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  1. Nachschlagewerk: ja
  2. BGHSt
  3. : nein
  4. Veröffentlichung : ja
  5. UStG § 4 Nr. 1 lit. b; § 6a Abs. 3
  6. AO § 370 Abs. 1
  7. Das Fehlen eines Nachweises einer innergemeinschaftlichen
  8. Lieferung führt jedenfalls dann nicht zu einer Steuerbefreiung, wenn dadurch das Steueraufkommen in einem
  9. anderen Mitgliedstaat der EU gefährdet wird.
  10. BGH, Urteil vom 12. Mai 2005
  11. – 5 StR 36/05
  12. LG Stuttgart –
  13. 5 StR 36/05
  14. BUNDESGERICHTSHOF
  15. IM NAMEN DES VOLKES
  16. URTEIL
  17. vom 12. Mai 2005
  18. in der Strafsache
  19. gegen
  20. 1.
  21. 2.
  22. wegen Steuerhinterziehung
  23. -2-
  24. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 10. und 12. Mai 2005, an der teilgenommen haben:
  25. Richter Häger
  26. als Vorsitzender,
  27. Richterin Dr. Gerhardt,
  28. Richter Dr. Raum,
  29. Richter Dr. Brause,
  30. Richter Schaal
  31. als beisitzende Richter,
  32. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  33. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  34. Rechtsanwalt K
  35. als Verteidiger für die Angeklagte S
  36. R
  37. ,
  38. Rechtsanwalt Ro
  39. als Verteidiger für den Angeklagten P
  40. Justizhauptsekretärin
  41. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  42. R
  43. ,
  44. -3-
  45. am 12. Mai 2005 für Recht erkannt:
  46. Die Revisionen der Angeklagten S
  47. R
  48. R
  49. und P
  50. sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Ur-
  51. teil des Landgerichts Stuttgart vom 30. September 2004
  52. werden verworfen.
  53. Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel, die
  54. Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten.
  55. – Von Rechts wegen –
  56. Gründe
  57. Das Landgericht hat die Angeklagten S
  58. und P
  59. R
  60. wegen Steuerhinterziehung in zehn Fällen jeweils zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die hiergegen gerichteten, auf die Verletzung materiellen
  61. Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben ebenso ohne Erfolg
  62. wie die zum Nachteil der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die jeweiligen Rechtsfolgenaussprüche wenden.
  63. I.
  64. Nach den Feststellungen betrieben die beiden Angeklagten seit Beginn des Jahres 2000 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen Kraftfahrzeughandel. Sie erwarben im Inland gegen Rechnung mit offen ausgewiese-
  65. -4-
  66. ner Umsatzsteuer hochwertige Personenkraftwagen, die sie sodann an ihre
  67. gewerblich tätigen Kunden in Italien verkauften. Ihre Ausgangsrechnungen
  68. stellten sie – in Absprache mit ihren Abnehmern – auf italienische Scheinkäufer aus, damit die in Italien anfallende Erwerbsumsatzsteuer verkürzt werden
  69. konnte.
  70. In ihren eigenen monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen bis
  71. Juli 2003 und den Umsatzsteuerjahreserklärungen für 2000 bis 2002 erklärten die Angeklagten die entsprechenden Umsätze als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen im Sinne von § 4 Nr. 1 lit. b, § 6a UStG. Die ihnen bei Ankauf der PKW in Rechnung gestellte Umsatzsteuer machten sie
  72. jeweils als Vorsteuer geltend und verkürzten auf diese Weise Umsatzsteuer
  73. in Höhe von insgesamt rund 1,7 Millionen €.
  74. II.
  75. Sämtliche Revisionen bleiben erfolglos.
  76. 1. Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
  77. a) Angesichts der in der Hauptverhandlung abgelegten umfassenden
  78. Geständnisse der Angeklagten, die sie anhand von Urkunden und Schriftstücken erläutert haben, bedurfte es keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen in den Urteilsgründen. Insbesondere hat das Landgericht ausdrücklich
  79. festgestellt, daß die Angeklagten eingeräumt haben, ihnen sei „vor diesem
  80. Hintergrund auch klar gewesen, daß die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung der Lieferungen nach Italien nicht vorlagen und ihre diese Umsätze
  81. betreffenden Steuererklärungen und Voranmeldungen insoweit falsch waren“. Auch die Berechungsgrundlagen für den Hinterziehungsschaden sind
  82. im Urteil ausreichend dargetan.
  83. -5-
  84. b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht den festgestellten Sachverhalt als gemeinschaftlich begangene Steuerhinterziehung in zehn Fällen
  85. gewürdigt.
  86. aa) Ohne Rechtsverstoß hat der Tatrichter wegen der unzutreffenden
  87. Angaben der Angeklagten über die Empfänger der nach Italien verkauften
  88. Fahrzeuge keine innergemeinschaftliche Lieferung im Sinne des § 6a UStG
  89. angenommen, die zur Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 1 lit. b UStG geführt hätte.
  90. Für die Steuerbefreiung der Lieferung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ist nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG erforderlich, daß
  91. die Voraussetzungen der Steuerbefreiung nachgewiesen sind. Dies muß
  92. durch entsprechende Belege buchmäßig leicht nachzuprüfen sein (§ 17a
  93. Abs. 1 Satz 2 UStDV). Zu den unabdingbaren Anforderungen, die nach der
  94. ständigen Rechtsprechung der Bundesfinanzhofs materiellrechtliche Voraussetzungen der Steuerbefreiung sind, zählen nach § 17c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
  95. UStDV auch der buchmäßige Nachweis des wirklichen Abnehmers und dessen richtige Umsatzsteueridentifikationsnummer (BFH/NV 2004, 988, 989).
  96. Macht der Steuerpflichtige insoweit unzutreffende Angaben über den Abnehmer, ist schon allein deshalb keine steuerbefreite innergemeinschaftliche
  97. Lieferung gegeben (vgl. BFHE 199, 80, 83 f.; BFH/NV 2004, 988, 989).
  98. bb) Mit der inhaltlich falschen Angabe des Abnehmers ist der Nachweis für eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht geführt. Damit liegen die
  99. Voraussetzungen für eine steuerfreie Lieferung im vorliegenden Fall nicht
  100. vor. Es kann daher dahinstehen, ob die Lieferung der Fahrzeuge nach ihrem
  101. materiellen Gehalt die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung erfüllen könnte.
  102. (1) Die hier zu beurteilende Fallkonstellation unterscheidet sich dabei
  103. ganz wesentlich von der Sachverhaltsgestaltung, die dem Bundesfinanzhof
  104. Anlaß gegeben hat, durch Beschluß vom 10. Februar 2005 (DStR 2005, 646)
  105. dem Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EGV die Fragen vorzu-
  106. -6-
  107. legen, ob – erstens – die Finanzverwaltung die Steuerfreiheit einer innergemeinschaftlichen Lieferung, die zweifelsfrei vorliegt, allein mit der Begründung versagen darf, der Steuerpflichtige habe den dafür vorgeschriebenen
  108. Buchnachweis nicht rechtzeitig geführt, und es – zweitens – hierbei darauf
  109. ankommt, ob der Steuerpflichtige zunächst bewußt das Vorliegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung verschleiert hat.
  110. (2) Die dort für die Vorlage maßgebliche Frage war, inwieweit aus
  111. Gründen der Verhältnismäßigkeit allein der fehlende Nachweis nach § 4
  112. Abs. 1 lit. b i.V.m. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG der Steuerbefreiung entgegenstehen dürfe. Dabei war aber entscheidend, daß das Gesamtgeschäft an
  113. sich steuerehrlich aufgebaut war, weil lediglich aus Gründen des Gebietsschutzes formal ein Strohmann zwischengeschaltet wurde. Im vorliegenden
  114. Fall hingegen waren die falschen Angaben über den Abnehmer gerade darauf gerichtet, dem tatsächlichen Abnehmer eine Besteuerung der angekauften Fahrzeuge zu ersparen. Die insoweit unzutreffenden Angaben sollten
  115. den tatsächlichen Abnehmer verdecken und ihm so ermöglichen, die von ihm
  116. geschuldete Erwerbsumsatzsteuer hinterziehen zu können.
  117. Entgegen der Auffassung der Verteidigung wird damit den Angeklagten nicht der Vorwurf einer Beteiligung an einer Umsatzsteuerhinterziehung
  118. in Italien gemacht, weshalb auch dahinstehen kann, ob eine Hinterziehung
  119. italienischer Umsatzsteuer nach § 370 Abs. 6 AO in Deutschland strafbar
  120. und von der Anklage im hiesigen Verfahren überhaupt umfaßt ist. Ein Bezug
  121. zur italienischen Umsatzsteuer entsteht im vorliegenden Fall allein dadurch,
  122. daß eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in Deutschland nur
  123. dann vorliegt, wenn die tatsächliche Lieferung nach Italien ordnungsgemäß
  124. belegt ist. Die Nachweispflichten schützen nämlich nicht nur das Umsatzsteueraufkommen des Mitgliedstaats, aus dem ausgeführt wird, sondern
  125. auch das Umsatzsteueraufkommen des Mitgliedstaats, in den eingeführt
  126. wird. Durch entsprechende gemäß § 18a UStG im Inland gesammelte Mitteilungen ist aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 218/92 des Rates vom
  127. -7-
  128. 27. Januar 1992 über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf
  129. dem Gebiet der indirekten Besteuerung (ABl. EG Nr. L 24 S. 1) eine Kontrollmöglichkeit geschaffen worden, die den italienischen Finanzbehörden die
  130. Durchsetzung der Umsatzsteuerpflicht bei innergemeinschaftlichen Lieferungen gegenüber dem Abnehmer erleichtert (vgl. FG Rheinland-Pfalz
  131. DStRE 2005, 212, 213). Dies ist erforderlich, weil nur so die durch den dritten
  132. Erwägungsgrund der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom
  133. 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
  134. über die Umsatzsteuern (ABl. EG Nr. L 145 S. 1; im folgenden: Sechste
  135. Richtlinie) geforderte Neutralität des gemeinsamen Umsatzsteuersystems
  136. gewahrt werden kann, denn anderenfalls hätten Abnehmer in ihrem Staat
  137. durch faktisch umsatzsteuerfreie Fahrzeuge erhebliche Wettbewerbsvorteile.
  138. Insoweit dient die Nachweispflicht – neben der Sicherung des Umsatzsteueraufkommens in dem anderen Mitgliedstaat – auch der Gewährleistung gleicher Wettbewerbsbedingungen auf den nationalen Teilmärkten des gemeinsamen Marktes. Deshalb soll der Lieferant jedenfalls dann nicht in den Genuß der Steuerbefreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach § 4
  139. Nr. 1 lit. b i.V.m. § 6a Abs. 1 UStG kommen, wenn er seine steuerlichen
  140. Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt, weil dann auch die Besteuerung in
  141. dem anderen Mitgliedstaat nicht gesichert ist. Dem Schutzgut der (umsatzsteuerneutralen) gleichen Wettbewerbschancen entspricht es, den Lieferanten jedenfalls dann zu belasten, wenn die Besteuerung des Abnehmers
  142. durch einen unzureichenden buchmäßigen Nachweis gefährdet erscheint.
  143. cc) Vor diesem Hintergrund sind auch die Verhältnismäßigkeitsüberlegungen zu sehen, die den Bundesfinanzhof im Anschluß an eine Entscheidung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2003 (ÖStZB 2004, S. 547) zu der Vorlage an den Europäischen Gerichtshof veranlaßt haben. In den dort entschiedenen Fällen stand die ordnungsgemäße Besteuerung der materiell innergemeinschaftlichen Lieferung
  144. – ungeachtet der Mängel in der Nachweisführung – nicht in Frage. Dagegen
  145. war im hier zu beurteilenden Fall der Fehler in den buchmäßigen Aufzeich-
  146. -8-
  147. nungen beabsichtigt und das Mittel, eine den innergemeinschaftlichen Wettbewerb verzerrende Steuerverkürzung im Mitgliedstaat des Abnehmers herbeizuführen. Es besteht deshalb kein Anlaß für die hier zu beurteilende Fallkonstellation von dem Grundsatz abzuweichen, daß ein in der Falschbezeichnung des Abnehmers liegendes Fehlen des Nachweises einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht zur Steuerbefreiung führt. Die Bestimmungen in Art. 28c Abschnitt A und B der Sechsten Richtlinie geben den Mitgliedstaaten ausdrücklich auf, Regelungen zu treffen, die der Verhütung von
  148. Steuerhinterziehungen dienen. Die Nachweispflichten des nationalen Umsatzsteuerrechts füllen diesen Regelungszweck aus. Da sich eine Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens innerhalb der Europäischen Gemeinschaft tatsächlich auch realisiert hat, besteht im Hinblick auf den auch gemeinschaftsrechtlich zu beachtenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kein
  149. Raum für eine einschränkende Auslegung der Nachweispflichten für innergemeinschaftliche Lieferungen. Insoweit ist die Rechtslage eindeutig. Deshalb scheidet eine – von der Verteidigung hilfsweise beantragte – Vorlage an
  150. den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 Abs. 3 EGV aus, weil keine klärungsbedürftige Rechtsfrage vorliegt.
  151. 2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind ebenfalls unbegründet.
  152. Die Strafzumessung weist keinen Rechtsfehler zum Vor- oder Nachteil
  153. der Angeklagten auf, der das Revisionsgericht nötigen könnte, die rechtsfehlerfrei begründeten, wenngleich milden Strafen zu beanstanden. Der Generalbundesanwalt, der die Revisionen der Staatsanwaltschaft nicht vertritt, hat
  154. in seinem Terminsantrag im einzelnen zutreffend darauf hingewiesen, daß
  155. -9-
  156. die Rechtsfolgenaussprüche sich insgesamt im Rahmen des dem Tatrichter
  157. zustehenden Beurteilungsspielraums halten.
  158. Häger
  159. Gerhardt
  160. Brause
  161. Raum
  162. Schaal