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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 313/11
  4. vom
  5. 28. Juni 2012
  6. in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO § 294 Abs. 1, § 302 Nr. 1; ZPO § 850f Abs. 2
  14. Während der Dauer der Wohlverhaltensphase kann ein Insolvenzgläubiger von Ansprüchen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung auch in den Vorrechtsbereich für solche Forderungen nicht vollstrecken.
  15. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2012 - IX ZB 313/11 - AG Münster
  16. LG Münster
  17. - 2 -
  18. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Vill, Raebel, die
  19. Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring
  20. am 28. Juni 2012
  21. beschlossen:
  22. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer
  23. des Landgerichts Münster vom 31. August 2011 wird auf Kosten
  24. der Gläubiger zurückgewiesen.
  25. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 1.745,76 € festgesetzt.
  26. Gründe:
  27. I.
  28. 1
  29. Die Beschwerdeführer sind Gläubiger in dem am 27. November 2007
  30. eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, das mit Beschluss vom 30. November 2010 in die Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens überführt worden ist. Sie haben eine ausgenommene
  31. Forderung im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO angemeldet, wegen derer sie den
  32. Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beantragt haben, mit
  33. dem Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldner gepfändet werden
  34. sollten, soweit diese nicht an die Treuhänderin abgetreten worden sind. Nachdem das Vollstreckungsgericht zunächst den gemäß § 850f Abs. 2 ZPO monat-
  35. - 3 -
  36. lich pfändungsfreien Betrag mit Beschluss vom 26. Januar 2011 auf 700 € festgesetzt hatte, hat die Richterin auf Erinnerung des Schuldners den Pfändungsund Überweisungsbeschluss aufgehoben und den Antrag auf seinen Erlass zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Gläubiger ist
  37. erfolglos geblieben. Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen sie
  38. ihren Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, mit
  39. dem sie in der Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens in
  40. den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO vollstrecken wollen, weiter.
  41. II.
  42. 2
  43. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3
  44. Satz 2 ZPO statthaft, weil das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (BGH,
  45. Beschluss vom 5. Februar 2004 - IX ZB 97/03, ZInsO 2004, 391, 392; vom
  46. 17. Februar 2004 - IX ZB 306/03, ZInsO 2004, 441). Die auch sonst zulässige
  47. Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
  48. 3
  49. 1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, das Amtsgericht habe den
  50. Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu Recht aufgehoben und den Antrag
  51. der Gläubiger zurückgewiesen, denn die Pfändung sei unzulässig, weil das
  52. Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO uneingeschränkt für alle Insolvenzgläubiger gelte. Sämtliche Insolvenzgläubiger einschließlich der Unterhalts- und
  53. Deliktsgläubiger müssten in der Treuhandphase die gleichen Befriedigungsmöglichkeiten haben, eine Ausnahme von dem Vollstreckungsverbot komme
  54. deshalb nicht in Betracht. Der Rechtsgedanke des § 302 Nr. 1 InsO stehe dieser Auslegung nicht entgegen. Aus der Vorschrift ergebe sich, dass eine Privi-
  55. - 4 -
  56. legierung der Deliktsgläubiger erst nach Ende der Wohlverhaltensphase eintreten solle.
  57. 4
  58. 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
  59. 5
  60. a) Nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung und im Schrifttum
  61. gilt das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO auch für solche Gläubiger,
  62. deren Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
  63. stammt, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde (BAG,
  64. BAGE 132, 125 Rn. 23 zu § 850d ZPO; LG Leipzig, NZI 2006, 603; LG Saarbrücken, Beschluss vom 18. April 2012 - 5 T 203/12, Rn. 25 f; AG Bremen, NZI
  65. 2008, 55, 56; FK-InsO/Ahrens, 6. Aufl., § 294 Rn. 11; Fischer in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 294 Rn. 2; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 2. Aufl., § 294
  66. Rn. 2; HmbKomm/InsO-Streck, 4. Aufl., § 294 Rn. 3; HK-InsO/Landfermann,
  67. 6. Aufl., § 294 Rn. 3; Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO 2008, § 294 Rn. 2 c;
  68. Uhlenbruck/Vallender, InsO, 13. Aufl., § 294 Rn. 5).
  69. 6
  70. b) Der Bundesgerichtshof hat die Frage, ob § 294 Abs. 1 InsO auch die
  71. Vollstreckung von Gläubigern ausgenommener Forderung in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO während des Laufs der Wohlverhaltensphase ausschließt, bislang zwar nicht ausdrücklich entschieden. Zweck des Vollstreckungsverbots des § 294 Abs. 1 InsO ist es, den Neuerwerb des Schuldners,
  72. der nicht gemäß § 287 Abs. 2 InsO an den Treuhänder abgetreten oder an diesen gemäß § 295 InsO herauszugeben ist, dem Zugriff der Insolvenzgläubiger
  73. zu entziehen (BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 - IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391,
  74. 396 f; Beschluss vom 13. Juli 2006 - IX ZB 288/03, ZInsO 2006, 872 Rn. 9).
  75. Dies gilt auch im Hinblick auf Gläubiger, deren Forderung aus einer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung
  76. - 5 -
  77. stammt, die sie im Verfahren mit diesem Privileg angemeldet haben. Zwar soll
  78. ihre Forderung von der Restschuldbefreiung nicht erfasst werden, sondern nach
  79. Erteilung der Restschuldbefreiung weiter durchsetzbar sein. Dieses Privileg bezieht sich aber nur auf die insolvenzrechtliche Nachhaftung, ohne dem Gläubiger schon innerhalb des Insolvenz- oder Restschuldbefreiungsverfahrens eine
  80. Sonderstellung zuzuweisen (BGH, Beschluss vom 27. September 2007 - IX ZB
  81. 16/06, ZInsO 2007, 1226 Rn. 12 mwN).
  82. 7
  83. Nach diesen Grundsätzen ist es ausgeschlossen, dass der Gläubiger
  84. einer ausgenommenen Forderung bereits während des Laufs der Wohlverhaltensphase in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 ZPO vollstreckt. Die Wertentscheidung des Gesetzgebers in § 302 Nr. 1 InsO geht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdebegründung nicht dahin, im Fall des Fehlens konkurrierender Neugläubiger nicht dem Schuldner, sondern dem Gläubiger der
  85. ausgenommenen Forderung die im Rahmen des § 850f Abs. 2 ZPO pfändbaren
  86. Einkünfte zuzuweisen. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr, ohne damit Art. 14
  87. Abs. 1 GG zu verletzen, für die Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger während des Laufs der Wohlverhaltensphase entschieden. Dies schließt an den
  88. Zuschnitt des Vollstreckungsverbots während der Dauer des Verfahrens nach
  89. § 89 Abs. 2 InsO an, dessen Satz 2 keine Deliktsgläubiger privilegiert, die an
  90. dem Verfahren teilnehmen (BGH, Beschluss vom 27. September 2007, aaO
  91. Rn. 10). Art. 14 Abs. 1 GG wird insofern Rechnung getragen, als Gläubiger
  92. ausgenommener Forderungen bei entsprechender Anmeldung und Feststellung
  93. ihres Anspruchs nach Erteilung der Restschuldbefreiung die Möglichkeit haben,
  94. weiter in das Vermögen des Schuldners zu vollstrecken.
  95. 8
  96. c) Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Unwirksamkeit einer
  97. vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgebrachten Pfändung der fortlaufen-
  98. - 6 -
  99. den Bezüge des Schuldners für die Dauer des Insolvenzverfahrens und eines
  100. sich daran möglicherweise anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens
  101. (BGH, Beschluss vom 24. März 2011 - IX ZB 217/08, ZInsO 2011, 812) hat hierauf keinen Einfluss. Die zeitlich beschränkte Unwirksamkeit der Pfändung bezieht sich nach der genannten Entscheidung gerade auch auf die Dauer der
  102. Wohlverhaltensphase des Restschuldbefreiungsverfahrens. Der Pfändungsschutz besteht also auch in dieser Phase weiter, so dass die Entscheidung im
  103. Einklang mit dem Ausschluss von Vollstreckungen von Insolvenzgläubigern
  104. während dieses Zeitraums steht. Das Pfändungspfandrecht soll nach dem Beschluss (aaO, Rn. 10, 14) erst dann wieder aufleben, wenn dem Vollstreckungsschuldner die Restschuldbefreiung versagt wird. Zuvor kommt die Geltendmachung von Rechten aus dem Pfändungspfandrecht nicht in Betracht.
  105. 9
  106. d) Auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. November 2010
  107. (IX ZR 67/10, ZInsO 2011, 102), wonach die Klage eines Gläubigers auf Zinszahlung seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach dessen Aufhebung während der Treuhandphase ungeachtet einer möglichen späteren Restschuldbefreiung des Schuldners zulässig ist, führt zu keiner anderen Wertung. Hieraus
  108. ergibt sich nicht, dass die Vollstreckung eines Insolvenzgläubigers wegen einer
  109. ausgenommenen Forderung in den Vorrechtsbereich des § 850f Abs. 2 InsO
  110. während der Dauer der Wohlverhaltensphase zulässig ist. Nach dieser Entscheidung steht das Vollstreckungsverbot des § 294 Abs. 1 InsO vielmehr nur
  111. der Zulässigkeit der Klageerhebung, die eine spätere Zwangsvollstreckung vorbereitet, nicht entgegen (BGH, aaO Rn. 8 f; LG Göttingen, ZInsO 2005, 1113,
  112. 1114). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zwangsvollstreckung eines Insolvenzgläubigers schon in der Treuhandphase zulässig ist.
  113. - 7 -
  114. 10
  115. 3. Die nicht näher begründete Rüge, das Beschwerdegericht hätte das
  116. Verfahren wegen eines Antrags der Gläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung aussetzen müssen, greift nicht durch. Zwar führt die Versagung der
  117. Restschuldbefreiung gemäß § 299 InsO zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung. Kommt es hierzu, hat der Gläubiger aber die Möglichkeit, aufgrund
  118. veränderter Sachlage einen neuen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss zu
  119. beantragen. Vorgreiflich ist die Entscheidung über die Versagung der Restschuldbefreiung deshalb nicht. Im Übrigen sind die Vorschriften über die Aussetzung (§§ 148 ff ZPO) auf das grundsätzlich eilbedürftige, auf eine rasche
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  121. Befriedigung der Gläubiger angelegte Insolvenzverfahren nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nicht entsprechend anwendbar (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 - IX ZB 15/06, NZI 2006, 642 Rn. 5).
  122. Vill
  123. Raebel
  124. Pape
  125. Lohmann
  126. Möhring
  127. Vorinstanzen:
  128. AG Münster, Entscheidung vom 05.05.2011 - 33 M 289/11 LG Münster, Entscheidung vom 31.08.2011 - 5 T 373/11 -