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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 13/03
  5. Verkündet am:
  6. 11. November 2003
  7. Böhringer-Mangold,
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. BGHR:
  16. ja
  17. BGB §§ 831 Gd, 823 Aa, Ha, 840 Abs. 1 und 2; SGB VII § 106 Abs. 3, 3. Alt.
  18. a) Der nicht selbst auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätige Unternehmer, der neben seinem nach § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII haftungsprivilegierten Verrichtungsgehilfen lediglich nach §§ 831, 823, 840 Abs. 1 BGB als Gesamtschuldner
  19. haftet, ist gegenüber dem Geschädigten nach den Grundsätzen des gestörten
  20. Gesamtschuldverhältnisses von der Haftung für erlittene Personenschäden freigestellt (vgl. § 840 Abs. 2 BGB); ein im Innenverhältnis zwischen dem Verrichtungsgehilfen und dem Geschäftsherrn etwa bestehender arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch bleibt dabei außer Betracht.
  21. b) Die Haftung des nicht auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätigen Unternehmers
  22. bleibt im Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses auf die Fälle beschränkt, in denen ihn nicht nur eine Haftung wegen vermuteten Auswahl- und
  23. -2Überwachungsverschuldens gemäß § 831 BGB, sondern eine eigene "Verantwortlichkeit" zur Schadensverhütung, etwa wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten oder wegen eines Organisationsverschuldens trifft.
  24. BGH, Urteil vom 11. November 2003 - VI ZR 13/03 - OLG Hamm
  25. LG Hagen
  26. -3-
  27. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  28. vom 11. November 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die
  29. Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
  30. für Recht erkannt:
  31. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats
  32. des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. Dezember 2002 aufgehoben.
  33. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  34. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  35. Von Rechts wegen
  36. Tatbestand:
  37. Die Klägerin war als Reinigungskraft bei der Firma W. GmbH angestellt.
  38. Bei dieser Firma handelt es sich um ein Tochterunternehmen der Beklagten,
  39. das beauftragt ist, den in den Krankenhäusern der Beklagten anfallenden Müll
  40. zu entsorgen.
  41. Als die Klägerin am späten Nachmittag des 23. März 1999 auf der Intensivstation eines dieser Krankenhäuser einen Müllsack aus einem Behälter zog,
  42. stach sie sich an einer gebrauchten Injektionsnadel in den rechten Oberschen-
  43. -4-
  44. kel und in den rechten Daumen. Die Nadel befand sich samt Spritze in dem
  45. Müllsack, obwohl sie in einem hierfür vorgesehenen gesonderten Gefäß hätte
  46. gelagert und entsorgt werden müssen.
  47. Im Januar 2000 wurde bei der Klägerin eine Hepatitis-C-Infektion diagnostiziert. Die Klägerin sieht die Ursache dieser Infektion in der Verletzung
  48. vom 23. März 1999 und nimmt die Beklagte auf Ersatz ihres materiellen und
  49. immateriellen Schadens in Anspruch.
  50. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt sowie ihre Pflicht zum Ersatz
  51. materieller und künftiger immaterieller Schäden der Klägerin festgestellt. Mit der
  52. zugelassenen Revision begehrt die Beklagte Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
  53. -5-
  54. Entscheidungsgründe:
  55. I.
  56. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Beklagte zum Ersatz des
  57. der Klägerin entstandenen Schadens verpflichtet.
  58. Die Haftung der Beklagten scheitere nicht an § 104 Abs. 1 SGB VII. Der
  59. Arbeitsunfall der Klägerin sei allein deren Stammbetrieb, der Firma W. GmbH,
  60. zuzurechnen, nicht aber der Beklagten. Zwar handele es sich bei der W. um ein
  61. Tochterunternehmen der Beklagten, das in deren Konzernabschluß einbezogen
  62. sei, auch gehörten der Aufsichtsratsvorsitzende der Beklagten, deren Geschäftsführer und deren Prokurist dem Aufsichtsrat der W. GmbH an, so daß
  63. die Beklagte maßgeblichen Einfluß auf Geschäftsführung und Leitung der W.
  64. GmbH habe. Doch sei nach der Definition des § 136 Abs. 3 SGB VII als Unternehmer im Sinne des § 104 Abs. 1 SGB VII derjenige anzusehen, dem das Ergebnis des Unternehmens unmittelbar zu Vor- oder Nachteil gereiche. Ausschlaggebend sei daher die Rechtsform, in der das Unternehmen betrieben
  65. werde. Da keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß die W. GmbH das Geschäftsrisiko des Reinigungsunternehmens nicht selbst trage, könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin nicht für die W. GmbH, sondern für
  66. die Beklagte tätig geworden sei.
  67. Auch nach §§ 105, 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII sei die Haftung der Beklagten nicht ausgeschlossen, da die Haftungsprivilegierung wegen betrieblicher Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte jedenfalls nicht zugunsten
  68. eines auf der gemeinsamen Betriebsstätte nicht selbst tätig gewordenen Unternehmers greife. Da die Beklagte nicht selbst tätig geworden sei, fehle es an
  69. dieser Voraussetzung der Haftungsprivilegierung.
  70. -6-
  71. Schließlich sei die Haftung auch nicht nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses ausgeschlossen. Danach beschränkten sich
  72. in Fällen, in denen wie hier einer der Gesamtschuldner haftungsprivilegiert sei,
  73. der andere jedoch nicht, die Ansprüche der geschädigten Person gegen den
  74. nicht haftungsprivilegierten Gesamtschuldner auf das, was im Innenverhältnis
  75. der Gesamtschuldner auf diesen endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nicht gestört wäre. Dem Mitarbeiter der Beklagten, bei dem davon ausgegangen werden müsse, daß ihm nur leichteste Fahrlässigkeit zur Last gelegt
  76. werden könne, stehe ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch gegen die
  77. Beklagte zu. Da dieser der Regelung in § 840 Abs. 2 BGB vorgehe, habe die
  78. Beklagte im Innenverhältnis den Schaden insgesamt zu tragen, so daß die Klägerin von ihr Ersatz in vollem Umfang verlangen könne.
  79. II.
  80. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
  81. 1. Entgegen der Auffassung der Revision ist das Berufungsgericht allerdings mit Recht davon ausgegangen, daß kein Haftungsausschluß zugunsten
  82. der Beklagten nach § 104 Abs. 1 SGB VII eingreift. Haftungsprivilegiert als
  83. "Unternehmer" im Sinne des § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII ist hier nicht die Beklagte als "Mutterunternehmen" sondern die Reinigungsfirma W. GmbH selbst,
  84. bei der die Klägerin beschäftigt ist.
  85. a) Nach § 104 SGB VII entfällt grundsätzlich die Haftung des Unternehmers für einen Personenschaden, den ein in seinem Unternehmen tätiger Unfallversicherter durch einen Arbeitsunfall erlitten hat. "Unternehmer" ist nach der
  86. -7-
  87. Legaldefinition des § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII derjenige, dem das Ergebnis
  88. des Unternehmens "unmittelbar" zum Vor- oder Nachteil gereicht. Wer dies im
  89. Einzelfall ist, ist nach dem Gesamtbild unter Berücksichtigung der besonderen
  90. Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu entscheiden (Brackmann, Handbuch der
  91. Sozialversicherung Band 3/2, Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII -, § 136
  92. SGB VII Rdn. 17 m.w.N.; Hauck/Graeff, § 136 Rdn. 20-23; KK/Ricke, § 136
  93. Rdn. 24 ff.; Mehrtens, § 136 Rdn. 8; Lauterbach/Watermann, § 136 Rdn. 21 ff.;
  94. Wannagat, Sozialgesetzbuch, § 136 SGB VII Rdn. 18-21). Dabei kommt der
  95. Rechtsform ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. Senatsurteil vom 4. Oktober
  96. 1988 - VI ZR 7/88 - VersR 1988, 1276; BSGE 23, 83, 85 f.; 45, 279, 281; KKRicke, aaO, Rdn. 30a).
  97. Im Streitfall ist die Firma W., eine GmbH, gegenüber der Beklagten, bei
  98. der es sich ebenfalls um eine GmbH handelt, als juristische Person ein rechtlich
  99. selbständiger Unternehmer. An dieser rechtlichen Ausgestaltung muß sich die
  100. Beklagte für die Beurteilung ihrer Teilhabe an dem "Unternehmen W." auch in
  101. Bezug auf den Beurteilungsrahmen des § 104 Abs. 1 SGB VII festhalten lassen.
  102. Daran vermag weder die wirtschaftliche Verflechtung beider Unternehmen als
  103. Mutter- und Tochterunternehmen noch der Umstand etwas zu ändern, daß im
  104. Aufsichtsrat der Firma W. GmbH der Aufsichtsratsvorsitzende, der Geschäftsführer und der Prokurist der Beklagten tätig sind. Denn entgegen der Auffassung der Revision führen weder die teilweise Personenidentität noch die damit
  105. verbundenen Einflußmöglichkeiten der Beklagten auf ihr Tochterunternehmen
  106. dazu, daß die W. lediglich als "eine - wenn auch juristisch verselbständigte Abteilung des Krankenhausunternehmens" zu betrachten wäre.
  107. b) Entgegen der Auffassung der Revision ist der vorliegende Fall auch
  108. nicht mit demjenigen vergleichbar, welcher dem Senatsurteil vom 26. November
  109. 2002 - VI ZR 449/01 - (VersR 2003, 348) zugrunde lag. Dort ging es nicht um
  110. -8-
  111. die Haftungsprivilegierung der Gemeinde nach § 104 SGB VII als (gemeinsamer) Träger der Schule und der Skipiste, auf der sich der Unfall eines Schülers
  112. beim Sportunterricht ereignet hatte. Vielmehr ging es um die Haftungsprivilegierung des beklagten Leiters der gemeindlichen Sportstättenverwaltung nach
  113. § 106 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 105 Abs. 1 SGB VII als im Rahmen der Vorbereitung
  114. und Durchführung des Sportunterrichts in den Schulbetrieb eingegliederter Betriebsangehöriger des "Unternehmens Schule". Soweit der Senat zuvor die Revision des verletzten Schülers (VI ZR 338/98) gegen das seine Klage auf Ersatz
  115. seines Personenschadens gegen die Gemeinde abweisende Urteil des OLG
  116. Dresden (NJW-RR 1999, 902) nicht zur Entscheidung angenommen hatte, so
  117. beruhte dies darauf, daß die Gemeinde als Träger der Schule (vgl. § 136 Abs. 3
  118. Nr. 3 SGB VII) und zugleich der Sportstätte haftungsprivilegierter Unternehmer
  119. im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII war. Davon unterscheidet sich maßgeblich der vorliegende Fall, in welchem die Klägerin den Unfall im Rahmen
  120. ihrer Tätigkeit für die mit der Beklagten als Unternehmer im Sinne des § 136
  121. Abs. 3 Nr. 1 SGB VII nicht identische Firma W. GmbH erlitten hat.
  122. 2. Das Berufungsgericht ist weiter mit Recht und von der Revision unbeanstandet davon ausgegangen, daß die Beklagte auch nicht nach § 106 Abs. 3
  123. 3. Alternative SGB VII haftungsprivilegiert ist. Denn die Haftungsfreistellung
  124. nach dieser Norm könnte - falls es sich um eine gemeinsame Betriebsstätte
  125. gehandelt haben sollte - nur zugunsten des Mitarbeiters der Beklagten wirken,
  126. der die Spritze vorschriftswidrig in den Müllsack getan hat, nicht jedoch für die
  127. Beklagte, die nicht selbst auf der Betriebsstätte tätig war (vgl. Senatsurteile
  128. BGHZ 148, 209, 212; 148, 214, 217; Urteil vom 24. Juni 2003 - VI ZR 434/01 ZIP 2003, 1604, 1606).
  129. 3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist jedoch - wie die
  130. Revision mit Recht geltend macht - eine Haftung der Beklagten aus §§ 831, 823
  131. -9-
  132. BGB auf Ersatz des der Klägerin entstandenen Personenschadens nach den
  133. Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs ausgeschlossen.
  134. a) Danach können in den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen
  135. einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der
  136. auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht
  137. durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile BGHZ 61, 51, 55; 94, 173,
  138. 176; vom 17. Februar 1987 - VI ZR 81/61 - NJW 1987, 2669, 2670; und vom
  139. 24. Juni 2003 - VI ZR 434/01 - ZIP 2003, 1604, 1606). Die Beschränkung der
  140. Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, daß einerseits
  141. die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten durch eine gesetzliche Unfallversicherung, nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden alleine tragen
  142. zu lassen (vgl. grundlegend Senatsurteil BGHZ 61, 51, 53 ff.). Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat der Senat den Zweitschädiger "in Höhe des
  143. Verantwortungsteils" freigestellt, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis
  144. entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinwegdenkt (vgl. BGHZ 61,
  145. 51, 53 f.; Urteil vom 24. Juni 2003 - VI ZR 434/01 - aaO). Dabei ist unter "Verantwortungsteil" die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der
  146. eigene Anteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen (Senatsurteile BGHZ 110, 114, 119 und vom 24. Juni 2003
  147. - VI ZR 434/01 - aaO).
  148. - 10 -
  149. b) Denkt man das Haftungsprivileg des § 106 Abs. 3, 3. Alternative
  150. SGB VII hinweg, so würde die Beklagte nach §§ 831, 823, 840 Abs. 1 BGB als
  151. Gesamtschuldner aus vermutetem Auswahl- oder Überwachungsverschulden
  152. für ihren Mitarbeiter und Verrichtungsgehilfen haften, der die gebrauchte Spritze, an der sich die Klägerin verletzt hat, vorschriftswidrig in den Müllsack getan
  153. hat. Ist neben demjenigen, welcher nach § 831 BGB zum Ersatz des von einem
  154. anderen verursachten Schadens verpflichtet ist, auch der andere für den Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander nach § 840 Abs. 2
  155. BGB der andere allein verpflichtet. Insoweit ist "ein anderes bestimmt" im Sinne
  156. des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dies beruht auf dem Grundgedanken, daß in den
  157. Fällen, in denen auf der einen Seite nur eine Gefährdungshaftung oder eine
  158. Haftung aus vermutetem Verschulden, auf der anderen Seite jedoch erwiesenes Verschulden vorliegt, im Innenverhältnis derjenige den ganzen Schaden
  159. tragen soll, der nachweislich schuldhaft gehandelt hat (vgl. OLG Schleswig
  160. NJW-RR 90, 470; Müko/Stein, BGB, 3. Aufl. § 840 Rdn. 25; Palandt/Thomas,
  161. BGB, 62. Aufl. § 840 Rdn. 10). Demgemäß entspricht es der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats, daß derjenige, der seinerseits eine Pflicht
  162. verletzt hat, im Innenausgleich sich nicht mit Erfolg darauf berufen kann, in der
  163. Erfüllung eben dieser Pflicht nicht genügend überwacht worden zu sein (vgl.
  164. Senatsurteil BGHZ 110, 114, 122 m.w.N.). Hätte mithin der Erstschädiger im
  165. Innenverhältnis zur Beklagten die Verantwortung für die Schadensentstehung
  166. ohne die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3, 3. Alternative SGB VII alleine
  167. zu tragen, so wäre es nicht gerechtfertigt, die Beklagte als Zweitschädiger im
  168. Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses gleichwohl für den Personenschaden der Klägerin (endgültig) haften zu lassen.
  169. c) An diesem Ergebnis ändert sich - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - nichts durch einen etwa bestehenden arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch des Erstschädigers gegen die Beklagte.
  170. - 11 -
  171. Die Frage, ob bei der Bestimmung des Haftungsanteils des Unternehmers abweichend von der Regelung des § 840 Abs. 2 BGB der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch Berücksichtigung zu finden hat, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten (bejahend: OLG Oldenburg, r+s 2002, 65; Lemkke, r+s 1999, 376, 377; 2000, 23, 24 und 2001, 371; Otto, NZV 2002, 10, 15 f.;
  172. verneinend: OLG München NZV 2003, 472 mit zustimmender Anmerkung Tischendorf; Imbusch, VersR 2001, 1485; Tischendorf, VersR 2002, 1188). Sie ist
  173. unter Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte zu verneinen.
  174. Der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch ist ein Rechtsinstitut des Arbeitsrechts, das den Arbeitnehmer aus Gründen der sozialen Fürsorgepflicht
  175. seines Arbeitgebers von den wirtschaftlichen Folgen einer - für ihn unter Umständen ruinösen - Haftung für bereits leicht fahrlässig begangene Fehler entlastet, die er im Zusammenhang mit den Risiken seines Arbeitsverhältnisses begeht (vgl. BGHZ 16, 111, 116; 200, 207; BAGE 5, 1, 7). Dieser soziale Bezug
  176. zum Arbeitsverhältnis kommt insbesondere dadurch zum Ausdruck, daß der
  177. Arbeitnehmer im Verhältnis zum Arbeitgeber nur abgestuft nach seinem Verschuldensgrad haftet: bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er nicht, bei Vorsatz
  178. oder grober Fahrlässigkeit haftet er grundsätzlich allein und bei normaler Fahrlässigkeit haftet er quotenmäßig, wobei die Gesamtumstände von Schadensanlaß und Schadensfolgen nach Billigkeitsgrundsätzen und Zumutbarkeitsgesichtspunkten gegeneinander abzuwägen sind. Zu den Umständen, die den
  179. innerbetrieblichen Schadensausgleich und mithin auch den arbeitsrechtlichen
  180. Freistellungsanspruch determinieren und denen je nach Lage des Einzelfalls
  181. ein unterschiedliches Gewicht beizumessen ist, gehören neben dem Grad des
  182. dem Arbeitnehmer anzulastenden Verschuldens die Gefahrgeneigtheit der Arbeit, die Höhe des Schadens, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes oder durch
  183. eine Versicherung abdeckbares Risiko, die Stellung des Arbeitsnehmers im
  184. Betrieb und die Höhe des Arbeitsentgelts, in dem möglicherweise eine Risiko-
  185. - 12 -
  186. prämie enthalten ist. Auch können unter Umständen die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers, wie etwa die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein
  187. Lebensalter, seine Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten zu berücksichtigen sein (vgl. BAGE 5, 1, 7 sowie BAG VersR 1998, 895, 896).
  188. Diese Besonderheiten des innerbetrieblichen Schadensausgleichs gelten
  189. grundsätzlich jedoch nur im Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie beschränken weder Haftpflichtansprüche von außerhalb des Betriebes stehenden Dritten (st.Rspr.: vgl. etwa BGH VersR 1989, 1197, 1198;
  190. 1990, 387, 388; 1994, 477, 478; BAG VersR 1958, 54, 55) noch können sie
  191. umgekehrt bei einer Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers im Rahmen des
  192. gestörten Gesamtschuldverhältnisses die haftungsrechtliche "Verantwortlichkeit" des Arbeitgebers im Verhältnis zum geschädigten außenstehenden Dritten
  193. erweitern. Denn die Verteilung des Risikos im Verhältnis zwischen Arbeitgeber
  194. und Arbeitnehmer bzw. die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gehen den Geschädigten grundsätzlich nichts an (so bereits Gamillscheg, VersR 1967, 513,
  195. 516).
  196. Im übrigen hat der Senat bereits entschieden, daß beim gestörten Gesamtschuldverhältnis vertragliche Regelungen zur Haftungsfreistellung zwischen Erst- und Zweitschädiger grundsätzlich nur berücksichtigt werden, wenn
  197. die Haftungsfreistellung nicht nur die wirtschaftlichen Folgen der Haftung, sondern zugleich auch die Zuständigkeit zur Schadensverhütung umfaßt; ansonsten entfalten sie keine Außenwirkung (vgl. BGHZ 110, 114, 119 f. und Senatsurteil vom 17. Februar 1987 - VI ZR 81/86 -; NJW 1987, 2669). Dies betraf zwar
  198. Fälle, in denen es um eine vertragliche Haftungsfreistellung des Zweitschädigers im Verhältnis zum haftungsprivilegierten Erstschädiger ging, die sich im
  199. Rahmen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs für einen Anspruch des
  200. Geschädigten gegen den Zweitschädiger nachteilig auswirken konnte. Ob dies
  201. - 13 -
  202. auch umgekehrt in den Fällen gilt, in denen der Zweitschädiger den Erstschädiger vertraglich von den Haftungsfolgen freistellt und sich hieraus ein Argument
  203. für die rechtliche Beurteilung des arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs im
  204. Rahmen des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs gewinnen läßt (so OLG
  205. München NZV 2003, 472; Imbusch, aaO), kann letztlich dahinstehen, da sich
  206. die Nichtberücksichtung des arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruchs im
  207. Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses bereits aus dessen oben
  208. dargelegter Rechtsnatur ergibt.
  209. Soweit in der Literatur (vgl. Imbusch, aaO) schließlich vertreten wird, aus
  210. den Urteilen des Bundesgerichtshofs, nach denen ein Haftungsfreistellungsanspruch des Arbeitnehmers bei Bestehen einer zu seinen Gunsten eingreifenden
  211. (Kfz-) Pflichtversicherung entfällt (vgl. Senatsurteile BGHZ 27, 62; 116, 200 sowie BGH, Urteil vom 8. Dezember 1971 - IV ZR 102/70 - VersR 1972, 166), lasse sich ein "übergreifendes Prinzip" ableiten, daß er eines solchen Schutzes
  212. auch beim Eingreifen des Haftungsprivileges der §§ 105, 106 SGB VII nicht bedarf, kann auch dies letztlich offenbleiben, da der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch bereits aus den oben genannten Gründen außer Betracht bleiben muß.
  213. Zudem würde seine Berücksichtigung im Außenverhältnis beim gestörten
  214. Gesamtschuldverhältnis zu dem widersinnigen Ergebnis führen, daß der Geschädigte in den Fällen, in welchen dem haftungsprivilegierten Erstschädiger
  215. leichtere oder mittlere Fahrlässigkeit zur Last fiele, gegen den Arbeitgeber weitergehende Schadensersatzansprüche geltend machen könnte als in den zumeist auch in ihren Folgen für den Verletzten schwereren Fällen grober oder
  216. gröbster Fahrlässigkeit. Da in letzteren ein Freistellungsanspruch grundsätzlich
  217. nicht besteht, griffe im Gegensatz zu den leichteren Fällen nach wie vor der
  218. Einwand des Arbeitgebers aus dem gestörten Gesamtschuldverhältnis durch
  219. - 14 -
  220. und der Verletzte ginge leer aus - ein schwerlich zu rechtfertigendes Ergebnis
  221. (so zutreffend Tischendorf, VersR 2002, 1188, 1192). Insoweit könnte es auch
  222. dem Betriebsfrieden schaden, wenn der haftungsprivilegierte Erstschädiger als
  223. Zeuge im Prozeß des Geschädigten gegen seinen Arbeitgeber in den Konflikt
  224. geraten würde, einerseits im Interesse einer Haftungsreduzierung seines Arbeitgebers sein eigenes Verhalten im Lichte eines möglichst hohen Verschuldensgrades darzustellen, andererseits aber Gefahr liefe, bei grober Fahrlässigkeit vom Sozialversicherungsträger nach § 110 SGB VII in Regreß genommen
  225. zu werden (vgl. Otto, NZV 2002, 10, 16).
  226. Schließlich würden im Außenverhältnis gleichgelagerte Fälle ohne sachlichen Grund ungleich behandelt. Haftungsprivilegierte Personen im Sinne der
  227. §§ 106 Abs. 3, 3. Alternative, 105 Abs. 1 SGB VII können sowohl Betriebsangehörige als auch Nicht - Betriebsangehörige sein (vgl. amtliche Begründung:
  228. BT-Drs. 13/2204 S. 100). Stünde der haftungsprivilegierte Verrichtungsgehilfe,
  229. der bei einer betrieblichen Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte den
  230. Versicherten eines anderen dort tätigen Unternehmens verletzt, nicht in einem
  231. Arbeitsverhältnis zu dem nach § 831 BGB haftenden Unternehmer, hätte der
  232. Geschädigte jedenfalls gegen diesen nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses im Hinblick auf § 840 Abs. 2 BGB keinen Anspruch auf
  233. Ersatz seines Personenschadens, weil insoweit ein arbeitsrechtlicher Freistellungsanspruch zu Gunsten des Erstschädigers nicht in Betracht käme. Dann
  234. aber besteht kein sachlich gerechtfertigter Grund, den Arbeitgeber im Rahmen
  235. des gestörten Gesamtschuldverhältnisses abweichend von der gesetzlichen
  236. Wertung der Verantwortlichkeit im Verhältnis zum Verrichtungsgehilfen nur
  237. deshalb haften zu lassen, weil im Innenverhältnis zwischen diesem und ihm ein
  238. Arbeitsverhältnis besteht.
  239. - 15 -
  240. 4. Nach alledem kann der arbeitsrechtliche Freistellungsanspruch im
  241. Rahmen der wertenden Betrachtungsweise des gestörten Gesamtschuldverhältnisses keine Rolle spielen. Hierdurch wird die Rechtsprechung des Senats,
  242. daß nur der auf der gemeinsamen Betriebsstätte tätige Unternehmer nach
  243. § 106 Abs. 3, 3. Alternative SGB VII haftungsprivilegiert ist, nicht in Frage gestellt. Vielmehr bleibt die Haftung des nicht auf der gemeinsamen Betriebsstätte
  244. tätigen Unternehmers im Rahmen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses
  245. regelmäßig in den Fällen erhalten, in denen ihn nicht nur eine Haftung wegen
  246. vermuteten Auswahl- und Überwachungsverschuldens gemäß § 831 BGB,
  247. sondern eine eigene "Verantwortlichkeit" zur Schadensverhütung, etwa wegen
  248. der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten oder wegen eines Organisationsverschuldens trifft (vgl. auch Otto, NZV 2002, 10, 16; Imbusch, aaO,
  249. S. 1488). Das Berufungsgericht wird Gelegenheit haben, diesem Punkt, den es
  250. - von seinem Standpunkt aus konsequenterweise - nicht in seine Überlegungen
  251. miteinbezogen hat, im Rahmen der neuen Verhandlung nachzugehen. Gegebenenfalls wird es auch Feststellungen dazu zu treffen haben, ob es sich tatsächlich um eine gemeinsame Betriebsstätte im Sinne der Senatsrechtsprechung gehandelt hat.
  252. Müller
  253. Greiner
  254. Pauge
  255. Wellner
  256. Stöhr