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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. III ZB 2/16
  4. vom
  5. 2. Juni 2016
  6. in dem Rechtsstreit
  7. ECLI:DE:BGH:2016:020616BIIIZB2.16.0
  8. - 2 -
  9. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Juni 2016 durch den
  10. Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, die Richter Hucke, Seiters und Reiter
  11. sowie die Richterin Dr. Liebert
  12. beschlossen:
  13. Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
  14. Oberlandesgerichts Stuttgart - 19. Zivilsenat - vom 9. Dezember
  15. 2015 - 19 U 158/15 - wird zurückgewiesen.
  16. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Kläger zu
  17. tragen.
  18. Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde beträgt 200.675 €.
  19. Gründe:
  20. I.
  21. 1
  22. Der Kläger hat mit am 6. November 2015 bei dem Oberlandesgericht
  23. eingegangenem Anwaltsschriftsatz gegen ein ihm am 1. Oktober 2015 zugestelltes Urteil Berufung eingelegt und zugleich beantragt, ihm wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
  24. - 3 -
  25. 2
  26. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen: Es sei zwischen ihm und seinem Rechtsanwalt vereinbart gewesen, das Urteil möglichst am letzten Tag der Frist anzufechten, um
  27. eine selbständige Anschlussberufung der Beklagten zu vermeiden. Sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufung am 2. November 2015 (Montag) diktieren und dann sofort einreichen wollen. Die Akte habe hierfür bereits auf dessen
  28. Schreibtisch parat gelegen. Am Vormittag des 2. November 2015 habe sein
  29. Prozessbevollmächtigter nach dem Ende einer Besprechung gegen 10.45 Uhr
  30. einen Anruf erhalten, mit dem ihm mitgeteilt worden sei, dass ein Freund am
  31. Vortag tödlich verunglückt sei. Bei dem Verstorbenen handele es sich um einen
  32. langjährigen und besten Freund des Rechtsanwalts. Dieser sei auf Grund der
  33. Nachricht völlig paralysiert gewesen, habe im Augenblick keinen Ton mehr reden und erst recht keinen anderen Gedanken fassen können. Er sei kurzerhand
  34. nach Hause gegangen, um diese schreckliche Nachricht auch seiner Ehefrau
  35. weiter zu geben. Er habe noch einige Akten, die bereits in der Aktentasche gewesen seien, mitgenommen, um gegebenenfalls am Nachmittag zu Hause etwas zu arbeiten. Dies sei ihm nicht gelungen. Die Akte des vorliegenden
  36. Rechtsstreits sei auf seinem Schreibtisch verblieben. Ohne das dramatische
  37. Ereignis, das den Rechtsanwalt in einen seelischen Ausnahmezustand versetzt
  38. habe, wäre es nicht zur Versäumung der Berufungsfrist gekommen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat diese Angaben an Eides statt und anwaltlich versichert.
  39. 3
  40. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen
  41. und die Berufung als unzulässig verworfen. Nach ständiger Rechtsprechung
  42. des Bundesgerichtshofs müsse ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen
  43. dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen werde, wenn er unvorhergesehen ausfalle. Er müsse seinem Personal
  44. - 4 -
  45. die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen solchen Fall geben. Dass
  46. der Prozessbevollmächtigte des Klägers derartige Vorkehrungen getroffen habe, trage er nicht vor. Selbst ein Einzelanwalt müsse zumutbare Vorkehrungen
  47. für einen solchen Verhinderungsfall treffen. Der Prozessbevollmächtigte des
  48. Klägers sei indes nicht als Einzelanwalt, sondern mit zwei weiteren - grundsätzlich als Vertreter in Betracht kommenden - Kollegen in der Kanzlei tätig.
  49. 4
  50. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
  51. II.
  52. 5
  53. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1
  54. Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
  55. 6
  56. 1.
  57. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO zulässig,
  58. weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
  59. Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
  60. 7
  61. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses enthält überzogene
  62. Anforderungen an den Wiedereinsetzungsantrag. Dies führt zur Zulässigkeit der
  63. Rechtsbeschwerde, auch wenn sich - wie hier - der Fehler nicht auf das Ergebnis der Entscheidung ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober
  64. 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 368 und vom 26. Januar 2009 - II ZB 6/08,
  65. NJW 2009, 1083 Rn. 13).
  66. - 5 -
  67. 8
  68. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung muss ein Rechtsanwalt
  69. allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Er
  70. muss seinem Personal die notwendigen allgemeinen Anweisungen für einen
  71. solchen Fall geben. Ist er als Einzelanwalt ohne eigenes Personal tätig, muss er
  72. ihm zumutbare Vorkehrungen für einen Verhinderungsfall treffen. Durch Maßnahmen im Einzelfall muss sich der Rechtsanwalt allerdings nur dann vorbereiten, wenn er einen konkreten Ausfall vorhersehen kann (z.B. BGH, Beschlüsse
  73. vom 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn. 9; vom 26. September 2013 - V ZB 94/13, NJW 2014, 228 Rn. 7 und vom 9. Juli 2015 - V ZB
  74. 156/14, BeckRS 2015, 13847 Rn. 7). Wird der Rechtsanwalt unvorhergesehen
  75. krank, muss er nur das, aber auch alles, was ihm dann noch möglich und zumutbar ist, zur Fristwahrung unternehmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. September 2009 aaO; vom 7. März 2013 - I ZB 67/12, NJW-RR 2013, 1011 Rn. 8;
  76. vom 18. Juli 2013 - V ZB 173/12, BeckRS 2013, 16723 Rn. 9; vom 7. August
  77. 2013 - XII ZB 533/10, NJW 2013, 3183 Rn. 10 und vom 26. September 2013
  78. aaO Rn. 10).
  79. 9
  80. Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht mithin differenzierte Anforderungen einerseits für allgemeine vorausschauende Vorkehrungen für den
  81. Krankheitsfall und andererseits für konkrete Maßnahmen im bereits eingetretenen Krankheitsfall vor. Deshalb durfte der Wiedereinsetzungsantrag nicht allein
  82. mit der Begründung zurückgewiesen werden, es fehle Vortrag zu den allgemeinen Vorkehrungen für den Krankheitsfall. Der Sachverhaltsschilderung des Klägers ist zu entnehmen, dass der Prozessbevollmächtigte die Kanzlei spontan
  83. verließ in einem Zustand, in dem er nach seinen Angaben paralysiert war und
  84. nicht sprechen konnte. Dafür, dass er zuvor oder später im Laufe des Tages
  85. seine Kollegen oder sein Büropersonal über seinen Ausfall informiert hat oder
  86. - 6 -
  87. dieser auf sonstige Weise bekannt wurde, bestanden nach dieser Sachverhaltsschilderung keine Anhaltspunkte. Angesichts dieses Sachverhalts konnte
  88. das Berufungsgericht nicht davon ausgehen, dass allgemeine Vorkehrungen für
  89. den Krankheitsfall die Versäumnis verhindert hätten, da diese nur hätten greifen
  90. können, wenn der Eintritt des Krankheitsfalls den Kollegen oder dem Büropersonal bekannt gewesen wäre. Angaben zu der allgemeinen Vertretungsregelung für den Krankheitsfall waren demnach für die Entscheidung nicht erheblich
  91. und durften deshalb auch nicht verlangt werden. Jedenfalls aber hätte das Berufungsgericht den Kläger, der diesem Gesichtspunkt mangels Kausalität für die
  92. Fristversäumnis keine Bedeutung beimessen musste und ersichtlich nicht beigemessen hat, nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf seine Bedenken hinweisen
  93. und ihm Gelegenheit zur Äußerung geben müssen (vgl. BGH, Beschluss vom
  94. 26. Januar 2009 - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083 Rn. 12).
  95. 10
  96. 2.
  97. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung des
  98. Berufungsgerichts stellt sich aus anderen Gründen als richtig dar.
  99. 11
  100. Der Kläger hat ein ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nicht auszuräumen vermocht. Dem
  101. Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers alle ihm trotz der unvorhergesehenen Situation möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung der Frist unternommen hat.
  102. Die Fristversäumnis wäre nur dann unverschuldet, wenn es dem Prozessbevollmächtigten nicht möglich und zumutbar gewesen wäre, bis zum Fristablauf
  103. die Berufungsschrift selbst zu fertigen oder durch eine Information des Vertreters oder des Büropersonals eine Fertigung durch einen Vertreter zu veranlassen. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ergibt sich aus dem anwaltlich versicherten Vortrag des Klägers nicht. Angesichts der Tatsache, dass nach dem
  104. - 7 -
  105. eigenen Vortrag die Einlegung der Berufung bereits mit dem Kläger vereinbart
  106. war, war lediglich die Berufungsschrift noch zu fertigen. Deren Fertigung stellt
  107. an den Anwalt keine großen inhaltlichen und zeitlichen Herausforderungen. Ein
  108. vertieftes Aktenstudium oder eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem
  109. Streitstoff ist hierfür nicht erforderlich. Auch für einen Vertreter ist die Einlegung
  110. der Berufung demnach kurzfristig und ohne großen Aufwand möglich. Der Vortrag des Klägers lässt bereits nicht erkennen, dass und aus welchem Grund
  111. diese einfache Tätigkeit dem Prozessbevollmächtigten während des gesamten
  112. Tages bis zum Fristablauf nicht mehr möglich gewesen sein soll. Erst recht
  113. ergibt sich aus dem Vortrag nicht, dass es ihm noch nicht einmal möglich war,
  114. seine Vertreter oder sein Büropersonal zu informieren, um eine Vertretung zu
  115. veranlassen. Dem Vortrag kann nur entnommen werden, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Anschluss an den Anruf gegen 10.45 Uhr paralysiert war, im Augenblick keinen Ton mehr reden und erst recht keinen anderen
  116. Gedanken fassen konnte und er unter Mitnahme von Akten, allerdings ohne die
  117. maßgebliche Akte, nach Hause ging. Für die weitere Zeit bis zum Fristablauf
  118. am Ende des Tages findet sich nur die Erklärung, dass es nicht gelungen sei,
  119. die mit nach Hause genommenen Akten am Nachmittag zu bearbeiten. Dies
  120. besagt aber nichts darüber, dass er auch außerstande war, die einfache Berufungsschrift zu fertigen und versenden zu lassen oder wenigstens seine Kanzlei
  121. zu benachrichtigen.
  122. 12
  123. Entsprechender Vortrag kann auch nicht mehr nachgeholt werden, weshalb auch die im Übrigen ebenfalls nicht hinreichend konkretisierten und nicht
  124. glaubhaft gemachten Ausführungen der Beschwerde, wonach der Prozessbevollmächtigte selbst außerstande gewesen sei, die Berufungsschrift zu diktieren
  125. und deren Versendung zu veranlassen oder konkrete Vorkehrungen für eine
  126. Vertretung durch einen seiner Sozien zu treffen, nicht mehr berücksichtigt wer-
  127. - 8 -
  128. den können. Maßgeblich sind nur die Angaben, die eine Partei in ihrem Wiedereinsetzungsantrag mitgeteilt hat; jedenfalls sind die für die Wiedereinsetzung
  129. wesentlichen Tatsachen innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vorzubringen. Zulässig ist nach Fristablauf lediglich die Ergänzung von fristgerecht gemachten, aber für sich, weil erkennbar unklar oder unvollständig, nicht ausreichenden Angaben, bei denen eine gerichtliche Aufklärung nach § 139 ZPO geboten war (z.B. Senat, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - III ZB 47/12,
  130. BeckRS 2013, 02649 Rn. 9; vom 12. September 2013 - III ZB 7/13, NJW 2014,
  131. 225 Rn. 9; vom 27. November 2013 - III ZB 29/13, BeckRS 2013, 22113 Rn. 10
  132. und vom 28. Januar 2016 - III ZB 110/15, BeckRS 2016, 03516 Rn. 9; BGH,
  133. Beschlüsse vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367, 369 und vom
  134. 17. Juli 2013 - XII ZB 115/13, NJW-RR 2013, 1328 Rn. 9). Es besteht aber keine Verpflichtung des Gerichts, eine anwaltlich vertretene Partei auf die nicht
  135. ausreichenden Gründe des Wiedereinsetzungsantrags hinzuweisen (z.B. Senat, Beschlüsse vom 27. November 2013 aaO und vom 28. Januar 2016 aaO;
  136. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2013 aaO). Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an einen Rechtsanwalt im Krankheitsfall stellt, sind bekannt und
  137. müssen ihm auch ohne richterlichen Hinweis geläufig sein. Wie ausgeführt, entspricht es insbesondere der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass auch im Falle unvorhergesehener Krankheit noch alle möglichen und
  138. zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung der Fristversäumung unternommen
  139. werden müssen, so dass die Darlegung einer schuldlosen Fristversäumung
  140. konkreten Vortrag dazu erfordert, dass keine die Fristversäumung verhindernden Maßnahmen mehr möglich und zumutbar waren. Wenn der Vortrag dem
  141. nicht Rechnung trägt und keinen Grund für das Unterbleiben naheliegender
  142. Maßnahmen aufzeigt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken,
  143. die aufzuklären oder zu füllen sind, sondern erlaubt den Schluss darauf, dass
  144. ein derartiger Grund gefehlt hat (vgl. für fehlenden Vortrag zu organisatorischen
  145. - 9 -
  146. Maßnahmen z.B. Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 aaO; BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober 2003 aaO und vom 24. Januar 2012 - II ZB 3/11, NJW-RR
  147. 2012, 747 Rn. 12).
  148. 13
  149. Mangels Einhaltung der Berufungsfrist ist die Berufung des Klägers
  150. demnach zu Recht als unzulässig verworfen worden.
  151. Herrmann
  152. Hucke
  153. Reiter
  154. Seiters
  155. Liebert
  156. Vorinstanzen:
  157. LG Stuttgart, Entscheidung vom 25.09.2015 - 19 O 30/12 OLG Stuttgart, Entscheidung vom 09.12.2015 - 19 U 158/15 -