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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. IX ZR 70/01
  4. URTEIL
  5. in dem Entschädigungsrechtsstreit
  6. Verkündet am:
  7. 25. April 2002
  8. Bürk
  9. Justizhauptsekretärin
  10. als Urkundsbeamtin
  11. der Geschäftsstelle
  12. -2-
  13. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat ohne mündliche Verhandlung
  14. durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Kirchhof, Raebel,
  15. Kayser und die Richterin Dr. Vézina
  16. für Recht erkannt:
  17. Auf die Revision der Klägerin wird das Schlußurteil des
  18. 13. Zivilsenats
  19. des
  20. Oberlandesgerichts
  21. Düsseldorf
  22. vom
  23. 7. Dezember 2000 aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin
  24. gegen das Urteil der Entschädigungskammer des Landgerichts
  25. Düsseldorf vom 7. Juli 1998 als unzulässig behandelt worden ist.
  26. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweiten
  27. Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen
  28. Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  29. Von Rechts wegen
  30. Tatbestand:
  31. Die Klägerin ist Alleinerbin ihrer 1988 verstorbenen Mutter E.
  32. geborene B.
  33. R.
  34. . Die Erblasserin lebte seit 1925 als Hausfrau in S.
  35. /Elsaß, wo sie auch im Geschäftsbetrieb ihres Ehemannes mithalf. Bei Kriegsausbruch 1939 wurde die Familie nach P.
  36. /Dordogne evakuiert. Nach
  37. dem Einrücken der deutschen Truppen in das unbesetzte Frankreich mußte
  38. -3-
  39. sich die Erblasserin vom November 1942 bis zum Sommer 1944 als rassisch
  40. Verfolgte in wechselnden Verstecken verborgen halten.
  41. Die Erblasserin erhielt durch Bescheid vom 16. Mai 1963 eine Kapitalentschädigung und Rente für Schaden an Körper oder Gesundheit auf der
  42. Grundlage einer verfolgungsbedingten MdE von 35 %, einer allgemeinen MdE
  43. von 60 % und einer Einstufung in den mittleren Dienst zuerkannt. Hiergegen
  44. erhob die Erblasserin fristwahrend Klage, mit der sie eine höhere Kapitalentschädigung und Rente auf der Grundlage einer vMdE von 80 % und einer Einstufung in den gehobenen Dienst sowie ein Heilverfahren erstrebte.
  45. Der Rechtsstreit wurde bis in das Jahr 1987 nicht betrieben und nach
  46. dem Tod der Erblasserin im Jahre 1988 von der Klägerin fortgesetzt. Das
  47. Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das
  48. Oberlandesgericht ihr durch Teilurteil vom 21. Oktober 1999 weitere Kapitalentschädigung und eine Rentennachzahlung auf der Grundlage einer vMdE
  49. von 60 % mit einem Hundertsatz von 42,5 zugesprochen und eine weitere Erhöhung der Rente nach einem Hundertsatz von 47,5 ab dem 1. März 1969 wegen Nichterreichung einer allgemeinen MdE von 80 % sowie einen Anspruch
  50. auf Heilverfahren aberkannt.
  51. Einen - nach Rechtskraft des Teilurteils gestellten - Zweitverfahrensantrag der Klägerin auf Zubilligung des aberkannten Hundertsatzes sowie Kapital- und Rentenberechnung nach einer vMdE von 70 % lehnte der Beklagte ab,
  52. weil das Teilurteil richtig sei und sich die Klägerin nach ihrem Sachantrag in
  53. der Berufungsschrift mit einem Rentenbezug auf der Grundlage einer vMdE
  54. von 60 % begnügt habe.
  55. -4-
  56. Nach Erlaß des Teilurteils hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 28. Juni
  57. 2000 eine Kapital- und Rentenbemessung nach einer vMdE von 70 % und einem dementsprechenden Hundertsatz von 47,5 beantragt. Mit dem durch Revision und Beschwerde angefochtenen Schlußurteil hat das Oberlandesgericht
  58. der Klägerin Zinsen auf den Rentenanspruch seit dem 6. August 1987 zugesprochen; die hinsichtlich des Hundertsatzes, der Eingliederung in den gehobenen Dienst und der Zinsen weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen.
  59. Die Beschwerde, mit der die Klägerin die Zulassung der Revision für die Eingliederungsfrage und den weitergehenden Zinsanspruch erstrebt hat, ist ohne
  60. Erfolg geblieben.
  61. Entscheidungsgründe:
  62. I.
  63. Das Berufungsgericht hat dem Sachantrag der Klägerin aus der Berufungsbegründung einen teilweisen Rechtsmittelverzicht entnommen und ihre
  64. nachträgliche Antragserhöhung nur noch auf Ermessensfehler des Beklagten
  65. (§ 211 BEG) in seiner Ablehnung des insoweit hilfsweise beantragten Zweitverfahrens überprüft. Entgegen dem Eingangssatz seiner Entscheidungsgründe hat das Berufungsgericht mit dieser Auffassung eine teilweise unzulässige
  66. Berufung angenommen; denn den Rechtsanspruch der Klägerin nach den
  67. §§ 31, 33 BEG hat es aus diesem Grund zu der wiederaufgegriffenen Antragsspitze sachlich nicht mehr beschieden. Das hilfsweise insoweit geltend ge-
  68. -5-
  69. machte Abhilfebegehren ist ein anderer Streitgegenstand. Gegen die genannte
  70. Verfahrensweise des Berufungsgerichtes wendet sich die Klägerin mit ihrer
  71. insoweit nach § 221 BEG unbeschränkt statthaften Revision zu Recht.
  72. II.
  73. Die Klägerin hat gegen das abweisende Urteil des Landgerichts unbeschränkt Berufung eingelegt. Damit war der Rechtsstreit insgesamt in die Berufungsinstanz gelangt und die Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils nach
  74. § 705 Satz 2 ZPO gehemmt. Die Beschränkung ihres Rentenantrages in der
  75. Berufungsbegründung auf eine Bemessung ausgehend von 60 % vMdE hatte
  76. Folgen für den Umfang der Berufungsverhandlung (§ 525 ZPO a.F.) und hinderte das Berufungsgericht nach § 308 ZPO daran, der Klägerin mit seinem
  77. rechtskräftig gewordenen Teilurteil einen höheren Rentenanspruch zuzuerkennen. Die Antragsbeschränkung verwehrte der Klägerin aber grundsätzlich
  78. nicht, ihren Berufungsantrag bis zum Ende der Berufungsverhandlung zu erhöhen, da die fristgerecht vorgetragenen Berufungsgründe die Erhöhung deckten
  79. (vgl. BGHZ 88, 360, 363 f; 91, 154, 159; BGH, Urt. v. 6. November 1986
  80. - XI ZR 8/86, BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 1 Antragserweiterung 1; v. 30. April
  81. 1996 - VI ZR 55/95, BGHR ZPO § 519 Abs. 3 Nr. 1 Berufungsantrag 2 - in
  82. BGHZ 132, 341 nicht mit abgedruckt; v. 12. November 1997 - XII ZR 39/97,
  83. NJW-RR 1998, 572; st. Rechtspr.). Die Berufung wäre im Umfang der nachträglichen Antragserhöhung nur dann unzulässig gewesen, wenn der ursprünglich engere Berufungsantrag nach dem klaren und eindeutigen Willen der Klägerin zugleich einen Rechtsmittelverzicht gegenüber dem im Streitgegenstand
  84. weitergehenden Landgerichtsurteil enthalten hätte (BGHZ 88, aaO; BGH, Urt.
  85. -6-
  86. v. 30. März 1983 - IVb ZR 19/82, NJW 1983, 1561, 1562; Urt. v. 12. November
  87. 1997, aaO).
  88. Das Berufungsgericht hat einen teilweisen Rechtsmittelverzicht der Klägerin zu Unrecht bejaht. Das Revisionsgericht ist verpflichtet, die Prozeßerklärungen einer Partei auch in dieser Hinsicht selbständig auszulegen (BGHZ 89,
  89. 325, 328; BGH, Urt. v. 18. September 1986 - II ZR 124/85, VersR 1987, 101; v.
  90. 6. Mai 1987 - IVb ZR 52/86, NJW 1987, 3264, 3265; v. 22. Mai 1989 - VIII ZR
  91. 129/88, NJW-RR 1989, 1276, 1277). Wie der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden hat, enthält die Stellung beschränkter Rechtsmittelanträge im Zweifel
  92. keinen Verzicht auf die Anfechtung des Urteils im übrigen; der Rechtsmittelkläger muß sich auch nicht etwa die künftige Erweiterung seiner Rechtsmittelanträge vorbehalten (vgl. BGH, Urt. v. 12. November 1997 - XII ZR 39/97, NJWRR 1998, 572; v. 28. September 2000 - IX ZR 6/99, WM 2000, 2439, 2440, in
  93. BGHZ 145, 256 nicht mit abgedruckt).
  94. Die Erwägungen des Berufungsgerichts ergeben nur, daß die Klägerin
  95. dort überhaupt einen gegenüber dem erstinstanzlichen Klagebegehren beschränkten Sachantrag hat stellen wollen. Für einen teilweisen Berufungsverzicht der Klägerin zeigt das Berufungsgericht keine Anhaltspunkte auf. Das
  96. erstinstanzlich erstattete Sachverständigengutachten Dr. R.
  97. , welches
  98. eine vMdE der Erblasserin von 70 % annahm, spricht vielmehr dafür, daß die
  99. Klägerin nicht ohne erkennbaren Grund sich der Möglichkeit begeben wollte,
  100. während des Berufungsrechtszuges auf diesen Forderungsgrund der Gesamtentschädigung zurückzukommen.
  101. -7-
  102. III.
  103. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit
  104. dieses über den erhöhten Antrag (Kapitalentschädigung und Rente aufgrund
  105. einer vMdE von 70 %) sachlich befinden kann. Im Falle der Ablehnung wird
  106. auch der auf § 15 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der 2. DV-BEG gestützte Erhöhungsgrund neu zu prüfen sein, weil hierüber durch das Teilurteil vom 21. Oktober
  107. 1999 nicht endgültig entschieden worden ist.
  108. Kreft
  109. Kirchhof
  110. Kayser
  111. Raebel
  112. Vézina