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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. Versäumnisurteil
  4. V ZR 184/14
  5. Verkündet am:
  6. 23. Januar 2015
  7. Langendörfer-Kunz
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 1004 Abs. 1, 1020 Satz 1
  19. Ob der Eigentümer des mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Geh- und Fahrtrechts belasteten Grundstücks von dem Dienstbarkeitsberechtigten das Verschließen
  20. eines auf dem Weg angebrachten Tores für die Zeit zwischen 22 Uhr und 7 Uhr beanspruchen kann, lässt sich nicht generell, sondern nur unter umfassender Abwägung der beiderseitigen Interessen aufgrund einer Würdigung der Umstände des
  21. Einzelfalls bestimmen.
  22. BGH, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2015 - V ZR 184/14 - OLG Karlsruhe
  23. LG Heidelberg
  24. -2-
  25. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 23. Januar 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die
  27. Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richter Dr. Czub, Dr. Kazele und
  28. Dr. Göbel
  29. für Recht erkannt:
  30. Auf die Revision des Beklagten zu 2 wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 25. Juli 2014 im
  31. Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als seine Widerklage gegen die Drittwiderbeklagten zu 4 bis 6 gerichtet auf das Abschließen des Gittertors in der Zeit von 22 Uhr bis 7 Uhr abgewiesen
  32. worden ist.
  33. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  34. und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
  35. an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  36. Von Rechts wegen
  37. Tatbestand:
  38. 1
  39. Der Beklagte zu 2 (im Folgenden: Widerkläger) ist Miteigentümer eines
  40. Grundstücks, das seit 2003 zugunsten des jeweiligen Eigentümers des dahinter
  41. liegenden, von den Drittwiderbeklagten zu 4 bis 6 (im Folgenden: Widerbeklag-
  42. -3-
  43. te) bewohnten Grundstücks mit einer Grunddienstbarkeit in Form eines Gehund Fahrtrechts belastet ist.
  44. 2
  45. Der zu dem hinteren Grundstück führende Weg kann nur nach Öffnen
  46. eines von dem Widerkläger 2011 auf seinem Grundstück errichteten Metallgittertors benutzt werden. Das Torschloss lässt sich nur mechanisch bedienen.
  47. Eine Klingel für das hintere Grundstück befindet sich an dem Tor nicht.
  48. 3
  49. Der Widerkläger verlangt von den Widerbeklagten - soweit hier von Interesse -, das Tor in der Zeit von 22 Uhr bis 7 Uhr nach dem Durchgang, der
  50. Durchfahrt oder der sonstigen Öffnung durch sie abzuschließen. Das Landgericht hat die Widerbeklagten entsprechend verurteilt, das Oberlandesgericht hat
  51. die Widerklage abgewiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen
  52. Revision erstrebt der Widerkläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen
  53. Urteils.
  54. Entscheidungsgründe:
  55. I.
  56. 4
  57. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in ZfIR
  58. 2014, 805 veröffentlicht ist, meint, die Widerbeklagten seien zwar zum Schließen des Tors nach jeder Durchfahrt bzw. jedem Durchgang verpflichtet, nicht
  59. aber zum Abschließen des Tors in der Zeit von 22 Uhr bis 7 Uhr. Insoweit
  60. überwiege ihr Interesse an einem möglichst ungehinderten Zugang zu ihrer
  61. Wohnung das Sicherungsinteresse des Widerklägers. Durch das Abschließen
  62. des Tors zur Nachtzeit würde die Erreichbarkeit des hinteren Grundstücks insbesondere für Rettungsdienste wie Notarzt und Feuerwehr in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt. Ob anders zu entscheiden wäre, wenn sich am Tor
  63. eine Klingelanlage befände und die Möglichkeit bestünde, das Tor von der
  64. -4-
  65. Wohnung der Widerbeklagten aus zu entriegeln, könne offen bleiben, da solche
  66. technischen Anlagen nicht vorhanden seien.
  67. II.
  68. 5
  69. 1. Über die Revision des Widerklägers ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht das Urteil jedoch nicht auf der Säumnis, sondern auf
  70. einer Sachprüfung (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR 110/60, BGHZ
  71. 37, 79, 82).
  72. 6
  73. 2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
  74. 7
  75. a) Zutreffend geht es allerdings davon aus, dass der Widerkläger der Sache nach einen Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB in
  76. Verbindung mit § 1020 Satz 1 BGB geltend macht, wozu er als Miteigentümer
  77. gemäß § 1011 BGB befugt ist. Es macht inhaltlich keinen Unterschied, ob den
  78. Widerbeklagten - positiv - aufgegeben wird, in der Zeit zwischen 22 Uhr und
  79. 7 Uhr
  80. das
  81. Tor
  82. nach
  83. dem
  84. Öffnen
  85. abzuschließen
  86. oder
  87. ob
  88. sie
  89. es
  90. - negativ - zu unterlassen haben, in der fraglichen Zeit das Tor zu öffnen, ohne
  91. es abzuschließen. Der von dem Widerkläger angestrebten, gemäß § 890 Abs. 1
  92. ZPO zu vollstreckenden Unterlassungsverurteilung kommen sie nach, wenn sie
  93. entweder das Tor während der genannten Zeit gar nicht öffnen oder es aber
  94. nach dem Öffnen abschließen.
  95. 8
  96. b) Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht aber die Voraussetzungen eines solchen Unterlassungsanspruchs.
  97. 9
  98. aa) Gemäß § 1020 Satz 1 BGB hat der Berechtigte bei der Ausübung einer Grunddienstbarkeit das Interesse des Eigentümers des belasteten Grundstücks tunlichst zu schonen. Verstößt er gegen diese Pflicht, stellt dies eine Ei-
  99. -5-
  100. gentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB dar (vgl. Senat, Urteil vom 19. September 2008 – V ZR 164/07, NJW 2008, 3703, 3704). Entsprechendes gilt für die Personen, die wie die Widerbeklagten ihr Besitzrecht von
  101. dem Dienstbarkeitsberechtigten ableiten (Senat, Urteil vom 21. Mai 1971
  102. - V ZR 8/69, WM 1971, 960, 962).
  103. 10
  104. bb) Bei der Prüfung, ob eine Dienstbarkeit schonend ausgeübt wird, sind
  105. das Interesse des Grundstückseigentümers an der ungehinderten Nutzung seines Grundstücks und das Interesse des Begünstigen an der sachgemäßen
  106. Ausübung seines Rechts gegeneinander abzuwägen (Senat, Urteil vom 6. Februar 2004 - V ZR 196/03, NotBZ 2004, 307, 310 mwN). Das Ergebnis hängt
  107. von den Umständen des Einzelfalls ab (RGRK/Rothe, BGB, 12. Aufl., § 1020
  108. Rn. 3); hierzu zählen auch individuelle, in der Person des Dienstbarkeitsberechtigten bzw. des Dienstbarkeitsverpflichteten begründete Gegebenheiten.
  109. 11
  110. cc) Die Abwägung ist daher eine Frage der tatrichterlichen Würdigung
  111. und revisionsrechtlich nur darauf überprüfbar, ob der Tatrichter wesentliche
  112. Umstände übersehen oder nicht vollständig gewürdigt, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verletzt oder von der Revision gerügte Verfahrensfehler begangen hat (vgl. zur Kündigung aus wichtigem Grund BGH, Urteil vom 1. Dezember 1993 - VIII ZR 129/92, NJW 1994, 443, 444; BGH, Urteil vom
  113. 25. März 1993 - X ZR 17/92, NJW 1993, 1972, 1973). Ein solcher Fehler liegt
  114. hier aber vor. Das Berufungsgericht hat wesentliche Abwägungsgesichtspunkte
  115. nicht berücksichtigt.
  116. 12
  117. (1) Es hat dem Interesse der Widerbeklagten im Kern allein deshalb den
  118. Vorrang gegenüber dem - nicht näher spezifizierten - Interesse des Widerklägers an der Sicherung seines Grundstücks eingeräumt, weil durch das Abschließen des Tors zur Nachtzeit die Erreichbarkeit des hinteren Grundstücks
  119. -6-
  120. insbesondere für Rettungsdienste wie Notarzt und Feuerwehr in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt werde. Zur Notwendigkeit eines solchen Einsatzes könne es nach allgemeiner Lebenserfahrung jederzeit und unabhängig von
  121. statistischen Wahrscheinlichkeiten kommen. Mit dieser abstrakten und pauschalen Überlegung wird das Berufungsgericht dem Erfordernis einer konkreten Gewichtung und Abwägung der beiderseitigen Interessen des Dienstbarkeitsberechtigten und des Dienstbarkeitsverpflichteten nicht gerecht. Anstelle
  122. von generalisierenden Überlegungen ist eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise notwendig. Deshalb überzeugt auch die in der älteren Rechtsprechung (vgl. RG Recht 1908, Nr. 2184; OLG Darmstadt, Seuffert´s Archiv Bd.
  123. 63, S. 110, 111; BayObLGZ 23, 115, 120; im Ausgangspunkt auch OLG Frankfurt, NJW-RR 1986, 763) vertretene Ansicht, wonach grundsätzlich - gerade
  124. umgekehrt - dem Interesse des Eigentümers des belasteten Grundstücks an
  125. einem Abschließen des Tors zur Nachtzeit der Vorrang einzuräumen sei, nicht.
  126. Auch dies lässt zu wenig Raum für die Würdigung der Umstände des jeweiligen
  127. Einzelfalles.
  128. 13
  129. (2) Unter Berücksichtigung dieses rechtlichen Ausgangspunktes sind die
  130. Feststellungen des Berufungsgerichts zu dem - grundsätzlich bejahten - Interesse des Widerklägers, das er an einem Abschließen des Gittertores zur
  131. Nachtzeit hat, unzureichend. Mit welchem Gewicht dieses Interesse in die Abwägung mit einzustellen ist, hängt zunächst davon ab, wie hoch das Risiko eines unbefugten Betretens des Grundstücks durch Dritte in der Zeit zwischen
  132. 22 Uhr und 7 Uhr ist (vgl. hierzu auch Grziwotz, Anmerkung zur Entscheidung
  133. des Berufungsgerichts in ZfIR 2014, 809, 810). Wenn es etwa auf seinem
  134. Grundstück oder jedenfalls im räumlichen Umfeld bereits zu entsprechenden
  135. Vorkommnissen, insbesondere zu Einbrüchen, gekommen ist, ist sein Sicherungsinteresse höher zu bewerten, als wenn es um die stets gegebene, allge-
  136. -7-
  137. meine Gefahr von Einbrüchen geht. Hierzu verhält sich das Berufungsurteil
  138. nicht.
  139. 14
  140. Von Bedeutung sind auch die örtlichen Verhältnisse und die Ausgestaltung des Tores. Ist beispielsweise das Wohnhaus des Widerklägers bereits
  141. anderweitig durch einen Zaun oder Ähnliches gesichert, verliert die mit einem
  142. Abschließen des Tores verbundene zusätzliche Sicherung an Bedeutung. Entsprechendes gilt für den Fall, dass das Tor durch einen Unbefugten ohne größere Schwierigkeiten überwunden werden kann, so dass ein Abschließen die
  143. Sicherheit für den Widerkläger nicht entscheidend erhöht.
  144. 15
  145. (3) In gleicher Weise setzt auch die Feststellung der Interessen der Widerbeklagten daran, das Tor während der Nachtzeit nicht zu verschließen, eine
  146. konkrete Betrachtungsweise voraus. Ihrem Interesse an einer schnellen Erreichbarkeit des Grundstückes durch Rettungskräfte - hierauf stellt das Berufungsgericht in generalisierender Weise maßgeblich ab -, kommt im Rahmen
  147. der Abwägung eine besondere Bedeutung zu, wenn in der Person der Widerbeklagten Gründe - beispielsweise eine Erkrankung - vorliegen, die einen Rettungseinsatz wahrscheinlich machen.
  148. 16
  149. In die Abwägung miteinzubeziehen sind auch die Beschwerlichkeiten,
  150. die für die Widerbeklagten entstehen, wenn sie in der fraglichen Zeit zwischen
  151. 22 Uhr und 7 Uhr Besucher empfangen möchten. Da das Tor verschlossen ist,
  152. bedarf es einer vorherigen Absprache zwischen ihnen und den Besuchern, um
  153. den Zugang zu ermöglichen. Der Umfang der hiermit verbundenen Beeinträchtigungen und ihr Gewicht im Rahmen der Abwägung hängen entscheidend davon ab, wie häufig es zu solchen Besuchen während der Nachtzeit kommt. Das
  154. Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen, vielmehr ausdrück-
  155. -8-
  156. lich offen gelassen, ob das Abschließen des Tores zu einer relevanten Beeinträchtigung der Nutzung des Durchgangsweges für Besucher führt.
  157. 17
  158. Demgegenüber kommt dem Aufwand, der für die Widerbeklagten mit
  159. dem Abschließen des Tores als solchem verbunden ist, im Rahmen der Abwägung keine eigenständige Bedeutung zu, weil zwischen den Parteien rechtskräftig fest steht, dass die Widerbeklagten verpflichtet sind, das Tor nach jeder
  160. Durchfahrt oder jedem Durchgang zu schließen. Das zusätzliche Abschließen
  161. verursacht nur einen geringfügigen Mehraufwand, wie die Revision zu Recht
  162. anmerkt.
  163. III.
  164. 18
  165. Das Berufungsurteil ist wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers im Umfang der Anfechtung aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), damit die notwenigen weiteren Feststellungen getroffen werden können. Den Parteien ist zuvor
  166. Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.
  167. Rechtsmittelbelehrung:
  168. Gegen das hiermit zugestellte Versäumnisurteil des Bundesgerichtshofs kann die
  169. säumige Partei binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab Zustellung beim Bundesgerichtshof E i n s p r u c h einlegen. Der Einspruch muss von einem beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt durch Einreichung einer Einspruchsschrift eingelegt werden.
  170. Die Einspruchsschrift muss enthalten:
  171. 1. die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird;
  172. 2. die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde.
  173. Soll das Urteil nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu
  174. bezeichnen.
  175. -9-
  176. In der Einspruchsschrift sind die Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie Rügen, die die
  177. Zulässigkeit der Klage betreffen, vorzubringen. Auf Antrag kann der Vorsitzende des
  178. erkennenden Senats die Frist für die Begründung verlängern.
  179. Bei Versäumung der Frist für die Begründung ist damit zu rechnen, dass das nachträgliche Vorbringen nicht mehr zugelassen wird.
  180. Im Einzelnen wird auf die Verfahrensvorschriften in § 78, § 296 Abs. 1, 3, 4, § 338,
  181. § 339 und § 340 ZPO verwiesen.
  182. Stresemann
  183. Schmidt-Räntsch
  184. Kazele
  185. Czub
  186. Göbel
  187. Vorinstanzen:
  188. LG Heidelberg, Entscheidung vom 12.11.2013 - 2 O 180/12 OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 25.07.2014 - 12 U 155/13 -