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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. X ZR 143/10
  5. Verkündet am:
  6. 9. Juni 2011
  7. Wermes
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. ja
  16. BGHR:
  17. ja
  18. Rettungsdienstleistungen II
  19. BGB § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 280 Abs. 1 Satz 1; GWB § 97 Abs. 7
  20. Der auf Verstöße des öffentlichen Auftraggebers gegen Vergabevorschriften gestützte Schadensersatzanspruch des Bieters ist nach der Kodifikation der gewohnheitsrechtlichen Rechtsfigur der culpa in contrahendo durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht mehr daran geknüpft, dass der klagende Bieter auf die Einhaltung
  21. dieser Regelungen durch den Auftraggeber vertraut hat, sondern es ist dafür auf die
  22. Verletzung von Rücksichtnahmepflichten durch Missachtung von Vergabevorschriften abzustellen (Weiterentwicklung von BGH, Urteil vom 8. September 1998
  23. - X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283; Urteil vom 27. November 2007 - X ZR 18/07,
  24. VergabeR 2008, 219 Leitsatz e).
  25. BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 143/10 - OLG Naumburg
  26. LG Magdeburg
  27. -2-
  28. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
  29. Verhandlung
  30. vom
  31. 9. Juni
  32. 2011
  33. durch
  34. den
  35. Vorsitzenden
  36. Richter
  37. Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie
  38. die Richterin Schuster
  39. für Recht erkannt:
  40. Die Revision des Beklagten gegen das am 28. Oktober 2010 verkündete Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
  41. Von Rechts wegen
  42. Tatbestand:
  43. 1
  44. Die Klägerin macht aufgewendete Rechtsanwaltskosten als Schadensersatz geltend, nachdem ein vom Beklagten durchgeführtes Vergabeverfahren,
  45. an dem sie sich beteiligt hatte, wegen Verwendung vergaberechtswidriger Wertungskriterien aufgehoben wurde.
  46. 2
  47. Der Beklagte schrieb im offenen Verfahren Rettungsdienstleistungen für
  48. den Zeitraum von Anfang Juli 2009 bis Ende Juni 2015 losweise aus. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt werden. Die
  49. Vergabeunterlagen sahen folgende Wirtschaftlichkeitskriterien mit jeweils zugeordneter Gewichtung vor:
  50. -3-
  51. 1. Preis. Gewichtung 40
  52. 2. Mitarbeit bei Großschadenslagen und Massenanfall von Verletzten. Gewichtung 35
  53. 3. Erfahrung im Rettungsdienst. Gewichtung 10
  54. 4. Qualitätsmanagement. Gewichtung 5
  55. 5. Qualifikation des Personals. Gewichtung 5
  56. 6. Arbeitszeit des Personals. Gewichtung 5
  57. 3
  58. Nachdem die Klägerin die Vergabeunterlagen angefordert hatte, übermittelte sie diese ihrem jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Bitte um Überprüfung (Schreiben vom 7. Juli 2008). Durch sein Schreiben vom 10. Juli 2008
  59. rügte die Klägerin, in dem Bewertungsschema für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit würden vergaberechtswidrig Eignungs- und Wirtschaftlichkeitskriterien miteinander vermischt. Ihren kurz darauf gestellten (ersten) Nachprüfungsantrag nahm die Klägerin zurück, nachdem die Vergabekammer ihn als
  60. unzulässig eingeschätzt hatte. Nach Ablauf der Angebotsfrist reichte die Klägerin ein Angebot für ein Los des ausgeschriebenen Auftrags ein und stellte erneut einen Nachprüfungsantrag, der in der Beschwerdeinstanz Erfolg hatte. Der
  61. Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg sprach in seinem Beschluss
  62. vom 3. September 2009 (VergabeR 2009, 933) aus, dass der inzwischen mit
  63. einem anderen Anbieter geschlossene Vertrag über die ausgeschriebenen Leistungen nichtig sei, und verpflichtete den Beklagten, das Vergabeverfahren aufzuheben. Diese Maßnahmen begründete der Vergabesenat im Wesentlichen
  64. mit einem Verstoß gegen die vergaberechtlich gebotene Trennung von Eignungs- und Wirtschaftlichkeitskriterien. Zumindest die Zuschlagskriterien zu
  65. Nr. 2, 3, 5 und 6 seien bieterbezogen, das Kriterium zu Nummer 4 sei intransparent, die Auswahl des günstigsten Angebots hänge somit zu mindestens
  66. 55 % nicht von dessen Inhalt, sondern von der Person des Bieters ab. Den Kos-
  67. -4-
  68. tenstreitwert des Nachprüfungsverfahrens setzte das Oberlandesgericht auf bis
  69. zu 800.000 € fest.
  70. 4
  71. Nach Aufhebung des Vergabeverfahrens verlangte die Klägerin vom Beklagten die Erstattung einer 2,3-fachen Gebühren nach Nr. 2300 VV-RVG
  72. (10.687,15 €) für die Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten mit der
  73. Überprüfung der Vergabeunterlagen vor Einleitung des ersten Nachprüfungsverfahrens. Nachdem der Beklagte die Zahlung ablehnte, hat die Klägerin Klage
  74. erhoben, mit der sie diese Summe zuzüglich eines Betrags von 962,71 € für die
  75. vorprozessuale Geltendmachung dieses Schadensersatzanspruchs (beide Gebühren zuzüglich Umsatzsteuer) verlangt hat.
  76. 5
  77. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht ihr
  78. stattgegeben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
  79. der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
  80. Entscheidungsgründe:
  81. 6
  82. Die Revision bleibt in der Sache ohne Erfolg.
  83. 7
  84. I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung sinngemäß wie folgt begründet. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens
  85. aus dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo zu. Danach könnten einem
  86. Bieter Ansprüche auf Erstattung von Kosten zustehen, wenn er sich ohne Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens nicht oder nicht wie geschehen daran beteiligt hätte. Nicht schutzwürdig sei ein Bieter lediglich dann,
  87. -5-
  88. wenn er sich in Kenntnis eines Vergabeverstoßes taktierend am Verfahren beteilige. So verhalte es sich hier aber nicht. Die Klägerin habe sich nicht auf das
  89. als vergaberechtswidrig erkannte Vergabeverfahren eingelassen, sondern ein
  90. Angebot erst gar nicht und am Ende nur deshalb abgegeben, um den Status
  91. eines Bieters zu erhalten und dadurch die vergaberechtliche Antragsbefugnis
  92. sicherzustellen. Sie habe aber von vornherein die von ihr als vergaberechtswidrig erkannten Fehler gerügt. Der entsprechende prozessuale Prüfungsauftrag
  93. habe somit entgegen der Ansicht des Beklagten nicht der "Torpedierung" des
  94. Vergabeverfahrens gedient. Der geltend gemachte Gebührentatbestand sei
  95. auch nicht bereits anderweitig kostenrechtlich erfasst. Nach der Kostenentscheidung des Vergabesenats im Nachprüfungsverfahren könne die Klägerin
  96. zwar die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erstattet verlangen. Dass der Prüfungsauftrag vom 7. August 2008 bereits die Vertretung im
  97. Nachprüfungsverfahren umfasst habe, sei aber weder dessen Wortlaut zu entnehmen noch naheliegend. Eine Verbindung mit anderen Gebührentatbeständen lasse sich somit nicht feststellen.
  98. 8
  99. II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe sind nicht begründet.
  100. 9
  101. 1. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus
  102. § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1 und § 280 Abs. 1 BGB zu.
  103. 10
  104. a) Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg hat im Nachprüfungsverfahren rechtskräftig entschieden, dass die Beklagte vergaberechtswidrige Wertungskriterien für die Zuschlagsentscheidung vorgesehen hatte. Diese
  105. Beurteilung ist für die ordentlichen Gerichte im Schadensersatzprozess bindend
  106. (§ 124 Abs. 1 GWB). Infolge der festgestellten Vergaberechtsverstöße musste
  107. das Vergabeverfahren aufgehoben werden. Die Aufhebung aus einem solchen
  108. Grund ist von der einschlägigen Vergabe- und Vertragsordnung nicht vorgese-
  109. -6-
  110. hen (vgl. § 26 Nr. 1 und 2 VOL/A 2006, § 17 Abs. 1 VOL/A 2009) und deshalb
  111. nicht von vornherein sanktionsfrei.
  112. 11
  113. b) Mit der Aufstellung von Wertungskriterien, die eine vergaberechtskonforme Angebotswertung nicht zuließen und die deshalb die Aufhebung des
  114. Vergabeverfahrens nach sich ziehen musste, hat der Beklagte gegen seine
  115. Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Danach kann ein Schuldverhältnis
  116. einen Teil zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des
  117. anderen Teils verpflichten. Ein solches Schuldverhältnis entsteht auch durch
  118. Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB), und darum
  119. handelt es sich - in je nach Verfahrensart mehr oder minder stark formalisierter
  120. Form - bei der Durchführung eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Mit der in der mündlichen Verhandlung weiter verfochtenen Ansicht, zur
  121. Klägerin habe ein solches vorvertragliches Schuldverhältnis nicht bestanden,
  122. weil dieser nur an der Unterminierung des Vergabeverfahrens gelegen gewesen sei, unternimmt die Revision den ihr verschlossenen Versuch, die Sachverhaltswürdigung des Berufungsgerichts durch die eigene zu ersetzen.
  123. 12
  124. c) Werden die auf diese Weise formalisierten Vertragsverhandlungen auf
  125. der Grundlage der vom Auftraggeber ausgearbeiteten und den Bietern zur Teilnahme überlassenen Vergabeunterlagen geführt, wie es für das Vergabeverfahren typisch ist, trifft den öffentlichen Auftraggeber aus § 241 Abs. 2 BGB die
  126. Verpflichtung, diese Unterlagen vergaberechtskonform so auszuarbeiten, dass
  127. keine Wirtschaftlichkeitskriterien aufgestellt werden, die eine ordnungsgemäße
  128. Wertung der Angebote nicht zulassen und deshalb bei Beanstandung eine Aufhebung des Vergabeverfahrens unausweichlich machen. Durch die Aufhebung
  129. wird der je nach Auftragsgegenstand unter Umständen ganz beträchtliche Ausschreibungsaufwand der Bieter zunichte gemacht anstatt, seinem eigentlichen
  130. -7-
  131. Zweck entsprechend, für den Wettbewerb um den ausgeschriebenen Auftrag
  132. eingesetzt zu werden. Die Bieter und Bewerber haben aber - in den Grenzen
  133. der von den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannten Tatbestände - ein
  134. von § 241 Abs. 2 BGB geschütztes Interesse daran, dass der öffentliche Auftraggeber das Verfahren so anlegt und durchführt, dass die genannten Aufwendungen der Bieter dem Wettbewerbszweck entsprechend tatsächlich verwendet
  135. werden können.
  136. 13
  137. d) Infolge seines Verstoßes gegen die ihn treffenden Rücksichtnahmepflichten ist der Beklagte verpflichtet, der Klägerin den hierdurch entstandenen
  138. Schaden zu ersetzen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB). Diese Verpflichtung trifft den
  139. Schuldner im Allgemeinen nur dann nicht, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu
  140. vertreten hat. Dazu haben die Instanzgerichte keine Feststellungen getroffen
  141. und die Revision macht nicht geltend, dass insoweit erheblicher Vortrag des
  142. Beklagten unberücksichtigt geblieben wäre. Daher bedarf an dieser Stelle die
  143. Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keiner Erörterung,
  144. wonach die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 in der
  145. durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht,
  146. die den Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes eines öffentlichen Auftraggebers gegen Vergaberecht von der Schuldhaftigkeit des Verstoßes abhängig
  147. macht (EuGH, VergabeR 2011, 71).
  148. 14
  149. e) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats setzt der aus Verschulden bei Vertragsanbahnung hergeleitete Schadensersatzanspruch ein zusätzliches Vertrauenselement aufseiten des Schadensersatz verlangenden Bieters voraus (vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 99/96, BGHZ
  150. 139, 280, 283). Schadensersatz nach Aufhebung eines Vergabeverfahrens, für
  151. -8-
  152. die, wie hier, kein vergaberechtlich anerkannter Grund (§ 17 VOL/A 2009, § 20
  153. VOL/A-EG 2009, § 17 VOB/A 2009) vorlag, konnte ein Bieter nur dann verlangen, wenn er sich ohne Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens daran entweder gar nicht oder nicht so wie geschehen beteiligt hätte (vgl.
  154. BGH, Urteil vom 27. November 2007 - X ZR 18/07, VergabeR 2008, 219
  155. Rn. 39). Diese Rechtsprechung knüpfte daran an, dass die auf die gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsfigur der culpa in contrahendo gestützte Haftung im Allgemeinen die Gewährung von in Anspruch genommenem Vertrauen
  156. voraussetzte (vgl. Palandt/Heinrichs, 61. Aufl., § 276 BGB aF Rn. 65 f.). An
  157. dem tatbestandlichen Erfordernis eines solchen zusätzlichen Vertrauenselements hält der Senat für Schadensersatzansprüche, die auf ein vergaberechtliches Fehlverhalten des öffentlichen Auftraggebers vor Vertragsschluss gestützt
  158. sind, nicht fest.
  159. 15
  160. Der aus § 280 Abs. 1 in Verbindung mit § 241 Abs. 2 und § 311 Abs. 2
  161. Nr. 1 BGB hergeleitete Schadensersatzanspruch knüpft nach dem Wortlaut der
  162. gesetzlichen Regelung an die Verletzung einer aus dem Schuldverhältnis herrührenden Rücksichtnahmepflicht der Beteiligten an. Dafür, dass dem Gläubiger
  163. nur dann Schadensersatz zustehen soll, wenn er bei Verletzung einer solchen
  164. Rücksichtnahmepflicht zusätzlich gewährtes Vertrauen in Anspruch genommen
  165. hat, ist der gesetzlichen Regelung nichts zu entnehmen. Für das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe besteht auch kein Bedürfnis dafür, das Vertrauen
  166. des Bieters etwa als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal weiter zu fordern.
  167. Denn dieses Gebiet ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Ablauf
  168. der Vertragsverhandlungen und die dem Auftraggeber dabei auferlegten Verhaltenspflichten eingehend geregelt sind. Oberhalb der gemäß § 2 VgV vorgesehenen Schwellenwerte gelten die Bestimmungen des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung sowie der
  169. -9-
  170. Vergabe- und Vertragsordnungen für Bauleistungen und Leistungen und der
  171. Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen, und für Vergabeverfahren unterhalb dieser Werte sind die Vorschriften der Vergabe- und Vertragsordnungen
  172. für Bauleistungen und Leistungen einschlägig, sofern der Auftraggeber - was
  173. allgemein üblich ist - ankündigt, die Vergabe auf der Grundlage dieser Vorschriften durchzuführen. Im Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes
  174. gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der für das Vergabeverfahren einschlägig
  175. ist, auf das sich der Streitfall bezieht, haben die Unternehmen Anspruch darauf,
  176. dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält
  177. (§ 97 Abs. 7 GWB). An die daraus resultierenden Verhaltenspflichten knüpfen
  178. die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB an. Der Inanspruchnahme
  179. besonderen Vertrauens als eines Tatbestands, an dessen Erfüllung die Haftung
  180. wegen Verschuldens bei Vertragsanbahnung überhaupt erst festgemacht werden könnte, bedarf es deshalb nicht. Inwieweit der für Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo nach altem Recht vorausgesetzte Vertrauenstatbestand für andere Fallgruppen, die im Rahmen dieser Rechtsfigur entwickelt
  181. worden sind, weiterhin Bedeutung hat, bedarf im Streitfall keiner Klärung. Entsprechendes gilt nach den Umständen des Streitfalls auch für die Frage, unter
  182. welchen Voraussetzungen sich der klagende Bieter ein Mitverschulden (§ 254
  183. BGB) entgegenhalten lassen muss.
  184. 16
  185. f) Dass die Klägerin den ausgeschriebenen Auftrag nicht hätte erhalten
  186. können, weil sie nicht innerhalb der Angebotsfrist ein Angebot eingereicht hat,
  187. steht ihrem Anspruch auf Schadensersatz nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt gerade auch in Fällen der ungerechtfertigten Aufhebung des Vergabeverfahrens eine Ausnahme von dem Grundsatz in Betracht,
  188. dass nicht nur der auf das Erfüllungsinteresse, sondern auch der auf das negative Interesse gerichtete Schadensersatzanspruch nur dem Bieter zusteht, der
  189. - 10 -
  190. bei regulärem Verlauf des Vergabeverfahrens den Zuschlag hätte erteilt bekommen müssen (BGH, VergabeR 2008, 219 Rn. 37 f.; vgl. insoweit auch
  191. Scharen in Kompaktkommentar Vergaberecht, 13. Los Rdn. 54).
  192. 17
  193. g) Die Gebührenforderung, die durch den von der Klägerin erteilten Auftrag zur Prüfung der Vergabeunterlagen und der Rüge ihrer Vergaberechtswidrigkeit gegenüber dem Beklagten ausgelöst worden ist, ist nach dem Schutzzweck der einschlägigen Norm (§ 241 Abs. 2 BGB) als Schaden erstattungsfähig. Mit den sich daraus für den öffentlichen Auftraggeber ergebenden Rücksichtnahmepflichten ist es, wie ausgeführt (oben II 1 b) unvereinbar, in die Wirtschaftlichkeitsprüfung Eignungskriterien einfließen zu lassen (BGH, Urteil vom
  194. 8. September 1998 - X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283; Urteil vom 15. April
  195. 2008 - X ZR 129/06, VergabeR 2008, 641 - Sporthallenbau). Zieht der mit solchen Wertungskriterien konfrontierte Bieter deshalb einen Rechtsanwalt zurate,
  196. sind die aus dessen Beauftragung resultierenden Kosten ein durch den Pflichtenverstoß adäquat kausal herbeigeführter Schaden. Dafür ist unerheblich,
  197. dass der Bieter sich der Vergaberechtswidrigkeit der Vergabeunterlagen bei
  198. Beauftragung des Rechtsanwalts regelmäßig nicht sicher sein wird, sondern
  199. diesbezüglich erfahrungsgemäß allenfalls Zweifel hegen wird. Entscheidend ist,
  200. dass er aufgrund der objektiv gegebenen Vergaberechtswidrigkeit der Vergabeunterlagen Anlass hat, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
  201. 18
  202. h) Der Anspruch setzt im Streitfall nach dem der Regelung in § 286
  203. Abs. 2 Nr. 4 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken keine Mahnung des
  204. Gläubigers voraus. Vorvertragliche Rücksichtnahmepflichten, wie sie hier in
  205. Rede stehen, sind aus in der Natur der Sache liegenden Gründen sofort zu erfüllen. Jedenfalls dann, wenn die Frage, ob die Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht vorliegt, nur aufgrund vertiefter Kenntnisse auf dem Gebiet des
  206. - 11 -
  207. Vergaberechts beantwortet werden kann, ist es, auch mit Blick auf die regelmäßig engen zeitlichen Dispositionsmöglichkeiten im laufenden Vergabeverfahren,
  208. nicht interessengerecht, den am Auftrag interessierten Unternehmen abzuverlangen, den vermeintlichen Mangel zunächst selbst gegenüber dem Auftraggeber zu rügen, bevor sie einen Rechtsanwalt in erstattungsfähiger Weise mit der
  209. weiteren Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen können. Ob das Gleiche
  210. in allen denkbaren Fallgestaltungen, insbesondere auch bei Verstößen gilt, die
  211. im Sinne von § 107 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB erkennbar (vgl. dazu etwa MünchKomm.BeihVgR/Jaeger, § 107 Rn. 54) sind, ist hier nicht zu entscheiden.
  212. 19
  213. i) Der Beklagte kann sich gegenüber der Gebührenersatzforderung nicht
  214. mit Erfolg darauf berufen, die fraglichen Kosten wären der Klägerin auch entstanden, wenn er, der Beklagte, sich vergaberechtskonform verhalten hätte. Auf
  215. den darin zu sehenden Einwand, der geltend gemachte Schaden wäre auch bei
  216. rechtmäßigem Verhalten des Schädigers entstanden, kann dieser sich ausnahmsweise dann nicht berufen, wenn dies mit dem Schutzzweck der verletzten Norm nicht vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1986
  217. - IX ZR 91/84, BGHZ 96, 157 ff.). So verhält es sich hier. Dem hier durchgeführten Vergabeverfahren, bei dem ein vergaberechtswidriges Wertungsschema
  218. verwendet worden ist, kann nicht im Wege einer fiktiven Alternativbetrachtung
  219. ein solches mit vergaberechtlich unbedenklichen Wertungskriterien gegenübergestellt und die hypothetische Prüfung daran angeschlossen werden, ob die
  220. Klägerin auch in einem solchen als korrekt fingierten Fall ihren Prozessbevollmächtigten mit der Prüfung der Vergabeunterlagen beauftragt hätte. Der Schutz
  221. des § 241 Abs. 2 BGB greift schon dann ein, wenn die Vergabeunterlagen, wie
  222. hier, in der Weise fehlerhaft sind, dass eine vergaberechtskonforme Angebotswertung nicht mehr möglich ist. Im Übrigen hat das Berufungsgericht keine
  223. Feststellungen getroffen, aufgrund deren die Haftung des Beklagten unter dem
  224. - 12 -
  225. Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens fraglich erscheinen könnte, und die Revision zeigt nicht auf, dass das Berufungsgericht insoweit konkreten Vortrag des Beklagten, der nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungsund Beweislast für den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens trägt (vgl.
  226. BGH, Urteil vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03, NJW 2005, 1718), übergangen
  227. hätte.
  228. 20
  229. 2. a) Ohne Erfolg wendet die Revision sich dagegen, dass das Berufungsgericht die Berechnung der geltend gemachten Gebühr nach einem Wert
  230. von 800.000 € gebilligt hat. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts,
  231. denen die Revision nicht entgegentritt, entspricht dieser Betrag dem für Beschwerdeverfahren nach § 116 GWB gesetzlich vorgegebenen Streitwert von
  232. 5 % der Bruttoauftragssumme (§ 50 Abs. 2 GKG). Diesem Streitwert entspricht
  233. der Gegenstandswert für die anwaltliche Vertretung des Bieters im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer (vgl. Kulartz/Kus/Portz
  234. Komm. zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 128 Rn. 41; Hardraht in Kompaktkommentar Vergaberecht, 14. Los § 50 Abs. 2 GKG Rn. 2). Da der Bieter das
  235. Vergabeverfahren mit einer gegenüber dem Auftraggeber nach § 107 Abs. 3
  236. GWB erhobenen Rüge im Interesse seiner Chance auf den Auftrag in gleicher
  237. Weise in korrekte Bahnen lenken will, wie mit einem Nachprüfungsantrag nach
  238. § 107 Abs. 1 GWB, begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, diesen Wert
  239. auch für die Gebühr nach Nr. 2300 VV-RVG heranzuziehen.
  240. 21
  241. b) Dass das Berufungsgericht die Erstattung einer 2,3-fachen Gebühr
  242. nach Nr. 2300 VV-RVG zugesprochen hat, greift die Revision nicht mit stichhaltigen Rügen an. Dass die außergerichtliche Tätigkeit schon am 16. Juli 2008
  243. endete, muss nicht auf einen spürbar geringen Umfang oder Schwierigkeitsgrad
  244. der Sache hindeuten. Das gesamte Vergabeverfahren ist vom vergaberechtli-
  245. - 13 -
  246. chen Beschleunigungsgrundsatz beherrscht, der den Bietern unter anderem
  247. auferlegt, erkannte Vergabeverstöße unverzüglich zu rügen (§ 107 Abs. 3
  248. GWB) und der es dem für den Bieter tätigen Rechtsanwalt nahelegt, den ihm
  249. unterbreiteten Sachverhalt, zu dem häufig umfangreiche Vergabeunterlagen
  250. gehören, rasch auf Vergabeverstöße hin zu prüfen und Rügen gegebenenfalls
  251. umgehend zu erheben, insbesondere auch dann, wenn, was hier ersichtlich der
  252. Fall war, der Ablauf der Angebotsfrist bevorstand.
  253. 22
  254. Ob es, wie das Berufungsgericht meint, regelmäßig angemessen ist, in
  255. Vergabeverfahren eine überdurchschnittliche Schwierigkeit für die anwaltliche
  256. Tätigkeit anzunehmen, die regelmäßig eine deutliche höhere Gebühr als die
  257. Mittelgebühr rechtfertigt, kann allerdings in dieser Pauschalität zweifelhaft sein.
  258. Es kann insoweit nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch vergaberechtliche
  259. Streitigkeiten in der Gesamtschau hinsichtlich ihres Umfangs und Schwierigkeitsgrads ganz unterschiedlich gelagert sind und es nicht angemessen erscheint, diesen Fällen pauschal einen Schwierigkeitsgrad beizumessen, dem
  260. regelmäßig eine Gebühr im oberen oder obersten Bereich der einschlägigen
  261. Rahmengebühr zu entsprechen hat. Das gilt umso mehr, als das Angebot anwaltlicher Dienstleistungen in inzwischen fast allen Lebensbereichen und
  262. Rechtsmaterien durch eine Spezialisierung gekennzeichnet ist, die im eigenen
  263. wettbewerblichen Interesse erfolgt und die deshalb berechtigterweise bei der
  264. Bewertung des Schwierigkeitsgrads nicht ganz außer Betracht bleiben kann.
  265. Zweifelhaft kann ferner sein, den Aufwand bei der Vertretung im Vergabeverfahren generell auch daran zu messen, welche Probleme sich im anschließenden Nachprüfungsverfahren ergeben haben, weil die Auseinandersetzung hinsichtlich des Umfangs und Schwierigkeitsgrads dynamisch verlaufen sein kann.
  266. Dass das Berufungsgericht im Streitfall diesbezügliches oder in die gleiche
  267. - 14 -
  268. Richtung weisendes Vorbringen des Beklagten übergangen hätte, zeigt die Revision indes nicht auf.
  269. 23
  270. c) Soweit die Revision die Versäumung der Anrechnung dieser Gebühr
  271. nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG beanstandet, ist nicht die im anschließenden Nachprüfungsverfahren entstandene Gebühr auf die Geschäftsgebühr
  272. nach Nr. 2300 VV-RVG anzurechnen, sondern, nach dem eindeutigen Wortlaut
  273. von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG, die Geschäftsgebühr auf die später entstandene (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 23. September 2008
  274. - X ZB 19/07, VergabeR 2009, 39 - Geschäftsgebühr im Nachprüfungsverfahren). Dass die Zuerkennung der 2,3-fachen Gebühr für die Vertretung im
  275. Vergabeverfahren mit Blick auf die Kostenerstattung im (zweiten) Nachprüfungsverfahren zu einer Überzahlung geführt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom
  276. 22. März 2011 - VI ZR 63/10), macht die Revision nicht geltend.
  277. 24
  278. 3. Ohne Erfolg wendet die Revision sich dagegen, dass das Berufungsgericht der Klägerin auch die auf die Gebühren entfallende Umsatzsteuer zuerkannt hat. Ausweislich des vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Tatbestands des landgerichtlichen Urteils hat die Klägerin beide klageweise geltend gemachten Gebühren einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer
  279. verlangt. Streitiges Vorbringen dokumentieren weder die Entscheidung des
  280. Landgerichts noch das Berufungsurteil. Das entspricht, wie die Revisionserwiderung aufzeigt, dem Sach- und Streitstand schon bei Beendigung der ersten
  281. Instanz, nachdem die Klägerin dort nämlich erklärt hatte, sie sei nach dem Gegenstand der von ihr erbrachten Leistungen gemäß § 4 Nr. 17b UStG nicht zum
  282. Vorsteuerabzug berechtigt. Das Berufungsgericht hat demgegenüber keinen
  283. Sachverhalt festgestellt, aus dem sich die Vorsteuerabzugsberechtigung der
  284. - 15 -
  285. Klägerin ergäbe. Dass das Berufungsgericht hierzu Vortrag des Beklagten
  286. übergangen hätte, macht die Revision ebenfalls nicht geltend.
  287. 25
  288. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
  289. Meier-Beck
  290. Gröning
  291. Hoffmann
  292. Grabinski
  293. Schuster
  294. Vorinstanzen:
  295. LG Magdeburg, Entscheidung vom 02.06.2010 - 36 O 25/10 OLG Naumburg, Entscheidung vom 28.10.2010 - 1 U 52/10 (Hs) -