You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

348 lines
19 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. I ZR 19/08
  5. Verkündet am:
  6. 1. Juli 2010
  7. Führinger
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. Ginkgo-Extrakt
  19. UWG § 4 Nr. 11; ArzneimittelG § 2 Abs. 1 Nr. 2, § 21 Abs. 1 Satz 1
  20. Hat ein Produkt ab einer bestimmten Menge eine pharmakologische Wirkung,
  21. so ist es als Funktionsarzneimittel anzusehen, wenn davon auszugehen ist,
  22. dass diese Menge bei Einhaltung der normalen Verzehrgewohnheiten aufgenommen wird. Eine auf dem Produkt angegebene Empfehlung, von dem Getränk täglich eine bestimmte, nicht präzise umschriebene Menge (hier: ein bis
  23. zwei Gläser) zu trinken, steht der Einordnung als Funktionsarzneimittel auch
  24. dann nicht entgegen, wenn diese Menge (bei Gläsern üblicher Größe) noch
  25. knapp unter der Grenze liegt, von der ab eine pharmakologische Wirkung
  26. nachgewiesen ist.
  27. BGH, Urteil vom 1. Juli 2010 - I ZR 19/08 - OLG Köln
  28. LG Köln
  29. -2-
  30. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
  31. und die Richter Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert, Dr. Bergmann und Dr. Kirchhoff
  32. für Recht erkannt:
  33. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
  34. Oberlandesgerichts Köln vom 21. Dezember 2007 aufgehoben.
  35. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Kammer für
  36. Handelssachen des Landgerichts Köln vom 3. Februar 2006 wird
  37. mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es insgesamt wie folgt
  38. neu gefasst wird:
  39. Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen
  40. Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in Deutschland ein Produkt
  41. unter der Bezeichnung "Carpe Diem Ginkgo" und/oder "Ginkgo"
  42. mit den Inhaltsstoffen Wasser, Saccharose, Traubenzucker, Kohlensäure, natürliche und naturidentische Aromen, Säuerungsmittel:
  43. Zitronensäure und Apfelsäure, Grüntee-Extrakt, Ginkgo-Extrakt,
  44. Farbstoff: Zuckercouleur und der Angabe: "Empfohlen werden täglich ein bis zwei Gläser" als Lebensmittel in den Verkehr zu bringen.
  45. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die
  46. vorstehende Verpflichtung ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von
  47. 250.000 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden
  48. -3-
  49. kann, Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
  50. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
  51. Von Rechts wegen
  52. Tatbestand:
  53. 1
  54. Die Parteien vertreiben Erzeugnisse, die unter Verwendung von Trockenextrakt der Ginkgo-biloba-Pflanze hergestellt werden. Ginkgo biloba ist eine aus
  55. China stammende Pflanze, der - abhängig von der eingenommenen Menge unter anderem heilende Wirkungen zugeschrieben werden.
  56. 2
  57. Die Beklagte vertreibt im Rahmen ihrer "Wirkungsgetränkelinie Carpe
  58. Diem" ein Getränk, das zu 0,02% aus Ginkgo-Extrakt und im Übrigen aus Wasser, Traubenzucker und weiteren Zutaten besteht. Sie gibt das Getränk in
  59. 1-Liter-Flaschen ab, auf deren Rückenetikett sich die Angabe "Empfohlen werden täglich ein bis zwei Gläser" befindet.
  60. 3
  61. Die Klägerin hält das Erzeugnis der Beklagten als Lebensmittel für nicht
  62. verkehrsfähig, weil es ein nicht zugelassenes Arzneimittel sei, jedenfalls aber
  63. nicht zugelassene Lebensmittel-Zusatzstoffe enthalte und gesundheitsgefährdend sei.
  64. -4-
  65. 4
  66. Das Landgericht hat der Beklagten antragsgemäß verboten, ihr Produkt
  67. in der konkret beanstandeten Ausstattung in Verkehr zu bringen, solange sie
  68. dafür nicht über eine Zulassung als Arzneimittel nach §§ 21 ff. AMG verfügt.
  69. 5
  70. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin beantragt,
  71. die Beklagte unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu verurteilen,
  72. es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in
  73. Deutschland ein Produkt unter der Bezeichnung "Carpe Diem Ginkgo" und/oder
  74. "Ginkgo" mit den Inhaltsstoffen Wasser, Saccharose, Traubenzucker, Kohlensäure, natürliche und naturidentische Aromen, Säuerungsmittel: Zitronensäure
  75. und Apfelsäure, Grüntee-Extrakt, Ginkgo-Extrakt, Farbstoff: Zuckercouleur und
  76. der Angabe: "Empfohlen werden täglich ein bis zwei Gläser" als Lebensmittel in
  77. den Verkehr zu bringen.
  78. 6
  79. Hilfsweise hat sie das Verbot, das Produkt mit der konkreten Ausstattung
  80. ohne Zulassung als Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, und weiter hilfsweise das Verbot bestimmter Werbeangaben begehrt. Das Berufungsgericht hat
  81. die Klage abgewiesen (OLG Köln ZLR 2008, 230 = PharmR 2008, 506).
  82. 7
  83. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren mit den
  84. in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträgen weiter.
  85. Entscheidungsgründe:
  86. 8
  87. I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stünden die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, weil es sich bei dem Produkt der Beklagten nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein verkehrsfähiges Lebensmittel
  88. handele. Zur näheren Begründung hat es ausgeführt:
  89. -5-
  90. 9
  91. Das Produkt der Beklagten sei kein Arzneimittel, weil es keine pharmakologische Wirkung aufweise. Eine pharmakologische Wirkung sei erst bei der
  92. Aufnahme von 120 mg Ginkgo-Extrakt pro Tag zu bejahen. Diese Menge werde
  93. aber bei Einhaltung der von der Beklagten gegebenen Trinkempfehlung nicht
  94. erreicht. Trinke der Verbraucher entsprechend der Verzehrempfehlung der Beklagten am Tag ein bis zwei Gläser, so nehme er bis zu 100 mg des Erzeugnisses zu sich. Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof.
  95. Dr. G. könne es nach dem Stand der Wissenschaft nicht als gesichert angesehen werden, dass schon eine solche Tagesdosis eine pharmakologische Wirkung aufweise.
  96. 10
  97. Die pharmakologische Wirkung des Produktes sei entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht deshalb zu bejahen, weil der Verbraucher sich an
  98. die Trinkempfehlung nicht halten und damit mehr als die empfohlene Verzehrmenge zu sich nehmen werde. Für die Beurteilung, ob ein Erzeugnis ein Funktionsarzneimittel sei, sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf die normale Anwendungsweise abzustellen. Aus der Zweifelsregel des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der Fassung der Richtlinie
  99. 2004/27/EG ergebe sich nichts Gegenteiliges. Die Zweifelsregel diene der Abgrenzung anderer Erzeugnisse von Arzneimitteln und räume letzteren dann den
  100. Vorrang ein, wenn das fragliche Produkt die Kriterien sowohl eines Arzneimittels als auch eines andersartigen Erzeugnisses erfülle. Das Produkt der Beklagten erfülle die Definition eines Arzneimittels nicht, weil der Verbraucher durch
  101. seinen bestimmungsgemäßen Verzehr die für eine pharmakologische Wirkung
  102. erforderliche Menge nicht zu sich nehme.
  103. -6-
  104. 11
  105. Dem Erzeugnis der Beklagten könne die Verkehrsfähigkeit als Lebensmittel auch nicht mit der Begründung abgesprochen werden, es enthalte mit
  106. dem Trockenextrakt aus der Ginkgo-biloba-Pflanze einen nicht zugelassenen
  107. Zusatzstoff. Der in dem Produkt enthaltene Ginkgo-Trockenextrakt stelle keinen
  108. den Lebensmittel-Zusatzstoffen gleichgestellten Stoff i.S. des § 2 Abs. 3 Satz 2
  109. Nr. 1 LFGB dar. Denn Trockenextrakt aus Ginkgo biloba werde üblicherweise
  110. als charakteristische Zutat eines Lebensmittels verwendet.
  111. 12
  112. Es handele sich bei dem Produkt der Beklagten schließlich auch weder
  113. um ein i.S. des Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (LebensmittelBasisVO) nicht sicheres Lebensmittel noch - wie die Klägerin mit ihrem ersten
  114. Hilfsantrag geltend mache - um ein Präsentationsarzneimittel i.S. von § 2 Abs. 1
  115. Nr. 1 AMG. Die mit dem zweiten Hilfsantrag beanstandeten Werbeangaben der
  116. Beklagten seien nicht nach § 3a Satz 1 HWG unzulässig, weil das Produkt in
  117. der hier in Rede stehenden Konzentration kein Arzneimittel darstelle.
  118. 13
  119. II. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, es handele sich bei dem Produkt der Beklagten
  120. nicht um ein (Funktions-)Arzneimittel, sondern um ein Lebensmittel, kann aus
  121. Rechtsgründen keinen Bestand haben. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin der mit dem Klagehauptantrag geltend gemachte Unterlassungsanspruch daher nach § 8 Abs. 1 Satz 1, §§ 3, 4 Nr. 11
  122. UWG i.V. mit § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG zu.
  123. 14
  124. 1. Die Begründetheit des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsbegehrens der Klägerin ist nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts geltenden Recht zu beurteilen. Da das Unterlassungsbegehren auf Wiederholungsgefahr gestützt ist, ist es allerdings nur begründet, wenn das beanstandete Verhalten auch schon zur Zeit seiner Begehung wettbewerbswidrig
  125. -7-
  126. war. Der im Streitfall in Rede stehende Unlauterkeitstatbestand nach §§ 3, 4
  127. Nr. 11 UWG i.V. mit § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG hat durch die Umsetzung der
  128. Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken jedoch keine Änderung erfahren. Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2005/29/EG ist eine Unterscheidung zwischen altem und neuem Recht nicht geboten.
  129. 15
  130. 2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte verstoße nicht
  131. gegen § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG, weil ihr Produkt kein Arzneimittel, sondern ein
  132. Lebensmittel sei, beruht auf rechtsfehlerhaften Erwägungen.
  133. 16
  134. a) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen,
  135. dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und
  136. des Bundesgerichtshofs den objektiven pharmakologischen Eigenschaften eines Produkts eine zentrale Bedeutung für die Beurteilung zukommt, ob es sich
  137. bei einem Erzeugnis um ein Arznei- oder ein Lebensmittel handelt. Nach der
  138. Rechtsprechung des Senats ist der Begriff des Funktionsarzneimittels nach § 2
  139. Abs. 1 Nr. 2 AMG im Sinne des europarechtlichen Arzneimittelbegriffs nach den
  140. Richtlinien 2004/27/EG vom 31. März 2004 und 2001/83/EG vom 6. November
  141. 2001 zu bestimmen (BGH, Urt. v. 26.6.2008 - I ZR 61/05, GRUR 2008, 830
  142. Tz. 12, 16 = WRP 2008, 1213 - L-Carnitin II; Urt. v. 26.6.2008 - I ZR 112/05,
  143. GRUR 2008, 834 Tz. 14 = WRP 2008, 1209 - HMB-Kapseln). Danach sind bei
  144. der Beurteilung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Funktionsarzneimittels fällt, alle seine Merkmale und insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der
  145. Wissenschaft feststellen lassen, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang
  146. seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern sowie die Risiken
  147. zu berücksichtigen, die seine Verwendung mit sich bringen kann (EuGH, Urt. v.
  148. 9.6.2005 - C-211/03, C-299/03 und C-316/03 bis C-318/03, Slg. 2005, I-5141 =
  149. WRP 2005, 863 Tz. 51 - HLH Warenvertrieb und Orthica; Urt. v. 15.11.2007
  150. -8-
  151. - C-319/05, Slg. 2007, I-9811 = GRUR 2008, 271 Tz. 55 = WRP 2008, 59
  152. - Knoblauchkapseln; Urt. v. 15.1.2009 - C-140/07, Slg. 2009, I-41 = GRUR
  153. 2009, 511 Tz. 37 - Hecht-Pharma/Staatliches Gewerbeaufsichtsamt; vgl. ferner
  154. BGHZ 151, 286, 293 - Muskelaufbaupräparate; BGH GRUR 2008, 830 Tz. 18
  155. - L-Carnitin II; GRUR 2008, 834 Tz. 19 - HMB-Kapseln). Die pharmakologischen Eigenschaften eines Erzeugnisses sind dabei der Faktor, auf dessen
  156. Grundlage - ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses - zu
  157. beurteilen ist, ob dieses im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer
  158. ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung
  159. der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt werden kann (EuGH,
  160. Urt. v. 30.4.2009 - C-27/08, Slg. 2009, I-3785 = GRUR 2009, 790 Tz. 20 = WRP
  161. 2009, 728 - BIOS Naturprodukte/Saarland, m.w.N.; BGH, Urt. v. 14.1.2010
  162. - I ZR 138/07, GRUR 2010, 259 Tz. 15 = WRP 2010, 374 - Zimtkapseln).
  163. 17
  164. Stoffe, die zwar auf den menschlichen Körper einwirken, sich aber nicht
  165. nennenswert auf den Stoffwechsel auswirken und somit dessen Funktionsbedingungen nicht wirklich beeinflussen, dürfen nicht als Funktionsarzneimittel
  166. eingestuft werden (EuGH GRUR 2008, 271 Tz. 60 - Knoblauchkapseln; GRUR
  167. 2009, 511 Tz. 41 - Hecht-Pharma/Staatliches Gewerbeaufsichtsamt; EuGH, Urt.
  168. v. 5.3.2009 - C-88/07, Slg. 2009, I-1353 = ZLR 2009, 321 Tz. 75 - Kommission/Königreich Spanien; BGH GRUR 2008, 830 Tz. 19 - L-Carnitin II; GRUR
  169. 2008, 834 Tz. 20 - HMB-Kapseln). Der Begriff des Funktionsarzneimittels soll
  170. allein diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften
  171. wissenschaftlich festgestellt und die tatsächlich dazu bestimmt sind, eine ärztliche Diagnose zu erstellen oder physiologische Funktionen wiederherzustellen,
  172. zu bessern oder zu beeinflussen (EuGH GRUR 2008, 271 Tz. 61 - Knoblauchkapseln). Wirkt ein Stoff pharmakologisch nur in einer bestimmten Menge oder
  173. in einer bestimmten Dosis, tritt eine pharmakologische Wirkung dagegen unterhalb dieser Menge nicht ein, so kann ein Erzeugnis, das diesen Stoff enthält,
  174. -9-
  175. nur dann als Arzneimittel eingestuft werden, wenn und soweit es die für die
  176. Wirkung erforderliche Menge dieses Stoffes aufweist (vgl. EuGH, Urt. v.
  177. 29.4.2004 - C-150/00, Slg. 2004, I-3887 = ZLR 2004, 479 Tz. 68, 74, 80 - Kommission/Republik Österreich; EuGH GRUR 2008, 271 Tz. 66, 68 - Knoblauchkapseln).
  178. b) Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht eine pharmakologische
  179. 18
  180. Wirkung des Erzeugnisses der Beklagten in dem dargelegten Sinn der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs bei Einhaltung der empfohlenen Trinkmenge nicht feststellen können. Die
  181. dagegen gerichteten Angriffe der Revision verhelfen ihr zum Erfolg.
  182. aa) Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Beru-
  183. 19
  184. fungsgericht ist eine pharmakologische Wirkung des Produkts der Beklagten bei
  185. Aufnahme einer Tagesdosis von 120 mg Ginkgo-Extrakt gegeben. Das Berufungsgericht hat das Produkt der Beklagten jedoch deshalb nicht als Arzneimittel angesehen, weil diese Menge seiner Ansicht nach bei Einhaltung der von
  186. der Beklagten gegebenen Verzehrempfehlung nicht erreicht werde. Dabei ist es
  187. davon ausgegangen, die Empfehlung, täglich ein bis zwei Gläser des Produkts
  188. der Beklagten zu trinken, führe dazu, dass der Verbraucher lediglich bis zu
  189. 100 mg des Erzeugnisses der Beklagten zu sich nehmen werde. Nach dem
  190. Stand der Wissenschaft könne nicht als gesichert angesehen werden, dass
  191. schon eine Tagesdosis von nur 100 mg eine pharmakologische Wirkung aufweise.
  192. 20
  193. bb) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Trinkempfehlung der Beklagten führe dazu, dass pro Tag allenfalls eine Menge von 100 mg GinkgoExtrakt verzehrt werde, beruht auf einem rechtsfehlerhaften Verständnis des
  194. - 10 -
  195. auf dem Produkt angebrachten Hinweises, empfohlen würden täglich ein bis
  196. zwei Gläser.
  197. 21
  198. (1) Das Berufungsgericht hat die Empfehlung, täglich ein bis zwei Gläser
  199. zu trinken, als die Festlegung einer bestimmten Aufnahmemenge verstanden
  200. und daraus gefolgert, dass bei einer Missachtung der Verzehrempfehlung ein
  201. Genuss im Übermaß gegeben sei; für die Beurteilung, ob ein Produkt als Arzneimittel einzustufen sei, dürfe jedoch nur auf den normalen Gebrauch, nicht
  202. dagegen auf eine Aufnahme im Übermaß abgestellt werden.
  203. 22
  204. (2) Diesem Verständnis des Hinweises, empfohlen würden täglich ein bis
  205. zwei Gläser, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Verbraucher
  206. nach der Lebenserfahrung die bloße Empfehlung einer lediglich durch eine derartig vage Angabe umschriebenen Trinkmenge nicht dahin versteht, er dürfe
  207. eine darüber hinausgehende Menge nicht zu sich nehmen. Eine bloße Empfehlung wird nicht ohne weiteres als eine Beschränkung der Trinkmenge aufgefasst. In dem auf dem Produkt der Beklagten angebrachten Hinweis ist weder
  208. eine Obergrenze noch eine genau bestimmte Trinkmenge genannt. Die Menge,
  209. die der Verbraucher zu sich nimmt, wenn er sich an die Empfehlung hält, hängt
  210. vielmehr von der Füllmenge des benutzten Glases ab. Das Berufungsgericht
  211. hat sich bei seiner Beurteilung auf die Berechnungen des gerichtlichen Sachverständigen gestützt. Dieser hat bei seiner Annahme, ein Verbraucher, der am
  212. Tag ein bis zwei Gläser des Produkts der Beklagten trinke, nehme bis zu
  213. 100 mg des Erzeugnisses zu sich, ein durchschnittlich großes Trinkglas mit einem Volumen von 250 ml zugrunde gelegt.
  214. 23
  215. Nach der Lebenserfahrung kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, der Durchschnittsverbraucher verstehe die Trinkempfehlung der Beklagten
  216. dahin, die Angabe "ein bis zwei Gläser täglich" beziehe sich auf ein Trinkglas
  217. - 11 -
  218. mit einem Volumen von 250 ml. Es kann auch nicht mit einer hinreichenden
  219. Sicherheit angenommen werden, dass nach den normalen Trinkgewohnheiten
  220. beim Verzehr des Produkts der Beklagten (allein) Trinkgläser dieser Größe
  221. verwendet werden oder die im Einzelfall benutzten Gläser nur bis zu einem Volumen von 250 ml gefüllt werden. Der Hinweis enthält ferner keine weiteren Angaben, denen der Verbraucher entnehmen könnte, die Empfehlung sei im Sinne
  222. einer Begrenzung der täglichen Trinkmenge auf ein bestimmtes Maß (höchstens zwei Gläser mit einem Volumen von je 250 ml) zu verstehen. Sonstige Anhaltspunkte für die Annahme, beim normalen Verzehr des Erzeugnisses der
  223. Beklagten würden nicht mehr als 100 mg Ginkgo-Extrakt aufgenommen, hat
  224. das Berufungsgericht nicht festgestellt und sind von der Beklagten auch nicht
  225. vorgetragen worden.
  226. 24
  227. (3) Kann die Verzehrempfehlung der Beklagten nicht dahin verstanden
  228. werden, sie enthalte eine solche Begrenzung auf eine bestimmte Trinkmenge,
  229. dass die Tagesdosis von 100 mg Ginkgo-Extrakt nicht überschritten werde, so
  230. kann die pharmakologische Wirkung des Produkts der Beklagten nicht verneint
  231. werden. Denn auch bei einem den normalen Trinkgewohnheiten entsprechenden Genuss des Produkts der Beklagten besteht danach die naheliegende
  232. Möglichkeit, dass Verbraucher aus der 1-Liter-Flasche eine Menge von 120 mg
  233. Ginkgo-Extrakt pro Tag (ca. 0,6 l) zu sich nehmen, bei der eine pharmakologische Wirkung festgestellt ist. Diese Aufnahmemenge ergibt sich schon dann,
  234. wenn der Verbraucher bei einem Volumen von 250 ml am Tag etwas mehr als
  235. zwei Gläser zu sich nimmt oder wenn er Trinkgläser verwendet, die mit einer
  236. geringfügig größeren Menge gefüllt werden können.
  237. 25
  238. cc) Da das Produkt der Beklagten demnach bereits wegen der festgestellten pharmakologischen Wirkung bei einer Tagesdosis von 120 mg als ein
  239. Arzneimittel i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG anzusehen ist, kann dahingestellt
  240. - 12 -
  241. bleiben, ob die Beurteilung des Berufungsgerichts, bei einer Tagesdosis von
  242. lediglich 100 mg könne eine pharmakologische Wirkung nicht bejaht werden,
  243. den Angriffen der Revision standhält.
  244. 26
  245. 3. Das mit dem in der Berufungsinstanz gestellten Klagehauptantrag verfolgte Unterlassungsbegehren der Klägerin ist somit nach § 8 Abs. 1 Satz 1,
  246. §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG begründet. Es bedarf daher keiner Prüfung, ob das Inverkehrbringen des Produkts der Beklagten noch
  247. gegen die weiteren von der Klägerin zur Begründung ihres Unterlassungsbegehrens angeführten Vorschriften verstößt. Auf das mit den Hilfsanträgen verfolgte Begehren der Klägerin kommt es danach gleichfalls nicht an.
  248. 27
  249. III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben. Die Berufung der Beklagten
  250. ist mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass das erstinstanzliche Urteil entsprechend dem in der Berufungsinstanz gestellten Klageantrag neu zu fassen ist.
  251. - 13 -
  252. 28
  253. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Beklagten
  254. sind auch die Kosten der ersten Instanz aufzuerlegen, weil die Berufung ohne
  255. die Klageänderung in der Berufungsinstanz gleichfalls erfolglos geblieben wäre.
  256. Bornkamm
  257. Büscher
  258. Bergmann
  259. Schaffert
  260. Kirchhoff
  261. Vorinstanzen:
  262. LG Köln, Entscheidung vom 03.02.2006 - 81 O 257/02 OLG Köln, Entscheidung vom 21.12.2007 - 6 U 64/06 -