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9.7 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. I ZB 31/08
  4. vom
  5. 4. Dezember 2008
  6. in der Rechtsbeschwerdesache
  7. Nachschlagewerk:
  8. BGHZ
  9. :
  10. BGHR
  11. :
  12. ja
  13. nein
  14. ja
  15. Integrierte Versorgung
  16. GVG § 17 Abs. 4 Satz 4;
  17. SGG § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1;
  18. SGB V § 140c
  19. Für Streitigkeiten über die Vereinbarkeit einer nach § 140c SGB V zwischen
  20. den Krankenkassen und ihren Vertragspartnern im Rahmen der integrierten
  21. Versorgung vereinbarten Vergütung mit berufsrechtlichen Vorschriften der Ärzte
  22. ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
  23. BGH, Beschl. v. 4. Dezember 2008 - I ZB 31/08 - OLG München
  24. LG München I
  25. -2-
  26. Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2008 durch
  27. den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Prof. Dr. Büscher,
  28. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
  29. beschlossen:
  30. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 29. Zivilsenats
  31. des Oberlandesgerichts München vom 3. April 2008 wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
  32. Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 20.000 €
  33. festgesetzt.
  34. Gründe:
  35. 1
  36. I. Die Antragstellerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die für
  37. Zahnärzte Zahlungen mit den Krankenkassen abrechnet.
  38. 2
  39. Die Antragsgegnerin, eine GmbH, bietet in Zusammenarbeit mit gesetzlichen Krankenkassen, ärztlichen Berufsverbänden, Krankenhäusern und Ärzten
  40. eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende und eine interdisziplinärfachübergreifende Versorgung der Versicherten an. Sie koordiniert die beteiligten Leistungserbringer und erstellt Abrechnungen.
  41. -3-
  42. 3
  43. Die Antragsgegnerin hat mit der AOK B. und dem Landesverband B. im
  44. Bundesverband der Frauenärzte eine Rahmenvereinbarung geschlossen. Nach
  45. dieser Vereinbarung gehört es zu den Aufgaben des Partnerarztes, ein ärztliches Gespräch über die erhöhten Risiken im Zusammenhang mit Parodontalerkrankungen während der Schwangerschaft durchzuführen und die Schwangere an einen Partnerzahnarzt zu überweisen. Für seine Leistungen erhält der
  46. Partnerarzt von der AOK vereinbarungsgemäß eine zusätzliche Vergütung von
  47. 10 €, wenn die Schwangere im Rahmen der integrierten Versorgung von einem
  48. Partnerzahnarzt behandelt wird.
  49. 4
  50. Die Antragstellerin hat die Vereinbarung wegen Verstoßes gegen § 31
  51. der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns vom 6. August 2007 (im Weiteren:
  52. BOÄ) als wettbewerbswidrig beanstandet. Sie hat die Antragstellerin im Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch genommen, einen Vertrag anzubieten, abzuschließen oder zu bewerben, der vorsieht, dass ein Arzt einen
  53. Geldbetrag als Gegenleistung dafür erhält, dass er einen Patienten an einen
  54. Zahnarzt überweist.
  55. 5
  56. Das Landgericht hat den beschrittenen Rechtsweg zu den ordentlichen
  57. Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren an das Sozialgericht München verwiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das Beschwerdegericht zurückgewiesen (OLG München MD 2008, 715).
  58. 6
  59. Hiergegen richtet sich die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
  60. 7
  61. II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO,
  62. § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG auch im Verfügungsverfahren zulässig (BGH, Beschl.
  63. -4-
  64. v. 19.12.2002 - I ZB 24/02, GRUR 2003, 549 - Arzneimittelversandhandel;
  65. Beschl. v. 9.11.2006 - I ZB 28/06, GRUR 2007, 535 Tz. 5 = WRP 2007, 641
  66. - Gesamtzufriedenheit).
  67. 8
  68. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg.
  69. 9
  70. 1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, nach § 51 Abs. 1 Nr. 2,
  71. Abs. 2 Satz 1 SGG sei der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet, und hat
  72. hierzu ausgeführt:
  73. 10
  74. Für die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten komme es
  75. darauf an, ob die besonderen Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung streitentscheidend sein könnten, weil in diesem Bereich die
  76. besondere Sachkompetenz der Sozialgerichte zum Tragen komme. Dagegen
  77. sei es nicht entscheidend, ob die Anspruchsgrundlagen für den Verbotsausspruch selbst im Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs angesiedelt seien. Angegriffen werde eine Regelung in einem Rahmenvertrag zur integrierten Versorgung nach §§ 140a ff. SGB V. Derartige Verträge sollten eine bevölkerungsbezogene Flächendeckung der Versorgung ermöglichen. Sie dienten unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen obliegenden Aufgaben. Die vereinbarte Vergütungspauschale ziele auf eine Verbesserung der Versorgung der Versicherten ab und stehe in engem Zusammenhang mit dem Versorgungsauftrag
  78. der Krankenkassen.
  79. 11
  80. 2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Für das Begehren der Antragstellerin ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
  81. 12
  82. a) Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG entscheiden die Gerichte
  83. der Sozialgerichtsbarkeit über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten
  84. -5-
  85. der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Für die Eröffnung des Rechtswegs zu den Sozialgerichten ist deshalb entscheidend, ob es sich um eine Streitigkeit in einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung handelt. Nicht von Bedeutung ist nach der Bestimmung des § 51 SGG, ob die Streitigkeit öffentlichrechtlicher oder privatrechtlicher Natur ist (BGH, Beschl. v. 4.12.2003
  86. - I ZB 19/03, GRUR 2004, 444, 445 = WRP 2004, 619 - Arzneimittelsubstitution;
  87. Beschl. v. 30.1.2008 - I ZB 8/07, GRUR 2008, 447 Tz. 13 = WRP 2008, 675
  88. - Treuebonus).
  89. 13
  90. Von einer Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung ist auszugehen, wenn der Gegenstand des Streits Maßnahmen betrifft, die unmittelbar
  91. der Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen. Wird der wettbewerbsrechtliche Anspruch dagegen nicht auf einen Verstoß gegen Vorschriften des SGB V, sondern ausschließlich auf wettbewerbsrechtliche Normen gestützt, deren Beachtung auch jedem privaten Mitbewerber obliegt, handelt es
  92. sich nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung i.S.
  93. von § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG (BGH GRUR 2007, 535 Tz. 13
  94. - Gesamtzufriedenheit; GRUR 2008, 447 Tz. 14 - Treuebonus; MünchKomm.UWG/Schaffert, § 4 Nr. 11 Rdn. 26).
  95. 14
  96. b) Zu Recht ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass durch
  97. den Gegenstand des Streits Maßnahmen betroffen sind, die unmittelbar der
  98. Erfüllung der den Krankenkassen nach dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen Aufgaben dienen.
  99. 15
  100. Die Krankenkassen stellen den Versicherten die in den §§ 11 bis 68
  101. SGB V genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots
  102. -6-
  103. zur Verfügung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Nach näherer Maßgabe des § 140a
  104. SGB V können die Krankenkassen Verträge über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten oder eine interdisziplinärfachübergreifende Versorgung mit den in § 140b Abs. 1 SGB V genannten Vertragspartnern abschließen. Die Vertragspartner der Krankenkassen müssen die
  105. Erfüllung der Leistungsansprüche der Versicherten nach der Regelung des
  106. § 140b Abs. 3 Satz 2 SGB V gewährleisten. Die Verträge zur integrierten Versorgung legen gemäß § 140c Abs. 1 Satz 1 SGB V die Vergütung fest. Aus der
  107. Vergütung für die integrierten Versorgungsformen sind sämtliche Leistungen zu
  108. vergüten, die von teilnehmenden Versicherten im Rahmen des vertraglichen
  109. Leistungsauftrags in Anspruch genommen werden (§ 140c Abs. 1 Satz 2
  110. SGB V).
  111. 16
  112. Der Vertrag zwischen der Antragsgegnerin, der AOK B. und dem Landesverband B. im Bundesverband der Frauenärzte ist ein Vertrag über die integrierte Versorgung i.S. der §§ 140a bis 140d SGB V. Die in Rede stehende
  113. Vergütungspauschale unterfällt der Bestimmung über die Vergütung nach
  114. § 140c SGB V. Sie steht, wie das Beschwerdegericht zutreffend angenommen
  115. hat, in engem Zusammenhang mit der integrierten Versorgung nach §§ 140a
  116. bis 140d SGB V, die die Krankenkasse durch Gewährung von Anreizen an Ärzte ersichtlich fördern will. Die Frage, welche Vergütung für welche Leistungen
  117. einem Arzt insoweit gewährt wird, ist typischerweise Gegenstand der Regelung
  118. der integrierten Versorgung. Der Abschluss des Vertrags und die Vergütungsregelung dienen mithin unmittelbar der Erfüllung der den Krankenkassen nach
  119. dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuchs obliegenden öffentlich-rechtlichen
  120. Aufgaben. Die Streitigkeit betrifft daher eine Angelegenheit der gesetzlichen
  121. Krankenversicherung i.S. von § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 SGG.
  122. -7-
  123. 17
  124. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kommt es für die Beurteilung der Rechtswegfrage nicht darauf an, ob die fragliche Vergütungspauschale
  125. gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 31 BOÄ verstößt. Nach dieser Bestimmung
  126. der BOÄ ist es Ärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Patienten ein Entgelt oder andere Vorteile sich versprechen oder gewähren zu lassen. Der von
  127. der Rechtsbeschwerde geltend gemachte Verstoß gegen § 31 BOÄ - sein Vorliegen unterstellt - ändert nichts daran, dass die fragliche Vergütungsregelung in
  128. direktem Zusammenhang mit der integrierten Versorgung nach §§ 140a bis
  129. 140d SGB V steht und die Streitigkeit sich deshalb nicht ausschließlich nach
  130. wettbewerbsrechtlichen Normen beurteilt (hier §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V. mit § 31
  131. BOÄ), deren Beachtung jedem privaten Mitbewerber obliegt. Auch soweit es um
  132. einen möglichen Konflikt zwischen Bestimmungen des SGB V oder zu ihrer
  133. Umsetzung getroffener Vereinbarungen mit berufsrechtlichen Regelungen der
  134. Ärzte geht, sind die Sozialgerichte zur Entscheidung berufen.
  135. -8-
  136. 18
  137. III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
  138. Bornkamm
  139. Büscher
  140. Kirchhoff
  141. Schaffert
  142. Koch
  143. Vorinstanzen:
  144. LG München I, Entscheidung vom 07.03.2008 - 11 HKO 3048/08 OLG München, Entscheidung vom 03.04.2008 - 29 W 1081/08 -