegen die Beklagte zu 2 im Hinblick auf deren Ausscheiden als Geschäftsführerin der Beklagten zu 1 zum 24. Oktober
  117. 1996 auf den Zeitraum bis zum 24. Oktober 1996 beschränkt und das Rechnungslegungsbegehren gegen die Beklagte zu 2 im übrigen in der Hauptsache
  118. für erledigt erklärt. Die Beklagten haben sich der Erledigungserklärung nicht
  119. angeschlossen.
  120. -9-
  121. Entscheidungsgründe:
  122. Nachdem die Klägerin ihr Rechnungslegungs- und Schadensfeststellungsbegehren unter Erklärung einer Teilerledigung des Rechtsstreits beschränkt hat, war der Tenor des landgerichtlichen Urteils entsprechend anzugleichen.
  123. Die Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat
  124. zu Recht die auf Unterlassung, Rechnungslegung und Schadensersatz gerichtete Klage für begründet gehalten, weil die angegriffene Ausführungsform
  125. gemäß Anl. K 6 und K 7 identisch von der Lehre des Patentanspruchs 1 des
  126. Klagepatents Gebrauch mache und den Beklagten ein Vorbenutzungsrecht zur
  127. Benutzung der Lehre des Klagepatents im Sinne von § 12 Abs. 1 PatG nicht
  128. zustehe.
  129. I. 1. Das Klagepatent betrifft eine tragbare Vorrichtung zum Biegen von
  130. Rohren.
  131. Solche Rohrbiegemaschinen besitzen eine scheibenabschnittförmige
  132. Biegematrize mit einer Nut, an der ein Rohrhalter befestigt ist, und eine Gegenmatrize mit einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt. Eine
  133. solche Vorrichtung ist ausweislich der Klagepatentschrift (Sp. 1 Z. 32-38) aus
  134. der US-Patentschrift 2 955 638 bekannt, bei der Matrize und Gegenmatrize
  135. zusammen mit dem zu biegenden Rohr vorwärts bewegt werden. Die
  136. US-Patentschrift 2 762 415 beschreibt eine Rohrbiegevorrichtung mit einer
  137. Gleitschuh-Gegenmatrize, die auf ihrer ganzen Länge einen gleichbleibenden
  138. - 10 -
  139. halbkreisförmigen Querschnitt aufweist, und bei der der Rohrhalter als Haken
  140. ausgebildet ist (Sp. 1 Z. 39-43). Wie die Klagepatentschrift weiter ausführt
  141. (Sp. 1 Z. 44-60), befriedigen diese Biegemaschinen jedoch nicht. Beim Biegen
  142. habe ein ungleichmäßiges Dehnen des Rohres, das auch eventuell erst nach
  143. einiger Zeit seine Wirkung zeige, nicht vermieden werden können. Bei der
  144. Verwendung von dehnungsempfindlichem Material hätten am Rohr während
  145. des Biegevorgangs Fehler und Knicke bzw. Runzeln entstehen können; auch
  146. ein Abflachen des gebogenen Rohres sei bisweilen aufgetreten. Diese Effekte
  147. aus der ungleichmäßigen Dehnung seien beispielsweise mit großer Wah rscheinlichkeit aufgetreten, wenn Rohre aus hartem Kupfer hätten gebogen
  148. werden müssen. Während des Biegevorgangs habe die Bedienungsperson
  149. dann die Biegevorrichtung mit größter Aufmerksamkeit bedienen müssen, so
  150. daß der Biegevorgang mit den bekannten Biegemaschinen, die im allgemeinen
  151. von Hand gesteuert würden, niemals sehr schnell habe durchgeführt werden
  152. können.
  153. Der Erfindung liegt nach der Klagepatentschrift (Sp. 2 Z. 3-10) das Problem zugrunde, eine tragbare Vorrichtung zum Biegen bzw. eine Rohrbiegemaschine zur Verfügung zu stellen, die es ermöglicht, Rohre auch im Bereich
  154. ungünstigster Material-, Abmessungs- und Biegeparameter so zu biegen, daß
  155. der kreisförmige Rohrquerschnitt erhalten bleibt, also die oben genannten unerwünschten Verformungen nicht auftreten, und eine ungleichmäßige Dehnung
  156. des Rohres vermieden wird.
  157. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Lösung nach Patentanspruch 1 in der Kombination folgender Merkmale besteht:
  158. - 11 -
  159. 1. Tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren
  160. 2. mit einer scheibenabschnittförmigen Biegematrize,
  161. a) deren Umfang eine Nut von halbkreisförmigem, dem zu
  162. biegenden Rohr entsprechenden Querschnitt aufweist,
  163. b) an der ein Rohrhalter befestigt ist,
  164. 3. und die drehantreibbar ist,
  165. 4. mit einer in Rohrzuführrichtung sich erstreckenden Gegenmatrize,
  166. a) auf deren der Biegematrize zugekehrten Seite eine Nut mit
  167. einem dem zu biegenden Rohr angepaßten Querschnitt
  168. vorgesehen ist,
  169. 5. und mit einem die Gegenmatrize abstützenden Halteglied,
  170. durch das die Gegenmatrize gegenüber der Biegematrize feststellbar ist.
  171. 6. Die Nut der Gegenmatrize 218 weist einen an deren Eingangskante 218' beginnenden Abschnitt 245 auf,
  172. - 12 -
  173. a) in dem der Radius y des Nutquerschnitts dem des zu biegenden Rohres t dem der Nut 214 der Biegematrize 213
  174. entspricht,
  175. 7. und einen weiteren Abschnitt 246,
  176. a) der an der gegenüberliegenden Ausgangsseite 218" mit einem Radius x des Nutquerschnitts beginnt,
  177. b) der kleiner ist als der Radius des an der Eingangskante
  178. beginnenden Abschnittes und
  179. c) der sich stetig auf den Radius des letztgenannten Abschnittes erweitert.
  180. Ein Ausführungsbeispiel dieser Lehre zeigt die nachfolgend wiedergegebene Figur 1 der Klagepatentschrift:
  181. - 13 -
  182. 2. Das Berufungsgericht hat eine Rechtfertigung der Nutzung der mit der
  183. Klage angegriffenen Ausführungsform, die den Patentanspruch 1 des Klagepatents identisch verwirklicht, verneint, weil den Beklagten kein privates Vorbenutzungsrecht nach § 12 Abs. 1 Satz 1 PatG zustehe. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt: Schon nach dem eigenen Sachvortrag der Beklagten
  184. lasse sich nicht feststellen, daß die Beklagte zu 1 im Prioritätszeitpunkt des
  185. Klagepatents sich im Erfindungsbesitz einer technischen Lehre befunden habe,
  186. wie sie der Patentanspruch 1 des Klagepatents beschreibe. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Beklagte zu 1 ab 1980 eine Handbiegeeinrichtung vertrieben hat, die wie aus dem nachstehend wiedergegebenen
  187. Prospekt ersichtlich ausgestaltet gewesen ist:
  188. - 14 -
  189. - 15 -
  190. - 16 -
  191. Dieses Biegegerät verwirkliche zwar die Merkmale 1, 2 und 4 bis 7 des
  192. Klagepatents, es fehle aber Merkmal 3, wonach die Biegematrize drehantreibbar sei. Vielmehr weise die angebliche Vorbenutzung eine feststehende Biegematrize auf. Bei diesem Gerät sei nicht die Biegematrize drehantreibbar,
  193. sondern der Biegegleitschuh, der mittels eines Hebels und einer Griffstange
  194. von Hand drehantreibbar sei. Damit sei die angeblich vorbenutzte Vorrichtung
  195. nicht den Weg der aus den 50iger Jahren bekannten US-Patentschrift
  196. 2 762 415 gegangen, sondern den Weg des im Jahre 1979 angemeldeten
  197. deutschen Gebrauchsmusters 79 03 552. Es könne dahinstehen, ob eine Maßnahme, anstelle des Biegegleitschuhs die Biegematrize drehantreibbar auszubilden, für den Durchschnittsfachmann des Prioritätstages nahegelegen habe.
  198. Selbst wenn dies so sein sollte, seien die Beklagten nicht berechtigt gewesen,
  199. die erstmals durch die Erfindung nach dem Klagepatent offenbarte Kombination des Merkmals 3 mit den Merkmalen 1, 2, 4 bis 7 in Gebrauch zu nehmen;
  200. das Vorbenutzungsrecht umfasse grundsätzlich nur diejenige Benutzungsweise
  201. oder Ausführungsform, die der Begünstigte tatsächlich benutzt oder zu deren
  202. alsbaldiger Benutzung er die erforderlichen Veranstaltungen getroffen habe.
  203. Die Beklagten könnten sich auch nicht darauf berufen, ein Vorbenutzungsrecht
  204. umfasse jedenfalls auch solche Abwandlungen der genutzten Ausführung, die
  205. im Bereich des platt Selbstverständlichen lägen, eine Abwandlung dahin, anstelle des Biegeschuhs die Biegematrize drehantreibbar auszubilden, falle als
  206. bloße kinematische Umkehr in die Kategorie der platten Selbstverständlichkeit.
  207. Die mit Merkmal 3 gelehrte Maßnahme betreffe eine technische zweckmäßige
  208. Lehre, die möglicherweise naheliegend erscheine, aber jedenfalls nicht platt
  209. selbstverständlich sei.
  210. - 17 -
  211. II. Dies greift die Revision ohne Erfolg an.
  212. 1. Entgegen der Auffassung der Revision läßt die Auslegung des Klagepatents durch das Berufungsgericht keinen revisionsrechtlich zu beanstandenden Fehler erkennen.
  213. Zutreffend ist zwar die Auffassung der Revision, daß Gegenstand des
  214. Klagepatents eine tragbare Vorrichtung zum Biegen von Rohren ist und daß
  215. nach dem in der Klagepatentschrift geschilderten Stand der Technik unter diesen Gattungsbegriff sowohl Rohrbiegemaschinen mit stationärer Biegematrize
  216. und beweglicher Gegenmatrize als auch Vorrichtungen mit stationärer Gegenmatrize und beweglicher Biegematrize fallen. Zutreffend ist ferner, daß die
  217. US-Patentschrift 2 762 415 wie das Klagepatent mit einer drehantreibbaren
  218. Biegematrize arbeitet und ausweislich Fig. 1 (Bezugszeichen 63) für den
  219. Handbetrieb vorgesehen ist (vgl. auch Sp. 3 Z. 17 ff.). Der Gegenstand der Erfindung besteht - auch darin ist der Revision zu folgen - in der besonderen
  220. Ausgestaltung der Gegenmatrize, die unabhängig davon angewendet werden
  221. kann, ob die Biegematrize oder die Gegenmatrize drehantreibbar ist.
  222. Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich aus den Ausführungen
  223. des Berufungsgerichts aber nicht, daß es für den Biegevorgang einen Unterschied macht, ob die Biegematrize oder die Gegenmatrize bewegt wird. Das
  224. Berufungsgericht hat die Funktion der Gegenmatrize nach der erfindungsgemäßen Lehre zutreffend beschrieben. Es hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß
  225. die Gegenmatrize das zur Biegung des Rohres erforderliche Gegenlager bildet
  226. und die eigentliche Biegevorrichtung durch die drehantreibbare Biegematrize
  227. herbeigeführt wird. Die Gegenmatrize soll das zu biegende Rohr nur dazu
  228. - 18 -
  229. zwingen, diesem Biegevorgang nachzugeben. Daß diese Feststellungen des
  230. Berufungsgerichts nicht zutreffen, hat die Revision nicht dargetan. Ob die Gegenmatrize die gleiche Funktion auch bei einer Vorrichtung erfüllt, bei der die
  231. Gegenmatrize, nicht aber die Biegematrize, beweglich ist, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Eine solche Feststellung war angesichts der konkreten Ausgestaltung der Erfindung auch nicht erforderlich.
  232. 2. Die Revision kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dem Merkmal 3 komme für die technische Lehre keine entscheidende Bedeutung zu. Die
  233. Revision meint, für den Fachmann habe es am Prioritätstag aufgrund des auch
  234. in der Klagepatentschrift mitgeteilten Standes der Technik ohne weiteres nahegelegen, anstelle des Biegegleitschuhs die Biegematrize drehantreibbar
  235. auszubilden, was beispielsweise aus der US-Patentschrift 2 762 415 bekannt
  236. gewesen sei und auch vom Berufungsgericht unterstellt worden sei. Die freie
  237. Wählbarkeit des drehantreibbar ausgebildeten Teils sei danach nicht nur naheliegend, sondern platt selbstverständlich gewesen. Ein Einfluß auf den Biegevorgang oder das Biegeergebnis sei für den Fachmann nicht ersichtlich. Die
  238. Entscheidung für eine der beiden möglichen Ausführungen stelle sich für ihn
  239. als ebenso beliebig dar wie die Frage, ob bei der Herstellung einer Schraubvorrichtung die Schraube gedreht und die Mutter festgehalten werde oder umgekehrt.
  240. Auch diese Erwägungen vermögen der Revision nicht zum Erfolg zu
  241. verhelfen. Gegenstand des Klagepatents ist die Kombination der Merkmale 1
  242. bis 7 in ihrer Gesamtheit. Auf das Gewicht einzelner Merkmale kommt es nicht
  243. an. Ob der Fachmann dem Merkmal 3 entscheidende Bedeutung beimißt oder
  244. es für beliebig hält, welche der beiden Möglichkeiten - Drehantreibbarkeit des
  245. - 19 -
  246. Biegegleitschuhs oder der Biegematrize - er wählt, ist nicht entscheidend. Der
  247. Erfinder hat dadurch, daß er bei seiner Erfindung die Drehantreibbarkeit der
  248. Biegematrize vorgesehen hat, seine Wahl getroffen.
  249. 3. a) Die Revision rügt schließlich, das Berufungsgericht habe zu Unrecht ein Vorbenutzungsrecht der Beklagten verneint. Bei der Prüfung des
  250. sachlichen Umfangs eines Vorbenutzungsrechts dürfe nicht unberücksichtigt
  251. bleiben, daß über den Begriff des Erfindungsbesitzes auch eine subjektive
  252. Komponente maßgebend sei. Habe der Vorbesitzer die technische Lehre des
  253. später angemeldeten Patents erkannt und sei dies in der Vorbenutzung zum
  254. Ausdruck gekommen, umfasse das Vorbenutzungsrecht nicht nur die konkret
  255. vorbenutzte Ausführungsform, sondern erstrecke sich auf die Erfindung jedenfalls im Umfang des Erfindungsbesitzes. Das Vorbenutzungsrecht der Beklagten zu 1 umfasse deshalb den Einsatz eines Biegegleitschuhs mit den kennzeichnenden Merkmalen 6 und 7 bei Biegemaschinen, die nach dem erörterten
  256. Stand der Technik mit einer Biegematrize mit Rohrhalterung und einer Gegenmatrize ausgestattet seien, wobei eine der Matrizen drehantreibbar sei. Bei der
  257. Benutzung der angegriffenen Ausführungsform gehe es nicht um die Benutzung eines weiteren Merkmals, wie das Berufungsgericht annehme. Vielmehr
  258. unterscheide sich die geschützte Erfindung von der vorbenutzten Vorrichtung
  259. lediglich durch eine bekannte, platt selbstverständliche Umkehr der Kinematik,
  260. da eine der Matrizen drehantreibbar ausgebildet sei. Von einem weiteren
  261. Merkmal könne daher nicht gesprochen werden.
  262. b) Der Umfang des Vorbenutzungsrechts gemäß § 12 Abs. 1 PatG ist in
  263. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bislang nicht geklärt.
  264. - 20 -
  265. aa) Das Reichsgericht hat in seiner Rechtsprechung auf den durch die
  266. Tragweite des benutzten Erfindungsgedankens umrissenen Besitzstand abgestellt (RG GRUR 1903, 146 - Kesselböden). Danach hat es als von der Vorbenutzung umfaßt nur diejenige Ausführungsform angesehen, die der Begünstigte
  267. tatsächlich benutzt oder zu deren alsbaldiger Benutzung er die erforderlichen
  268. Veranstaltungen getroffen hat (vgl. z.B. RG GRUR 1932, 66 - Fernverbindung;
  269. RG GRUR 1935, 157, 16 - Zentrifugaldrehzahlregler; RG GRUR 1941, 272
  270. - Lichtregler).
  271. In späteren Entscheidungen hat das Reichsgericht auch die abweichende Ausführung durch das Vorbenutzungsrecht als gedeckt angesehen, wenn
  272. der vorbenutzte Gegenstand einen technischen Gedanken enthalte, der, für
  273. den Fachmann ohne weiteres auf der Hand liegend, über die vorbenutzte
  274. Formgebung hinausgehe und, einmal offenbart, auch in einer abweichenden
  275. Form wiedergegeben werden könne (RGZ 153, 321, 326). Deshalb hat das
  276. Reichsgericht die Benutzung "glatter Gleichwerte" der vorbenutzten Ausführungsform als vom Vorbenutzungsrecht umfaßt angesehen (RGZ 133, 377,
  277. 380; 166, 326, 331) und später auch die "patentrechtlichen Gleichwerte" einbezogen (RGZ 166, 326, 332 ff.).
  278. Das Reichsgericht hat aber eine Erstreckung des Vorbenutzungsrechts
  279. auf zweckmäßigere und vollkommenere Ausgestaltungen, die in einem Patent
  280. geschützt sind, verneint (RGZ 133, 377, 381). Der Vorbenutzer habe nicht das
  281. Recht, diejenige Ausführungsform zu benutzen, die gerade der Patentinhaber
  282. gezeigt habe, ohne daß es darauf ankomme, ob diese besondere Ausführungsform gegenüber dem vorbenutzten Erfindungsgedanken erfinderisch sei
  283. (RGZ 133, 377, 380; 153, 321, 326).
  284. - 21 -
  285. bb) In der neueren Literatur wird die Auffassung vertreten, dem Vorbenutzer sei die bisherige Verwendung unter Einschluß der dem Durchschnittsfachmann ohne weiteres auf der Hand liegenden abweichenden Verwendungen zu gestatten, er dürfe aber nicht auf Verwendungen übergehen, die davon
  286. abwichen und im Patent unter Schutz gestellt seien (Benkard/Bruchhausen,
  287. PatG/GebrMG, 9. Aufl., § 12 PatG Rdn. 22). Abzustellen sei auf den Besitzstand des Vorbenutzers, Schutzbereichsüberlegungen seien im Zusammenhang mit dem Wechsel der Ausführungsform abzulehnen (Eichmann, GRUR
  288. 1993, 73). Anstelle von Äquivalenzüberlegungen sei vom objektiven Umfang
  289. des Erfindungsbesitzes auszugehen, wie er sich bei objektiver Würdigung aus
  290. fachmännischer Sicht darstelle (Busse, PatG, 5. Aufl., § 12 Rdn. 43).
  291. cc) Nach § 9 PatG ist (allein) der Patentinhaber oder der von diesem
  292. Ermächtigte befugt, die im Patent unter Schutz gestellte Erfindung zu benutzen; sonstige Dritte sind dauernd von einer solchen Benutzung ausgeschlossen. Diesen Grundsatz schränkt § 12 PatG für einen Sonderfall ein, indem er
  293. diese Wirkung des Patents gegenüber demjenigen nicht eintreten läßt, der die
  294. Erfindung zur Zeit der Anmeldung im Inland bereits in Benutzung genommen
  295. oder die dafür erforderlichen Veranstaltungen getroffen hatte, und diesem zugleich die Befugnis einräumt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines Betriebs
  296. in eigenen oder fremden Werkstätten zu benutzen. Mit dieser Einschränkung
  297. will das Gesetz aus Billigkeitsgründen einen vorhandenen oder bereits angelegten gewerblichen Besitzstand des Vorbenutzers schützen und damit die unbillige Zerstörung in zulässiger, insbesondere rechtlich unbedenklicher Weise
  298. geschaffener Werte verhindern (so bereits RGZ 75, 317, 318 unter Hinweis auf
  299. das Gesetzgebungsverfahren; Benkard/Bruchhausen, aaO; Busse, aaO;
  300. - 22 -
  301. Schulte, PatG/EPÜ, 6. Aufl., § 12 PatG Rdn. 6; Lindenmaier/Weis, PatG,
  302. 6. Aufl., § 7 Rdn. 1; Klauer/Möhring, Patentrechtskommentar, 3. Aufl., § 7
  303. Rdn. 27; Eichmann, aaO). Auf der Grundlage seines erst zu einem späteren
  304. Zeitpunkt in rechtlich relevanter Weise angelegten bzw. geschaffenen Ausschließlichkeitsrechts soll der Patentinhaber nicht auch die Personen von der
  305. Benutzung der unter Schutz gestellten Erfindung ausschließen können, die sie
  306. bereits vorher benutzt oder konkrete Anstalten für eine solche Benutzung getroffen haben. Die Regelung enthält insoweit eine an Billigkeitsgründen orientierte Ausnahme von der umfassenden alleinigen Berechtigung des Patentinhabers.
  307. Dieser Funktion der Regelung entsprechend ist der Vorbenutzer - soweit
  308. es um den vom Patentinhaber hinzunehmenden Eingriff in dessen Alleinbefugnis geht - auf den von der Ausnahme geschützten Besitzstand beschränkt. Ihm
  309. ist eine Benutzung der patentgemäßen Lehre lediglich in dem durch diesen
  310. beschriebenen Umfang eröffnet; Weiterentwicklungen über den Umfang der
  311. bisherigen Benutzung hinaus sind ihm jedoch dann verwehrt, wenn sie in den
  312. Gegenstand der geschützten Erfindung eingreifen. Andernfalls würden seine
  313. Befugnisse in einer von Sinn und Zweck der Ausnahmeregelung nicht mehr
  314. gedeckten Weise erweitert. Mit der Befugnis zur Benutzung auch solcher Abwandlungen würde zu seinen Gunsten nicht lediglich der bei der Anmeldung
  315. des Patents vorhandene Besitzstand geschützt, sondern dieser unter gleichzeitiger weiterer Einschränkung des Rechts an dem Patent auf ursprünglich
  316. nicht Vorhandenes erstreckt. Hierfür fehlt es sowohl im Hinblick auf die Funktion
  317. der
  318. Regelung
  319. als
  320. auch
  321. auf
  322. das
  323. ihr
  324. zugrundeliegende
  325. Regel-
  326. Ausnahmeverhältnis an einer Rechtfertigung. Insbesondere aber die Billigkeit
  327. gebietet eine solche Ausweitung nicht.
  328. - 23 -
  329. 4. Die Beklagten können sich danach nicht mit Erfolg auf ein Vorbenutzungsrecht berufen. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß
  330. eine Gestaltung, bei der die Merkmale 1, 2 sowie 4 bis 7 mit dem Merkmal 3 der Drehantreibbarkeit der Biegematrize - kombiniert werden, ausschließlich
  331. von der Klägerin als Patentinhaberin beansprucht werden kann, weil dieser
  332. Vorschlag nicht Gegenstand der Vorbenutzung gewesen ist, bei der nicht die
  333. Biegematrize drehantreibbar ausgestaltet war, sondern der Biegegleitschuh.
  334. III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.
  335. Jestaedt
  336. Melullis
  337. Mühlens
  338. Scharen
  339. Büscher