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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ARZ 223/05
  4. vom
  5. 13. Dezember 2005
  6. in dem Gerichtsstandsbestimmungsverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. BGHZ
  9. :
  10. BGHR
  11. :
  12. ja
  13. nein
  14. ja
  15. ZPO § 281 Abs. 2; InsO § 3 Abs. 1 Satz 1
  16. Das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständige Insolvenzgericht hat die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichts vorgetragenen Umstände zu würdigen und gegebenenfalls von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Erst wenn danach ein Gerichtsstand bei dem nach
  17. § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständigen Gericht nicht eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen. Geschieht dies ohne eine solche Prüfung,
  18. so entbehrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss
  19. deshalb als willkürlich betrachtet werden.
  20. BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2005 - X ARZ 223/05 - OLG Karlsruhe
  21. LG Heidelberg
  22. -2-
  23. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Dezember 2005
  24. durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Keukenschrijver, die
  25. Richterin Mühlens und die Richter Asendorf und Dr. Kirchhoff
  26. beschlossen:
  27. Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Heidelberg bestimmt.
  28. Gründe:
  29. 1
  30. Die Antragstellerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz
  31. in Heidelberg. Für sie wurde mit Wirkung vom 10. Januar 2005 ein neuer Geschäftsführer bestellt, der für die Antragstellerin mit Antrag vom 31. Januar
  32. 2005 - eingegangen beim Amtsgericht Heidelberg am 3. Februar 2005 - Insolvenzantrag gestellt hat und gleichzeitig beantragt hat, das Verfahren an das für
  33. den Wohnsitz des - neuen - Geschäftsführers örtlich zuständige Insolvenzgericht in Berlin zu verweisen. Zur Begründung hat die Antragstellerin ausgeführt,
  34. sie habe den Geschäftsbetrieb eingestellt, das Gewerbe abgemeldet, die Geschäftsräume in Heidelberg aufgegeben und die Geschäftsunterlagen nach
  35. Berlin verbracht, um dort unter Einschaltung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft prüfen zu lassen, ob ein Fortbestand möglich sei und andernfalls die
  36. Abwicklung unter Einschluss eines Insolvenzverfahrens vorzunehmen.
  37. -3-
  38. Das Amtsgericht Heidelberg hat sich mit Beschluss vom 8. Februar 2005
  39. 2
  40. für örtlich unzuständig erklärt und das Insolvenzverfahren an das Amtsgericht
  41. Berlin-Charlottenburg verwiesen.
  42. 3
  43. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hat sich mit Beschluss vom
  44. 15. Februar 2005 für örtlich nicht zuständig erklärt und das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit dem Oberlandesgericht Karlsruhe vorgelegt.
  45. Das Oberlandesgericht Karlsruhe möchte das Amtsgericht Berlin-Charlot-
  46. 4
  47. tenburg als zuständiges Gericht bestimmen. Es sieht sich hieran durch Entscheidungen anderer Gerichte (BayObLG NJW-RR 2004, 986; OLG Celle NZI
  48. 2004, 258, 259; OLG Stuttgart OLGR 2004, 184, 186; OLG Schleswig NZI
  49. 2004, 264) gehindert. Es hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
  50. 5
  51. II. Die Vorlage ist zulässig (§ 36 Abs. 3 ZPO).
  52. 6
  53. Das Oberlandesgericht Karlsruhe würde sich mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung in Widerspruch zu den zitierten Beschlüssen der Oberlandesgerichte Celle, Stuttgart, Schleswig und des Bayerischen Obersten Landesgerichts setzen. Diese haben entschieden, dass ein Verweisungsbeschluss
  54. willkürlich und deshalb nicht bindend sei, weil eine Zuständigkeit am Wohnsitz
  55. des Geschäftsführers der GmbH dann nicht in Betracht komme, wenn die Veräußerung der Geschäftsanteile und die Abberufung des alten sowie die Ernennung des neuen Geschäftsführers in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang
  56. mit der Stellung des Insolvenzantrags stünden und das Verfahren damit das
  57. Gepräge einer "gewerbsmäßigen Firmenbestattung" habe. In solchen Fällen
  58. komme für die Durchführung des Insolvenzverfahrens eine Zuständigkeit des
  59. Insolvenzgerichts, bei dem der neu bestellte Geschäftsführer seinen Sitz habe,
  60. -4-
  61. nicht in Betracht, weil es sich um eine rechtsmissbräuchliche Zuständigkeitserschleichung handele. Das vorlegende Oberlandesgerichte Karlsruhe hält hingegen eine solche Verweisung für jedenfalls nicht willkürlich.
  62. 7
  63. III. Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht Heidelberg.
  64. 8
  65. 1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung eines Gerichtsstands nach
  66. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
  67. 9
  68. Das Amtsgericht Heidelberg hat sich durch einen gemäß § 281 Abs. 2
  69. Satz 2 ZPO unanfechtbaren Beschluss für unzuständig erklärt. Das Amtsgericht
  70. Berlin-Charlottenburg hat im Beschlusswege die Übernahme des Verfahrens
  71. abgelehnt. Das genügt, um zur Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu gelangen (BGHZ 102, 338, 339 f.).
  72. 10
  73. 2. Das Amtsgericht Heidelberg ist für das vorliegende Insolvenzverfahren
  74. zuständig.
  75. 11
  76. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO. Nach dieser
  77. Vorschrift ist örtlich zuständig das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der
  78. Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dies ist das Amtsgericht Heidelberg, weil die Gesellschaft dort ihren Sitz hat, § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
  79. 12
  80. Allerdings sind im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung
  81. von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und
  82. Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Abs. 2
  83. Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht,
  84. an welches verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde
  85. -5-
  86. liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung
  87. (BGHZ 102, 338, 340; Sen.Beschl. v. 22.06.1993 - X ARZ 340/93, NJW 1993,
  88. 2810). Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss
  89. jedoch dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im
  90. Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf
  91. der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen
  92. Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGHZ
  93. 71, 69, 72 f.; Sen.Beschl. v. 09.07.2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498).
  94. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
  95. 13
  96. Das gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständige Amtsgericht Heidelberg
  97. hat sich darüber hinweggesetzt, dass die Verweisung eines Rechtsstreits gemäß § 4 InsO, § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts
  98. voraussetzt. Eine Verweisung kommt nur in Betracht, wenn bei dem Gericht,
  99. bei dem die Sache rechtshängig ist, ein Gerichtsstand nicht eröffnet ist
  100. (Sen.Beschl. v. 10.09.2002 - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634, 3635). Das
  101. Amtsgericht Heidelberg hat seinen Verweisungsbeschluss nicht begründet. Es
  102. hat weder Umstände ermittelt noch dargelegt, die seine Zuständigkeit in Frage
  103. stellen könnten. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Insolvenzgericht von
  104. Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von
  105. Bedeutung sind. Gerade im Hinblick auf die oben unter II dargestellte Rechtsprechung hatte das Amtsgericht Heidelberg Veranlassung, der Frage nachzugehen, ob trotz der Zuständigkeitsregelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO ein Gerichtsstand bei ihm nicht begründet war. Das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständige Insolvenzgericht hat die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit
  106. eines anderen Insolvenzgerichts vorgetragenen Umstände zu würdigen und
  107. gegebenenfalls von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Erst wenn
  108. danach ein Gerichtsstand bei ihm nicht eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen. Geschieht dies ohne eine solche Prüfung, so ent-
  109. -6-
  110. behrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als willkürlich betrachtet werden.
  111. 14
  112. Das Amtsgericht Heidelberg hat demnach den Rechtsstreit nicht wirksam
  113. an das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg verwiesen.
  114. Melullis
  115. Keukenschrijver
  116. Asendorf
  117. Mühlens
  118. Kirchhoff
  119. Vorinstanz:
  120. OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 30.05.2005 - 15 AR 8/05 -