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  1. 5 StR 525/11
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. IM NAMEN DES VOLKES
  4. URTEIL
  5. vom 28. März 2012
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen besonders schweren Raubes u.a.
  9. -2-
  10. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung
  11. vom 28. März 2012, an der teilgenommen haben:
  12. Vorsitzender Richter Basdorf,
  13. Richter Dr. Raum,
  14. Richter Schaal,
  15. Richterin Dr. Schneider,
  16. Richter Bellay
  17. als beisitzende Richter,
  18. Bundesanwalt
  19. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  20. Rechtsanwältin
  21. als Verteidigerin,
  22. Justizhauptsekretärin
  23. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  24. -3-
  25. für Recht erkannt:
  26. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
  27. Landgerichts Potsdam vom 17. Juni 2011 wird verworfen.
  28. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die
  29. dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
  30. – Von Rechts wegen –
  31. Gründe
  32. 1
  33. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (besonders) schweren
  34. Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung
  35. der Strafen aus einem weiteren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
  36. neun Jahren und sechs Monaten verurteilt und ein Klappmesser eingezogen.
  37. Mit ihrer entsprechend beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, macht die Staatsanwaltschaft geltend, das Landgericht habe zu Unrecht von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen.
  38. 2
  39. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
  40. 3
  41. a) Der auch einschlägig vorbestrafte Angeklagte hatte im Rahmen eines mit hoher Wahrscheinlichkeit illegalen Geschäftes zugesagt, für den
  42. Zeugen K.
  43. Ware zu besorgen, die dieser gegen Zahlung eines Kaufprei-
  44. ses in Höhe von 1.000 € erwerben sollte. Am Nachmittag des 27. April 2007
  45. -4-
  46. traf sich der Angeklagte – vorgeblich zur Abwicklung des Geschäfts – mit
  47. K.
  48. . Der Angeklagte, der von Anfang an die Absicht hatte, in den Besitz
  49. des Geldes des Zeugen zu gelangen, erschien zu dem Treffen mit einem
  50. unbekannten Mann. Nach einer Begrüßung nahm der Angeklagte den Zeugen unvermittelt „in den Schwitzkasten“ und forderte die Herausgabe des
  51. mitgeführten Bargeldes. Nachdem K.
  52. sich diesem Ansinnen widersetzte,
  53. sprang der unbekannte Dritte ihm in den Rücken, schlug ihn mit Fäusten und
  54. trat auf den bereits am Boden liegenden K.
  55. ein. Auch der Angeklagte
  56. schlug auf den Zeugen ein und setzte ihm ein Klappmesser an den Hals. Da
  57. K.
  58. gleichwohl nicht bereit war, sein Geld herauszugeben, schnitt ihm der
  59. Angeklagte zweimal in den Oberarm. K.
  60. hielt seine Geldbörse, die sich
  61. in seiner seitlichen Hosentasche befand, weiterhin von außen fest. Der Angeklagte drohte, ihm den Finger abzuschneiden, und schnitt ihm in den
  62. Daumen. Da auch dieses nicht zur Herausgabe des Geldes führte, wurde
  63. dem Zeugen schließlich das Portemonnaie aus der Hosentasche herausgeschnitten. Der Geschädigte erlitt durch die Handlungen des Angeklagten und
  64. seines Mittäters drei bis zu etwa sechs Zentimeter lange, insgesamt oberflächliche Schnittverletzungen am Oberarm und am Daumen, die teilweise
  65. genäht wurden, darüber hinaus eine Prellung an der Schläfe und Hautabschürfungen an Hals und Hinterkopf ohne tiefer gehende Verletzungen.
  66. 4
  67. b) Das Landgericht hat das Vorliegen der formellen Voraussetzungen
  68. für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1, Abs. 4
  69. Satz 3 und 4 StGB aF mit Rücksicht darauf bejaht, dass der Angeklagte bereits am 15. Dezember 1998 wegen einer am 17. August 1997 begangenen
  70. gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und
  71. neun Monaten und am 10. November 2006 wegen eines am 21. Dezember 2002 begangenen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt
  72. worden war und sich vor der neuen Tat auf der Grundlage des ersten genannten Urteils mehr als zwei Jahre in Haft befunden hatte.
  73. -5-
  74. 5
  75. Darüber hinaus ist die sachverständig beratene Strafkammer zu dem
  76. Ergebnis gekommen, dass auch die materiellen Voraussetzungen des § 66
  77. Abs. 1 StGB aF vorlägen. Der Angeklagte habe eine fest eingewurzelte Neigung, immer wieder straffällig zu werden, wenn sich die Gelegenheit böte.
  78. Auch bestehe „im Ergebnis nicht nur eine hohe Wahrscheinlichkeit für Regelverstöße, sondern auch für gewalttätige Aktionen“ (UA S. 25).
  79. 6
  80. Indes sieht die Strafkammer den nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) geltenden erhöhten Gefährlichkeitsmaßstab nicht als erfüllt an: Das Verhalten des Angeklagten sei
  81. „nicht vordergründig auf strafbare Handlungen ausgerichtet“ (UA S. 26). Bei
  82. den bisherigen Straftaten sei es dem Angeklagten in der Regel um materielle
  83. Vorteile gegangen. Sie ließen sich überwiegend dem Bereich der unteren bis
  84. mittleren Kriminalität zuordnen. Auch soweit Tatbestände schwerer Gewalttaten erfüllt gewesen seien, zeigten die bislang verhängten Strafen, dass die
  85. Taten „in der Gesamtschau und bei Abwägung aller maßgeblichen Kriterien
  86. innerhalb der Gruppe der schweren Kriminalität im unteren Bereich angesiedelt wurden“. Aus den gesamten Umständen lasse sich demnach „zwar eine
  87. hohe Gefahr weiterer auch schwerer Gewaltstraftaten, jedoch nicht eine
  88. hochgradige Gefahr schwerster Gewalttaten“ ableiten (UA S. 27).
  89. 7
  90. 2. Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt im Ergebnis erfolglos.
  91. Zwar lässt die Bezugnahme des angefochtenen Urteils auf die Anforderung
  92. einer „hochgradigen Gefahr schwerster Gewalttaten“ besorgen, dass das
  93. Landgericht den vom Bundesverfassungsgericht bestimmten Verhältnismäßigkeitsmaßstab (aaO Rn. 172) unzutreffend eng gesehen hat. Auf diesem
  94. Verstoß beruht das Urteil jedoch nicht.
  95. 8
  96. a) Im Hinblick darauf, dass § 66 Abs. 1 StGB nach den Feststellungen
  97. des Bundesverfassungsgerichts derzeit wegen Verstoßes gegen Artikel 2
  98. Abs. 2 Satz 2 GG und Artikel 104 Abs. 1 GG verfassungswidrig ist, gilt die
  99. Vorschrift vorläufig nur unter eingeschränkten Voraussetzungen weiter
  100. -6-
  101. (BVerfGE aaO). Danach dürfen Eingriffe in das Freiheitsrecht des Angeklagten nur so weit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrecht zu erhalten. Die Sicherungsverwahrung
  102. darf zurzeit nur nach Maßgabe einer besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder
  103. Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist.
  104. 9
  105. b) Die Bezugnahme auf ausschließlich „schwere Gewalt- oder Sexualstraftaten“ bringt – worauf der Bundesgerichtshof bereits wiederholt hingewiesen hat – eine Einschränkung gegenüber den Taten zum Ausdruck, die
  106. bislang für die Anordnung der Sicherungsverwahrung genügten (BGH, Urteil
  107. vom 13. März 2012 – 5 StR 497/11; Beschluss vom 27. September 2011
  108. – 4 StR 362/11 Rn. 9; Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11, StV 2011,
  109. 672, 673; Beschluss vom 2. August 2011 – 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66
  110. strikte Verhältnismäßigkeit 1). Danach sind erhöhte Anforderungen sowohl
  111. an die Konkretisierung der Rückfallprognose als auch an den Wert der gefährdeten Rechtsgüter zu stellen. Bei der auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt es, über die gesetzgeberische Aufnahme in
  112. den Katalog tauglicher Vor- und Anlasstaten hinaus, prinzipiell nicht auf die
  113. Bezeichnung des Straftatbestands an, dessen Verletzung für die Zukunft
  114. droht, auch nicht auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang, sondern auf die Bedeutung des vor Rückfalltaten des Angeklagten zu schützenden Rechtsgutes, ferner auf den Grad der Wahrscheinlichkeit der künftigen Rechtsgutsverletzung und gegebenenfalls auf die
  115. mögliche Verletzungsintensität (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2011
  116. – 2 StR 305/11 Rn. 10).
  117. 10
  118. c) Bei der nach diesen Maßstäben vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsabwägung ist neben den vom Landgericht herangezogenen Gesichtspunkten insbesondere zu berücksichtigen, dass die Anlasstat im Zeitpunkt
  119. der Hauptverhandlung gut vier Jahre zurücklag und eine langjährige Frei-
  120. -7-
  121. heitsstrafe verhängt wurde. Der Angeklagte, der sich bereits seit September 2007 ununterbrochen in anderweitiger Strafhaft befindet, hat noch bis zu
  122. etwa neun Jahren Freiheitsstrafe zu verbüßen. In dieser Zeit kann mit den
  123. Mitteln des Strafvollzuges auf ihn eingewirkt werden. Vor diesem Hintergrund
  124. erscheint die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht als „unerlässlich“
  125. im Sinne der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, um das mit der
  126. Maßregel verfolgte Ziel des Schutzes der Allgemeinheit vor schweren Sexual- und Gewaltstraftaten zu erreichen.
  127. 11
  128. Der Senat schließt aus, dass in einer neuen tatgerichtlichen Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen getroffen werden könnten, welche die Anordnung von Sicherungsverwahrung tragen könnten.
  129. Basdorf
  130. Raum
  131. Schneider
  132. Schaal
  133. Bellay