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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. III ZR 203/09
  5. Verkündet am:
  6. 22. Juli 2010
  7. Freitag
  8. Justizamtsinspektor
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2, § 675
  19. Erhält ein Kapitalanleger Kenntnis von einer bestimmten Pflichtverletzung des
  20. Anlageberaters oder -vermittlers, so handelt er bezüglich weiterer Pflichtverletzungen nicht grob fahrlässig, wenn er die erkannte Pflichtverletzung nicht zum
  21. Anlass nimmt, den Anlageprospekt nachträglich durchzulesen, auch wenn er
  22. bei der Lektüre des Prospekts Kenntnis auch der weiteren Pflichtverletzungen
  23. erlangt hätte (Fortführung von BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09 - für
  24. BGHZ vorgesehen).
  25. BGH, Urteil vom 22. Juli 2010 - III ZR 203/09 - OLG München
  26. LG München I
  27. - 2 -
  28. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  29. vom 22. Juli 2010 durch den Vizepräsidenten Schlick sowie die Richter
  30. Dr. Herrmann, Wöstmann, Hucke und Seiters
  31. für Recht erkannt:
  32. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 20. Zivilsenats
  33. des Oberlandesgerichts München vom 17. Juni 2009 aufgehoben.
  34. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  35. über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  36. Von Rechts wegen
  37. Tatbestand
  38. 1
  39. Der Kläger verlangt aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner
  40. Ehefrau Schadensersatz wegen behaupteter Pflichtverletzungen der Beklagten
  41. anlässlich der Zeichnung einer Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds.
  42. 2
  43. Der Kläger und seine Ehefrau traten im Dezember 1992 der 2. Beteiligungs KG W.
  44. B.
  45. GmbH & Co. N.
  46. -
  47. Fonds Nr. 12 bei. Die Einlage betrug 100.000 DM zuzüglich Agio. In den Jahren
  48. 1994 bis 1997 erhielten die Eheleute Ausschüttungen von insgesamt
  49. - 3 -
  50. 14.537,03 DM. In der Folgezeit unterblieben weitere Ausschüttungen. Die Anleger wurden stattdessen aufgefordert, zur Vermeidung einer Insolvenz des
  51. Fonds Nachschüsse zu leisten. Insoweit zahlten die Eheleute am 26. Oktober
  52. 1999 9.207,45 DM sowie am 29. September 2004 8.826,93 €.
  53. 3
  54. Der Kläger hat behauptet, der Anlageentscheidung sei eine fehlerhafte
  55. Beratung durch den Geschäftsführer T.
  56. der K.
  57. & T.
  58. GmbH, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, vorangegangen. Dieser habe die
  59. Beteiligung im Hinblick auf eine bestehende Mietgarantie als sicher bezeichnet.
  60. Ein Hinweis auf ein unternehmerisches Risiko, vor allem auf die Möglichkeit des
  61. Totalverlusts, und auf die mangelnde Eignung des Fonds zur Altersvorsorge sei
  62. nicht erfolgt. Genauso wenig sei über das Fehlen eines Zweitmarkts (Fungibilität der Anlage) und das Risiko des Wiederauflebens der Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB aufgeklärt worden. Den Anlageprospekt hätten sie
  63. erst nach der Zeichnung der Beteiligung erhalten. Über die Beratungspflichtverletzungen der Beklagten habe ihn sein Anwalt Ende 2004 informiert.
  64. Das Landgericht hat die Schadensersatzklage wegen Verjährung abge-
  65. 4
  66. wiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Gegen das Urteil des
  67. Oberlandesgerichts richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers.
  68. Entscheidungsgründe
  69. 5
  70. Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
  71. und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  72. - 4 -
  73. I.
  74. 6
  75. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sind die streitgegenständlichen
  76. Ansprüche verjährt (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EGBGB, §§ 195,
  77. 199 Abs. 1 BGB).
  78. 7
  79. Der Kläger und seine Ehefrau hätten spätestens seit der Aufforderung
  80. des Fonds vom 26. Oktober 1999, zur Abwendung von dessen Insolvenz Nachzahlungen zu leisten, gewusst, dass sie in den nach Maßgabe ihrer Darstellung
  81. mit dem Geschäftsführer T.
  82. geführten Gesprächen unrichtig informiert
  83. worden seien. Die Kapitalanlage sei weder sicher noch zur Altersvorsorge geeignet gewesen; ein Totalverlust habe nicht nur entfernt gedroht, sondern diese
  84. Gefahr ganz akut bestanden.
  85. 8
  86. Die Tatsache, dass der Kläger und seine Ehefrau die fehlende Fungibilität der Anlage und die Regelung des § 172 Abs. 4 HGB nicht gekannt hätten,
  87. beruhe auf grober Fahrlässigkeit. Wie das Landgericht zu Recht unter Hinweis
  88. auf die nachträgliche erhebliche Abweichung der tatsächlichen von der versprochenen Entwicklung der Kapitalanlage ausgeführt habe, hätten die Eheleute
  89. nach Erhalt der Nachzahlungsaufforderung im Jahre 1999 einen ganz konkreten Anlass gehabt, den Prospekt eingehend durchzulesen und sich darüber zu
  90. informieren, welche Art von Anlage sie denn nun tatsächlich gezeichnet hätten.
  91. Wäre dies geschehen, hätten sie insbesondere den Ausführungen auf Seite 22
  92. und 24 des Prospekts die notwendigen Fakten zur eingeschränkten Veräußerungsmöglichkeit und zur Kommanditistenhaftung entnehmen können. Hätten
  93. sie zudem bereits 1999 auf die Nachforderung reagiert und zwecks Klageerhebung einen Anwalt aufgesucht, wäre ihnen auch auf diesem Weg die entsprechende Kenntnis bereits damals vermittelt worden. Dass sie weder von der ei-
  94. - 5 -
  95. nen noch der anderen Möglichkeit Gebrauch gemacht, sondern die Nachforderung ohne weiteres bedient hätten, stelle eine grobe Verletzung der verkehrsüblichen Sorgfalt dar. Die Eheleute hätten insoweit ganz nahe liegende Überlegungen, nämlich die, falsch informiert worden zu sein, nicht angestellt und auch
  96. das nicht beachtet, was jedem einleuchte, dass man nämlich zur Verfolgung
  97. seiner Rechte aktiv werden müsse. Bei der gegebenen Sachlage sei nicht
  98. nachvollziehbar, aus welchen Gründen sie nicht bereits im Jahre 1999 rechtliche Schritte wegen der mangelnden Sicherheit der Anlage und des Totalverlustrisikos unternommen hätten. Die fehlende Fungibilität und der fehlende
  99. Hinweis auf § 172 Abs. 4 HGB wären ihnen bei der Lektüre des Prospekts
  100. und/oder der Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe ohne weiteres bekannt geworden. Abgesehen davon seien diese beiden Punkte in diesem Zusammenhang nur von untergeordneter Bedeutung, denn bei drohender Insolvenz des
  101. Fonds komme es darauf ohnehin nicht mehr an.
  102. II.
  103. 9
  104. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis nicht stand. Zwar hat
  105. das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung ohne Rechtsfehler - auch die
  106. Revision wendet sich hiergegen nicht - festgestellt, dass der Kläger und seine
  107. Ehefrau im Zusammenhang mit der Aufforderung des Fonds, zur Abwendung
  108. von dessen Insolvenz Nachzahlungen zu leisten, Kenntnis davon erhalten haben, dass entgegen den behaupteten Erklärungen des Geschäftsführers T.
  109. die gewählte Kapitalanlage nicht sicher und deswegen auch zur Altersversorgung ungeeignet war bzw. das ernsthafte Risiko auch eines Totalverlusts
  110. bestand. Soweit das Berufungsgericht hieran anknüpfend allerdings die Auffassung vertreten hat, die fehlende Kenntnis der Eheleute von der mangelnden
  111. - 6 -
  112. Fungibilität der Kapitalanlage und der Regelung des § 172 Abs. 4 HGB beruhe
  113. auf grober Fahrlässigkeit, ist dies rechtsfehlerhaft. Verjährung ist insoweit nicht
  114. eingetreten.
  115. 10
  116. 1.
  117. Die hier in Rede stehenden Ansprüche wegen positiver Vertragsverlet-
  118. zung sind im Jahre 1992, nämlich mit dem Erwerb der Beteiligung an dem geschlossenen Immobilienfonds, entstanden (§ 198 Satz 1 BGB a.F.) und unterlagen zunächst der 30jährigen Verjährungsfrist nach § 195 BGB a.F. Zwar ist der
  119. für den Verjährungsbeginn maßgebliche Eintritt eines Schadens regelmäßig
  120. erst dann anzunehmen, wenn es zu einer konkreten Verschlechterung der
  121. Vermögenslage des Gläubigers gekommen ist; der Eintritt einer risikobehafteten Situation reicht dafür regelmäßig nicht (vgl. nur BGHZ 73, 363, 365; 100,
  122. 228, 231 f; 124, 27, 30). Jedoch kann der auf einer Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung beruhende Erwerb einer für den Anlageinteressenten
  123. nachteiligen, weil seinen konkreten Anlagezielen und Vermögensinteressen
  124. nicht entsprechenden Kapitalanlage bereits für sich genommen einen Schaden
  125. darstellen und ihn deshalb - unabhängig von der ursprünglichen Werthaltigkeit
  126. der Anlage - dazu berechtigen, im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung zu verlangen; der Anspruch entsteht hierbei schon mit dem (unwiderruflichen und vollzogenen) Erwerb der Anlage (vgl. - jeweils m.w.N. - nur BGHZ
  127. 162, 306, 309 f; Senat, Urteil vom 8. Juli 2010 - III ZR 249/09 - Rn. 24, für
  128. BGHZ vorgesehen). So liegt der Fall auch hier.
  129. 11
  130. 2.
  131. Gemäß Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 EGBGB gilt seit
  132. dem 1. Januar 2002 für bis dahin nicht verjährte Schadensersatzansprüche die
  133. dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB n.F. Hierbei setzt der Beginn der
  134. Frist allerdings das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des § 199
  135. Abs. 1 Nr. 2 BGB voraus, das heißt der Gläubiger muss von den den Anspruch
  136. - 7 -
  137. begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt
  138. haben oder seine diesbezügliche Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruhen
  139. (vgl. nur BGHZ 171, 1, 7 ff Rn. 19 ff; 179, 260, 276 Rn. 46; Senat, Urteile vom
  140. 19. November 2009 - III ZR 169/08 - BKR 2010, 118, 119 Rn. 13, vom 8. Juli
  141. 2010, aaO, Rn. 25). Für eine dahingehende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis trägt der Schuldner - hier also die Beklagte - die Darlegungs- und Beweislast (vgl. nur BGHZ 171, 1, 11 Rn. 32; BGH, Urteil vom 3. Juni 2008 - XI ZR
  142. 319/06 - ZIP 2008, 1714, 1717, Rn. 25; Senat, Urteil vom 8. Juli 2010, aaO).
  143. 12
  144. 3.
  145. Hierbei obliegt die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf
  146. grober Fahrlässigkeit zu machen ist, der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt,
  147. bei der Beurteilung des Verschuldensgrads wesentliche Umstände außer Acht
  148. gelassen oder gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstoßen hat (vgl. nur BGHZ 10, 14, 16 f; 10, 69, 74; 145, 337, 340; 163,
  149. 351, 353; Senat, Urteil vom 8. Juli 2010, aaO Rn. 27). Grobe Fahrlässigkeit
  150. setzt dabei einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren
  151. Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt
  152. demnach nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz
  153. nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im
  154. gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein
  155. schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung („Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil
  156. sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat (vgl. nur BGH, Urteile
  157. vom 23. September 2008 - XI ZR 262/97 - ZIP 2008, 2164, 2165, Rn. 16; vom
  158. 10. November 2009 - VI ZR 247/08 - VersR 2010, 214, 215, Rn. 13; Senat, Ur-
  159. - 8 -
  160. teil vom 8. Juli 2010, aaO Rn. 28 m.w.N.). Hierbei trifft den Gläubiger aber generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben; vielmehr
  161. muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falls als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers
  162. bejahen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2009 aaO S. 216
  163. Rn. 15 f m.w.N.; Senat, Urteil vom 8. Juli 2010, aaO).
  164. 13
  165. 4.
  166. Geht es - wie hier - um den Vorwurf verschiedener Aufklärungs- oder
  167. Beratungsfehler, sind die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB allerdings getrennt für jede einzelne Pflichtverletzung zu prüfen. Wird ein Schadensersatzanspruch auf mehrere Fehler gestützt, beginnt die Verjährung daher nicht
  168. einheitlich, wenn bezüglich eines Fehlers Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorliegt und dem Anleger insoweit eine Klage zumutbar wäre. Vielmehr
  169. ist jede Pflichtverletzung verfahrensrechtlich selbständig zu behandeln. Dem
  170. Gläubiger muss es in einem solchen Fall auch unbenommen bleiben, eine ihm
  171. bekannt gewordene Pflichtverletzung - selbst wenn eine darauf gestützte Klage
  172. auf Rückabwicklung des Vertrags erfolgversprechend wäre - hinzunehmen, ohne Gefahr zu laufen, dass deshalb Ansprüche aus weiteren, ihm zunächst aber
  173. noch unbekannten Pflichtverletzungen zu verjähren beginnen (vgl. BGH, Urteil
  174. vom 9. November 2007 - V ZR 25/07 - NJW 2008, 506, 507 Rn. 14 ff; Senat,
  175. Urteil vom 19. November 2009, aaO S. 119 f Rn. 14 f).
  176. 14
  177. 5.
  178. Mit diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht
  179. vereinbar.
  180. - 9 -
  181. 15
  182. a) Wie der Senat in seinem Urteil vom 8. Juli 2010 (aaO Rn. 29 ff) entschieden hat, liegt eine grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1
  183. Nr. 2 BGB im Allgemeinen nicht schon dann vor, wenn sich die für die Kenntnis
  184. der anspruchsbegründenden Umstände einer Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung notwendigen Informationen aus dem Anlageprospekt ergeben,
  185. der Anleger aber dessen Lektüre unterlassen hat. Zwar kommt dem Prospekt in
  186. aller Regel eine große Bedeutung für die Information des Anlageinteressenten
  187. über die ihm empfohlene Kapitalanlage zu. Sofern der Prospekt geeignet ist, die
  188. nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und er
  189. dem Anleger rechtzeitig vor Vertragsschluss überlassen worden ist, kann die
  190. Aushändigung eines Prospekts im Einzelfall ausreichen, um den Beratungsund Auskunftspflichten Genüge zu tun (siehe etwa Senat, Versäumnisurteil vom
  191. 18. Januar 2007 - III ZR 44/06 - NJW-RR 2007, 621, 622 Rn. 17 sowie Urteile
  192. vom 12. Juli 2007 - III ZR 145/06 - NJW-RR 2007, 1692 Rn. 9, vom 19. Juni
  193. 2008 - III ZR 159/07 - BeckRS 2008, 13080 Rn. 7, vom 5. März 2009 - III ZR
  194. 302/07 - NJW-RR 2009, 687, 688 Rn. 17, vom 5. März 2009 - III ZR 17/08 - WM
  195. 2009, 739, 740 Rn. 12 und vom 19. November 2009 aaO S. 120 Rn. 24 m.w.N.;
  196. s. auch BGH, Urteil vom 21. März 2005 - II ZR 310/03 - NJW 2005, 1784,
  197. 1787 f). Es liegt daher zweifellos im besonderen Interesse des Anlegers, diesen
  198. Prospekt eingehend durchzulesen. Andererseits misst der Anleger, der bei seiner Entscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder -vermittlers in Anspruch nimmt, den Ratschlägen, Auskünften und
  199. Mitteilungen des Beraters oder Vermittlers, die dieser ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, besonderes Gewicht bei. Die Prospektangaben,
  200. die notwendig allgemein gehalten sind und deren Detailfülle, angereichert mit
  201. volks-, betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Fachausdrücken, viele
  202. Anleger von einer näheren Lektüre abhält, treten demgegenüber regelmäßig in
  203. den Hintergrund. Vertraut daher der Anleger auf den Rat und die Angaben "sei-
  204. - 10 -
  205. nes" Beraters oder Vermittlers und sieht er deshalb davon ab, den ihm übergebenen Anlageprospekt durchzusehen und auszuwerten, so ist darin im Allgemeinen kein in subjektiver und objektiver Hinsicht "grobes Verschulden gegen
  206. sich selbst" zu sehen. Unterlässt der Anleger eine "Kontrolle" des Beraters oder
  207. Vermittlers durch Lektüre des Anlageprospekts, so weist dies auf das bestehende Vertrauensverhältnis hin und ist daher für sich allein genommen nicht
  208. schlechthin "unverständlich" oder "unentschuldbar" (Senat, Urteil vom 8. Juli
  209. 2010, aaO Rn. 33).
  210. b) Entgegen der Auffassung der Instanzgerichte bestand im vorliegenden
  211. 16
  212. Fall auch kein besonderer dringlicher Anlass für den Kläger und seine Ehefrau,
  213. den Prospekt nachträglich zu studieren, nachdem sie die Nachschussaufforderung des Fonds vom 26. Oktober 1999 erhalten hatten. Jedenfalls könnte eine
  214. solche Unterlassung nicht als grob fahrlässig im obigen Sinn eingestuft werden.
  215. Wie das Berufungsgericht selbst feststellt, hatten die Eheleute aufgrund der
  216. finanziellen Situation des Fonds spätestens zu diesem Zeitpunkt Kenntnis davon, dass sie - nach Maßgabe ihrer Darstellung - von dem Geschäftsführer
  217. T.
  218. bezüglich der Sicherheit der Anlage nicht ordnungsgemäß aufgeklärt
  219. bzw. beraten worden waren, sodass sie bezüglich dieser Pflichtverletzung bereits damals hätten Klage erheben können. Hierzu benötigten sie aber keine
  220. weiteren Erkenntnisse aus dem Prospekt. Es bestand für sie - angesichts der
  221. von den Instanzgerichten zu Recht hervorgehobenen deutlichen Abweichung
  222. der tatsächlichen Entwicklung des Fonds von dem behaupteten Inhalt des mit
  223. dem Geschäftsführer T.
  224. geführten Gesprächs - keine zwingende Ver-
  225. anlassung, den alten Prospekt herauszusuchen und daraufhin durchzuarbeiten,
  226. ob die mündlichen Erklärungen auch vom Inhalt des Prospekts abwichen. Dies
  227. hätte im vorliegenden Fall bezogen auf die erkannte Pflichtverletzung zudem
  228. lediglich dazu geführt, dass zusätzlich festgestellt worden wäre, dass der Fonds
  229. - 11 -
  230. auch nach der Beschreibung im Prospekt tatsächlich nicht so sicher war, wie es
  231. nach der Darstellung des Klägers im Beratungsgespräch vorgespiegelt worden
  232. sein soll. Der Prospektinhalt selbst war für den konkreten Aufklärungs- bzw.
  233. Beratungsfehler und dessen Verfolgung letztlich nicht entscheidend.
  234. 17
  235. Im Übrigen dient ein Prospekt vorrangig der Information des Anlageinteressenten im Zusammenhang mit der Anlageentscheidung. Dieser Zweck ist mit
  236. dem unwiderruflich gewordenen Erwerb der Anlage erfüllt. Demgegenüber ist
  237. es nicht die eigentliche Funktion des Prospekts, die Richtigkeit der im Rahmen
  238. eines mündlichen Beratungs- oder Vermittlungsgesprächs gemachten Angaben
  239. lange Zeit nach der Anlageentscheidung kontrollieren zu können.
  240. 18
  241. Selbst wenn man aber der Meinung wäre, ein Anleger würde aus Anlass
  242. der Entdeckung eines Aufklärungs- oder Beratungsfehlers Veranlassung haben,
  243. den Prospekt zu studieren, so beschränkt sich dies doch auf etwaige die Pflichtverletzung unmittelbar betreffende Passagen. Den Anleger trifft jedoch keine im
  244. Fall der Unterlassung mit dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit verbundene Obliegenheit, bei Entdeckung eines Fehlers den regelmäßig sehr umfangreichen - hier 56 Seiten umfassenden - Anlageprospekt vorsorglich auf mögliche
  245. weitere Fehler durchzuarbeiten. Insoweit kann die Obliegenheit, bezüglich einer
  246. Pflichtverletzung bestimmte Maßnahmen vorzunehmen, von ihrem Schutzzweck her nicht auf andere Pflichtverletzungen erstreckt werden. Entscheidend
  247. ist, ob bezüglich der weiteren Fehler eine jeweils eigenständige Obliegenheitspflichtverletzung vorliegt, aufgrund derer sich der Anleger einer ihm aufdrängenden Kenntnis verschlossen hat. Unterlässt es ein Anleger grob fahrlässig,
  248. sich trotz eines konkreten Anlasses über einen bestimmten Umstand zu informieren, wird er so behandelt, als hätte er hiervon Kenntnis. Der Zusammenhang zwischen der Obliegenheitspflichtverletzung und der Unkenntnis fehlt aber
  249. - 12 -
  250. bei solchen Informationen, die der Anleger nicht gezielt hätte suchen müssen,
  251. sondern die er nur anlässlich einer anderweitig angelegten - und von ihm unterlassenen - Recherche gegebenenfalls hätte erlangen können.
  252. 19
  253. c) Ebenso rechtsfehlerhaft ist die Auffassung des Berufungsgerichts, grobe Fahrlässigkeit liege deshalb vor, weil der Kläger nicht bereits im Jahre 1999
  254. einen Anwalt aufgesucht habe, der ihn im Rahmen einer umfassenden Beratung dann auf die weiteren behaupteten Pflichtverletzungen der Beklagten hingewiesen hätte. Die Prüfung, ob grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 199
  255. Abs. 1 Nr. 2 BGB bezüglich weiterer Fehler vorliegt, ist wegen der Selbständigkeit der verjährungsrechtlichen Behandlung jedes einzelnen Aufklärungs- oder
  256. Beratungsfehlers nicht aus der Sicht des ersten - erkannten - Fehlers zu beurteilen. Es ist deshalb nicht die Frage zu stellen, ob ein Anleger bezüglich des
  257. ersten Fehlers bestimmte Maßnahmen - hier Aufsuchen eines Anwalts zwecks
  258. Klageerhebung - hätte unternehmen müssen, bei deren Vornahme dann die
  259. weiteren Fehler gegebenenfalls aufgedeckt worden wären, sondern es ist zu
  260. fragen, ob es bezüglich der weiteren Fehler eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung ist, wenn man bezüglich der Verfolgung eines anderen Fehlers
  261. bestimmte Maßnahmen unterlässt. Letzteres ist aber eindeutig zu verneinen.
  262. Dem Gläubiger bleibt es - wie ausgeführt - unbenommen, eine ihm bekannt gewordene Pflichtverletzung, selbst wenn eine darauf gestützte Klage auf Rückabwicklung des Vertrags erfolgversprechend wäre, hinzunehmen, ohne Gefahr
  263. zu laufen, dass deshalb Ansprüche aus weiteren, ihm zunächst aber noch unbekannten Pflichtverletzungen zu verjähren beginnen.
  264. 20
  265. d) Das Berufungsurteil wird auch nicht durch die Feststellung getragen,
  266. dass die streitgegenständlichen Aspekte der mangelnden Fungibilität sowie der
  267. Haftung nach § 172 Abs. 4 HGB in diesem Zusammenhang nur von unterge-
  268. - 13 -
  269. ordneter Bedeutung seien, da es bei drohender Insolvenz des Fonds darauf
  270. ohnehin nicht mehr ankomme. Der Umstand, dass der Kläger aufgrund insoweit
  271. eingetretener Verjährung das Risiko des Totalverlusts aufgrund einer Insolvenz
  272. des Fonds tragen muss, besagt nicht, dass er das wirtschaftlich weniger gewichtige Risiko fehlender Fungibilität oder der Haftung nach § 172 Abs. 4 HGB
  273. ebenfalls tragen müsste. Ist eine Aufklärungs- oder Beratungspflichtverletzung
  274. kausal für den im Erwerb der Anlage liegenden Schaden, da der Anlageentschluss von ihr beeinflusst ist und die Anlage anderenfalls nicht getätigt worden
  275. wäre, kommt es nicht darauf an, aus welchen Gründen die Anlage später im
  276. Wert gefallen oder die Beteiligungsgesellschaft in Insolvenz geraten ist und ob
  277. bezüglich weiterer Pflichtverletzungen ein durchsetzbarer Anspruch auf Schadensersatz besteht oder nicht (mehr) besteht. Die durch Lebenserfahrung begründete Vermutung für einen Ursachenzusammenhang zwischen fehlerhafter
  278. Beratung und Anlageentscheidung (vgl. Senat, Urteil vom 8. Juli 2010, aaO
  279. Rn. 20), gilt dabei für jeden einzelnen Beratungsfehler einschränkungslos. Abgesehen davon hat der Kläger unter Beweisantritt vorgetragen, dass die Beteiligung nicht gezeichnet worden wäre, wenn er und seine Frau gewusst hätten,
  280. dass es keinen Zweitmarkt für die Anteile gibt und die erhaltenen Ausschüttungen mit dem Risiko der Rückforderung gemäß § 172 Abs. 4 HGB behaftet sind.
  281. 21
  282. 6.
  283. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als
  284. richtig dar (§ 561 ZPO). Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ist vielmehr nicht auszuschließen, dass der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch besteht.
  285. - 14 -
  286. a) Der Kläger hat behauptet, zwischen ihm und seiner Ehefrau einerseits
  287. 22
  288. sowie der Rechtsvorgängerin der Beklagten, vertreten durch deren Geschäftsführer T.
  289. , anderseits sei ein Anlageberatungsvertrag geschlossen wor-
  290. den; entgegen der Darstellung der Beklagten seien die Gespräche im Zusammenhang mit der Zeichnung der Beteiligung nicht mit Mitarbeitern der Firma
  291. T.
  292. -Immobilien geführt worden. Mangels entgegenstehender Feststellun-
  293. gen des Berufungsgerichts ist hiervon im Revisionsverfahren auszugehen.
  294. 23
  295. b) Zu den Umständen, auf die ein Anlageberater hinzuweisen hat, gehört
  296. nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 18. Januar 2007 - III ZR
  297. 44/06 - ZIP 2007, 636, 637 f Rn. 11 ff; vom 19. November 2009, aaO, S. 120
  298. Rn. 20) die in Ermangelung eines entsprechenden Markts fehlende oder sehr
  299. erschwerte Möglichkeit, eine Kommanditbeteiligung an einem Immobilienfonds
  300. zu veräußern. Allerdings kann - wie ausgeführt - die Aufklärungspflicht des Beraters entfallen, wenn die entsprechende Belehrung im Anlageprospekt enthalten ist und der Berater davon ausgehen kann, dass der Kunde diesen gelesen
  301. und verstanden hat sowie gegebenenfalls von sich aus Nachfragen stellt (Senat, Urteil vom 18. Januar 2007, aaO, S. 638 Rn. 17). Der Prospekt muss insoweit aber so rechtzeitig vor Vertragsschluss übergeben werden, dass sein Inhalt
  302. noch zur Kenntnis genommen werden kann (Senat, Urteil vom 19. November
  303. 2009, aaO, Rn. 24; siehe zur Rechtslage beim Anlagevermittler Senat, Urteil
  304. vom 12. Juli 2007 - III ZR 145/06 - ZIP 2007, 1864, 1865 Rn. 11 ff). Entsprechendes gilt auch für die Aufklärung über ein mögliches Wiederaufleben der
  305. Kommanditistenhaftung nach § 172 Abs. 4 HGB. Nach der Darstellung des Klägers (zur diesbezüglichen Beweislast vgl. Senat, Urteil vom 19. November
  306. 2009, aaO Rn. 25 m.w.N.) ist der Prospekt allerdings erst nach Zeichnung der
  307. Anlage übergeben worden.
  308. - 15 -
  309. 24
  310. 3.
  311. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1
  312. Satz 1 ZPO), damit die noch erforderlichen Feststellungen getroffen werden
  313. können.
  314. Schlick
  315. Herrmann
  316. Hucke
  317. Wöstmann
  318. Seiters
  319. Vorinstanzen:
  320. LG München I, Entscheidung vom 14.11.2008 - 27 O 1275/08 OLG München, Entscheidung vom 17.06.2009 - 20 U 5675/08 -