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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwZ (B) 22/00
  4. vom
  5. 12. März 2001
  6. in dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
  7. wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
  8. -2-
  9. Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende
  10. Richterin Dr. Deppert, die Richter Dr. Fischer und Terno, die Richterin Dr. Otten sowie die Rechtsanwälte Dr. Schott, Dr. Frey und Dr. Wosgien
  11. nach mündlicher Verhandlung am 12. März 2001
  12. beschlossen:
  13. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß
  14. des I. Senats des Anwaltsgerichtshofes in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 30. August 1999 wird zurückgewiesen.
  15. Der Antragsteller hat die im Beschwerdeverfahren entstandenen
  16. Kosten zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr dort erwachsenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
  17. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
  18. 100.000 DM festgesetzt.
  19. - 3 -
  20. Gründe:
  21. I.
  22. Der Antragsteller ist seit dem Jahre 1975 als Rechtsanwalt zugelassen.
  23. Er hatte ursprünglich in der P. in H. eine Kanzlei eingerichtet. Mit Verfügung
  24. vom 12. März 1998 hat die Justizbehörde die Zulassung gemäß § 14 Abs. 2
  25. Nr. 6 i.V.m. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BRAO widerrufen, weil der Rechtsanwalt keine
  26. Kanzlei mehr unterhalte. Der Antragsteller hat beim Anwaltsgerichtshof die
  27. Aufhebung des Widerrufs beantragt. Die Zuständigkeit in Zulassungssachen ist
  28. in H. mit Wirkung vom 1. März 1999 von der Justizbehörde auf die Rechtsanwaltskammer übergegangen.
  29. Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung am
  30. 30. August 1999 zurückgewiesen und durch Beschluß vom 29. Dezember 1999
  31. die öffentliche Zustellung dieser Entscheidung angeordnet. Die öffentliche Zustellung wurde ausgeführt. Mit Schriftsätzen vom 13. März 2000 hat der Antragsteller gegen den Beschluß vom 30. August 1999 sofortige Beschwerde
  32. eingelegt und außerdem Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
  33. II.
  34. Die gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 3 BRAO statthafte Beschwerde ist zulässig.
  35. - 4 -
  36. 1. Die öffentliche Zustellung des Beschlusses vom 30. August 1999 ist
  37. zu Unrecht angeordnet worden. Aus den Gerichtsakten geht hervor, daß die
  38. Rechtsanwaltskammer H. den Anwaltsgerichtshof mit Schreiben vom 22. Juni
  39. 1999 darauf hingewiesen hat, ihr sei als neue Anschrift des Antragstellers die
  40. Adresse K., F., mitgeteilt worden. Im Beschwerdeverfahren sind dem Antragsteller die gerichtlichen Verfügungen unter dieser Anschrift zugegangen; er hat
  41. ihren Erhalt bestätigt. Es hätte daher der Versuch unternommen werden müssen, die erstinstanzliche Entscheidung am jetzigen Wohnort des Antragstellers
  42. zuzustellen. Da dies versäumt wurde, ist die öffentliche Zustellung unter Verstoß gegen § 203 Abs. 1 ZPO angeordnet worden.
  43. 2. Ob ein solcher Verfahrensfehler zur Folge hat, daß es an einer
  44. fristauslösenden Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung fehlt und die
  45. Beschwerde schon deshalb rechtzeitig eingegangen ist, oder ob infolge der
  46. gerichtlichen Zustellungsanordnung, dem Betroffenen lediglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann (vgl. BGHZ 118, 45, 48;
  47. BVerfG NJW 1988, 2361; Musielak/Wolst, ZPO 2. Aufl. § 203 Rdnr. 4), braucht
  48. nicht entschieden zu werden. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist
  49. jedenfalls deshalb zulässig, weil er auch rechtzeitig einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat und die das Gesuch rechtfertigenden, aus der gerichtlichen
  50. Verantwortungssphäre herrührenden Gründe schon aus den Akten des erstinstanzlichen Verfahrens ohne weiteres ersichtlich sind. Ob der Antragsteller
  51. dem Wiedereinsetzungsgesuch gleichzeitig eine formgerechte Beschwerdeschrift oder nur eine Ablichtung dieses Schriftsatzes beigefügt hat, kann ebenfalls dahingestellt bleiben. Aus den Umständen war hier zweifelsfrei ersichtlich,
  52. daß er sich gegen den Beschluß des Anwaltsgerichtshofs vom 30. August 1999
  53. wenden wollte. Deshalb kann ihm eine Wiedereinsetzung - falls eine solche
  54. - 5 -
  55. notwendig sein sollte - nicht allein wegen eventuell formeller Mängel des
  56. Rechtsmittelschriftsatzes versagt werden (vgl. BVerfG NJW 1993, 1635, 1636).
  57. III.
  58. Der Antrag festzustellen, daß der angefochtene Beschluß Wirksamkeit
  59. nicht erlangt habe, ist unbegründet.
  60. Die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs ist dadurch wirksam geworden, daß sie dem Antragsteller bekannt gemacht worden ist (§ 40 Abs. 4 BRAO
  61. i.V.m. § 16 Abs. 1 FGG). Die Bekanntmachung hat nach den Vorschriften der
  62. Zivilprozeßordnung über die Zustellung zu erfolgen. Das ist hier dadurch geschehen, daß die Zustellung gemäß §§ 203 ff ZPO durch öffentliche Bekanntmachung vorgenommen worden ist. Die erstinstanzliche Entscheidung ist damit
  63. jedenfalls rechtlich existent geworden (BGHZ 57, 108, 110; 64, 5, 8).
  64. IV.
  65. Auch im übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg; denn die Zulassung
  66. des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft ist zu Recht widerrufen worden.
  67. 1. Gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BRAO kann die Zulassung bei einem Gericht widerrufen werden, wenn der Rechtsanwalt seine Kanzlei aufgibt, ohne
  68. daß er von der Pflicht des § 27 BRAO befreit worden ist. Geschieht dies, muß
  69. zugleich die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft widerrufen werden (§ 14 Abs. 2
  70. - 6 -
  71. Nr. 6 BRAO); denn es soll niemand als Rechtsanwalt tätig sein dürfen, der
  72. nicht zugleich die Zulassung bei einem Gericht besitzt.
  73. 2. Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß der Antragsteller in H. keine Kanzlei mehr unterhält. Den von ihnen insoweit getroffenen Feststellungen schließt sich der Senat an.
  74. Danach war im Zeitpunkt des Widerrufs an der Kanzleiadresse des Antragstellers nur ein Türschild mit der Bezeichnung "Verlag Paul V. " angebracht. Es fehlte jeglicher Hinweis auf eine Rechtsanwaltskanzlei in den dortigen Räumen. Anrufe unter der angegebenen Telefonnummer blieben erfolglos.
  75. Sie wurden lediglich von einem Anrufbeantworter entgegengenommen, ohne
  76. daß ein Rückruf erfolgte. Zahlreiche Zustellungsversuche scheiterten, weil in
  77. den betreffenden Räumen an mehreren aufeinander folgenden Tagen niemand
  78. anzutreffen war. Der Antragsteller hat im übrigen selbst keine Tatsachen vorgetragen, die diesen Feststellungen entgegenstehen. Danach fehlte es an allen wesentlichen Maßnahmen, die getroffen sein müssen, damit die Errichtung
  79. einer Anwaltskanzlei nach außen erkennbar wird. Darüber hinaus war der Antragsteller selbst unter der angegebenen Adresse für das rechtsuchende Publikum sowie Gerichte und Behörden praktisch nicht erreichbar. Demzufolge hat
  80. die Justizbehörde durch die Anordnung des Widerrufs von dem ihr in § 35
  81. BRAO eingeräumten Ermessen in sachgerechter, den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgebots entsprechender Weise (vgl. dazu BVerfG NJW 1986,
  82. 1801) Gebrauch gemacht (vgl. BGH, Beschl. v. 27. Juni 1983 - AnwZ (B) 8/83,
  83. BRAK-Mitt. 1983, 190; v. 3. Oktober 1983 - AnwZ (B) 17/83, BRAK-Mitt. 1984,
  84. 36; v. 13. September 1993 - AnwZ (B) 33/93).
  85. - 7 -
  86. 3. Es kann offenbleiben, ob die Einrichtung einer neuen Kanzlei nach
  87. Erlaß des Widerrufsbescheids im Beschwerdeverfahren noch berücksichtigt
  88. werden kann; denn der Antragsteller hat einen entsprechenden Sachverhalt
  89. nicht behauptet. Aus seinem Vortrag geht hervor, daß er auch in F., seinem
  90. gegenwärtigen Wohnort, keine Anwaltskanzlei eingerichtet hat.
  91. 4. Dem Antrag, das Beschwerdeverfahren bis zur Erledigung mehrerer
  92. von dem Antragsteller erstatteter Strafanzeigen auszusetzen, konnte nicht
  93. stattgegeben werden, weil deren Ergebnis für die Sachentscheidung ohne Bedeutung ist.
  94. Deppert
  95. Fischer
  96. Schott
  97. Terno
  98. Frey
  99. Otten
  100. Wosgien