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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 18/06
  5. Verkündet am:
  6. 23. Januar 2007
  7. Blum,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 249 Gb, § 254 Abs. 1 Dc
  19. Die Frage, ob ein vom Geschädigten beanspruchter Unfallersatztarif aufgrund
  20. unfallspezifischer Kostenfaktoren im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich ist, kann dann offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten
  21. jedenfalls die kostengünstigere Anmietung eines entsprechenden Fahrzeugs
  22. zugemutet werden konnte, weil ihm in der konkreten Situation ein Normaltarif,
  23. der in vollem Umfang seinen Bedürfnissen entsprach, ohne weiteres zugänglich war.
  24. BGH, Urteil vom 23. Januar 2007 - VI ZR 18/06 - LG Bochum
  25. AG Recklinghausen
  26. -2-
  27. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren
  28. mit Schriftsatzfrist bis zum 15. November 2006 durch die Vizepräsidentin
  29. Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter
  30. Pauge und Zoll
  31. für Recht erkannt:
  32. Die Revision gegen das Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Bochum vom 29. November 2005 wird auf Kosten der
  33. Klägerin zurückgewiesen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand:
  36. 1
  37. Die Klägerin macht gegen den beklagten Kraftfahrzeughalter Ansprüche
  38. auf Ersatz restlicher Mietwagenkosten aus einem Verkehrsunfall vom 4. Januar
  39. 2002 geltend, bei dem der Pkw der Klägerin Opel Movano beschädigt wurde.
  40. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte für den entstandenen
  41. Schaden in vollem Umfang eintrittspflichtig ist. Streitig ist lediglich, in welcher
  42. Höhe Mietwagenkosten zu erstatten sind.
  43. 2
  44. Das beschädigte Fahrzeug der Klägerin wurde bei der Firma Autohaus
  45. E. GmbH, zu der die Klägerin geschäftliche Beziehungen unterhält, repariert.
  46. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten erstattete diese Kosten in vollem Umfang. Während der Reparaturzeit mietete die Klägerin bei der Firma E. GmbH
  47. -3-
  48. zunächst einen Opel Movano für 10 Tage und sodann einen Opel Arena für
  49. weitere 8 Tage zu dem dort angebotenen Unfallersatztarif an. Die Firma E.
  50. GmbH bot auch Fahrzeuge zum günstigeren Normaltarif für Selbstzahler an.
  51. 3
  52. Die Mietwagenkosten für die Zeit der Reparatur vom 5. bis einschließlich
  53. 21. März 2002 beliefen sich auf insgesamt 3.428,41 €. Der Haftpflichtversicherer der Beklagten erstattete vorprozessual insoweit einen Betrag von lediglich
  54. 897,24 €. Dem lag der Normaltarif nach der Preisliste Opel-Rent zugrunde, und
  55. zwar für den Opel Movano eine Wochenpauschale von 328,45 € sowie drei Tagespauschalen von je 66,38 € sowie eine Wochenpauschale für den Opel Arena von 307,76 € und eine Tagespauschale in Höhe von 62,07 € (jeweils netto).
  56. Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Erstattung des Differenzbetrages.
  57. 4
  58. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat
  59. der Klägerin auf ihre Berufung einen Betrag von 1.212,94 € zugesprochen und
  60. die weiter gehende Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht
  61. zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag in vollem Umfang weiter.
  62. Entscheidungsgründe:
  63. I.
  64. 5
  65. Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin nur Erstattung
  66. der Kosten für die Anmietung des Ersatzfahrzeuges für eine Dauer von 18 Tagen nach dem Normaltarif der Firma E. GmbH verlangen. Zur Begründung hat
  67. es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe schon nicht hinreichend konkret dargelegt, dass der von ihr in Anspruch genommene Unfallersatztarif der
  68. -4-
  69. Firma E. GmbH erforderlich zur Wiederherstellung gewesen sei. Ausgehend
  70. von der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Unfallersatztarif
  71. sei Anknüpfungspunkt für die Prüfung der Normaltarif, also ein Tarif, der für
  72. Selbstzahler Anwendung finde und daher unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gebildet werde. Eine Erhöhung des sich bei Anknüpfung an einen
  73. Normaltarif ergebenden Betrags sei nur gerechtfertigt, soweit dies unfallbedingt
  74. sei. Dies sei gemäß § 287 ZPO auf Grundlage des Vortrags des Geschädigten
  75. nach Beratung durch einen Sachverständigen zu schätzen. Insoweit sei keine
  76. Beweiserhebung veranlasst, da der Vortrag der Klägerin nicht hinreichend substantiiert sei. Maßgeblich sei allein die spezifische Kalkulation des von dem Geschädigten im Einzelfall in Anspruch genommenen Unfallersatztarifs, weswegen
  77. es eines substantiierten Parteivortrags zu der der Preisbildung zugrunde liegenden Kalkulation des betroffenen Mietwagenunternehmens bedürfe. Trotz eines ausdrücklichen gerichtlichen Hinweises habe die Klägerin keine umfassende konkrete Preiskalkulation der Firma E. GmbH hinsichtlich des Unfallersatztarifs vorgelegt.
  78. 6
  79. Zur Frage, ob ihr kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen
  80. sei, habe die Klägerin nur vorgetragen, nicht nach weiteren Tarifen gefragt zu
  81. haben. Sie habe keine Umstände dargelegt, aus denen sich ergebe, dass ihr
  82. eine Nachfrage jedenfalls bei der Firma E. GmbH selbst nicht zumutbar gewesen wäre. Dies liege nach den konkreten Umständen auch nicht auf der Hand.
  83. Denn die Klägerin, ein Unternehmen, habe das beschädigte Fahrzeug erst zwei
  84. Monate nach dem Unfall reparieren lassen. Nach ihrem eigenen Vortrag habe
  85. sie schon zuvor geschäftliche Kontakte zur Firma E. GmbH gehabt, bei der sie
  86. einige ihrer Firmenfahrzeuge erworben habe, die sie auch dort habe reparieren
  87. lassen. Gerade in dieser Situation habe es nahe gelegen und sei zumutbar gewesen, sich vorab nach den verfügbaren Tarifen zu erkundigen.
  88. -5-
  89. 7
  90. Die von der Firma E. GmbH angebotenen Normaltarife, ausgehend von
  91. einer Tagesmiete, stellten den objektiv erforderlichen Herstellungsaufwand dar.
  92. Es sei der Klägerin insbesondere aufgrund der bestehenden geschäftlichen
  93. Kontakte zur Firma E. GmbH nicht zuzumuten gewesen, das Ersatzfahrzeug
  94. bei einem anderen Unternehmen anzumieten.
  95. II.
  96. 8
  97. Die Revision ist unbegründet.
  98. 9
  99. 1. Rechtlich unzutreffend ist - wie die Revision mit Recht geltend macht allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, die Frage, ob der höhere
  100. Preis nach dem Unfallersatztarif aus betriebswirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt
  101. sei, lasse sich nur dann beantworten, wenn der konkret gewählte Tarif des
  102. Vermieters daraufhin untersucht werde, ob in ihn typische unfallspezifische
  103. Leistungen einflössen, welche die Erhöhungen gegenüber dem Normaltarif
  104. rechtfertigten. Der erkennende Senat hat inzwischen entschieden, es sei nicht
  105. erforderlich, die Kalkulation des konkreten Vermieters nachzuvollziehen, vielmehr habe sich die Prüfung darauf zu beschränken, ob spezifische Leistungen
  106. bei der Vermietung an Unfallgeschädigte allgemein den Mehrpreis rechtfertigten
  107. (vgl. Senatsurteile vom 25. Oktober 2005 - VI ZR 9/05 - VersR 2006, 133; vom
  108. 14. Februar 2006 - VI ZR 32/05 - VersR 2006, 564; vom 14. Februar 2006
  109. - VI ZR 126/05 - VersR 2006, 669 und vom 4. April 2006 - VI ZR 338/04 - VersR
  110. 2006, 853).
  111. 10
  112. Danach überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an die Darlegung der Klägerin, indem es konkrete Angaben zur Kalkulation des Unfallersatztarifs durch die E. GmbH fordert. Dies stellt auch die Revisionserwiderung
  113. -6-
  114. nicht in Abrede. Soweit sie meint, der Vortrag der Klägerin sei insoweit gleichwohl als unzureichend anzusehen, kann dem nach dem jetzigen Verfahrensstand nicht gefolgt werden. Die Revision verweist im Einzelnen darauf, dass die
  115. Klägerin unter Beweisantritt zu den Gründen vorgetragen habe, die nach ihrer
  116. Meinung den Aufschlag auf den Normaltarif rechtfertigen. Dies ist im Ansatz
  117. auch dem angefochtenen Urteil zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag deshalb für unzureichend gehalten, weil konkrete Darlegungen zur
  118. Kalkulation der E. GmbH fehlten. Dazu, ob der Vortrag der Klägerin auch aus
  119. anderen Gründen als unzureichend erscheint, fehlen - insbesondere für eine eigene Würdigung durch den erkennenden Senat - ausreichende Anhaltspunkte.
  120. Ob, wie die Revisionserwiderung geltend macht, die aufgeführten Faktoren keinen über dem Normaltarif liegenden Unfallersatztarif rechtfertigen, ist beim gegenwärtigen Verfahrensstand keine Rechtsfrage, sondern eine Tatfrage.
  121. 11
  122. 2. Dieser Frage musste das Berufungsgericht allerdings unter den Umständen des vorliegenden Falls nicht weiter nachgehen. Die Frage, ob ein vom
  123. Geschädigten beanspruchter Unfallersatztarif aufgrund unfallspezifischer Kostenfaktoren erforderlich ist im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, kann dann
  124. offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten jedenfalls ein günstigerer "Normaltarif" bekannt und in der konkreten Situation ohne weiteres zugänglich war, so dass ihm die kostengünstigere Anmietung eines entsprechenden
  125. Fahrzeugs unter dem Blickwinkel der ihm gemäß § 254 BGB obliegenden
  126. Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (vgl. Senatsurteile vom
  127. 14. Februar 2006 - VI ZR 32/05 - VersR 2006, 564, 565 und vom 4. Juli 2006
  128. - VI ZR 237/05 - VersR 2006, 1425, 1426).
  129. 12
  130. Davon ist hier auszugehen. Das Berufungsgericht führt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des erkennenden Senats aus, die Klägerin habe
  131. den "Unfallersatztarif" nur dann wählen dürfen, wenn ihr unter Berücksichtigung
  132. -7-
  133. ihrer individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für
  134. sie bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in
  135. ihrer Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer Tarif
  136. zugänglich gewesen sei (vgl. dazu Senatsurteile vom 14. Februar 2006 - VI ZR
  137. 32/05 - aaO und vom 4. Juli 2006 - VI ZR 237/05 - aaO, S. 1426, jeweils
  138. m.w.N.). Die Klägerin habe hierzu lediglich vorgetragen, nicht nach weiteren Tarifen gefragt zu haben. Sie habe hier keine Umstände dargelegt, aus denen sich
  139. ergebe, dass ihr eine Nachfrage jedenfalls bei der Firma E. GmbH selbst nicht
  140. zumutbar gewesen wäre. Dies liege nach den konkreten Umständen auch nicht
  141. auf der Hand. Denn die Klägerin, ein Unternehmen, habe das beschädigte
  142. Fahrzeug erst zwei Monate nach dem Unfall reparieren lassen. Nach ihrem eigenen Vortrag habe sie schon zuvor geschäftliche Kontakte zur Firma E. GmbH
  143. gehabt, bei der sie einige ihrer Firmenfahrzeuge erworben habe und die sie
  144. auch dort habe reparieren lassen. Gerade in dieser Situation habe es nahe gelegen und sei zumutbar gewesen, sich vorab nach den verfügbaren Tarifen zu
  145. erkundigen.
  146. 13
  147. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts greift die Revision nicht an.
  148. Insoweit sind auch Rechtsfehler nicht zu erkennen. Unter diesen Umständen
  149. steht aber fest, dass der Klägerin die kostengünstigere Anmietung eines Fahrzeugs möglich war und auch zugemutet werden konnte, weil der Normaltarif in
  150. vollem Umfang ihren Bedürfnissen entsprach. Auf die oben unter 1. erörterte
  151. Frage kommt es danach nicht mehr an.
  152. -8-
  153. Die Revision muss deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zu-
  154. 14
  155. rückgewiesen werden.
  156. Müller
  157. Wellner
  158. Pauge
  159. Diederichsen
  160. Zoll
  161. Vorinstanzen:
  162. AG Recklinghausen, Entscheidung vom 16.12.2004 - 10 C 472/04 LG Bochum, Entscheidung vom 29.11.2005 - 11 S 20/05 -