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9.1 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZR 2/18
  4. vom
  5. 1. März 2018
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO § 239 Abs. 1, § 246 Abs. 1, § 78 Abs. 4; BRAO § 53
  14. Verstirbt ein sich in einem Rechtsstreit selbst vertretender Rechtsanwalt, tritt eine
  15. Unterbrechung des Verfahrens auch dann ein, wenn für ihn ein allgemeiner Vertreter
  16. bestellt war, dessen Vertretungsbefugnis mit dem Tod des Rechtsanwalts endet.
  17. BGH, Beschluss vom 1. März 2018 - IX ZR 2/18 - OLG Celle
  18. LG Hannover
  19. ECLI:DE:BGH:2018:010318BIXZR2.18.0
  20. -2-
  21. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  22. Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Prof. Dr. Pape, Grupp und die
  23. Richterin Möhring
  24. am 1. März 2018
  25. beschlossen:
  26. Das Verfahren ist wegen Todes des Klägers unterbrochen (§ 239
  27. Abs. 1 ZPO).
  28. Gründe:
  29. I.
  30. 1
  31. Der klagende Rechtsanwalt nimmt die Beklagten auf Zahlung von Anwaltsvergütung in Anspruch. Im Wege der Widerklage verlangen die Beklagten
  32. von dem Kläger Schadensersatz wegen einer vermeintlichen anwaltlichen
  33. Fehlberatung. Das Berufungsgericht hat durch Urteil vom 29. Juni 2017, das
  34. dem Kläger am 5. Juli 2017 zugestellt worden ist, der Klage teilweise stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.
  35. 2
  36. Die Rechtsanwaltskammer Braunschweig hat durch Bescheid vom
  37. 22. Mai 2017 Assessor
  38. B.
  39. für den Zeitraum vom 1. Juni bis
  40. einschließlich 31. Juli 2017 als Vertreter für den Kläger in seinen Geschäften
  41. als Rechtsanwalt bestellt. Der Kläger ist am 11. Juli 2017 verstorben; Erben
  42. sind nicht bekannt. Durch Bescheid vom 18. Juli 2017 hat die Rechtsanwaltskammer Braunschweig Rechtsanwalt
  43. J.
  44. für die Zeit bis zum
  45. -3-
  46. 18. Oktober 2017 zum Abwickler der Kanzlei des Klägers ernannt. Die Anordnung ist durch Bescheid vom 16. Oktober 2017 bis zum 31. März 2018 verlängert worden.
  47. 3
  48. Der Senat hat den Beklagten durch Beschluss vom 14. Dezember 2017
  49. Prozesskostenhilfe zur Durchführung einer Nichtzulassungsbeschwerde gewährt, soweit ihr Widerklagebegehren abgewiesen worden ist. Die Beklagten,
  50. denen der Senatsbeschluss am 22. Dezember 2017 zugestellt worden ist, haben am 3. Januar 2018 verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in
  51. den vorigen Stand Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.
  52. II.
  53. 4
  54. Der Rechtsstreit ist durch den Tod des Klägers am 11. Juli 2017 unterbrochen worden, weil er zu diesem Zeitpunkt nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten war (§ 239 Abs. 1, § 246 Abs. 1 ZPO). Bei dieser Sachlage kann nicht über das Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten entschieden
  55. werden.
  56. 5
  57. 1. Im Falle des Todes einer Partei tritt gemäß § 239 Abs. 1 ZPO eine
  58. Unterbrechung des Verfahrens bis zur Aufnahme durch den Rechtsnachfolger
  59. ein. Dies gilt gemäß § 246 Abs. 1 ZPO nicht, wenn eine Vertretung durch einen
  60. Prozessbevollmächtigten stattfand.
  61. 6
  62. 2. Im Streitfall ist der Kläger verstorben. Eine Unterbrechung des Verfahrens ist eingetreten, weil es an einer Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten fehlt.
  63. -4-
  64. 7
  65. a) Der Kläger durfte sich als zugelassener Rechtsanwalt in vorliegendem
  66. Rechtsstreit mit den Beklagten selbst vertreten (§ 78 Abs. 4 ZPO). Verstirbt ein
  67. klagender Rechtsanwalt, der sich selbst vertreten hat, wird das Verfahren entsprechend der Regel des § 239 Abs. 1 ZPO grundsätzlich unterbrochen. Die
  68. Bestimmung des § 246 Abs. 1 ZPO, wonach bei Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten der Tod der Partei nur auf Antrag zu einer Aussetzung
  69. führt, beruht auf der Erwägung, dass die Prozessvollmacht gemäß § 86 ZPO
  70. über den Tod des Mandanten hinaus fort gilt. Mangels Personenverschiedenheit von Mandant und Prozessbevollmächtigtem ist § 246 Abs. 1 ZPO im Fall
  71. des Versterbens eines sich selbst vertretenden Rechtsanwalts nicht einschlägig. Vielmehr gewinnt die Regelung des § 244 Abs. 1 ZPO Vorrang, wonach der
  72. Tod des Prozessbevollmächtigten das Verfahren unterbricht (BGH, Beschluss
  73. vom 29. März 1990 - III ZB 39/89, BGHZ 111, 104, 107; RG JW 1913, 876, 877;
  74. KG, NJW-RR 2008, 142, 143; Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., § 246 Rn. 2a;
  75. MünchKomm-ZPO/Stackmann, 5. Aufl., § 246 Rn. 8; Stein/Jonas/Roth, ZPO,
  76. 23. Aufl., § 246 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 4. Aufl., § 246 Rn. 3;
  77. Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 14. Aufl., § 246 Rn. 2; Thomas/Putzo/Hüßtege,
  78. ZPO, 38. Aufl., § 246 Rn. 3; Prütting/Gehrlein/Anders, ZPO, 9. Aufl., § 246
  79. Rn. 5).
  80. 8
  81. b) Ausnahmsweise kommt es beim Tode eines sich selbst vertretenden
  82. Rechtsanwalts gemäß § 246 Abs. 1 ZPO nicht zu einer Unterbrechung des Verfahrens, wenn der Rechtsanwalt durch eine andere Person weiterhin wirksam
  83. vertreten wird (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 1976 - IX ZR 28/73, BGHZ 66,
  84. 59, 61). Dies ist etwa beim Versterben des Mitglieds einer Rechtsanwaltssozietät anzunehmen, dessen verfahrensmäßigen Belange durch die weiteren vertretungsberechtigten Sozien wahrgenommen werden (BAG, NJW 1972, 1388 f).
  85. -5-
  86. Gleiches wurde in der Vergangenheit angenommen, wenn für den Anwalt noch
  87. zu Lebzeiten ein allgemeiner Vertreter - wie im Streitfall Assessor B.
  88. - bestellt worden war, dem gemäß § 53 Abs. 7 BRAO die vollen anwaltlichen Befugnisse des Rechtsanwalts zustehen, den er vertritt. Hier sollte eine
  89. Verfahrensunterbrechung nicht stattfinden, weil der Vertreter auch noch nach
  90. dem Tod des Anwalts bis zu dessen Löschung in der Liste der Rechtsanwälte
  91. gemäß § 54 BRAO aF zur Vertretung berechtigt war (BGH, Urteil vom 27. Juni
  92. 1973 - VIII ZR 220/72, BGHZ 61, 84 ff; Beschluss vom 10. November 1981
  93. - VIII ZR 315/80, NJW 1982, 2324 f; vom 29. März 1990, aaO; KG, aaO S. 143).
  94. Verbreitet wird auch nach Wegfall des § 54 BRAO aF angenommen, dass eine
  95. Unterbrechung des Verfahrens nicht erfolgt, wenn ein allgemeiner Vertreter bestellt ist (Zöller/Althammer, aaO § 78 Rn. 37; Zöller/Greger, aaO § 246 Rn. 2a;
  96. Thomas/Putzo/Hüßtege, aaO; Prütting/Gehrlein/Anders, aaO § 244 Rn. 5,
  97. § 246 Rn. 5).
  98. 9
  99. c) Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden, weil nach Streichung des § 54 BRAO aF die Befugnisse eines allgemeinen Vertreters mit dem
  100. Tod des vertretenen Anwalts erlöschen und darum § 246 Abs. 1 ZPO nicht eingreift.
  101. 10
  102. aa) Tatsächlich endet die allgemeine Vertreterstellung in Anwendung von
  103. § 53 BRAO mit Ablauf eines etwaigen Bestellungszeitraums, mit Widerruf der
  104. Bestellung sowie mit dem Tod sowie mit dem Verlust der Postulationsbefugnis
  105. des vertretenen Anwalts (Prütting in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 53
  106. Rn. 34; Feuerich/Weyland/Schwärzer, BRAO, 9. Aufl., § 53 Rn. 35b; Stein/
  107. Jonas/Jacoby, ZPO, 23. Aufl., § 86 Rn. 7; BT-Drucks. 16/11385, S. 37). Durch
  108. die Streichung des § 54 BRAO aF wurde der frühere Rechtszustand beseitigt,
  109. wonach Rechtshandlungen des Vertreters nach dem Tod des Vertretenen bis
  110. -6-
  111. zu dessen Löschung aus der Liste der Rechtsanwälte wirksam waren (Prütting,
  112. aaO; Schwärzer, aaO; BT-Drucks., aaO S. 37; der Hinweis von Zöller/Althammer, aaO auf § 31 Abs. 5 BRAO hilft insoweit nicht weiter).
  113. 11
  114. bb) Im Streitfall war noch zu Lebzeiten des Klägers für diesen mit Assessor B.
  115. ein allgemeiner Vertreter im Zeitraum bis zum 31. Juli 2017
  116. eingesetzt worden. Dessen Vertretungsbefugnisse endeten jedoch mit dem Tod
  117. des Klägers am 11. Juli 2017. Erst am 18. Juli 2017 wurde Rechtsanwalt
  118. J.
  119. zum Abwickler der Kanzlei des Klägers mit - aufgrund späterer Verlän-
  120. gerung der Anordnung - Wirkung bis zum 31. März 2018 berufen. Da der Kläger
  121. im Zeitraum vom 11. bis 18. Juli 2017 nicht vertreten war, trat gemäß § 239
  122. Abs. 1, § 246 Abs. 1 eine Unterbrechung des Verfahrens ein (vgl. BT-Drucks.
  123. 16/11385, S. 37; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 244 Rn. 9). Durch die
  124. nachfolgende Bestellung von Rechtsanwalt J.
  125. als Abwickler wurde die
  126. eingetretene Unterbrechung weder rückwirkend beseitigt noch beendet (BGH,
  127. Beschluss vom 23. April 1981 - VII ZB 10/81, VersR 1981, 658; OLG Köln,
  128. MDR 2008, 1300; Stein/Jonas/Roth, aaO; MünchKomm-ZPO/Stackmann,
  129. 5. Aufl., § 244 Rn. 20).
  130. 12
  131. 3. Ist der Rechtsstreit unterbrochen, kann über das Gesuch der Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist
  132. zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht entschieden werden.
  133. Infolge der Verfahrensunterbrechung kann offen bleiben, ob eine Fristversäumung überhaupt vorliegt.
  134. 13
  135. Während der Unterbrechung sind nicht nur die von einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei
  136. gegenüber ohne rechtliche Wirkung (§ 249 Abs. 2 ZPO). Der Regelung des
  137. -7-
  138. § 249 ZPO ist vielmehr zu entnehmen, das auch Handlungen des Gerichts, die
  139. nach außen vorgenommen werden, grundsätzlich unwirksam sind (BGH, Beschluss vom 29. März 1990 - III ZB 39/89, BGHZ 111, 104, 107). Bei dieser
  140. Sachlage kann gegenwärtig über den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten
  141. nicht befunden werden. Im Unterschied zu Entscheidungen in der Hauptsache
  142. war der Senat durch die Verfahrensunterbrechung nicht gehindert, über das
  143. Gesuch der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entscheiden
  144. (BGH, Beschluss vom 23. März 1966 - Ib ZR 103/64, NJW 1966, 1126).
  145. Kayser
  146. Gehrlein
  147. Grupp
  148. Pape
  149. Möhring
  150. Vorinstanzen:
  151. LG Hannover, Entscheidung vom 29.11.2016 - 20 O 269/14 OLG Celle, Entscheidung vom 29.06.2017 - 6 U 8/17 -