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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. X ZR 100/99
  4. URTEIL
  5. in dem Rechtsstreit
  6. Verkündet am:
  7. 16. Oktober 2001
  8. Wermes
  9. Justizhauptsekretär
  10. als Urkundsbeamter
  11. der Geschäftsstelle
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. nein
  15. BGHR:
  16. ja
  17. VOB/A § 25 Nr. 3 Abs. 3
  18. Ein öffentlicher Auftraggeber von Bauleistungen macht von seinem ihm durch
  19. § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A eingeräumten Ermessen fehlerhaften Gebrauch, wenn
  20. er einen Bieter gegenüber einem ebenfalls geeigneten und preislich günstigeren anderen Bieter nach dem Prinzip "bekannt und bewährt" bevorzugt.
  21. -2-
  22. BGH, Urt. v. 16. Oktober 2001 - X ZR 100/99 - Thüringer Oberlandesgericht
  23. LG Erfurt
  24. -3-
  25. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2001 durch den Vorsitzenden Richter Rogge, die
  26. Richter Prof. Dr. Jestaedt, Scharen, die Richterin Mühlens und den Richter
  27. Dr. Meier-Beck
  28. für Recht erkannt:
  29. Auf die Revision der Klägerin wird das am 27. April 1999 verkündete Urteil des 8. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts
  30. aufgehoben.
  31. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  32. Von Rechts wegen
  33. Tatbestand:
  34. Die Beklagte schrieb am 3. Januar 1996 für ein Bauvorhaben in B.
  35. verschiedene Bauarbeiten öffentlich aus. Bei dem Bauvorhaben handelte es
  36. -4-
  37. sich um die Errichtung von 21 Wohneinheiten mit ca. 1.200 qm Wohnfläche im
  38. Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. Die Klägerin beteiligte sich an der Ausschreibung. Sie reichte ein Angebot über 1.483.621,20 DM ein und wurde auf
  39. Platz 1 der Bieterliste gesetzt. Gleichwohl erhielt nicht die Klägerin den Zuschlag, sondern die W. U., deren Angebot um 1,18 % teurer war
  40. als das der Klägerin. Dieses Unternehmen hatte bereits ein Jahr zuvor
  41. 21 Wohneinheiten für die Beklagte errichtet.
  42. Die Klägerin verlangt Schadensersatz aus Verschulden bei Vertragsschluß, weil die Beklagte bei ihrer Entscheidung über den Zuschlag die Grundsätze des Auswahlverfahrens nach § 25 VOB/A verletzt habe. Ihren entgangenen Gewinn beziffert sie auf 83.819,63 DM.
  43. Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin Aufhebung des angefochtenen Urteils und Verurteilung der
  44. Beklagten nach Antrag.
  45. Entscheidungsgründe:
  46. Die Revision hat Erfolg.
  47. 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend von der Rechtsprechung des
  48. Bundesgerichtshofs ausgegangen, nach der durch die öffentliche Ausschreibung nach den Regeln der VOB/A und das Angebot der Klägerin zwischen den
  49. Parteien ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zustande gekommen sei,
  50. -5-
  51. das auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründet habe. Zu diesen Sorgfaltspflichten gehört insbesondere die Einhaltung der Vergabevorschriften der
  52. VOB/A, deren schuldhafte Verletzung Schadensersatzansprüche begründen
  53. kann (BGHZ 120 ,120, 281; Sen.Urt. v. 8.9.1998 - X ZR 109/96, NJW 1998,
  54. 3644; Urt. v. 17.2.1999 - X ZR 101/97), NJW 2000, 137; Urt. v. 26.10.1999
  55. - X ZR 30/98, NJW 2000, 661).
  56. Das Berufungsgericht hat die Eignung der Klägerin als Bieterin im Rahmen des § 25 Nr. 1 und 2 VOB/A geprüft und festgestellt, daß die Klägerin in
  57. persönlicher und sachlicher Hinsicht zur Erbringung der ausgeschriebenen
  58. Bauarbeiten geeignet ist und die notwendige Sicherheit zur Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen bietet, insbesondere über die erforderliche Fachkunde, die technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zur Ausführung
  59. des konkreten ausgeschriebenen Bauvorhabens und auch über die erforderliche Zuverlässigkeit verfügt. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts
  60. war das Angebot der Klägerin deshalb in die engere Auswahl für die Erteilung
  61. des Zuschlags zu ziehen.
  62. Weiter hat das Berufungsgericht ausgeführt, nach § 25 Nr. 3 Abs. 3
  63. Satz 2 VOB/A solle der Zuschlag auf dasjenige Angebot aus der engeren Auswahl erfolgen, das unter Berücksichtigung aller technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte als das annehmbarste erscheine. Dabei sei der niedrigste
  64. Preis allein nicht entscheidend (§ 25 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 VOB/A). Vielmehr sei
  65. dem Auftraggeber bei der Bewertung der Angebote und der Entscheidung über
  66. den Zuschlag ein Ermessens- und Beurteilungsspielraum eingeräumt, wobei
  67. dieser einen objektiven und einen subjektiven Gehalt habe. Die objektive Seite
  68. erfordere, daß ein dritter fachkundiger und an der Vergabe selbst nicht interes-
  69. -6-
  70. sierter Bauherr das ausgesuchte Angebot als das geeignetste für das zur Vergabe anstehende Objekt ansehen würde. Subjektiv sei zu berücksichtigen, was
  71. der spezielle Auftraggeber in seiner Lage für seine Ziele und Bestrebungen
  72. richtig erachte. Es könne davon ausgegangen werden, daß das Angebot der
  73. Klägerin in objektiver Hinsicht das annehmbarste sei.
  74. Dies greift die Revision als ihr günstig nicht an. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.
  75. 2. a) Das Berufungsgericht hat sodann einen Schadensersatzanspruch
  76. der Klägerin verneint, weil die Beklagte ihre Sorgfaltspflichten gegenüber der
  77. Klägerin nicht verletzt habe. Im subjektiven Bereich des Beurteilungsspielraums lägen Umstände vor, die eine Vergabe des Auftrages an die W. U.
  78. rechtfertigten.
  79. Die
  80. Beklagte
  81. habe
  82. zugunsten
  83. der
  84. W.
  85. U.
  86. berücksich-
  87. tigen können, daß diese bereits in der Vergangenheit 21 Wohneinheiten für die
  88. Beklagte errichtet habe und die Bauausführung völlig reibungslos und ohne
  89. technische und zeitliche Probleme erfolgt sei. Zwar sage dies nichts darüber
  90. aus, daß die Klägerin nicht in der Lage sei, die ausgeschriebenen Leistungen
  91. zur Zufriedenheit der Beklagten zu erfüllen. Bei völlig gleicher Eignung zweier
  92. Bieter könne jedoch auf das Prinzip "bekannt und bewährt" zurückgegriffen
  93. werden. Das führe unter Berücksichtigung des geringfügigen Preisunterschiedes von lediglich 1,18 % dazu, daß der W. U. der Vorzug habe gegeben werden können.
  94. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
  95. stand.
  96. -7-
  97. b) Die Beklagte hat von ihrem durch § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A eingeräumten Ermessen fehlerhaften Gebrauch gemacht, indem sie der Klägerin
  98. eine Mitbieterin nur deshalb vorzog, weil diese ihr bereits bekannt war und sich
  99. bewährt hatte. Zwar brauchte die Beklagte der Klägerin nicht allein deshalb
  100. den Zuschlag zu erteilen, weil diese das preisgünstigste Angebot abgegeben
  101. hatte. Vielmehr konnte sie in der dritten Stufe des Auswahlverfahrens ihren
  102. Beurteilungsspielraum voll ausschöpfen und bei der Prüfung des annehmbarsten Angebots alle technischen, wirtschaftlichen, gestalterischen und funktionsbedingten Gesichtspunkte berücksichtigen. Zu diesen gehörte aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht die Bevorzugung eines Bieters
  103. nach dem Prinzip "bekannt und bewährt".
  104. Das Kriterium "bekannt und bewährt" enthält eine Aussage über die Zuverlässigkeit der W. U., sagt aber nichts darüber aus, daß die Klägerin nicht in der Lage gewesen wäre, die ausgeschriebenen Leistungen zur
  105. Zufriedenheit der Beklagten zu erfüllen. Das Berufungsgericht hat dies zutreffend
  106. erkannt
  107. und
  108. deshalb
  109. dem Umstand,
  110. daß
  111. die
  112. W.
  113. U.
  114. bereits
  115. 21 Wohneinheiten für die Beklagte zu deren vollen Zufriedenheit errichtet hatte, dem Auswahlkriterium der Zuverlässigkeit zugeordnet. Dieses Merkmal ist
  116. eines von mehreren Kriterien, nach denen die Eignung eines Bieters in der
  117. zweiten Stufe des Auswahlverfahrens gemäß § 25 Nr. 2 Abs. 1 VOB/A zu prüfen ist. Die Zuverlässigkeit der Klägerin für die Ausführung der ausgeschriebenen Bauarbeiten hat das Berufungsgericht tatrichterlich festgestellt. Die Zuverlässigkeit durfte deshalb nicht ein zweites Mal in die spätere Prüfungs- und
  118. Wertungsphase nach § 25 Nr. 3 Abs. 3 Satz 2 VOB/A einfließen. Nach Bejahung der generellen Eignung eines Bieters darf dessen Zuverlässigkeit nicht
  119. als "Mehr an Eignung" als letztlich entscheidendes Kriterium für den Zuschlag
  120. -8-
  121. berücksichtigt werden (Sen.Urt. v. 8.9.1998 - X ZR 109/96, NJW 1998, 3644,
  122. 3645).
  123. c) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob neben dem Preiskriterium weiter Kriterien in der dritten Wertungsstufe berücksichtigt werden durften. Vielmehr hat es bei gleichen Eignungsvoraussetzungen der Klägerin und er W. U. den einzigen Unterschied im Preisangebot
  124. gesehen. Zwar soll nach § 25 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 VOB/A der niedrigste Angebotspreis allein nicht entscheidend sein. Vielmehr können nach Satz 2 auch die
  125. dort genannten Kriterien unter objektiven und subjektiven Gesichtspunkten in
  126. die Auswahl einbezogen werden, die auch einen höheren Preis als das Niedrigst-Angebot rechtfertigen können. Nachdem aber das Berufungsgericht solche rechtfertigenden Kriterien nicht festgestellt hat, verblieb es bei dem Preisvergleich. In einem solchen Fall gewinnt der Preis als Entscheidungskriterium
  127. ausschlaggebende Bedeutung (Sen.Urt. v. 26.10.1999 - X ZR 30/98, NJW
  128. 2000, 661). Bei inhaltlich und qualitativ gleichen Angeboten ist unter den in die
  129. engere Auswahl gekommenen Angeboten stets das Angebot mit dem niedrigsten Preis das annehmbarste. Hier bleibt dem Auftraggeber kein Ermessensund Beurteilungsspielraum (Heiermann/Riedel/Rusam, VOB, 8. Aufl., § 25
  130. VOB/A Rdn. 61).
  131. 3. Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Der
  132. Senat ist nicht in der Lage, selbst abschließend zu entscheiden (§ 565 Abs. 3
  133. ZPO), weil das Berufungsgericht zum Grund und zur Höhe des Schadensersatzanspruchs keine Feststellungen getroffen hat. Die Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die notwendigen Feststellungen nachholen kann.
  134. -9-
  135. Da das Auswahlverfahren der Beklagten nach den bisherigen tatrichterlichen Feststellungen fehlerhaft war und der Zuschlag dem Angebot der Klägerin als dem preisgünstigsten hätte erteilt werden müssen, wird das Berufungsgericht nunmehr zu prüfen haben, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein
  136. Schadensersatzanspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß zusteht. Dabei
  137. wird es zu berücksichtigen haben, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Bieter Ersatz des Schadens verlangen kann, den er infolge
  138. seines - berechtigten - Vertrauens darauf erlitten hat, daß die Ausschreibung
  139. nach den Vorschriften der VOB/A abgewickelt wird (Sen.Urt. v. 8.9.1998
  140. - X ZR 48/97, NJW 1998, 3636; Sen.Urt. v. 12.6.2001 - X ZR 150/99, Betrieb
  141. 2001, 1988). Das beschränkt ihn nicht auf den Ersatz des sogenannten negativen Interesses, d.h. auf den Ausgleich der durch die Teilnahme an der Ausschreibung entstandenen Aufwendungen. Er kann vielmehr gegebenenfalls
  142. auch den infolge der Nichterteilung des Auftrags entgangenen Gewinn verlangen (BGHZ 120, 281, 284), und zwar dann, wenn der Auftrag vergeben wurde
  143. und
  144. bei
  145. rechtmäßiger
  146. - 10 -
  147. Handhabung des Verfahrens der Zuschlag allein ihm hätte erteilt werden können und dürfen (Sen.Urt. v. 8.9.1998 - X ZR 99/96, NJW 1998, 3640; Urt. v.
  148. 17.2.1999 - X ZR 101/97, NJW 2000, 137; Urt. v. 26.10.1999 - X ZR 30/98,
  149. NJW 2000, 661). Dies behauptet die Klägerin. Das Berufungsgericht hat - von
  150. seinem Standpunkt aus folgerichtig - hierzu bislang keine abschließenden
  151. Feststellungen getroffen.
  152. Rogge
  153. Jestaedt
  154. Scharen
  155. Mühlens
  156. Meier-Beck