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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 16/13
  4. vom
  5. 20. Februar 2014
  6. in dem Insolvenzverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO § 78 Abs. 1
  14. Beschließt die Gläubigerversammlung, dass ein Sonderinsolvenzverwalter zur Prüfung und Durchsetzung eines Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter eingesetzt
  15. werden soll, ist der Insolvenzverwalter nicht berechtigt, die Aufhebung dieses Beschlusses zu beantragen.
  16. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2014 - IX ZB 16/13 - LG Arnsberg
  17. AG Arnsberg
  18. -2-
  19. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Vill,
  20. Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
  21. am 20. Februar 2014
  22. beschlossen:
  23. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer
  24. des Landgerichts Arnsberg vom 6. Februar 2013 wird auf Kosten
  25. des weiteren Beteiligten zurückgewiesen.
  26. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
  27. Gründe:
  28. I.
  29. 1
  30. Der weitere Beteiligte ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Auf Antrag mehrerer Gläubiger bestimmte das Insolvenzgericht einen Termin für eine Gläubigerversammlung zur Beschlussfasssung über die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters zur Durchsetzung
  31. eines auf Ersatz eines Gesamtschadens gerichteten Anspruchs gegenüber dem
  32. Insolvenzverwalter. In der Versammlung fassten die anwesenden Gläubiger
  33. einstimmig den Beschluss, es solle ein Sonderinsolvenzverwalter eingesetzt
  34. werden zur Prüfung und Durchsetzung eines gegen den Insolvenzverwalter gerichteten Schadensersatzanspruchs. Der weitere Beteiligte beantragte in der
  35. Versammlung die Aufhebung dieses Beschlusses nach § 78 Abs. 1 InsO. Zur
  36. - 3 -
  37. Begründung führte er insbesondere aus, die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs seien nicht gegeben. Die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters verursache daher nur zusätzliche Kosten; dies widerspreche
  38. dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger.
  39. 2
  40. Das Insolvenzgericht hat den Antrag abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten hat keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er sein Begehren weiter.
  41. II.
  42. 3
  43. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und
  44. auch im Übrigen zulässig. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
  45. 4
  46. 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Der Antrag des weiteren Beteiligten auf Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung sei unzulässig, weil ihm die Antragsbefugnis fehle. Das in § 78 Abs. 1 InsO für den Insolvenzverwalter vorgesehene Antragsrecht könne aus systematischen und
  47. teleologischen Gründen hier nicht gelten. Sein Antragsrecht diene dem gemeinsamen Interesse aller Gläubiger. Einen Anspruch der Gläubiger auf Ersatz eines Gesamtschadens gegen den Insolvenzverwalter könne dieser nach § 92
  48. Satz 2 InsO nicht selbst geltend machen. Die Prüfung und Durchsetzung solcher Ansprüche könne nur durch einen Sonderinsolvenzverwalter erfolgen. Gegen dessen Bestellung stehe dem Insolvenzverwalter kein Beschwerderecht zu.
  49. Das der Beschwerdebefugnis entgegenstehende Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer alsbaldigen Klärung der gegen den Insolvenzverwalter erhobenen Vorwürfe sowie an einer zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens liefe
  50. - 4 -
  51. leer, wenn der Insolvenzverwalter die Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung beantragen könne, der die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters lediglich vorbereiten solle.
  52. 5
  53. 2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand. Mit
  54. Recht hat das Beschwerdegericht eine Berechtigung des weiteren Beteiligten,
  55. die Aufhebung des Beschlusses der Gläubigerversammlung zu beantragen,
  56. verneint.
  57. 6
  58. a) Nach § 78 Abs. 1 InsO ist neben absonderungsberechtigten Gläubigern und nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern auch der Insolvenzverwalter
  59. berechtigt, noch in der Gläubigerversammlung die Aufhebung eines Beschlusses derselben zu beantragen. Auf einen solchen Antrag hat das Insolvenzgericht den Beschluss aufzuheben, wenn der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. Der Anwendungsbereich dieser Regelung ist im Wege der teleologischen Reduktion dahin zu beschränken, dass
  60. das Antragsrecht des Insolvenzverwalters entfällt, wenn der Beschluss der
  61. Gläubigerversammlung darauf gerichtet ist, einen Sonderinsolvenzverwalter
  62. einzusetzen mit der Aufgabe, einen Anspruch der Gläubiger gegen den Insolvenzverwalter auf Ersatz eines Gesamtschadens zu prüfen und gegebenenfalls
  63. durchzusetzen.
  64. 7
  65. b) Die teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs einer Norm
  66. setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (BGH, Urteil vom 13. November 2001 - X ZR
  67. 134/00, BGHZ 149, 165, 174; Beschluss vom 20. Januar 2005 - IX ZB 134/04,
  68. NJW 2005, 1508, 1510; Urteil vom 26. November 2008 - VIII ZR 200/05, BGHZ
  69. - 5 -
  70. 179, 27 Rn. 22; vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148
  71. Rn. 31).
  72. 8
  73. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters ist in der Insolvenzordnung nicht geregelt. Der Gesetzgeber
  74. verzichtete im Gesetzgebungsverfahren auf eine zunächst vorgesehene diesbezügliche Bestimmung (§ 77 RegE-InsO), weil die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung für möglich
  75. erachtet wurde (BT-Drucks. 12/2443, S. 20; 12/7302, S. 162). Damit hat der
  76. Gesetzgeber die nähere Bestimmung der Voraussetzungen und des Verfahrens
  77. der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters sowie seiner Rechtsstellung
  78. der Rechtsprechung überlassen. Ungeregelt blieb auch, inwieweit die allgemeinen Vorschriften, wie etwa die Norm des § 78 Abs. 1 InsO, anwendbar sein sollten.
  79. 9
  80. c) Die danach bestehende Regelungslücke ist nach Sinn und Zweck des
  81. Regelungszusammenhangs in möglichst enger Anlehnung an das geltende
  82. Recht (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011, aaO Rn. 37; BVerfGE 35, 263,
  83. 279; 88, 145, 166 f; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft,
  84. 3. Aufl., S. 210 f) in der Weise zu schließen, dass das in § 78 Abs. 1 InsO vorgesehene Antragsrecht des Insolvenzverwalters ausgeschlossen ist, wenn die
  85. Gläubigerversammlung beschließt, die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters zur Prüfung und Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs gegen
  86. den Insolvenzverwalter zu beantragen.
  87. 10
  88. aa) Nach der im Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung noch enthaltenen Regelung wäre der Insolvenzverwalter nicht berechtigt gewesen, gegen die
  89. Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters mit der Aufgabe, Schadenser-
  90. - 6 -
  91. satzansprüche gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen, Beschwerde einzulegen. Der Bundesgerichtshof hat ein Beschwerderecht des Insolvenzverwalters
  92. in solchen Fällen auch für das geltende Recht verneint (BGH, Beschluss vom
  93. 1. Februar 2007 - IX ZB 45/05, NZI 2007, 237). Dies dient dem Interesse der
  94. Verfahrensbeteiligten an einer baldigen Klärung der gegen den Insolvenzverwalter behaupteten Ansprüche, die wegen der bestehenden Interessenkollision
  95. nicht vom Insolvenzverwalter selbst, sondern nur durch einen neuen Verwalter
  96. oder einen Sonderinsolvenzverwalter geltend gemacht werden können (§ 92
  97. Satz 2 InsO), sowie einer zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens (BGH,
  98. Beschluss vom 1. Februar 2007, aaO Rn. 10). Diese Gründe stehen auch einem Antragsrecht des Insolvenzverwalters nach § 78 Abs. 1 InsO entgegen,
  99. wenn die Gläubigerversammlung beschlossen hat, die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters zur Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen
  100. den Insolvenzverwalter zu fordern.
  101. 11
  102. bb) Der Zweck der Regelung in § 78 Abs. 1 InsO verlangt in diesem Fall
  103. ein Antragsrecht des Insolvenzverwalters nicht. Das dort normierte Recht, die
  104. Aufhebung eines Beschlusses der Gläubigerversammlung zu beantragen, soll
  105. das gemeinsame Interesse der Insolvenzgläubiger schützen und dem Missbrauch einer Mehrheit in der Gläubigerversammlung entgegenwirken. Das Antragsrecht des Insolvenzverwalters im Besonderen soll die Interessen der nicht
  106. erschienenen Gläubiger wahren (BT-Drucks. 12/2443, S. 134 zu § 89 RegEInsO); im Übrigen hat der Insolvenzverwalter die gesetzeskonforme Abwicklung
  107. des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten (MünchKomm-InsO/Ehricke, 3. Aufl.,
  108. § 78 Rn. 4; Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 78 Rn. 6; Pape, ZInsO 2000, 469,
  109. 475). Fordert die Gläubigerversammlung die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters, der einen Gesamtschaden gegen den Insolvenzverwalter geltend
  110. machen soll, liegt dies regelmäßig im gemeinsamen Interesse aller Insolvenz-
  111. - 7 -
  112. gläubiger, auch der abwesenden, denn die erfolgreiche Durchsetzung eines
  113. solchen Anspruchs kommt allen Insolvenzgläubigern zugute. Im Übrigen obliegt
  114. die Entscheidung über den Antrag der Gläubigerversammlung auf Bestellung
  115. eines Sonderinsolvenzverwalters letztlich dem Insolvenzgericht. Sollte die beabsichtigte Rechtsverfolgung gegen den Insolvenzverwalter ausnahmsweise
  116. masseschädlich oder gar gesetzeswidrig sein, kann dies vom Insolvenzgericht
  117. bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden.
  118. Vill
  119. Gehrlein
  120. Grupp
  121. Pape
  122. Möhring
  123. Vorinstanzen:
  124. AG Arnsberg, Entscheidung vom 08.10.2012 - 21 IN 288/07 LG Arnsberg, Entscheidung vom 06.02.2013 - I-6 T 367/12 -