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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 67/08
  5. Verkündet am:
  6. 1. Juli 2008
  7. Holmes
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. GG Art. 5 Abs. 1, 2 Abs. 1; EMRK Art. 8, 10; KunstUrhG §§ 22, 23 Abs. 1 Nr. 1,
  19. Abs. 2
  20. Kann ein Bericht über die Vermietung der Ferienvilla einer Person des öffentlichen Interesses Anlass für sozialkritische Überlegungen der Leser geben,
  21. kann die Bebilderung dieses Berichts mit einem Foto des Eigentümers und seiner Ehefrau auch ohne deren Einwilligung zulässig sein.
  22. BGH, Urteil vom 1. Juli 2008 - VI ZR 67/08 - Hanseatisches OLG Hamburg
  23. LG Hamburg
  24. -2-
  25. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 1. Juli 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
  27. Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
  28. für Recht erkannt:
  29. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des
  30. Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 31. Januar
  31. 2006 wird zurückgewiesen.
  32. Die Klägerin hat die Kosten der Revisionsverfahren zu tragen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Tatbestand:
  35. 1
  36. Die Klägerin ist eine Schwester des regierenden Fürsten von Monaco.
  37. Die Beklagte verlegt die Zeitschrift "7 Tage". In der Ausgabe Nr.13/02 dieser
  38. Zeitschrift vom 20. März 2002 wurde berichtet, dass die Klägerin und ihr Ehemann ihre auf der Insel Lamu/Kenia gelegene Villa vermieten. Der Artikel ist
  39. unter der farblich hervorgehobenen Doppelzeile
  40. "In Prinzessin Carolines Bett schlafen
  41. Kein unerfüllbarer Wunsch!"
  42. überschrieben mit
  43. "Caroline und Ernst August vermieten ihre Traum-Villa".
  44. -3-
  45. 2
  46. Im Text, der um den als Block hervorgehobenen Satz "Auch die Reichen
  47. und Schönen sind sparsam. Viele vermieten ihre Villen an zahlende Gäste"
  48. platziert ist, wird u.a. ausgeführt:
  49. 3
  50. "Längst haben auch die Reichen einen Hang zu ökonomischem Denken
  51. entwickelt. Warum ein Schloss, ein Haus einfach leer stehen lassen, wenn man
  52. selbst nicht anwesend ist? Besser, es an zahlende Gäste zu vermieten. Hollywood-Star Robert Redford, Lord Mountbatten, Cousin von Prinz Charles, Prinzgemahl Henrik von Dänemark tun es und - ja, auch Prinzessin Caroline und ihr
  53. Mann Prinz Ernst August.
  54. 4
  55. Nur einmal im Jahr steuert das Ehepaar die Insel Lamu in Kenia an, ein
  56. Besitz, der seit mehr als zwanzig Jahren dem Welfen-Chef gehört."
  57. 5
  58. Es folgt eine Beschreibung des Anwesens, seiner Lage und seiner Inneneinrichtung. Der Artikel fährt dann fort:
  59. 6
  60. "Allerdings gibt es bei diesem 'privaten Gästehaus' einen 'kleinen' Haken:
  61. Trotz seiner Schlichtheit hat es einen stolzen Preis: Ein Tag in der Villa ... kostet
  62. 1.000 Dollar", wobei das Personal im Preis inbegriffen sei.
  63. 7
  64. Illustriert ist der Bericht u.a. mit der beanstandeten Aufnahme, welche die
  65. Klägerin und ihren Ehemann in Urlaubskleidung auf einer öffentlichen Straße
  66. zusammen mit anderen Menschen zeigt.
  67. 8
  68. Die Klägerin verlangt von der Beklagten, es zu unterlassen, diese Aufnahme erneut zu veröffentlichen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
  69. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen
  70. Revision begehrt die Klägerin, die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Der erkennende Senat hat mit Urteil vom
  71. -4-
  72. 6. März 2007 das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung zurückgewiesen. Auf die Verfassungsbeschwerde der Beklagten hat der Erste Senat des
  73. Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 26. Februar 2008 ausgesprochen, dass das Urteil des Landgerichts und die Entscheidung des erkennenden
  74. Senats die Beklagte in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verletzen,
  75. und unter Aufhebung des Urteils des erkennenden Senats die Sache zur erneuten Entscheidung an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
  76. Entscheidungsgründe:
  77. I.
  78. 9
  79. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht rechtswidrig in das Recht der Klägerin am eigenen Bild eingegriffen. Die Klägerin
  80. müsse als Person des öffentlichen Lebens hinnehmen, dass Aufnahmen, die
  81. sie im Rahmen eines Auftretens in der Öffentlichkeit abbildeten, auch ohne ihre
  82. Einwilligung verbreitet würden. Eine Person des öffentlichen Lebens, die sich
  83. - wie die Klägerin - im Urlaub auf offener Straße aufhalte, müsse mit einer gewissen Aufmerksamkeit rechnen und könne nicht davon ausgehen, von den
  84. Medien unbeobachtet zu bleiben. Dem öffentlichen Informationsinteresse sei
  85. deshalb der Vorrang einzuräumen. Die Bildveröffentlichung sei nicht zu beanstanden.
  86. -5-
  87. II.
  88. 10
  89. Das Berufungsurteil hält nach den Grundsätzen der Entscheidung des
  90. Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2008 (- 1 BvR 1606/07 u.a. - NJW
  91. 2008, 1793 ff.) revisionsrechtlicher Überprüfung im Ergebnis stand. Der Text
  92. des von den Parteien nicht beanstandeten Artikels, den die angegriffene Aufnahme bebildert hat, gestattete die Veröffentlichung des Bildnisses der Klägerin
  93. auch ohne deren Einwilligung.
  94. 11
  95. 1. Allerdings kann der Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe
  96. auch ohne Einwilligung hinzunehmen, dass die streitgegenständliche Aufnahme
  97. verbreitet werde, in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden. Diese Auffassung
  98. wird nicht in jeder Hinsicht dem abgestuften Schutzkonzept gerecht, das die
  99. Rechtsprechung aus §§ 22, 23 KUG entwickelt hat. Der erkennende Senat hat
  100. dieses Schutzkonzept in mehreren neuen Entscheidungen erläutert (vgl. etwa
  101. Urteile vom 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03 - VersR 2005, 84 ff.; vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 - VersR 2006, 274 ff.; vom 6. März 2007 - VI ZR
  102. 51/06 - VersR 2007, 957 ff.; vom 3. Juli 2007 - VI ZR 164/06 - VersR 2007,
  103. 1283 ff.). Verfassungsrechtliche Beanstandungen haben sich insoweit nicht ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. NJW 2008, 1793 ff.).
  104. 12
  105. Nach diesem abgestuften Schutzkonzept dürfen Bildnisse einer Person
  106. grundsätzlich nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet werden (§ 22
  107. KUG); hiervon macht § 23 Abs. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Auch bei Personen, die unter dem Blickwinkel des zeitgeschichtlichen Ereignisses im Sinn des § 23 Abs. 1
  108. Nr. 1 KUG an sich ohne ihre Einwilligung die Verbreitung ihres Bildnisses dulden müssten, ist eine Verbreitung der Abbildung unabhängig davon, ob sie sich
  109. -6-
  110. an Orten der Abgeschiedenheit aufgehalten haben, aber dann nicht zulässig,
  111. wenn hierdurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23
  112. Abs. 2 KUG).
  113. 13
  114. Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der
  115. Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser Begriff darf
  116. nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der
  117. Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Auch durch unterhaltende Beiträge kann Meinungsbildung
  118. stattfinden; solche Beiträge können die Meinungsbildung unter Umständen sogar nachhaltiger anregen und beeinflussen als sachbezogene Informationen
  119. (vgl. Senat, Urteile vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 373/02 - VersR 2004, 522,
  120. 523 - mit Anmerkung v. Gerlach JZ 2004, 625 - und vom 6. März 2007 - VI ZR
  121. 51/06 - aaO S. 957, 958; BVerfG, BVerfGE 101, 361, 389 f.; NJW 2006, 2836,
  122. 2837). Das Informationsinteresse besteht indes nicht schrankenlos. Vielmehr
  123. wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den
  124. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt, so dass eine Berichterstattung
  125. keineswegs immer zulässig ist. Wo konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles entscheiden.
  126. 14
  127. Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört, dass die
  128. Presse in den gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt,
  129. innerhalb dessen sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was
  130. sie des öffentlichen Interesses für wert hält, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse
  131. -7-
  132. ist (Senat, Urteile vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 - aaO, 275; vom
  133. 6. März 2007 - VI ZR 51/06 - aaO, 957 f.; BVerfG, BVerfGE 101, 361, 392; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (künftig: EGMR), Urteil vom
  134. 16. November 2004, Beschwerde-Nr. 53678/00, Karhuvaara und Iltalehti gegen
  135. Finnland, NJW 2006, 591, 592 f., §§ 38 ff.). Der EGMR hat in seinem Urteil vom
  136. 24. Juni 2004 (Beschwerde-Nr. 59320/00, von Hannover gegen Deutschland,
  137. NJW 2004, 2647, 2649 f., §§ 58, 60, 63) die Bedeutung der Pressefreiheit unter
  138. Hinweis auf Art. 10 EMRK hervorgehoben und ausgeführt, dass die Presse in
  139. einer demokratischen Gesellschaft eine wesentliche Rolle spiele und es ihre
  140. Aufgabe sei, Informationen und Ideen zu allen Fragen von Allgemeininteresse
  141. weiterzugeben. Das steht auch mit dem oben dargelegten Begriff der Zeitgeschichte in Einklang.
  142. 15
  143. a) Die Vorschrift des § 23 Abs. 1 KUG nimmt nach Sinn und Zweck der
  144. Regelung und nach der Intention des Gesetzgebers in Ausnahme von dem
  145. Einwilligungserfordernis des § 22 KUG Rücksicht auf das Informationsinteresse
  146. der Allgemeinheit und auf die Pressefreiheit. Die Anwendung des § 23 Abs. 1
  147. KUG erfordert hiernach eine Abwägung zwischen den Rechten der Abgebildeten nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG einerseits und den
  148. Rechten der Presse aus Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 5 Abs. 1 GG andererseits. Die Grundrechte der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und des Schutzes
  149. der Persönlichkeit (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) sind ihrerseits nicht vorbehaltlos
  150. gewährleistet.
  151. 16
  152. Die Pressefreiheit findet ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG in den
  153. allgemeinen Gesetzen. Zu diesen zählen u.a. die §§ 22 f. KUG und auch Art. 8
  154. EMRK. Die in §§ 22 ff. KUG enthaltenen Regelungen sowie die von Art. 10
  155. EMRK verbürgte Äußerungsfreiheit beschränken zugleich als Bestandteile der
  156. verfassungsmäßigen Ordnung gemäß Art. 2 Abs. 1 GG den Persönlichkeits-
  157. -8-
  158. schutz. Die Auslegung und Anwendung solcher Schrankenregelungen und ihre
  159. abwägende Zuordnung zueinander durch die Gerichte hat der interpretationsleitenden Bedeutung der von der Schrankenregelung bestimmten Grundrechtsposition Rechnung zu tragen sowie die entsprechenden Gewährleistungen der
  160. europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen. Hierbei ist zu beachten, dass bei der Bestimmung der Reichweite des durch Art. 8 Abs. 1 EMRK
  161. dem privaten Leben des Einzelnen gewährten Schutzes der situationsbezogene
  162. Umfang der berechtigten Privatheitserwartungen des Einzelnen zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. August 2006 - 1 BvR 2606/04 u.a. NJW 2006, 3406, 3408); auch kann die Gewährleistung des Art. 8 Abs. 1 EMRK
  163. einen Anspruch auf Schutz durch die staatlichen Gerichte vor Veröffentlichung
  164. von Bildnissen des Einzelnen aus seinem Alltagsleben einschließen (vgl.
  165. EGMR, Urteil vom 24. Juni 2004, Beschwerde-Nr. 59320/00, von Hannover gegen Deutschland, §§ 50 ff., aaO, 2648). Über die Reichweite dieses Schutzes
  166. ist im konkreten Fall durch Berücksichtigung der von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG
  167. und Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Äußerungsfreiheit und ihrer in Art. 10
  168. Abs. 2 EMRK geregelten Schranken ebenfalls im Wege der Abwägung zu entscheiden
  169. (vgl.
  170. EGMR,
  171. Beschluss
  172. vom
  173. 14. Juni
  174. 2005,
  175. Beschwerde-
  176. Nr. 14991/02, Minelli gegen Schweiz; Urteil vom 17. Oktober 2006, Beschwerde-Nr. 71678/01, Gourguenidze gegen Georgien, §§ 38 ff.).
  177. 17
  178. Das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit unterliegt der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 1 Halbs. 2 GG. Schranken sind neben den Grundrechten wie Art. 5 Abs. 1 GG insbesondere die Vorschriften über die Veröffentlichung fotografischer Abbildungen von Personen in §§ 22 ff. KUG mit dem erwähnten abgestuften Schutzkonzept, das sowohl dem Schutzbedürfnis der abgebildeten Person wie den von den Medien wahrgenommenen Informationsinteressen der Allgemeinheit Rechnung trägt (vgl. BVerfG, BVerfGE 35, 202,
  179. 224 f.; 101, 361, 387; Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. -
  180. -9-
  181. aaO, 1795). Daneben beschränkt die in Art. 10 EMRK verbürgte Freiheit der
  182. Äußerung und Verbreitung sowie des Empfangs von Meinungen unter Einschluss von Informationen den Schutz der Persönlichkeit. Der Schutz des
  183. Art. 10 Abs. 1 EMRK schließt insbesondere auch die Veröffentlichung von Fotoaufnahmen zur Bebilderung der Medienberichterstattung ein (vgl. BVerfG,
  184. Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO, 1795; EGMR, Urteile vom 14. Dezember 2006, Beschwerde-Nr. 10520/02, Verlagsgruppe News
  185. GmbH gegen Österreich Nr. 2, § 29; vom 24. Juni 2004, Beschwerde-Nr.
  186. 59320/00, von Hannover gegen Deutschland, § 59, aaO, 2649). Über die Zulässigkeit von Beschränkungen dieses Rechts durch Maßnahmen der staatlichen Gerichte zum Schutz des Privatlebens des Abgebildeten ist nach der
  187. Rechtsprechung des EGMR gleichfalls im Wege einer Abwägung mit dem in
  188. Art. 8 EMRK verbürgten Anspruch auf Achtung des Privatlebens zu entscheiden
  189. (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO,
  190. 1795; EGMR, Urteil vom 17. Oktober 2006, Beschwerde-Nr. 71678/01, Gourguenidze gegen Georgien, § 37 f. m.w.N.). Bei der Abwägung mit kollidierenden
  191. Rechtsgütern unter Berücksichtigung der von Art. 5 Abs. 1 GG verbürgten Vermutung für die Zulässigkeit einer Berichterstattung der Presse, die zur Bildung
  192. der öffentlichen Meinung beitragen soll (vgl. BVerfGE 20, 162, 177; Beschluss
  193. vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO, 1796), ist der von Art. 10
  194. Abs. 1 EMRK verbürgten Äußerungsfreiheit ein besonderes Gewicht dort
  195. beizumessen, wo die Berichterstattung der Presse einen Beitrag zu Fragen von
  196. allgemeinem Interesse leistet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008
  197. - 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO, 1796; EGMR, Urteil vom 16. November 2004, Beschwerde-Nr. 53678/00, Karhuvaara und Iltalehti gegen Finnland, § 40; Urteil
  198. vom 1. März 2007, Beschwerde-Nr. 510/04, Tønsbergs Blad u.a. gegen Norwegen, § 82).
  199. - 10 -
  200. Die Garantie der Pressefreiheit dient nicht allein den subjektiven Rechten
  201. 18
  202. der Presse, sondern in gleicher Weise auch dem Schutz des Prozesses öffentlicher Meinungsbildung und damit der Meinungsbildungsfreiheit der Bürger. Äußerungen in der und durch die Presse wollen in der Regel zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen und haben daher zunächst die Vermutung der
  203. Zulässigkeit für sich, auch wenn sie die Rechtssphäre anderer berühren (vgl.
  204. BVerfG, BVerfGE 20, 162, 177; 66, 116, 133; 77, 346, 354). Nach der Rechtsprechung des EGMR besteht nur wenig Spielraum, die Gewährleistung des
  205. Art. 10 Abs. 1 EMRK zurücktreten zu lassen, falls eine Medienberichterstattung
  206. einen Bezug zu einer Sachdebatte von allgemeinem Interesse aufweist (vgl.
  207. EGMR, Urteile vom 22. Oktober 2007, Beschwerde-Nr. 21279/02 u.a., Lindon
  208. u.a.
  209. gegen
  210. Frankreich,
  211. § 45;
  212. vom
  213. 17. Dezember
  214. 2004,
  215. Beschwerde-
  216. Nr. 49017/99, Pedersen und Baadsgaard gegen Dänemark, § 68 f.). Art. 5
  217. Abs. 1 GG gebietet allerdings nicht, generell zu unterstellen, dass mit jeder visuellen Darstellung aus dem Privat- und Alltagsleben prominenter Personen ein
  218. Beitrag zur Meinungsbildung verbunden sei, der es für sich allein rechtfertigte,
  219. die Belange des Persönlichkeitsschutzes zurückzustellen.
  220. 19
  221. b) Nach diesen Grundsätzen wird die Reichweite des Schutzes des
  222. Rechts am eigenen Bild davon beeinflusst, ob eine Information in die breite Öffentlichkeit der Massenmedien überführt wird und damit nicht auf einen engen
  223. Personenkreis begrenzt bleibt. Andererseits wird das Gewicht der das Persönlichkeitsrecht gegebenenfalls beschränkenden Pressefreiheit davon beeinflusst,
  224. ob die Berichterstattung eine Angelegenheit betrifft, welche die Öffentlichkeit
  225. wesentlich berührt (vgl. BVerfG, BVerfGE 7, 198, 212; Beschluss vom 24. Januar 2006 - 1 BvR 2602/05 - NJW 2006, 1865; EGMR, Urteil vom 17. Oktober
  226. 2006, Beschwerde-Nr. 71678/01, Gourguenidze gegen Georgien, § 55). Mit der
  227. Entscheidung, ein Bild einer Person abzudrucken und in den Kontext eines bestimmten Berichts zu rücken, nutzen die Medien ihre grundrechtlich geschützte
  228. - 11 -
  229. Befugnis, selbst zu entscheiden, was sie für berichtenswert halten. Dabei haben
  230. sie jedoch den Persönlichkeitsschutz Betroffener zu berücksichtigen.
  231. 20
  232. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 26. Februar 2008 (- 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO, 1796) dargelegt hat, können prominente Personen der Allgemeinheit Möglichkeiten der Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leitbild- oder Kontrastfunktionen erfüllen. Auch die
  233. Normalität ihres Alltagslebens kann der Meinungsbildung zu Fragen von allgemeinem Interesse dienen (so bereits BVerfGE 101, 361, 391). Das gilt auch für
  234. unterhaltende Beiträge als einen wesentlichen Bestandteil der Medienbetätigung, der durch die Pressefreiheit geschützt wird, zumal der publizistische und
  235. wirtschaftliche Erfolg der Presse auf unterhaltende Inhalte und entsprechende
  236. Abbildungen angewiesen sein kann und die Bedeutung visueller Darstellungen
  237. beträchtlich zugenommen hat. Hiernach gilt die Pressefreiheit auch für unterhaltende Beiträge über das Privat- oder Alltagsleben von Prominenten und ihres
  238. sozialen Umfelds einschließlich ihnen nahestehender Personen. Allerdings bedarf es gerade bei unterhaltenden Inhalten in besonderem Maß der abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen der Betroffenen.
  239. 21
  240. Für die Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die Presse im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtert, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllt und zur
  241. Bildung der öffentlichen Meinung beiträgt oder ob sie lediglich die Neugier der
  242. Leser nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigt (vgl.
  243. BVerfG, BVerfGE 34, 269, 283; 101, 361, 391).
  244. - 12 -
  245. 22
  246. Insoweit hat das BVerfG (Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR
  247. 1606/07 u.a. - aaO, 1796) hervorgehoben, dass das Selbstbestimmungsrecht
  248. der Presse nicht auch die Entscheidung erfasst, wie das Informationsinteresse
  249. zu gewichten ist, sondern diese Gewichtung zum Zweck der Abwägung mit gegenläufigen Interessen der Betroffenen vielmehr im Fall eines Rechtsstreits den
  250. Gerichten obliegt. Diese haben allerdings im Hinblick auf das Zensurverbot des
  251. Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG von einer inhaltlichen Bewertung - etwa als wertvoll
  252. oder wertlos, seriös oder unseriös o.ä. - abzusehen und sind auf die Prüfung
  253. beschränkt, in welchem Ausmaß der Bericht einen Beitrag für die öffentliche
  254. Meinungsbildung erbringen kann.
  255. 23
  256. c) Der Informationswert einer Bildberichterstattung ist, soweit das Bild
  257. nicht schon als solches eine für die öffentliche Meinungsbildung bedeutsame
  258. Aussage enthält, im Kontext der dazugehörenden Wortberichterstattung zu ermitteln. Bilder können Wortberichte ergänzen und dabei der Erweiterung des
  259. Aussagegehalts dienen, etwa die Authentizität des Geschilderten unterstreichen. Auch können beigefügte Bilder der an dem berichteten Geschehen beteiligten Personen die Aufmerksamkeit des Lesers für den Wortbericht wecken
  260. (vgl. Senat, BGHZ 158, 218, 223; Urteil vom 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03 NJW 2005, 594, 595 f.). Beschränkt sich der begleitende Bericht allerdings darauf, lediglich einen Anlass für die Abbildung prominenter Personen zu schaffen,
  261. ohne dass die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung
  262. erkennen lässt (vgl. hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom heutigen
  263. Tag - VI ZR 243/06), ist es nicht angezeigt, dem Veröffentlichungsinteresse den
  264. Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz einzuräumen.
  265. 24
  266. d) Daneben sind bei einer Bildberichterstattung für die Gewichtung der
  267. Belange des Persönlichkeitsschutzes auch der Anlass und die Umstände zu
  268. berücksichtigen, unter denen die Aufnahme entstanden ist, etwa unter Ausnut-
  269. - 13 -
  270. zung von Heimlichkeit oder beharrlicher Nachstellung. Auch ist bedeutsam, in
  271. welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird. Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts wiegt schwerer, wenn die visuelle Darstellung durch Ausbreitung von üblicherweise öffentlicher Erörterung entzogenen Einzelheiten des privaten Lebens thematisch die Privatsphäre berührt oder
  272. wenn der Betroffene nach den Umständen typischer Weise die berechtigte Erwartung haben durfte, nicht in den Medien abgebildet zu werden. Das kann
  273. nicht nur bei einer durch räumliche Privatheit geprägten Situation, sondern außerhalb örtlicher Abgeschiedenheit auch in Momenten der Entspannung oder
  274. des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Berufs
  275. und des Alltags der Fall sein.
  276. 25
  277. 2. a) Diese Grundsätze sind auf die Klägerin anzuwenden, da sie, wie
  278. das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 26. Februar 2008
  279. (- 1 BvR 1606/07 u.a. - aaO, 1800) ausgeführt hat, auch nach der Einschätzung
  280. des EGMR als Person des öffentlichen Interesses anzusehen ist ("personnage
  281. public / public figure" in Abgrenzung zur "personnalité politique / politician" einerseits und "personne ordinaire / ordinary person" andererseits, vgl. EGMR,
  282. Urteile vom 11. Januar 2005, Beschwerde-Nr. 50774/99, Sciacca gegen Italien,
  283. §§ 27 ff.; vom 17. Oktober 2006 - Beschwerde-Nr. 71678/01, Gourguenidze
  284. gegen Georgien, § 55). Diese Einstufung hat nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Folge, dass über eine solche Person in größerem
  285. Umfang berichtet werden darf als über andere Personen, wenn die Information
  286. einen hinreichenden Nachrichtenwert mit Orientierungsfunktion im Hinblick auf
  287. eine die Allgemeinheit interessierende Sachdebatte hat und die Abwägung keine schwerwiegenden Interessen des Betroffenen ergibt, die einer Veröffentlichung entgegenstehen.
  288. - 14 -
  289. 26
  290. b) Für den Streitfall führt das zu folgender Abwägung:
  291. 27
  292. Die beanstandete Aufnahme ist ohne Einwilligung der Klägerin veröffentlicht worden. Die Bildberichterstattung als solche betrifft keine Angelegenheit,
  293. welche die Öffentlichkeit wesentlich berührt (vgl. EGMR, Urteil vom 17. Oktober
  294. 2006 - Beschwerde-Nr. 71678/01, Gourguenidze gegen Georgien, § 55). Die
  295. Aufnahme zeigt nach ihrer Überschrift die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann in der Öffentlichkeit "in Urlaubslaune", ohne dass der Abbildung allein ein
  296. weitergehender Inhalt oder Anhaltspunkte für einen erhöhten Schutzbedarf der
  297. Klägerin zu entnehmen wären. Es ist auch von der Beklagten nicht geltend gemacht oder sonst ersichtlich, dass die Aufnahme, welche nicht über die Abbildung eines Ausschnitts aus der Normalität des Alltagslebens im Urlaub der
  298. prominenten Klägerin hinausgeht, aus sich heraus der Meinungsbildung zu
  299. Fragen von allgemeinem Interesse dienen könnte.
  300. c) Gleichwohl führt der in der beanstandeten Veröffentlichung einer Auf-
  301. 28
  302. nahme der Klägerin "in Urlaubslaune" enthaltene Eingriff der Beklagten in die
  303. Privatsphäre unter den Umständen des Streitfalls nicht dazu, dass das Recht
  304. des beklagten Presseverlags auf Meinungsäußerung und Meinungsbildung zurücktreten müsste.
  305. Die Aufnahme der Klägerin und ihres Ehemannes bebildert eine Wortbe-
  306. 29
  307. richterstattung, welche sich hauptsächlich damit befasst, dass dem Ehemann
  308. eine Ferienvilla in Lamu/Kenia gehört, wie diese gelegen und wie sie ausgestattet ist. Der - von der Klägerin nicht angegriffene - Artikel teilt mit, dass die Villa,
  309. in welcher die Klägerin und ihr Ehemann lediglich einmal im Jahr Urlaub machten, für 1.000 Dollar/Tag gemietet werden könne, Bedienungspersonal inbegriffen.
  310. - 15 -
  311. 30
  312. Neben weiteren Einzelheiten enthält der Bericht den hervorgehobenen
  313. Hinweis, "Auch die Reichen und Schönen sind sparsam. Viele vermieten ihre
  314. Villen an zahlende Gäste". Zusätzlich werden einige Hollywoodstars und Angehörige von Adelshäusern genannt, die "einen Hang zu ökonomischem Denken
  315. entwickelt" hätten und ebenfalls ihre Feriendomizile vermieteten, wenn sie diese
  316. nicht selbst nutzten. Hierdurch werden den Lesern der Zeitschrift Informationen
  317. über veränderte Verhaltensweisen einer kleinen Schicht von reichen Prominenten gegeben, die im Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit stehen und von daher
  318. Leitbild- oder Kontrastfunktionen für große Teile der Bevölkerung haben können. Wie das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 26. Februar 2008
  319. - 1 BvR 1606/07 - aaO, 1800 f.) dargelegt hat, kann die geschilderte Verhaltensweise in einer demokratischen Gesellschaft Anlass zu einer die Allgemeinheit interessierenden Sachdebatte geben und es grundsätzlich auch rechtfertigen, den in dem Beitrag erwähnten prominenten Vermieter des Anwesens und
  320. die Klägerin als seine Ehefrau in einem kontextgerechten Bild darzustellen. Eine solche Bedeutung des Beitrags liegt schon deshalb nahe, weil die entsprechende Stoßrichtung des Berichts mit Fettdruck und durch die zentrale Anordnung der beiden Kernsätze ("Auch die Reichen und Schönen sind sparsam.
  321. Viele vermieten ihre Villen an zahlende Gäste") im Druck besonders herausgestellt und im Fließtext wiederholt wird. Wie das Bundesverfassungsgericht aaO
  322. ausgeführt hat, kann ein derartiger Bericht Anlass für sozialkritische Überlegungen der Leser auch einer solchen Zeitschrift sein und damit eine die Allgemeinheit interessierende Sachdebatte über das ökonomische Denken derjenigen
  323. "Reichen und Schönen" anstoßen, die eine Ferienvilla für 1.000 Dollar/Tag einschließlich Personal vermieten oder mieten können, wobei auch die Möglichkeit
  324. besteht, dass die Leser über den Sinn einer solchen Mitteilung in dieser Zeitschrift nachdenken sowie als mündige Bürger ihr eigenes Konsumverhalten
  325. überdenken. Insoweit reicht bereits die Möglichkeit aus, dass der Beitrag der
  326. - 16 -
  327. Meinungsbildung zu Fragen von allgemeinem Interesse dienen kann (vgl.
  328. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008, aaO; EGMR, Urteile vom 16. November 2004, Beschwerde-Nr. 53678/00, Karhuvaara und Iltalehti gegen Finnland, § 40; vom 1. März 2007, Beschwerde-Nr. 510/04, Tønsbergs Blad u.a.
  329. gegen Norwegen, § 82). Da mithin durch die Wortberichterstattung Anlass für
  330. eine die Allgemeinheit interessierende Sachdebatte geschaffen werden kann,
  331. ist ihre Bebilderung durch die (einzige) Aufnahme der Klägerin nicht zu beanstanden. Diese Abbildung ist für sich genommen nicht beeinträchtigend. Die
  332. Klägerin hat auch nicht geltend gemacht, dass sie etwa heimlich oder in belästigender Weise zustande gekommen sei, und auch keine anderen Gesichtspunkte vorgetragen, die im Rahmen des abgestuften Schutzkonzepts einer
  333. Veröffentlichung entgegenstehen könnten, auch wenn diese ohne ihre Einwilligung erfolgt ist. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 1 BvR 1606/07 u.a. aaO, 1796 f.), auch dann, wenn die Aufnahme aus anderem Anlass entstanden
  334. ist.
  335. - 17 -
  336. Die Revision der Klägerin ist daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1
  337. 31
  338. ZPO zurückzuweisen.
  339. Müller
  340. Greiner
  341. Pauge
  342. Wellner
  343. Stöhr
  344. Vorinstanzen:
  345. LG Hamburg, Entscheidung vom 01.07.2005 - 324 O 869/04 OLG Hamburg, Entscheidung vom 31.01.2006 - 7 U 82/05 -