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183 lines
8.1 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IXa ZB 185/03
  4. vom
  5. 27. Februar 2004
  6. in dem Zwangsversteigerungsverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZVG §§ 74a, 85a
  14. Der Vollstreckungsschuldner kann gegen den Beschluß über die Festsetzung des Grundstückswertes sofortige Beschwerde einlegen. Diese kann
  15. grundsätzlich auch mit dem Ziel einer Herabsetzung des Verkehrswertes
  16. erfolgen, wenn daran im Einzelfall ein Rechtsschutzinteresse besteht.
  17. BGH, Beschluß vom 27. Februar 2004 - IXa ZB 185/03 - LG Tübingen
  18. AG Reutlingen
  19. -2-
  20. Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft, die Richter Raebel, Athing, Dr. Boetticher und
  21. die Richterin Dr. Kessal-Wulf
  22. am 27. Februar 2004
  23. beschlossen:
  24. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 14. März 2003
  25. wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.
  26. Wert: bis 19.000 €
  27. Gründe:
  28. I. Die Beteiligte zu 4) betreibt als Gläubigerin einer in Abteilung III
  29. Nr. 6
  30. eingetragenen
  31. Sicherungshypothek
  32. über
  33. 4.141,11 DM
  34. (= 2.117,36 €) die Zwangsvollstreckung in den vorbezeichneten Grundbesitz, dessen Eigentümerin die Schuldnerin ist. Es bestehen vorrangige
  35. Belastungen in Höhe von insgesamt 1.250.000 DM (= 639.114,85 €). Das
  36. Amtsgericht hat den Verkehrswert des zu versteigernden Grundstücks
  37. nach Einholung eines Sachverständigengutachtens auf 639.000 € festgesetzt. Dagegen hat die Schuldnerin Beschwerde eingelegt. Sie erstrebt
  38. eine Herabsetzung des Wertes um 50.000 € und macht geltend, der
  39. Gläubigerin müsse deutlich gemacht werden, daß sie mit einem Erlös zu
  40. ihren Gunsten nicht ernsthaft zu rechnen habe. Der von der Gutachterin
  41. -3-
  42. angenommene Wert sei zudem zu hoch und entspreche nicht den derzeitigen Verhältnissen auf dem Grundstücksmarkt.
  43. Das Landgericht hat die Beschwerde als unzulässig verworfen.
  44. Dagegen wendet sich die Schuldnerin mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.
  45. II. Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen
  46. Erfolg.
  47. 1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts fehlt es an einer Beschwer der Schuldnerin. Die Festsetzung des Verkehrswertes diene vor
  48. allem dazu, eine Verschleuderung des Grundstücks im ersten Termin zu
  49. verhindern. Eine zu hohe Wertfestsetzung habe zur Folge, daß auch das
  50. Mindestgebot, dem der Zuschlag erteilt werden könne, entsprechend höher liegen müsse. Daher sei kein schützenswertes Interesse des Eigentümers und Vollstreckungsschuldners an einer Herabsetzung des Verkehrswertes zu erkennen. Allein der Umstand, daß sich die letztlich zu
  51. Lasten der Schuldnerin gehenden Verfahrenskosten aus dem festgesetzten Verkehrswert berechneten, genüge dafür nicht. Das gleiche gelte für
  52. die Motivation der Schuldnerin, dem betreibenden Gläubiger die Aussichtslosigkeit seines Vorgehens deutlich zu machen.
  53. Die Rechtsbeschwerde hält dem entgegen, liege der Bestimmung
  54. der 7/10-Grenze des § 74a Abs. 1 Satz 1 ZVG ein zu hoher Wert
  55. zugrunde, könne dies zum Nachteil des Schuldners wirken. Werde die
  56. -4-
  57. Grenze bei den Geboten nicht erreicht, komme es zu einem weiteren
  58. Versteigerungstermin, bei der die Regelung des § 85a Abs. 1 ZVG nicht
  59. mehr zu beachten sei. Allgemein könne eine überhöhte Wertfestsetzung
  60. Bietinteressenten abschrecken, die sich sonst an einer Ersteigerung des
  61. Grundbesitzes beteiligt hätten.
  62. 2. Der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist nur im Ausgangspunkt zu folgen.
  63. a) Es besteht Einigkeit, daß jeder gemäß § 9 ZVG am Zwangsversteigerungsverfahren Beteiligte jedenfalls dann zur Beschwerde nach
  64. § 74a Abs. 5 Satz 3 ZVG berechtigt ist, wenn seine rechtlichen Interessen durch die Wertfestsetzung berührt werden (LG Augsburg Rpfleger
  65. 2000, 559; LG Frankfurt Rpfleger 1974, 324; LG Göttingen Rpfleger
  66. 1973, 105; Mohrbutter/Drischler/Radtke/Tiedemann, Die Zwangsversteigerungs- und Zwangsverwaltungspraxis 7. Aufl. S. 123; Stöber, ZVG
  67. 17. Aufl.
  68. § 74a
  69. Rdn. 9.2;
  70. 12. Aufl.
  71. § 74a
  72. Rdn. 35;
  73. Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/Muth,
  74. Steiner/Storz,
  75. Zwangsversteigerung
  76. ZVG
  77. und
  78. Zwangsverwaltung 9. Aufl. § 74a ZVG Rdn. 15; Böttcher, ZVG 3. Aufl.
  79. § 74a Rdn. 41; Knees, Immobiliarzwangsvollstreckung 4. Aufl. S. 68;
  80. Schiffhauer, Rpfleger 1973, 81). Die geltend gemachten Interessen können sowohl mit einer Heraufsetzung oder auch - wie hier – mit einer Herabsetzung des Verkehrswertes verbunden sein (Stöber, aaO Rdn. 9.2;
  81. Steiner/Storz, aaO; Böttcher, aaO; Müller/Dassler/Schiffhauer/Gerhardt/
  82. Muth, aaO; LG Augsburg aaO; anders LG Göttingen aaO; LG Köln aaO).
  83. In diesem Zusammenhang ist eine Abgrenzung zwischen rechtlichen und
  84. wirtschaftlichen Interessen der Schuldnerin von vornherein entbehrlich.
  85. Die Zwangsvollstreckung dient der Befriedigung des titulierten Anspruchs
  86. -5-
  87. des Gläubigers und zugleich der Befreiung des Schuldners von Verbindlichkeiten in entsprechender Höhe. Jedes rechtliche Interesse ist notwendig mit einem wirtschaftlichen verbunden; umgekehrt berührt jedes
  88. wirtschaftliche Interesse zugleich Rechte der am Verfahren Beteiligten
  89. (so richtig Schiffhauer, RPfleger 1973, 81). Eine Trennung zwischen
  90. rechtlichen und wirtschaftlichen Zwecken wäre dem Wesen des Zwangsversteigerungsverfahrens daher fremd.
  91. b) Auch der Schuldner kann ein Interesse an der sachgerechten
  92. Bewertung seines Grundstücks und der Feststellung des richtigen Verkehrswertes haben. Er muß sich insbesondere nicht darauf verweisen
  93. lassen, seinen schützenswerten Belangen werde nur durch eine Heraufsetzung, nicht aber durch eine Herabsetzung des Verkehrswertes Rechnung getragen. Das verkennt, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend
  94. verweist, daß ihm daran gelegen sein kann, es nicht zu einem zweiten
  95. Versteigerungstermin kommen zu lassen. Schon deshalb liegt es auch in
  96. seinem Interesse, daß der festgesetzte Verkehrswert den tatsächlichen
  97. Gegebenheiten Rechnung trägt. Denn dieser ist Ausgangspunkt für die
  98. Ermittlung des Meistgebotes nach § 74a Abs. 1 ZVG bzw. nach § 85a
  99. Abs. 1 ZVG. Wird der Zuschlag versagt, weil die Gebote auf Grundlage
  100. eines zu hoch festgesetzten Verkehrswertes weder sieben Zehnteile
  101. (§ 74a Abs. 1 ZVG) noch die Hälfte (§ 85a Abs. 1 ZVG) des Grundstückswertes erreichen, kommt es zu einem neuen Versteigerungstermin. In diesem darf der Zuschlag nicht mehr aus den Gründen des § 74a
  102. Abs. 1 ZVG oder des § 85a Abs. 1 ZVG versagt werden (§ 74a Abs. 4,
  103. § 85a Abs. 2 ZVG). Der Schuldner hätte dann – entgegen der Annahme
  104. des Beschwerdegerichts - erst recht eine Verschleuderung seines
  105. Grundbesitzes zu befürchten, der er nur unter den engen Voraussetzun-
  106. -6-
  107. gen des § 765a Abs. 1 ZPO begegnen könnte. Es darf ihm daher nicht
  108. verwehrt werden, von Anfang an - gegebenenfalls über das Rechtsmittel
  109. der sofortigen Beschwerde - auf die Ermittlung des richtigen Verkehrswertes und damit auf eine angemessene Verwertung des Grundstückes
  110. hinzuwirken.
  111. Diese Gefahr erscheint jedoch nach den Umständen des vorliegenden Falles ausgeschlossen, weil Vorbelastungen bestehen, die den
  112. festgesetzten Verkehrswert überschreiten. Bei der Versteigerung werden
  113. daher nur solche Gebote zugelassen, durch welche die dem Anspruch
  114. des Gläubigers vorgehenden Rechte sowie die aus dem Versteigerungserlös zu entnehmenden Kosten des Verfahrens gedeckt sind (geringstes
  115. Gebot). Werden keine nach § 44 Abs. 1 ZVG wirksamen Gebote abgegeben, wird das Verfahren eingestellt oder - bleibt die Versteigerung in
  116. einem zweiten Termin erneut ergebnislos - aufgehoben (§ 77 ZVG).
  117. Abweichendes hat die Schuldnerin nicht vorgetragen. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, ob der Beitritt eines bevorrechtigten Gläubigers - und damit eine entsprechende Verringerung des geringsten Gebotes - zu erwarten steht. Davon abgesehen, könnte die von der Schuldnerin angestrebte Herabsetzung des Verkehrswertes für diesen Fall zu
  118. Nachteilen im Rahmen des § 114a ZVG führen. Denn ein zur Befriedigung Berechtigter, der das Grundstück selbst ersteigert, gilt bei Abgabe
  119. -7-
  120. eines niedrigen Gebots insoweit als befriedigt, als sein Anspruch bei einem Gebot in Höhe von sieben Zehnteilen des bindend festgesetzten
  121. Grundstückswertes gedeckt sein würde (vgl. BGHZ 99, 110, 118 f.; 117,
  122. 8, 18).
  123. Kreft
  124. Raebel
  125. Boetticher
  126. Athing
  127. Kessal-Wulf