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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 250/02
  5. Verkündet am:
  6. 18. Oktober 2004
  7. Vondrasek
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. BGHR:
  16. ja
  17. AktG §§ 120 Abs. 1, 131 Abs. 1 Satz 1, 243 Abs. 1, 3; UmwG § 2 Nr. 2
  18. a) Soweit die Organmitglieder einer durch Verschmelzung entstandenen Aktiengesellschaft (§ 2 Nr. 2 UmwG) mit denjenigen der übertragenden Rechtsträger personengleich sind, kann sich das Informationsrecht eines Aktionärs
  19. (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG) des neuen Rechtsträgers im Rahmen eines
  20. Hauptversammlungsbeschlusses über ihre Entlastung (§ 120 Abs. 1 AktG)
  21. auch auf etwaige Fehlleistungen im Zusammenhang mit der Verschmelzung
  22. erstrecken.
  23. b) Werden einem Aktionär in der Hauptversammlung Auskünfte vorenthalten,
  24. die aus der Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs in der Fragesituation
  25. zur sachgerechten Beurteilung i.S. von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG des Beschlußgegenstandes "erforderlich" sind, so liegt darin zugleich ein "relevanter" Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht des betreffenden
  26. Aktionärs bei der Beschlußfassung. Dieser Verstoß rechtfertigt die Anfechtbarkeit des Beschlusses, ohne daß es darauf ankommt, ob der tatsächliche
  27. Inhalt der in der Hauptversammlung verweigerten und später - evtl. erst im
  28. Anfechtungsprozeß - erteilten Auskunft einen objektiv urteilenden Aktionär
  29. von der Zustimmung zu der Beschlußvorlage abgehalten hätte.
  30. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2004 - II ZR 250/02 - OLG Düsseldorf
  31. LG Düsseldorf
  32. -2-
  33. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
  34. Verhandlung
  35. vom
  36. 18. Oktober
  37. 2004
  38. durch
  39. den
  40. Vorsitzenden
  41. Richter
  42. Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Dr. Strohn und
  43. Caliebe
  44. für Recht erkannt:
  45. Auf die Revision der Klägerin zu 2 wird das Urteil des
  46. 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Juli
  47. 2002 aufgehoben, soweit die Anfechtungsklage der Klägerin zu 2
  48. gegen die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 24. Mai 2000 abgewiesen worden ist.
  49. Insoweit wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  50. Von Rechts wegen
  51. Tatbestand:
  52. Die Klägerin zu 2 (künftig: die Klägerin) ist Aktionärin der Beklagten,
  53. die durch Verschmelzung im Wege der Neugründung (§ 2 Nr. 2 UmwG)
  54. aus
  55. der
  56. T. AG
  57. und
  58. der
  59. F. K. AG H.-K.
  60. (im
  61. folgenden:
  62. K. AG)
  63. hervorgegangen ist. Die Verschmelzung wurde am 17. März 1999 in das Han-
  64. -3-
  65. delsregister eingetragen. In der ersten ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 24. Mai 2000 wurde u.a. die Entlastung des Vorstands und des
  66. Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 1998/99 (TOP 3 und 4) mit Mehrheiten von
  67. über 99 % beschlossen.
  68. Mit ihrer Klage hat die Klägerin u.a. die beiden Entlastungsbeschlüsse
  69. angefochten und dazu geltend gemacht, die - mit den Organmitgliedern der
  70. übertragenden Rechtsträger weitgehend personenidentischen - Mitglieder des
  71. Vorstands und des Aufsichtsrats der Beklagten hätten im Zusammenhang mit
  72. der unternehmerisch verfehlten Verschmelzung ihre Sorgfaltspflichten verletzt,
  73. insbesondere die K. AG zu Lasten der Aktionäre der T. AG maßlos
  74. überbewertet. Die zur Rechtfertigung der Verschmelzung unterbreiteten Prognosen hätten sich in der Folge als völlig unrealistisch erwiesen. In der Hauptversammlung seien auf die Aufklärung dieses Sachverhalts zielende Auskunftsersuchen u.a. der Klägerin pflichtwidrig nicht beantwortet worden, um diese Fehlleistungen und Täuschungen zu verdecken. Die auch noch gegen weitere Hauptversammlungsbeschlüsse vom 24. Mai 2000 gerichtete Anfechtungsklage blieb in den Vorinstanzen insgesamt erfolglos. Der Senat hat die Revision
  75. der Klägerin insoweit zugelassen, als die Anfechtungsklage gegen die Entlastungsbeschlüsse abgewiesen worden ist. In diesem Umfang verfolgt die Klägerin ihr Anfechtungsbegehren mit der Revision weiter.
  76. Entscheidungsgründe:
  77. Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
  78. I. Das Berufungsgericht meint, die Behauptungen der Klägerin über angebliche Fehlleistungen von Vorstand und Aufsichtsrat im Rahmen der Ver-
  79. -4-
  80. schmelzung seien gegenüber den Entlastungsbeschlüssen "von vornherein unerheblich", weil die Hauptversammlung bei der Entscheidung über die Entlastung ein nahezu freies Ermessen habe und es ihr frei stehe, auch eine pflichtvergessene Verwaltung zu entlasten. Die Entlastungsbeschlüsse seien auch
  81. nicht wegen Verletzung des Auskunftsrechts der Klägerin (§ 131 Abs. 1 Satz 1
  82. AktG) anfechtbar. Die auf nachteilige Auswirkungen der Verschmelzung zielenden Auskunftsbegehren der Klägerin seien für die Entscheidung eines objektiv
  83. urteilenden Aktionärs über die Entlastung der Organe der Beklagten schon nicht
  84. erforderlich gewesen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG), weil die Verschmelzung von
  85. den Organen der übertragenden Rechtsträger betrieben worden sei und diese
  86. trotz weitgehender Personengleichheit nicht mit den Organen der Beklagten
  87. identisch seien, über deren Entlastung durch die angefochtenen Beschlüsse
  88. allein entschieden worden sei. Darüber hinaus fehle es an der erforderlichen
  89. Kausalität der angeblichen Auskunftspflichtverletzung für die Beschlußergebnisse.
  90. II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  91. 1. Zu weit geht die Ansicht des Berufungsgerichts, es liege im Ermessen
  92. der Hauptversammlung, auch pflichtvergessenen Verwaltungsmitgliedern Entlastung zu erteilen (§ 120 AktG), ohne daß dies zur Anfechtbarkeit des Beschlusses (§ 243 Abs. 1 AktG) führe. Wie der Senat in seinem - nach Erlaß des
  93. angefochtenen
  94. Urteils
  95. ergangenen -
  96. Urteil
  97. vom
  98. 25. November
  99. 2002
  100. (II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 52) klargestellt hat, ist ein Hauptversammlungsbeschluß, der den Verwaltungsmitgliedern trotz eines schwerwiegenden und
  101. eindeutigen Gesetzes- oder Satzungsverstoßes Entlastung erteilt, selbst inhaltlich gesetzwidrig und deshalb nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar. Ein solcher
  102. -5-
  103. Verstoß ist aber von dem Berufungsgericht nicht festgestellt. Die Revision erhebt insoweit auch keine Aufklärungsrüge.
  104. 2. Von Rechtsirrtum beeinflußt ist die Annahme des Berufungsgerichts,
  105. die Entlastungsbeschlüsse seien auch nicht wegen Verletzung des Auskunftsrechts der Klägerin (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG) anfechtbar.
  106. a) Wie sich schon aus § 243 Abs. 4 AktG ergibt und von dem Berufungsgericht im Ansatz nicht verkannt wird, kann ein Hauptversammlungsbeschluß
  107. auch wegen Verletzung des Informationsrechts eines Aktionärs (§ 131 AktG)
  108. gesetzwidrig und daher gemäß § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar sein. Das Informationsrecht des Aktionärs gemäß § 131 AktG ist Teil seines (auch durch
  109. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten) Mitgliedschaftsrechts und Voraussetzung für dessen sinnvolle Ausübung in der Hauptversammlung gemäß § 118
  110. AktG (BVerfG, Beschl. v. 20. September 1999 - 1 BvR 636/95, NJW 2000, 349).
  111. Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der
  112. Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit dies zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstandes
  113. der Tagesordnung erforderlich ist. Wie die Revision zu Recht rügt, läßt sich die
  114. Erforderlichkeit der von der Klägerin in der Hauptversammlung begehrten Auskünfte jedenfalls mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung
  115. nicht verneinen.
  116. aa) Das - mit dem Aktiengesetz 1965 eingeführte - Merkmal der Erforderlichkeit der Auskunft gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG zielt lediglich darauf ab,
  117. mißbräuchlich ausufernde Auskunftsbegehren zu verhindern, um die Hauptversammlung nicht mit überflüssigen, für eine sachgemäße Beurteilung des Beschluß- oder sonstigen Gegenstandes der Tagesordnung unerheblichen Fragen
  118. -6-
  119. zu belasten (vgl. BegrRegE bei Kropff, Aktiengesetz 1965, S. 185; Decher in
  120. Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 131 Rdn. 132). Entsprechend der Funktion des
  121. Auskunftsrechts, das auch zur Meinungs- und Urteilsbildung anderer Aktionäre,
  122. insbesondere der Minderheitsaktionäre, in der Hauptversammlung beitragen
  123. soll (vgl. BGHZ 149, 158, 164; weitergehend Zöllner in Kölner Komm.z.AktG
  124. § 131 Rdn. 3, 81; Kubis in Münch.Komm.z.AktG 2. Aufl. § 131 Rdn. 3, 41), ist
  125. Maßstab für die "Erforderlichkeit" bzw. "Beurteilungserheblichkeit" (vgl. Kubis
  126. aaO Rdn. 44) eines Auskunftsverlangens der Standpunkt eines objektiv urteilenden Aktionärs (vgl. BGHZ 149, 158, 164), der die Gesellschaftsverhältnisse
  127. nur aufgrund allgemein bekannter Tatsachen kennt und daher die begehrte
  128. Auskunft als nicht nur unwesentliches Beurteilungselement benötigt (vgl.
  129. Decher aaO § 131 Rdn. 141; Hüffer, AktG 6. Aufl. § 131 Rdn. 12 jew.
  130. m.w.Nachw.).
  131. bb) Für das Auskunftsrecht im Rahmen einer bevorstehenden Organentlastung gemäß § 120 AktG gilt im Grundsatz nichts anderes. Zu entscheiden
  132. haben die Aktionäre hier darüber, ob die Tätigkeit der Organmitglieder im abgelaufenen Geschäftsjahr zu billigen ist, sie in der Unternehmensführung eine
  133. "glückliche Hand" bewiesen haben und ihnen das Vertrauen auch für ihre künftige Tätigkeit auszusprechen ist (vgl. BGHZ 94, 324, 326; Mülbert in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 120 Rdn. 25 ff.). Weder die beschränkte Wirkung der
  134. Entlastung (§ 120 Abs. 2 Satz 2 AktG) noch das der Hauptversammlung bei
  135. dieser Entscheidung zustehende Ermessen (bis zu der oben I 1 genannten
  136. Grenze) rechtfertigen eine Einschränkung des Auskunftsrechts gemäß § 131
  137. AktG oder eine Verschärfung seiner Anforderungen (vgl. Decher aaO § 131
  138. Rdn. 188), wie das Berufungsgericht meint. Auch ein innerhalb der Ermessensgrenzen liegender Entlastungsbeschluß ist gemäß § 243 Abs. 1, 4 AktG anfechtbar, wenn einem Aktionär die zur Ermessensausübung erforderlichen Aus-
  139. -7-
  140. künfte unberechtigt verweigert werden (vgl. BGHZ 36, 121, 139 ff.), was freilich
  141. voraussetzt, daß das Auskunftsbegehren auf Vorgänge von einigem Gewicht
  142. gerichtet ist, die für die Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit der Verwaltung
  143. von Bedeutung sind. Für eine weitergehende Einschränkung besteht kein Anlaß, weil einem Aktionär nicht zuzumuten ist, die Tätigkeit der Verwaltung ohne
  144. die dazu erforderlichen Informationen "abzusegnen" und ihr das Vertrauen auszusprechen.
  145. cc) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts waren die von der Klägerin begehrten Auskünfte über die Anteile der verschmolzenen Rechtsträger
  146. an dem insgesamt enttäuschenden Jahresergebnis nicht deshalb für die Entlastungsentscheidung "irrelevant", weil die Verschmelzung von den Organen der
  147. Rechtsvorgängerinnen der Beklagten vorbereitet und durchgeführt worden ist.
  148. Abgesehen davon, daß die von der Klägerin gestellten Fragen zum Teil die Geschäftstätigkeit der Beklagten und damit die Tätigkeit ihrer Organe im abgelaufenen Geschäftsjahr betrafen, verkennt das Berufungsgericht, daß die Entlastung gemäß § 120 Abs. 1 AktG sich nicht auf die institutionellen "Organe",
  149. sondern - auch bei der üblichen Form der Gesamtentlastung (vgl. dazu Hüffer
  150. aaO § 120 Rdn. 8) - auf die Organmitglieder bezieht. Diese waren hier - wie das
  151. Berufungsgericht feststellt - mit denjenigen der übertragenden Rechtsträger
  152. weitgehend personengleich. Es läßt sich daher nicht von vornherein ausschließen, daß ihre etwaigen unternehmerischen Fehlleistungen oder Fehleinschätzungen im Zusammenhang mit der Verschmelzung, auf deren Herausstellung
  153. die Auskunftsbegehren der Klägerin zielten, aus der Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs für die Entscheidung über die Entlastung zumindest unter dem
  154. Aspekt des darin liegenden Vertrauensvotums für die Zukunft (vgl. oben bb)
  155. eine Rolle spielen konnten. Das gilt unabhängig von der Rechtsfrage, ob die
  156. Verschmelzung eine Zäsur für den Vergangenheitsbezug der Entlastung bildet
  157. -8-
  158. und die Hauptversammlung des neuen Rechtsträgers daher nicht befugt ist, die
  159. Organmitglieder der übertragenden Rechtsträger für ihre frühere Tätigkeit zu
  160. entlasten (so Lutter/Grunewald, UmwG 2. Aufl. § 20 Rdn. 29; Kubis in
  161. Münch.Komm.z.AktG aaO § 120 Rdn. 19, a.A. Martens, AG 1986, 57, 59). Hier
  162. geht es umgekehrt darum, ob den Organmitgliedern mit Rücksicht auf etwaige
  163. frühere Fehlleistungen und deren Auswirkungen auf die wirtschaftliche Gesamtlage der Gesellschaft das Vertrauensvotum zu verweigern war. Daß die von der
  164. Klägerin gestellten Fragen nach den Ursachen für die enttäuschende Geschäftslage der Beklagten "Angelegenheiten der Gesellschaft" i.S. von § 131
  165. Abs. 1 Satz 1 AktG betrafen, kann ernstlich nicht bezweifelt werden.
  166. Ob die Entlastungsbeschlüsse der übertragenden Rechtsträger vom
  167. 25. und 26. Februar 1999 Rechtswirkung für die Beklagte und deren Hauptversammlung hatten, kann dahinstehen. Denn unabhängig davon kann sich das
  168. Auskunftsrecht des Aktionärs im Rahmen der Entlastungsentscheidung auch
  169. auf frühere Tätigkeiten der Organmitglieder (vgl. Zöllner in Kölner Komm.z.AktG
  170. § 131 Rdn. 49) sowie auf Vorgänge außerhalb des betreffenden Geschäftsjahrs
  171. erstrecken, wenn diese Vorgänge sich erst jetzt ausgewirkt haben oder bekannt
  172. geworden sind, oder es um neue Gesichtspunkte geht, die einen zurückliegenden Vorgang in einem neuen Licht erscheinen lassen (vgl. Decher aaO § 131
  173. Rdn. 150 f.; Zöllner aaO § 131 Rdn. 25).
  174. b) Zu Recht beanstandet die Revision schließlich die Hilfsbegründung
  175. des Berufungsgerichts, die Anfechtung der vorliegenden Entlastungsbeschlüsse
  176. scheitere jedenfalls an fehlender Kausalität der angeblichen Auskunftspflichtverletzung für die Entscheidung eines objektiv urteilenden Aktionärs.
  177. -9-
  178. aa) Zur Einschränkung des nach einhelliger Ansicht zu weit gefaßten
  179. § 243 Abs. 1 AktG (vgl. dazu Hüffer in Münch.Komm.z.AktG 2. Aufl. § 243
  180. Rdn. 27), wonach jeder Verfahrensverstoß zur Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses führen würde, hat der Senat zwar früher gefordert, daß
  181. das Beschlußergebnis - im Sinne einer potentiellen, von der Gesellschaft zu
  182. widerlegenden Kausalität - auf dem Verstoß "beruhen" muß. Um namentlich in
  183. den Fällen eines Verstoßes gegen Informations- oder Berichtspflichten den
  184. Schutz der Minderheitsaktionäre nicht leerlaufen zu lassen, kam es allerdings
  185. nach dieser Rechtsprechung nicht darauf an, ob die an der Gültigkeit des Beschlusses interessierte Aktionärsmehrheit diesen in jedem Fall gefaßt hätte,
  186. sondern ob ein objektiv urteilender Aktionär ohne den Verfahrensverstoß bzw.
  187. in Kenntnis der ihm zu offenbarenden Umstände anders abgestimmt hätte, als
  188. dies in der Hauptversammlung tatsächlich geschehen ist (BGHZ 36, 121, 139 f.;
  189. 107, 296, 306 f.; 119, 1, 18 f.; 122, 211, 238 f.). Diese Rechtsprechung, die
  190. auch das Berufungsgericht zugrunde gelegt hat, hat der Senat jedoch schon im
  191. Urteil vom 12. November 2001 (II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 164 f.) aufgegeben (vgl. auch BGHZ 153, 32, 36 f.: gesetzwidrige Bekanntmachung der
  192. Tagesordnung). Maßgebend ist danach die "Relevanz" des Verfahrensverstoßes für das Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrecht des Aktionärs im Sinne
  193. eines dem Beschluß anhaftenden Legitimationsdefizits, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzten Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gemäß § 243 Abs. 1 AktG rechtfertigt (vgl. grundlegend
  194. Zöllner in Kölner Komm.z.AktG § 243 Rdn. 81 ff.; ähnlich Hüffer, AktG 6. Aufl.
  195. § 243 Rdn. 12 f.; derselbe in Münch.Komm.z.AktG 2. Aufl. § 243 Rdn. 28 ff.;
  196. K. Schmidt in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 243 Rdn. 24 ff.). Werden einem
  197. Aktionär Auskünfte vorenthalten, die aus der Sicht eines objektiv urteilenden
  198. Aktionärs in der Fragesituation zur sachgerechten Beurteilung des Beschlußgegenstandes in dem oben (zu 2 a) dargelegten Sinne "erforderlich" sind, so liegt
  199. - 10 -
  200. darin zugleich ein "relevanter" Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht des betreffenden Aktionärs (vgl. BGHZ 149, 158, 164), ohne daß es darauf ankommt, ob der tatsächliche Inhalt der in der Hauptversammlung verweigerten und später - evtl. erst im Anfechtungsprozeß - erteilten Auskunft einen
  201. objektiv urteilenden Aktionär von der Zustimmung zu der Beschlußvorlage abgehalten hätte (mißverständlich § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG-RefE UMAG; dazu
  202. Seibert/Schütz, ZIP 2004, 252, 256). Soweit in BGHZ 149, 158, 164 f. noch
  203. Kausalitätserwägungen als notwendiges Relevanzkriterium anklingen, wird daran nicht festgehalten.
  204. bb) Soweit das Berufungsgericht meint, die von der Klägerin begehrten
  205. Auskünfte seien zur Ermittlung eines unredlichen Verhaltens der Organmitglieder nicht geeignet und daher für die Entlastungsentscheidung eines vernünftig
  206. urteilenden Aktionärs "nicht relevant" gewesen, hat das mit obigen Relevanzkriterien nichts zu tun und geht daran vorbei, daß nicht nur ein unredliches, sondern auch ein sonstiges fehlsames Organhandeln Grund für die Verweigerung
  207. der Entlastung sein kann. Ob die Klägerin ihr subjektiv verfolgtes Ziel, ein unredliches Organhandeln aufzudecken, mit den begehrten Auskünften erreichen
  208. konnte, ist für die Frage der Erforderlichkeit der Auskunft nicht entscheidend.
  209. III. Nach allem kann das angefochtene Urteil mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht bestehenbleiben. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt. Das Berufungsgericht hat die
  210. Sache aufgrund unzutreffender rechtlicher Prämissen nicht unter den oben im
  211. einzelnen dargestellten Aspekten der Erforderlichkeit der verlangten Auskünfte
  212. und damit der Relevanz einer etwaigen Auskunftspflichtverletzung geprüft. In
  213. dieser Hinsicht bedarf die Sache noch einer umfassenden tatrichterlichen Würdigung im Hinblick auf die von der Klägerin im einzelnen gestellten Fragen und
  214. - 11 -
  215. deren Erforderlichkeit bzw. Erheblichkeit für die Ausübung des Entlastungsermessens eines objektiv urteilenden Aktionärs.
  216. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die noch
  217. erforderlichen Feststellungen, ggf. nach ergänzendem Sachvortrag der Parteien, zu treffen.
  218. Röhricht
  219. Goette
  220. Strohn
  221. Kraemer
  222. Caliebe