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11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 140/08
  5. Verkündet am:
  6. 7. Mai 2009
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1 Nr. 2
  19. Hat der Schuldner einen ungekündigten Kontokorrentkredit nicht ausgeschöpft, führen in kritischer Zeit eingehende, dem Konto gutgeschriebene Zahlungen, denen keine Abbuchungen gegenüberstehen, infolge der damit verbundenen Kredittilgung zu
  20. einer inkongruenten Deckung zugunsten des Kreditinstituts.
  21. BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 - IX ZR 140/08 - OLG Frankfurt am Main
  22. LG Darmstadt
  23. -2-
  24. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  25. vom 7. Mai 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter
  26. Raebel, Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und Grupp
  27. für Recht erkannt:
  28. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats in
  29. Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
  30. 14. Dezember 2007 aufgehoben.
  31. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch
  32. über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Tatbestand:
  35. 1
  36. Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 21. Oktober
  37. 2003 über das Vermögen der S.
  38. GmbH (nachfol-
  39. gend: Schuldnerin) am 26. Januar 2004 eröffneten Insolvenzverfahren.
  40. 2
  41. Die beklagte Sparkasse räumte der Schuldnerin ab dem 1. Juli 2003 unbefristet eine Kreditlinie in Höhe von 100.000 € ein. Innerhalb der letzten drei
  42. Monate vor Antragstellung wurde der Kredit um insgesamt 44.599,46 € zurückgeführt. Die H.
  43. Baugesellschaft mbH überwies auf das Konto der
  44. Schuldnerin am 7. August 2003 einen Betrag von 30.833,33 € und am
  45. -3-
  46. 4. September 2003 einen weiteren Betrag von 9.950,03 €; beide Zahlungen
  47. beruhten auf einem - zwischenzeitlich rechtskräftigen - vorläufig vollstreckbaren
  48. Urteil, aus dem die Schuldnerin aufgrund seitens der Beklagten gestellter
  49. Bankbürgschaften vollstrecken konnte. Außerdem gingen am 22. August 2003
  50. eine Zahlung von 1.746 € und am 5. September 2003 eine Zahlung von
  51. 157,53 € auf dem Konto der Schuldnerin ein. Schließlich erfolgte eine Buchung
  52. zugunsten der Schuldnerin unter dem Titel "Zahlungen Sparkasse intern" in
  53. Höhe von 1.912,57 €. Nach Bekanntwerden des Insolvenzantrags kündigte die
  54. Beklagte die Geschäftsverbindung zu der Schuldnerin mit Schreiben vom
  55. 19. November 2003. Unstreitig hätte die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt Verfügungen der Schuldnerin von ihrem Konto zugelassen.
  56. 3
  57. Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung
  58. Zahlung in Höhe von 44.599,46 €. Landgericht und Oberlandesgericht haben
  59. die Klage abgewiesen. Mit seiner von dem erkennenden Senat zugelassenen
  60. Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
  61. Entscheidungsgründe:
  62. 4
  63. Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
  64. Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  65. I.
  66. 5
  67. Das Oberlandesgericht hat gemeint, es könne von einem Bargeschäft
  68. ausgegangen werden, weil die Gewährung der Kreditlinie unter Übernahme der
  69. -4-
  70. Bürgschaften eine Gegenleistung der Beklagten für die von der Firma
  71. H.
  72. zugunsten der Schuldnerin vorgenommenen Einzahlungen darstelle.
  73. Diese Einzahlungen bedeuteten keine Rückführung des von der Schuldnerin bei
  74. der Beklagten in Anspruch genommenen Kredits, sondern eine zeitweilige Gutschrifterhöhung. Bei dieser Sachlage spiele es keine Rolle, ob die Beklagte bereits einen Anspruch auf Kreditrückführung gehabt habe, weil sie unstreitig keine Kreditrückführung begehrt habe. Durch den Zahlungseingang auf dem Konto
  75. der Schuldnerin sei eine Gläubigerbenachteiligung nicht eingetreten. Vielmehr
  76. habe die Schuldnerin einen Zahlungsanspruch gehabt, so dass es auf eine Gegenleistung nicht ankomme.
  77. II.
  78. 6
  79. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
  80. 7
  81. 1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts wurde die der
  82. Schuldnerin gewährte Kreditlinie in Höhe von 100.000 € in dem Zeitraum von
  83. drei
  84. Monaten
  85. vor
  86. Insolvenzantragstellung
  87. durch
  88. Kontogutschriften
  89. um
  90. 44.599,46 € verringert. Die darin liegende Rückzahlung des Kredits ist als inkongruente Deckung anfechtbar (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO).
  91. 8
  92. a) In kritischer Zeit vorgenommene Verrechnungen eines Kreditinstituts
  93. von Ansprüchen seines Kunden aus Gutschriften aufgrund von Überweisungen
  94. mit Forderungen, die dem Institut gegen den Kunden aus der in Anspruch genommenen Kreditlinie eines Kontokorrentkredits zustehen, können nach
  95. §§ 130, 131 InsO anfechtbar und deshalb nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig sein. Welche Norm eingreift, hängt davon ab, ob - etwa wegen Kündigung
  96. -5-
  97. des Kreditvertrages - ein Anspruch der Bank auf Rückzahlung des Kredits fällig
  98. ist oder nicht (BGHZ 171, 38, 41 f Rn. 10). Ein Anspruch der Bank, Gutschriften
  99. mit dem Saldo eines Kreditkontos zu verrechnen und dadurch ihre eigene Forderung zu befriedigen, besteht nur dann, wenn sie zum jeweiligen Zeitpunkt der
  100. Verrechnung Rückzahlung des Kredits verlangen kann.
  101. 9
  102. b) Der Kreditgeber kann die Rückzahlung eines ausgereichten Kredits
  103. erst nach dessen Fälligkeit fordern. Allein die Giro- oder Kontokorrentabrede
  104. stellte den der Schuldnerin gewährten Kredit nicht zur Rückzahlung fällig
  105. (BGHZ 150, 122, 127; BGH, Urt. v. 1. Oktober 2002 - IX ZR 360/99, ZIP 2002,
  106. 2182, 2183). Vielmehr wird die Fälligkeit nur durch das Ende einer vereinbarten
  107. Laufzeit, eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung begründet (Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis 7. Aufl. Rn. 6.242). Die Kündigung ist
  108. hier erst am 19. November 2003 - und damit nach Rückführung der Kreditlinie
  109. um 44.599,46 € - ausgesprochen worden. Hat der Schuldner - wie im Streitfall den ungekündigten Kontokorrentkredit nicht vollständig ausgeschöpft, führen in
  110. der kritischen Zeit eingehende Zahlungen, die dem Konto gutgeschrieben werden, zu einer inkongruenten Deckung (BGHZ 150, 122, 125 ff; BGH, Urt. v.
  111. 17. Juni 1999 - IX ZR 62/98, ZIP 1999, 1271, 1272; Urt. v. 11. Oktober 2007
  112. - IX ZR 195/04, ZIP 2008, 237 Rn. 4).
  113. 10
  114. c) Die Kongruenz der Kredittilgung kann entgegen der Auffassung der
  115. Revisionserwiderung nicht aus einer Verrechnungsbefugnis der Beklagten hergeleitet werden. Dass diese die Kreditlinie offengehalten hat, macht die Verrechnung nicht kongruent, soweit die Kreditlinie tatsächlich nicht mehr in Anspruch genommen wurde.
  116. -6-
  117. 11
  118. aa) Das Kreditinstitut ist im Rahmen des Girovertrages einerseits berechtigt und verpflichtet, für den Kunden bestimmte Geldeingänge entgegenzunehmen und seinem Konto gutzuschreiben. Andererseits hat das Kreditinstitut
  119. Überweisungsaufträge des Kunden zu Lasten seines Girokontos auszuführen,
  120. sofern dieses eine ausreichende Deckung aufweist oder eine Kreditlinie nicht
  121. ausgeschöpft ist. Setzt das Kreditinstitut unter Beachtung dieser Absprachen
  122. den Giroverkehr fort, handelt es vertragsgemäß und damit kongruent (BGHZ
  123. 150, 122, 129; BGH, Urt. v. 17. Juni 2004 - IX ZR 2/01, WM 2004, 1575 f).
  124. 12
  125. bb) Vorliegend geht es indessen nicht um die vertragskonforme Abwicklung des Giroverkehrs durch die Verrechnung von Zahlungseingängen mit Zahlungsausgängen. Den Zahlungseingängen zugunsten der Schuldnerin standen
  126. unstreitig keine Kontobelastungen infolge an Dritte bewirkter Überweisungen
  127. gegenüber. Vielmehr hat die Beklagte sämtliche Zahlungseingänge mit eigenen
  128. gegen die Schuldnerin bestehenden Forderungen verrechnet. Demnach betrifft
  129. die Anfechtung in vollem Umfang die auf dem Konto der Schuldnerin eingegangenen Zahlungen, welche die Beklagte eigennützig zur Begleichung ihrer Kreditforderung verwendet hat. Anfechtbar sind stets Verrechnungen, mit denen
  130. eigene Forderungen der Gläubigerbank getilgt werden (BGHZ 150, 122, 127;
  131. BGH, Urt. v. 11. Oktober 2007, aaO S. 237, 238 Rn. 6). Selbst wenn - anders
  132. als im Streitfall - neben den Zahlungseingängen von dem Schuldner veranlasste
  133. Überweisungen in eine Kontoverbindung einzustellen sind, liegt insoweit eine
  134. durch die Verrechnung bewirkte anfechtbare Kredittilgung vor, als die Summe
  135. der Eingänge die der Ausgänge übersteigt (BGH, Urt. v. 15. November 2007
  136. - IX ZR 212/06, ZIP 2008, 235, 236 f Rn. 15). Die Saldierungsvereinbarung
  137. deckt also nicht die endgültige Rückführung des eingeräumten Kredits, sondern
  138. lediglich das Offenhalten der Kreditlinie für weitere Verfügungen des Kunden
  139. (BGHZ 150, 122, 129). Da die Schuldnerin die ihr von der Beklagten weiter ein-
  140. -7-
  141. geräumte Kreditlinie tatsächlich nicht genutzt und keine Überweisungsaufträge
  142. erteilt hat, durfte die Beklagte eingegangene Mittel nicht zu einer Kredittilgung
  143. verwenden.
  144. 2. Handelt es sich mithin um eine inkongruente Deckung, kommt der von
  145. 13
  146. dem Berufungsgericht angeführte Einwand des Bargeschäfts nicht zum Tragen
  147. (BGHZ 150, 122, 130; BGH, Urt. v. 15. November 2007, aaO Rn. 15 m.w.N.).
  148. Davon abgesehen kann die Übernahme der Bürgschaft durch die Beklagte
  149. schon
  150. deshalb
  151. nicht
  152. als
  153. Gegenleistung
  154. im
  155. Sinne
  156. des
  157. § 142
  158. InsO gewertet werden, weil die Beklagte aus der Bürgschaft - für deren Stellung
  159. sie von der Schuldnerin die vereinbarte Avalvergütung erhalten hat - tatsächlich
  160. nicht in Anspruch genommen wurde. Mangels einer den Zahlungseingängen
  161. gleichwertigen Gegenleistung sind die Voraussetzungen des § 142 InsO bereits
  162. im Ansatz nicht erfüllt. Überdies handelt es sich auch bei der Einstellung eines
  163. Rückgriffsanspruchs aus der Inanspruchnahme wegen einer Bürgschaft in das
  164. Kontokorrent nicht um eine grundsätzlich unanfechtbare Bardeckung (BGH, Urt.
  165. v. 17. Juni 2004 - IX ZR 124/03, WM 2004, 1576, 1577; Urt. v. 11. Oktober
  166. 2007, aaO S. 238 Rn. 10).
  167. III.
  168. 14
  169. Auf die Revision ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1
  170. ZPO) und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Die neu eröffnete mündliche Verhandlung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit zur Prüfung, ob die
  171. Schuldnerin als weitere Voraussetzung einer Anfechtung nach § 131 Abs. 1
  172. Nr. 2 InsO zahlungsunfähig war. Da die Tatgerichte hierzu noch keine Feststel-
  173. -8-
  174. lungen getroffen haben, ist dem Senat eine Endentscheidung versagt. Die Sache ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht mangels einer
  175. Gläubigerbenachteiligung abweisungsreif. Die Beklagte hat durch die Verrechnungen die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger benachteiligt, weil sie an den
  176. verrechneten Eingängen nicht insolvenzfest gesichert war (BGH, Urt. v.
  177. 11. Oktober 2007, aaO S. 237 Rn. 4).
  178. Ganter
  179. Raebel
  180. Gehrlein
  181. Kayser
  182. Grupp
  183. Vorinstanzen:
  184. LG Darmstadt, Entscheidung vom 13.12.2006 - 2 O 92/06 OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 14.12.2007 - 24 U 13/07 -