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- BUNDESGERICHTSHOF
- IM NAMEN DES VOLKES
- URTEIL
- II ZR 150/02
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- Verkündet am:
- 31. März 2003
- Vondrasek
- Justizangestellte
- als Urkundsbeamtin
- der Geschäftsstelle
- in dem Rechtsstreit
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- Nachschlagewerk: ja
- BGHZ:
-
- nein
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- GmbHG § 64 Abs. 2
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- Der Geschäftsführer einer GmbH verletzt seine Pflicht, das Gesellschaftsvermögen zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung
- aller künftigen Insolvenzgläubiger zusammenzuhalten, auch dann,
- wenn er bei Insolvenzreife der Gesellschaft Mittel von einem Dritten
- zu dem Zweck erhält, eine bestimmte Schuld zu tilgen, und kurze
- Zeit später dementsprechend die Zahlung an den Gesellschaftsgläubiger bewirkt.
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- BGH, Urteil vom 31. März 2003 - II ZR 150/02 - OLG Brandenburg
- LG Potsdam
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- Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
- vom 31. März 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die
- Richter Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly, Münke und Dr. Graf
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- für Recht erkannt:
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- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats
- des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 10. April 2002
- aufgehoben.
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- Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
- Berufungsgericht zurückverwiesen.
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- Von Rechts wegen
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- Tatbestand:
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- Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 15. September 1999 eröffneten Insolvenzverfahren über
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- das
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- Vermögen
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- der K.
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- Beteiligungsge-
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- sellschaft mbH. Die Beklagten waren Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Gegenstand des Unternehmens war der Erwerb von Geschäftsanteilen an der Bau
- K.
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- W.
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- GmbH
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- (Bau
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- KW
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- GmbH)
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- und
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- die
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- Gründung
-
- gleichartiger
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- Unternehmen. Die Bau KW GmbH befindet sich seit dem 11. Juni 1999 in der
- Insolvenz.
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- Aufgrund eines zwischen der Gemeinschuldnerin und der Bau KW
- GmbH bestehenden Organschaftsverhältnisses hatte erstere Umsatz- und Gewerbesteuern zu entrichten. Dies geschah in der Weise, daß die Bau KW
- GmbH als Organgesellschaft wenige Tage vor dem Fälligkeitstermin für eine
- Gutschrift in Höhe des geschuldeten Steuerbetrages auf dem Konto der Gemeinschuldnerin sorgte und diese sodann einem Mitarbeiter der Bau KW GmbH
- einen von ihr ausgestellten, auf das genannte Konto bezogenen Scheck zur
- Weiterleitung an die zuständige Steuerbehörde aushändigte. Bei Einlösung der
- Schecks durch die Steuerbehörden war somit sichergestellt, daß das Konto der
- Gemeinschuldnerin gedeckt war.
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- Auf diese Weise veranlaßten die Beklagten zwischen dem 20. Januar
- 1999 und 21. April 1999 vier Zahlungen über insgesamt 433.308,40 DM. Die
- Erstattung eines Teilbetrages von 330.000,00 DM ist Gegenstand der von dem
- Kläger erhobenen, auf § 64 Abs. 2 GmbHG gestützten Klage. Er hat behauptet,
- die Gemeinschuldnerin sei bereits zum Jahresende 1998 überschuldet gewesen. Die beklagten Geschäftsführer haben dies in Abrede gestellt und sich im
- übrigen darauf berufen, daß sie sich auf die am 12. April 1999 von der Streithelferin erstellte vorläufige Bilanz, die ein Eigenkapital von mehr als
- 1,8 Mio. DM ausgewiesen habe, hätten verlassen dürfen und deswegen jedenfalls ohne Verschulden die Zahlungen an die Steuerbehörden bewirkt hätten.
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- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat
- sie auf das Rechtsmittel der Beklagten abgewiesen. Hiergegen richtet sich die
- - zugelassene - Revision des Klägers, der seinen Klageanspruch weiter verfolgt.
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- Entscheidungsgründe:
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- Die Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an
- das Berufungsgericht.
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- I. 1. Dieses hat angenommen, selbst wenn die Gemeinschuldnerin bereits Ende des Jahres 1998 insolvent gewesen sein sollte, hätten die von den
- Beklagten bewirkten Zahlungen einen Ersatzanspruch nach § 64 Abs. 2
- GmbHG nicht auslösen können, weil bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise die Leistungen an die Steuerbehörden nicht zu einer Masseschmälerung geführt hätten. Zeitgleich mit den Auszahlungen seien nämlich
- dem Gesellschaftsvermögen die zweckgebundenen Einzahlungen der Bau KW
- GmbH zugeflossen, mit denen diese den aufgrund des Organschaftsverhältnisses bestehenden Aufwendungsersatzanspruch der Gemeinschuldnerin vorab
- befriedigt habe. Dies beruht, wie die Revision mit Recht geltend macht, auf
- Rechtsirrtum.
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- 2. Da das Berufungsgericht das Vorhandensein einer Insolvenzsituation
- der Gemeinschuldnerin bereits für die erste Zahlung im Januar 1999 unterstellt
- und auch die Frage nicht geprüft hat, ob die von den Beklagten bewirkten Zahlungen ausnahmsweise mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns
- vereinbar waren (§ 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, s. dazu Sen.Urt., BGHZ 146, 264,
- 274 ff.), ist zugunsten des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellen, daß die
- tatbestandlichen Voraussetzungen für das Entstehen der Erstattungspflicht
- nach § 64 Abs. 2 GmbHG - auch in der vollen geltend gemachten Höhe - zu
- Lasten der Beklagten erfüllt sind.
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- 3. Danach war die von den Beklagten als Geschäftsführern der Gemeinschuldnerin veranlaßte Zahlung der Umsatz- und Gewerbesteuern nach § 64
- Abs. 2 GmbHG verboten und hat einen Ersatzanspruch in der geltend gemachten Höhe ausgelöst. Wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat,
- hat die genannte Vorschrift nach der ständigen Rechtsprechung des Senats
- (zuletzt BGHZ 143, 184 ff.; BGHZ 146, 264 ff. m.w.N.) zum Ziel, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern bzw. für den Fall, daß
- der Geschäftsführer dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, daß das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht.
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- Dieser Zielsetzung des Gesetzes widerspricht es, wenn das Berufungsgericht - in diesem Zusammenhang zu Unrecht von "formaler" Betrachtung
- sprechend - eine Masseverkürzung mit der Begründung verneinen will, daß die
- Gemeinschuldnerin zeitgleich mit der Zahlung von der Organgesellschaft eine
- entsprechend hohe Einzahlung erhalten hat, durch welche diese den Aufwendungsersatzanspruch der Organträgerin vorab hat erfüllen wollen. Hätten sich
- die Beklagten als Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin normgerecht verhalten, dann wäre der als Vorleistung der Bau KW GmbH dem Konto der Gemeinschuldnerin gutgeschriebene Betrag in deren Vermögen verblieben und hätte
- nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur ranggerechten und gleichmäßigen
- Befriedigung aller Gläubiger zur Verfügung gestanden; die Steuerbehörden
- hätten sich mit einer Quote von rund 30 % der Forderung zufriedengeben müssen, statt zu Lasten aller anderen Gesellschaftsgläubiger volle Befriedigung zu
- erhalten, und auch die Bau KW GmbH hätte sich wegen ihrer Vorauszahlung
- auf den künftig entstehenden Aufwendungsersatzanspruch wie alle anderen
- Gläubiger am Insolvenzverfahren beteiligen müssen.
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- Allenfalls dann, wenn mit den von dem Geschäftsführer bewirkten Zahlungen ein Gegenwert in das Gesellschaftsvermögen gelangt und dort verblieben ist, kann erwogen werden, eine Masseverkürzung und damit einen Erstattungsanspruch
-
- gegen
-
- das
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- Organmitglied
-
- zu
-
- verneinen
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- (Sen.Urt.
-
- v.
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- 11. September 2000 - II ZR 370/99, WM 2000, 2158 = ZIP 2000, 1896; ebenso
- Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG 4. Aufl. § 64 Rdn. 43, 57 f. m.w.N.;
- Heidenhain, LM Nr. 18 zu § 64 GmbHG; Scholz/K. Schmidt, GmbHG 9. Aufl.
- § 64 Rdn. 23 f.), weil dann der Sache nach lediglich ein Aktiventausch vorliegt.
- Darum handelt es sich indessen - wie oben ausgeführt - im vorliegenden Fall
- nicht; vielmehr hat die Bezahlung der Steuerschulden mit den auf dem Gesellschaftskonto vorhandenen Mitteln zu einer masseverkürzenden vorrangigen
- Befriedigung der Steuergläubiger geführt, der kein im Gesellschaftsvermögen
- verbliebener Gegenwert gegenübersteht.
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- Ob die Zahlung an die Steuerbehörden obendrein anfechtbar war, oder
- die Anfechtung in Anwendung des § 142 InsO ausscheidet, spielt in diesem
- Zusammenhang - entgegen der Auffassung der Revisionsbeklagten und deren
- Streithelferin - keine Rolle. Abgesehen davon, daß die Ersatzpflicht nach § 64
- Abs. 2 GmbHG unabhängig von insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbeständen
- besteht (vgl. Sen.Urt., BGHZ 131, 325, 328 ff.), handelt es sich bei der
- Voraberfüllung des Aufwendungsersatzanspruchs der Gemeinschuldnerin
- durch die Bau KW GmbH und die Zahlung an die Steuerbehörden weder um ein
- Bargeschäft im Sinne von § 142 InsO, noch ist die Gemeinschuldnerin in die
- Zahlungsvorgänge nach Art einer Bank eingeschaltet worden; vielmehr hat sie
- ihre eigene Verbindlichkeit als Organträgerin gegenüber den Steuerbehörden
- erfüllt.
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- II. Von seinem abweichenden Standpunkt aus hat das Berufungsgericht
- - folgerichtig - nicht geprüft, ob die Gemeinschuldnerin zur Zeit der hier in Rede
- stehenden Zahlungen insolvent war, ob die Leistungen an das Finanzamt mit
- der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren, sowie ob der
- Ersatzanspruch in der vollen geltend gemachten Höhe besteht und nicht - wie in
- den Vorinstanzen angesprochen - bereits durch Erstattung der nur auf dem
- Wege der Vorauszahlung entrichteten Umsatzsteuern die Verkürzung der Masse - jedenfalls teilweise - behoben ist. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht, ggfs. nach Ergänzung des Sachvortrages durch die Parteien, die
- Gelegenheit, die fehlenden Feststellungen zu treffen.
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- Röhricht
-
- Goette
-
- Münke
-
- Kurzwelly
-
- Graf
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