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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZR 62/07
  4. vom
  5. 4. Mai 2009
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und die
  9. Richterin Harsdorf-Gebhardt
  10. am 4. Mai 2009
  11. beschlossen:
  12. Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen
  13. das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. Februar 2007 zugelassen.
  14. Nach § 544 Abs. 7 ZPO wird das vorgenannte Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  15. Gründe:
  16. 1
  17. I. Die Klägerin macht Leistungen aus einem Unfallversicherungsvertrag geltend, den sie für ihre am 22. Februar 1920 geborene Mutter
  18. als versicherte Person im Oktober 2002 nach Vermittlung über eine Versicherungsmaklerin mit der Beklagten abschloss.
  19. 2
  20. Am 29. Dezember 2002 stürzte die Mutter der Klägerin und brach
  21. sich dabei das rechte Handgelenk und die rechte Hüfte. In der ersten,
  22. auf einem Formular der Versicherungsmaklerin abgegebenen, von der
  23. -3-
  24. Klägerin unterzeichneten Schadenanzeige vom 7. Januar 2003 wurden
  25. die Frage "War der Verletzte vor Eintritt des Unfalls vollkommen gesund
  26. und arbeitsfähig?" bejaht und die Frage "War der Verletzte in den letzten
  27. Jahren wegen allgemeiner Erkrankungen in ärztlicher Behandlung gewesen?" verneint. In der zweiten Schadenanzeige vom 27. März 2003 auf
  28. einem Formular der Beklagten ließ die Klägerin die Frage "Leidet oder litt
  29. die/der Verletzte zur Zeit des Unfalls an einer Krankheit oder einem
  30. Gebrechen? (z.B. …)" unbeantwortet. Dieses Formular enthält - anders
  31. als die erste Schadenanzeige - eine Belehrung darüber, dass bewusst
  32. unwahre oder unvollständige Angaben zum Verlust des Versicherungsschutzes führen, auch wenn dem Versicherer durch diese Angaben kein
  33. Nachteil entsteht. Mit Schreiben vom 30. April 2004 bat die Beklagte unter Bezugnahme auf ein ärztliches Gutachten vom 18. März 2004 um
  34. Auskunft über den Gesundheitszustand der Mutter der Klägerin vor dem
  35. Unfall. Aus den daraufhin von der Klägerin übersandten Arztberichten
  36. ergab sich, dass ihre Mutter in der Vergangenheit wiederholt gestürzt
  37. war, was die behandelnden Ärzte auf Schwindelanfälle und Gangunsicherheiten infolge cerebraler Durchblutungsstörungen zurückführten.
  38. 3
  39. Das Landgericht hat die auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der vereinbarten Versicherungssumme von 100.000 €, hilfsweise
  40. auf Rentenleistung gerichtete Klage abgewiesen.
  41. 4
  42. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Beklagte sei gemäß § 15 Satz 1 AUB 99 i.V. mit § 6 Abs. 3
  43. Satz 1 VVG wegen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit der Klägerin
  44. leistungsfrei. Ob die Klägerin eine Obliegenheitsverletzung begangen
  45. habe, indem sie in der zweiten Anzeige die Frage nach Vorerkrankungen
  46. ihrer Mutter unbeantwortet gelassen habe, könne dahinstehen. Jeden-
  47. -4-
  48. falls habe sie in der ersten Anzeige diese Frage definitiv verneint. Dass
  49. dieser Fragebogen nicht die notwendige Belehrung über die Folgen
  50. wahrheitswidriger Angaben enthalte, sei unschädlich, weil die Gesamtumstände den Schluss auf ein arglistiges Verhalten der Klägerin zuließen. Dafür sprächen folgende Umstände: Schon in der ersten Schadenanzeige werde die Mutter der Klägerin fälschlich als vollkommen gesund
  51. bezeichnet und die Frage nach ärztlichen Behandlungen wegen allgemeiner Erkrankungen in den letzten Jahren wahrheitswidrig verneint.
  52. Nach dem Vorbringen der Klägerin habe sich die von ihr beauftragte
  53. Versicherungsmaklerin vor Abschluss des Vertrages eigens bei der Beklagten erkundigt, ob sie die Mutter der Klägerin ohne Gesundheitsprüfung versichere. Die Vorerkrankungen und gesundheitlichen Probleme
  54. ihrer Mutter seien der Klägerin demnach bewusst gewesen. Unstreitig sei
  55. die Mutter der Klägerin zuvor immer häufiger gestürzt. Bei ihr seien cerebrale Durchblutungsstörungen, wiederholt auftretende Schwindelanfälle und eine Gangunsicherheit ärztlich dokumentiert worden. Damit habe,
  56. und zwar für die Klägerin ohne weiteres erkennbar, ein signifikant erhöhtes Unfallrisiko bestanden. Weiter sei zu berücksichtigen, dass sich der
  57. Unfall lediglich zwei Monate nach Abschluss des Versicherungsvertrages
  58. ereignet habe.
  59. 5
  60. Das Oberlandesgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
  61. 6
  62. II. Die Beschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO
  63. zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der
  64. Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt
  65. -5-
  66. den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103
  67. Abs. 1 GG).
  68. 7
  69. 1. Das Berufungsgericht hat den Unfallversicherungsvertrag ohne
  70. Rechtsfehler als wirksam angesehen. Eine Unfallversicherung für eigene
  71. Rechnung der Klägerin konnte nicht begründet werden, weil es an der
  72. nach § 179 Abs. 3 Satz 1 VVG erforderlichen schriftlichen Einwilligung
  73. der versicherten Person, der Mutter der Klägerin, fehlte. Entsprechend
  74. der Zweifelsregel des § 179 Abs. 2 Satz 1 VVG hat das Berufungsgericht
  75. den Unfallversicherungsvertrag als Fremdversicherung eingeordnet. Diese sei nicht durch den Vertragsinhalt ausgeschlossen; insbesondere sei
  76. dem Versicherungsvertrag nicht zu entnehmen, dass sich die Klägerin
  77. ausdrücklich die Auszahlung der Versicherungsleistung an sich selbst
  78. vorbehalten habe. Diese Auslegung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
  79. 8
  80. 2. Auf einer Verletzung des Rechts der Klägerin auf Gewährung
  81. rechtlichen Gehörs beruhen die Überlegungen, mit denen das Berufungsgericht eine arglistige Obliegenheitsverletzung der Klägerin bei Abgabe der ersten Schadenanzeige angenommen hat.
  82. 9
  83. a) Nach der dem Berufungsurteil zugrunde liegenden Relevanzrechtsprechung des Senats kann sich der Versicherer bei einer vorsätzlichen folgenlosen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des Versicherungsnehmers nur dann auf Leistungsfreiheit berufen, wenn - was das
  84. Berufungsgericht hier bejaht hat - die Obliegenheitsverletzung generell
  85. geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden
  86. und dem Versicherungsnehmer ein erhebliches Verschulden zur Last fiel
  87. (Senatsurteile vom 28. Februar 2007 - IV ZR 331/05 - VersR 2007, 785
  88. -6-
  89. Tz. 15; vom 21. Januar 1998 - IV ZR 10/97 - VersR 1998, 447 unter 2 b,
  90. jeweils m.w.N.). Voraussetzung für die Leistungsfreiheit ist weiterhin,
  91. dass der Versicherer den Versicherungsnehmer vorher deutlich über den
  92. Anspruchsverlust belehrt hat, der ihm bei vorsätzlich falschen Angaben
  93. droht (Senatsbeschluss vom 28. Februar 2007 - IV ZR 152/05 - VersR
  94. 2007, 683 Tz. 2 m.w.N.; Senatsurteil vom 21. Januar 1998 aaO unter 2
  95. c). Eine derartige Belehrung hatte die Klägerin vor Abgabe der ersten
  96. Schadenanzeige von der Beklagten nicht erhalten. In einem solchen Fall
  97. wird - wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat - der Versicherer
  98. gleichwohl leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer arglistig seine
  99. Aufklärungspflicht verletzt hat und deshalb den mit der Belehrungspflicht
  100. bezweckten Schutz nicht verdient (vgl. Senatsurteile vom 12. März 1976
  101. - IV ZR 79/73 - VersR 1976, 383 unter 2; vom 20. Dezember 1972 - IV
  102. ZR 57/71 - VersR 1973, 174 unter VI 4; vom 10. Februar 1971 - IV ZR
  103. 143/69 - VersR 1971, 405 unter II 2; vom 20. November 1970 - IV ZR
  104. 1074/68 - VersR 1971, 142 unter II 3). Eine arglistige Täuschung setzt
  105. eine Vorspiegelung falscher oder ein Verschweigen wahrer Tatsachen
  106. gegenüber dem Versicherer zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der Versicherungsnehmer muss vorsätzlich
  107. handeln, indem er bewusst und willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt (Senatsurteil vom 28. Februar 2007 aaO Tz. 8 m.w.N.).
  108. Eine Bereicherungsabsicht des Versicherungsnehmers ist nicht erforderlich. Es reicht aus, dass er einen gegen die Interessen des Versicherers
  109. gerichteten Zweck verfolgt, etwa indem er Schwierigkeiten bei der
  110. Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche ausräumen will und
  111. weiß, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadenregulierung
  112. möglicherweise beeinflussen kann (BGH, Urteil vom 8. Juli 1991 - II ZR
  113. 65/90 - VersR 1991, 1129, 1131 unter 2 c (2) m.w.N.).
  114. -7-
  115. 10
  116. b) Das Berufungsgericht hat eine Arglist der Klägerin im Kern damit begründet, dass ihr schon bei Abschluss des Unfallversicherungsvertrages die Vorerkrankungen und gesundheitlichen Probleme ihrer Mutter
  117. und das daraus folgende erhöhte Unfallrisiko bewusst gewesen seien.
  118. Dieses Bewusstsein hat das Berufungsgericht daraus abgeleitet, dass
  119. sich die von der Klägerin beauftragte Versicherungsmaklerin vor Abschluss des Vertrages bei der Beklagten erkundigte, ob sie die Mutter
  120. der Klägerin ohne Gesundheitsprüfung versichere. Bei dieser Würdigung
  121. hat das Berufungsgericht unter Missachtung des Anspruchs der Klägerin
  122. auf Gewährung rechtlichen Gehörs wesentlichen Sachvortrag nicht berücksichtigt. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, die Anfrage
  123. bei der Beklagten sei nicht von ihr veranlasst worden, sondern von der
  124. Versicherungsmaklerin
  125. ausgegangen.
  126. Dieses
  127. vom
  128. Berufungsgericht
  129. übergangene Vorbringen ist entscheidungserheblich. Wenn die Klägerin
  130. die Frage nach Versicherung ihrer Mutter ohne Gesundheitsprüfung nicht
  131. initiiert hatte, kann ihr nicht angelastet werden, den Vertrag bewusst in
  132. Kenntnis einer gesteigerten Unfallgefahr abgeschlossen zu haben und
  133. mit gleichgerichteter Täuschungsabsicht die Vorerkrankungen ihrer Mutter in der ersten Schadenanzeige verschwiegen zu haben. Die weiteren
  134. vom Berufungsgericht genannten Umstände lassen nach den dargelegten Maßstäben nicht den Schluss auf eine arglistige Obliegenheitsverletzung der Klägerin zu. Dafür genügt es nicht, dass in der ersten Schadenanzeige die Mutter der Klägerin fälschlich als vollkommen gesund
  135. bezeichnet und die Frage nach ärztlichen Behandlungen wahrheitswidrig
  136. verneint wurde. Einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine
  137. bewusst unrichtige Beantwortung einer vom Versicherer gestellten Frage
  138. immer und nur in der Absicht erfolgt, auf den Willen des Versicherers
  139. einzuwirken, gibt es nicht (Senatsurteil vom 28. Februar 2007 aaO Tz. 8
  140. m.w.N.). Welche Bedeutung der vom Berufungsgericht hervorgehobene
  141. -8-
  142. relativ kurze Zeitablauf zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dem Unfall haben soll, ist nicht verständlich. Dass die Klägerin zur Zeit des Vertragsschlusses den späteren Unfall vorhersehen
  143. konnte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Schließlich hat das
  144. Berufungsgericht nicht berücksichtigt, dass die erste Schadenanzeige
  145. von der Versicherungsmaklerin auf ihrem Formular ausgefüllt und von
  146. der Klägerin unterschrieben wurde. Es spricht einiges dafür, dass sich
  147. der die Klägerin treffende Vorwurf darin erschöpft, die ausgefüllte Schadenanzeige vor Unterzeichnung nicht genau durchgelesen zu haben.
  148. 11
  149. c) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Würdigung aller Umstände zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre. Bei der neuen Verhandlung und
  150. Entscheidung wird es sich auch mit der zweiten Schadenanzeige zu be
  151. -9-
  152. fassen und zu prüfen haben, ob die Klägerin durch Nichtbeantwortung
  153. der Frage nach Vorerkrankungen ihre Aufklärungsobliegenheit vorsätzlich verletzt hat.
  154. Terno
  155. Dr. Schlichting
  156. Felsch
  157. Wendt
  158. Harsdorf-Gebhardt
  159. Vorinstanzen:
  160. LG Düsseldorf, Entscheidung vom 26.04.2006 - 11 O 325/05 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 27.02.2007 - I-4 U 104/06 -