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169 lines
8.2 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. III ZB 123/05
  4. vom
  5. 30. März 2006
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO §§ 342, 516
  14. Der Berufungskläger kann seine Berufung auch noch nach der Verkündung eines
  15. Versäumnisurteils zurücknehmen, wenn gegen dieses Urteil zulässig Einspruch
  16. eingelegt worden ist.
  17. BGH, Beschluss vom 30. März 2006 - III ZB 123/05 - OLG Celle
  18. LG Hannover
  19. - 2 -
  20. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. März 2006 durch den
  21. Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Galke und
  22. Dr. Herrmann
  23. beschlossen:
  24. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des
  25. 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 26. Oktober 2005
  26. - 5 U 184/04 - wird zurückgewiesen.
  27. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu
  28. tragen.
  29. Beschwerdewert: 3.867,95 € (1.391,87 € + 175,27 € + 2.300,81 €)
  30. Gründe:
  31. I.
  32. 1
  33. In dem vorliegenden Rechtsstreit nahm die Klägerin die während des
  34. Berufungsverfahrens verstorbene ursprüngliche Beklagte, deren Alleinerbin die
  35. jetzige Beklagte ist (im Folgenden einheitlich: die Beklagte), auf Zahlung rückständiger Heimkosten von 5.203,11 € in Anspruch. Das Landgericht gab der
  36. Klage in Höhe von 1.391,87 € (1.942,39 € abzüglich gezahlter 550,52 €) nebst
  37. Zinsen statt. Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein und forderte die Leistung weiterer 2.476,08 €. Die Beklagte schloss sich der Berufung an, bean-
  38. - 3 -
  39. tragte sinngemäß Klageabweisung sowie widerklagend, die Klägerin zur Zahlung von 2.300,81 € zuzüglich Zinsen zu verurteilen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht trat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die zu diesem Zeitpunkt nur noch die Feststellung einer Erledigung ihres
  40. Zahlungsantrags in Höhe von 2.300,81 € sowie Zahlung weiterer 175,27 € mit
  41. Zinsen begehrte, nicht auf. Das Berufungsgericht verkündete daraufhin ein Versäumnisurteil, durch das die Berufung der Klägerin zurückgewiesen, auf die
  42. Anschlussberufung der Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen und die
  43. Klägerin entsprechend dem Widerklageantrag verurteilt wurde.
  44. 2
  45. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin rechtzeitig Einspruch eingelegt und
  46. ihre Berufung anschließend zurückgenommen. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht daraufhin antragsgemäß festgestellt, die Klägerin habe das Rechtsmittel der Berufung durch Rücknahme verloren und das
  47. Versäumnisurteil sei gegenstandslos. Es hat ferner die Kosten des Berufungsverfahrens der Klägerin auferlegt.
  48. 3
  49. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie ihre zweitinstanzlichen Sachanträge weiterverfolgt.
  50. II.
  51. 4
  52. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg.
  53. - 4 -
  54. 5
  55. 1.
  56. Zu Recht hat das Berufungsgericht entschieden, dass die Klägerin durch
  57. den Erlass des Versäumnisurteils nicht gehindert war, gemäß § 516 Abs. 1
  58. ZPO ihre Berufung zurückzunehmen, nachdem sie gegen dieses Urteil rechtzeitig Einspruch eingelegt hatte.
  59. 6
  60. a) Das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Zivilprozessreformgesetz
  61. hat die zeitlichen Grenzen für die Berufungsrücknahme geändert. Während
  62. nach § 515 Abs. 1 ZPO a.F. die Zurücknahme der Berufung ohne Einwilligung
  63. des Berufungsbeklagten bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten zulässig war, kann der Berufungskläger gemäß § 516 Abs. 1
  64. ZPO in der jetzigen Fassung die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Dieser späte Zeitpunkt ist nach der Gesetzesbegründung
  65. gewählt worden, um ihm im Lichte der in der mündlichen Verhandlung vom Berufungsgericht geäußerten vorläufigen Rechtsauffassung auch nach deren Ende noch die Möglichkeit zu einer Berufungsrücknahme ohne zeitlichen Druck zu
  66. eröffnen. Ein schützenswertes Interesse des Berufungsbeklagten, im Falle einer
  67. unselbständigen Anschlussberufung diese nach Beginn der mündlichen Verhandlung auch gegen den Willen des Berufungsklägers durchführen zu können,
  68. hat der Gesetzgeber nicht mehr gesehen (BT-Drucks. 14/4722 S. 94).
  69. 7
  70. b) Mit der gesetzlichen Formulierung "Verkündung des Berufungsurteils"
  71. ist eine instanzbeendigende Entscheidung gemeint. Das ergibt sich für die einem Endurteil vorausgehenden Zwischenurteile schon daraus, dass diese lediglich einzelne Streitpunkte innerhalb des Rechtsstreits erledigen und dadurch der
  72. Disposition der Parteien über ihr Streitverhältnis im Übrigen weiter Raum lassen, und folgt bei anderen Entscheidung jedenfalls aus der vom Gesetzgeber
  73. dem Berufungskläger zugestandenen weiträumigen Überlegungsfrist. Auf die
  74. Frage, inwieweit die richterliche Arbeit mit der Entscheidung bereits getan ist,
  75. - 5 -
  76. kann es dabei entgegen der Beschwerdebegründung nicht ankommen. Allerdings soll die erweiterte Möglichkeit zur Berufungsrücknahme auch der Entlastung des Berufungsgerichts dienen (BT-Drucks. 14/4722 aaO). Das hat im
  77. Wortlaut der Norm jedoch keinen Ausdruck gefunden und wäre schon wegen
  78. seiner Unschärfe als Tatbestandsmerkmal auch kaum geeignet. Einer solchen
  79. Erwägung steht zudem entgegen, dass spätestens unmittelbar vor der Verkündung eines Endurteils die richterliche Arbeitsleistung, abgesehen von einer Verkündung nur des Tenors (§ 310 Abs. 1 und 2 ZPO), abgeschlossen ist, nach
  80. dem klaren Wortsinn des § 516 Abs. 1 ZPO selbst dann aber eine Rücknahme
  81. der Berufung noch möglich sein soll.
  82. 8
  83. c) Auf dieser Grundlage ist das Ende der Frist zur Berufungsrücknahme
  84. zwar zwingend weder an den Erlass eines Urteils noch an die Verkündung der
  85. Entscheidung geknüpft. Es genügt vielmehr vor allem auch ein nach § 329
  86. Abs. 2 Satz 2 ZPO nur zuzustellender Beschluss über die Verwerfung des
  87. Rechtsmittels nach § 522 Abs. 1 ZPO (so zutreffend OLG Celle OLG-Report
  88. 2004, 336). Zu den die Berufungsinstanz abschließenden Entscheidungen kann
  89. darüber hinaus ein Versäumnisurteil gehören, sei es gegen den Berufungskläger oder sei es gegen den Berufungsbeklagten (§ 539 Abs. 1 und 2 ZPO), wenn
  90. dies nicht angefochten wird. Anders liegt es indes dann, wenn gegen das Versäumnisurteil gemäß § 539 Abs. 3, §§ 338 ff. ZPO in zulässiger Weise Einspruch eingelegt worden ist oder wenn bei einem gegen den Berufungskläger
  91. ergangenen Versäumnisurteil dieser noch innerhalb der Einspruchsfrist die Berufungsrücknahme erklärt (MünchKomm/Rimmelspacher, ZPO, 2. Aufl. Aktualisierungsband,
  92. § 516
  93. Rn. 10;
  94. ähnlich
  95. Wieczorek/Schütze/
  96. Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 516 Rn. 3). Der zulässige Einspruch versetzt den Prozess, soweit der Einspruch reicht, in die Lage zurück, in der er sich vor dem
  97. Eintritt der Versäumnis befand (§ 342 ZPO). Hierdurch wird das Versäumnisur-
  98. - 6 -
  99. teil zwar nicht beseitigt (§ 343 ZPO), in seinen sachlichen Wirkungen aber suspendiert. Das eröffnet den Parteien wie zuvor die Möglichkeit zu Verfügungen
  100. über den Klagegegenstand und damit auch dem Berufungskläger erneut einseitig das Recht zu einer Berufungsrücknahme (vgl. für das frühere Recht: RGZ
  101. 167, 293, 295; BGHZ 4, 328, 339 f.; BGH, Urteil vom 28. April 1980 - VII ZR
  102. 27/80 - NJW 1980, 2313, 2314). Dass der Berufungskläger auf diese Weise die
  103. - von der Rechtsbeschwerde für kaum wünschenswert gehaltene - Möglichkeit
  104. erhält, die Chancen seiner Rechtsposition zunächst auszuloten, wenn er nur
  105. bereit ist, die dadurch entstehenden Mehrkosten zu tragen, muss in Kauf genommen werden.
  106. 9
  107. 2.
  108. Mit der hiernach wirksamen Rücknahme der Berufung durch die Klägerin
  109. hat die Anschlussberufung der Beklagten ihre Wirkung verloren (§ 524 Abs. 4
  110. ZPO). Zutreffend hat das Berufungsgericht deswegen entsprechend §§ 525,
  111. 269 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 ZPO antragsgemäß festgestellt, dass auch das im
  112. Berufungsverfahren ergangene Versäumnisurteil wirkungslos geworden war.
  113. Ebenso wenig ist die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Kosten des
  114. Berufungsverfahrens zu beanstanden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Januar
  115. 2005 - XII ZB 163/04 - NJW-RR 2005, 727, 728 und vom 7. Februar 2006
  116. - 7 -
  117. - XI ZB 9/05 - Rn. 6; für das Revisionsverfahren: BGH, Beschluss vom 23. Februar 2005 - II ZR 147/03 - NJW-RR 2005, 651).
  118. Schlick
  119. Wurm
  120. Galke
  121. Kapsa
  122. Herrmann
  123. Vorinstanzen:
  124. LG Hannover, Entscheidung vom 12.08.2004 - 19 O 153/03 OLG Celle, Entscheidung vom 26.10.2005 - 5 U 184/04 -