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12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IV ZR 240/14
  5. Verkündet am:
  6. 24. Juni 2015
  7. Schick
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende
  14. Richterin
  15. Mayen,
  16. die
  17. Richter
  18. Felsch,
  19. Lehmann,
  20. die
  21. Richterin
  22. Dr. Brockmöller und den Richter Dr. Schoppmeyer auf die mündliche
  23. Verhandlung vom 24. Juni 2015
  24. für Recht erkannt:
  25. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg - 9. Zivilsenat vom 23. Mai 2014 wird zurückgewiesen.
  26. Die Beklagte trägt die Kosten der Revision mit Ausnahme
  27. der Kosten ihres Streithelfers, die dieser selbst trägt.
  28. Von Rechts wegen
  29. Tatbestand:
  30. 1
  31. Die Klägerin macht als Insolvenzverwalterin der J.
  32. GmbH
  33. (im Folgenden: Schuldnerin) Ansprüche auf Auszahlung des Rückkaufswerts einer von der Schuldnerin zugunsten des Streithelfers bei der Beklagten unterhaltenen Rentenversicherung geltend. Bei dem Streithelfer
  34. handelt es sich um einen von zwei zu je 50% an der Schuldnerin beteiligten Gesellschaftern und zugleich einzelvertretungsberechtigten G eschäftsführern der im September 2006 gegründeten Schuldnerin.
  35. -3-
  36. 2
  37. Zuvor war der Streithelfer Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter mit einem Anteil von 10% in der N.
  38. GmbH
  39. gewesen. Diese Gesellschaft hatte mit dem Streithelfer als versicherter
  40. Person eine arbeitgeberfinanzierte Rentenversicherung bei der Bekla gten abgeschlossen. Versicherungsbeginn war der 1. März 2006. Zum B ezugsrecht heißt es im Versicherungsschein:
  41. 3
  42. 4
  43. 5
  44. "Die versicherte Person ist sowohl für den Todes- als auch
  45. für den Erlebensfall unwiderruflich bezugsberechtigt. Die
  46. Abtretung oder Beleihung des unwiderruflichen Bezugsrechtes ist ausgeschlossen.
  47. Für das unwiderrufliche Bezugsrecht gelten folgende Vo rbehalte:
  48. Dem Arbeitgeber bleibt das Recht vorbehalten, alle Vers icherungsleistungen für sich in Anspruch zu nehmen, wenn
  49. - das Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalles
  50. endet, es sei denn, die versicherte Person hat zu diesem
  51. Zeitpunkt das 30. Lebensjahr vollendet und die Versich erung hat 5 Jahre bestanden.
  52. - die versicherte Person Handlungen begeht, die den Arbeitgeber berechtigen, die Versicherungsansprüche zu
  53. mindern oder zu entziehen."
  54. 6
  55. Mit Wirkung vom 22. Dezember 2006 übernahm die Schuldnerin
  56. den Rentenversicherungsvertrag vom früheren Arbeitgeber des Streithe lfers. Die vorstehend zitierte Passage ist auch im daraufhin erstell ten
  57. Nachtrag zum Versicherungsschein wortgleich enthalten. Im Anschluss
  58. daran heißt es weiter:
  59. 7
  60. "Die oben aufgeführten Widerspruchsvorbehalte bezüglich
  61. des unwiderruflichen Bezugsrechtes gelten nur für den Teil
  62. der Versicherung, der sich aus den Beitragszahlungen während des aktuellen Dienstverhältnisses ergibt. Ansonsten
  63. -4-
  64. besitzt die versicherte Person ein uneingeschränkt unwiderrufliches Bezugsrecht."
  65. 8
  66. Auf Seite 5 ist weiter vereinbart:
  67. 9
  68. "Scheidet die versicherte Person aus den Diensten des A rbeitgebers aus und hat sie eine unverfallbare Anwartschaft
  69. nach § 1 b des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) erworben, so erklärt der
  70. Arbeitgeber, dass er der versicherten Person unter Anwe ndung des § 2 Abs. 3 dieses Gesetzes (Mitgabe der Versicherung), die Rechtsstellung des Versicherungsnehmers
  71. überlässt. …"
  72. 10
  73. Am 18. Oktober 2010 wurde aufgrund Eigenantrags der Schuldn erin vom 31. Mai 2010 das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet
  74. und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt.
  75. 11
  76. Diese kündigte mit Schreiben vom 25. Oktober 2010 den Geschäftsführerdienstvertrag des Streithelfers fristlos. Am 13. Februar 2012
  77. erklärte sie die Kündigung des Rentenversicherungsvertrages und verlangte nachfolgend mit Schreiben vom 22. März 2012 die Auskehr des
  78. Rückkaufswerts.
  79. Diesen
  80. gab
  81. die
  82. Beklagte
  83. zum
  84. 1. Juli
  85. 2012
  86. mit
  87. 6.598,30 € an, wovon 13,52 € auf Beitragszahlungen aus dem früheren
  88. Dienstverhältnis des Streithelfers entfielen. Eine Auszahlung verweigerte
  89. sie.
  90. 12
  91. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht
  92. hat ihr auf die Berufung der Klägerin - unter Abzug des auf das frühere
  93. Dienstverhältnis entfallenden Anteils - in Höhe von 6.584,78 € stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
  94. -5-
  95. Entscheidungsgründe:
  96. 13
  97. Die Revision ist unbegründet.
  98. 14
  99. I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die vom Bundesgerichtshof entwickelten Auslegungsgrundsätze zur Insolvenzfestigkeit des
  100. eingeschränkt unwiderruflichen Bezugsrechts auf den Streithelfer nicht
  101. angewendet werden könnten, weil diese insbesondere darauf abstellten,
  102. dass dem Arbeitnehmer die erworbenen Versicherungsansprüche nicht
  103. auch in den Fällen entzogen werden sollen, in denen die Beendigung
  104. des Arbeitsverhältnisses auf Gründen beruhe, die sich seiner Einflus snahme entziehen und auch sonst nicht seiner Sphäre zuzuordnen sind.
  105. Dagegen habe der Streithelfer aufgrund seiner Beteiligung an der
  106. Schuldnerin und seiner Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer jederzeit maßgeblichen wirtschaftlichen Einfluss auf die Schuldnerin nehmen können, und durch die Insolvenz habe sich gerade se in unternehmerisches Risiko verwirklicht. Außerdem hätten die Parteien bei der
  107. Ausgestaltung des Bezugsrechts auch auf die betriebsrentenrechtlichen
  108. Wertungen abgestellt, indem die versicherte Person das Recht zur For tführung des Vertrages mit eigenen Beiträgen im Falle des Ausscheidens
  109. beim Arbeitgeber erst nach Erwerb einer unverfallbaren Anwartschaft
  110. gemäß § 1 b des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) erhalten sollte. In dieser Konstellation gebe es
  111. keine Anhaltspunkte für eine einschränkende Auslegung des Widerruf svorbehalts dahingehend, dass ein Widerruf bei Insolvenz des Arbeitg ebers nicht zulässig sein solle.
  112. -6-
  113. 15
  114. II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
  115. 16
  116. 1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats steh t das eingeschränkt unwiderrufliche Bezugsrecht einem uneingeschränkt unwide rruflichen Bezugsrecht in wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht gleich,
  117. solange die tatbestandlichen Voraussetzungen des vereinbarten Vorb ehalts nicht erfüllt sind, und kann das Vorliegen dieser tatbestandlichen
  118. Voraussetzungen bei insolvenzbedingter Beendigung des Arbeitsverhäl tnisses aufgrund einer einschränkenden Auslegung der Vorbehaltserkl ärung zu verneinen sein, wobei es insoweit auf die Auslegung der gegenüber dem Versicherer abgegebenen Erklärung im Einzelfall ankommt
  119. (Senatsbeschluss vom 6. Juni 2012 - IV ZA 23/11, NZI 2012, 762 Rn. 3 f.
  120. m.w.N.); diese Auslegung ist in erster Linie Sache des Tatrichters.
  121. 17
  122. 2. Eine solche hat das Berufungsgericht im Streitfall vorgenommen, ohne dass ihm hierbei revisionsrechtlich beachtliche Fehler unte rlaufen sind.
  123. 18
  124. a) Zwar trifft es zu, dass bei einer reinen Wortlautauslegung auch
  125. die insolvenzbedingte Beendigung von Arbeitsverhältnissen von dem
  126. Vorbehalt "ohne weiteres" erfasst wird, weil dort nicht auf den Grund der
  127. Beendigung abgestellt wird (vgl. Senatsurteil vom 22. Januar 2014 - IV
  128. ZR 201/13, VersR 2014, 321 Rn. 14). Hierauf darf sich die Auslegung
  129. aber nicht beschränken, sondern es sind auch Sinn und Zweck der Kla usel unter Berücksichtigung der Interessenlage der Vertragsbeteiligten für
  130. die Auslegung heranzuziehen (Senat aaO Rn. 15 ff.).
  131. 19
  132. Insoweit sind vor allem die typischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen in die Würdigung einzubeziehen, die das maßgebliche
  133. -7-
  134. Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers und der Ve rsicherten (vgl. zu diesem Auslegungsmaßstab Senat aaO Rn. 13) beei nflussen. Das ist zum einen das Interesse der Arbeitnehmer, dass ihnen
  135. die Versicherungsansprüche nicht in Fällen genommen werden, die sich
  136. ihrer Einflussnahme entziehen und auch sonst nicht ihrer Sphäre zuzuordnen sind, und zum anderen das Arbeitgeberinteresse, sich der weit eren Betriebstreue des Arbeitnehmers zu vergewissern (Senat aaO Rn. 16
  137. m.w.N.). Ergänzend ist zu prüfen, ob im Einzelfall sonstige Gesichtspunkte vorliegen, die auch unter Berücksichtigung dieser Interessenlage
  138. ein Festhalten am Wortlaut der Klausel gebieten (Senat aaO Rn. 23).
  139. 20
  140. b) Alles dies hat das Berufungsgericht beachtet. Insbesondere hat
  141. es, anders als die Revision meint, durch die Berücksichtigung der Einflussmöglichkeiten
  142. eines
  143. maßgeblich
  144. beteiligten
  145. Gesellschafter -Ge-
  146. schäftsführers nicht in unzulässiger Weise pauschalierend angenommen,
  147. dass regelmäßig eine Mitverschuldung der Insolvenz durch den Gesellschafter-Geschäftsführer anzunehmen wäre.
  148. 21
  149. Des Weiteren ist die von ihm vorgenommene Auslegung auch nicht
  150. deshalb rechtsfehlerhaft, weil es aufgrund der Regelung auf Seite 5 des
  151. Nachtrags zum Versicherungsschein einen Zusammenhang zwischen der
  152. Versicherung und betriebsrentenrechtlichen Regelungen angenommen
  153. hat. Nach dem Gesamtzusammenhang der Begründung handelt es sich
  154. hierbei nur um einen von mehreren Auslegungsgesichtspunkten, und es
  155. ist jedenfalls nicht unzutreffend, dass die dem Versicherten in d iesem
  156. Regelungszusammenhang zugedachte verbesserte Rechtsstellung allein
  157. von einer Unverfallbarkeit seiner Ansprüche nach dem BetrAVG abhä ngen sollte. Insoweit durfte diese Regelung durchaus als ein Indiz gegen
  158. -8-
  159. eine einschränkende Auslegung des Widerrufsvorbehalts herangezogen
  160. werden.
  161. 22
  162. Dass der Senat in einem anderen Einzelfall eines Gesellschafter Geschäftsführers auch in der Bejahung einer einschränkenden Ausl egung durch das dort entscheidende Berufungsgericht Rechtsfehler nicht
  163. feststellen konnte (Senatsbeschluss vom 6. Juni 2012 - IV ZA 23/11, NZI
  164. 2012, 762 Rn. 4), rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Auch dort lag
  165. eine tatrichterliche Beurteilung zugrunde, die keine revisionsrechtlich
  166. beachtlichen Fehler aufwies.
  167. 23
  168. c) Anders als die Revision meint, hat das Berufungsgericht für die
  169. Auslegung des Vorbehalts auch zu Recht auf die Stellung des Streithe lfers in der Schuldnerin abgestellt.
  170. 24
  171. Mit dem Übergang des Versicherungsvertrages auf die Schuldnerin
  172. ist ein neuer Vorbehalt erklärt worden, der für die Frage der Widerruflichkeit des Bezugsrechts zukünftig maßgeblich sein sollte. Das ergibt
  173. sich aus dem weiteren Zusatz nach der Wiederholung des ursprüngl ichen Vorbehaltstextes, in dem ein eindeutiger Bezug des Widerrufsvo rbehalts zum aktuellen Dienstverhältnis hergestellt ist.
  174. 25
  175. Zwar kommt es nach der Senatsrechtsprechung für die Auslegung
  176. des Vorbehalts auf die Interessenlage an, wie sie sich im Zeitpunkt der
  177. Begründung des Versicherungsschutzes darstellt (Senatsurteil
  178. vom
  179. 22. Januar 2014 - IV ZR 201/13, VersR 2014, 321 Rn. 17). Da aber der
  180. Zusatz durch seine Differenzierung gerade festlegt, in welchem Umfang
  181. Ansprüche aus dem früheren und in welchem Umfang Ansprüche aus
  182. dem neuen Beschäftigungsverhältnis gesichert und vor einem Widerruf
  183. -9-
  184. geschützt sein sollen, und damit den Umfang des Versicherungsschutzes
  185. neu regelt, stellt es eine revisionsrechtlich nicht zu beanstandende ta trichterliche Beurteilung dar, dass das Berufungsgericht insoweit auf die
  186. "bei Abschluss/Novation der Versicherung … vom 22.12.2006" zum Ausdruck gekommene Interessenlage abgestellt hat.
  187. 26
  188. Die vorstehend wiedergegebene Aussage des Senats diente de mgegenüber vor allem der Klarstellung, dass erst später aufgrund einer I nsolvenz hinzutretende Gläubigerinteressen nicht maßgeb lich für die Auslegung des Vorbehalts sind.
  189. - 10 -
  190. 27
  191. III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1
  192. ZPO.
  193. Mayen
  194. Felsch
  195. Dr. Brockmöller
  196. Lehmann
  197. Dr. Schoppmeyer
  198. Vorinstanzen:
  199. LG Hamburg, Entscheidung vom 31.05.2013 - 332 O 165/12 OLG Hamburg, Entscheidung vom 23.05.2014 - 9 U 95/13 -