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- 5 StR 413/09
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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- vom 10. November 2009
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen besonders schweren Raubes u. a.
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- Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2009
- beschlossen:
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- Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. März 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
- im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
- Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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- G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren
- Raubes in drei Fällen, schweren Raubes in sieben Fällen, davon in einem
- Fall in Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung und in einem weiteren
- Fall in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung in weiterer Tateinheit
- mit versuchter Freiheitsberaubung, wegen Diebstahls mit Waffen in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und wegen Diebstahls zu einer
- Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die
- wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte mit der Sachrüge und
- einer Verfahrensrüge geführte Revision des Angeklagten, die sich insbesondere gegen das Unterlassen der Anordnung einer Maßregel nach §§ 63
- oder 64 StGB richtet, hat Erfolg.
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- 1. Nach den Feststellungen beging der 29 Jahre alte heroinabhängige
- Angeklagte zwischen dem 7. April und dem 9. Juni 2008 insgesamt zehn
- Überfälle auf Geschäfte und Tankstellen, bei denen er teilweise ein Messer,
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- teilweise eine geladene oder ungeladene PTB-Waffe Walter P 22 einsetzte
- und Bargeld, Zigaretten und Mobiltelefone erbeutete. Diese Taten waren
- „motiviert aus der Angst vor Entzugserscheinungen“ (UA S. 21). Darüber hinaus brach der Angeklagte am 27. April 2008 einen Opel Kadett auf, den er
- bis zum Abend des Folgetages nutzte und dann an einer anderen Stelle unverschlossen abstellte. Am 9. Juni 2008, kurz vor Begehung des letzten
- Überfalls auf einen Drogeriemarkt, zwang er die Fahrerin eines Opel Vectra
- unter Vorzeigen einer ungeladenen PTB-Waffe dazu, ihm den Pkw zu überlassen, mit dem er sich entfernte. Unmittelbar vor diesen beiden Taten hatte
- der Angeklagte Heroin konsumiert und stand unter dem Einfluss dieser Droge, die bei ihm einen „Heroinrausch“ verursachte (UA S. 21).
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- 2. Die Revision des Angeklagten ist bereits mit der Sachrüge erfolgreich. Die Ablehnung der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB ist in
- der Begründung rechtsfehlerhaft.
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- In Anlehnung an die Ausführungen des Sachverständigen vertritt das
- Landgericht die Auffassung, dass die Unterbringung keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg verspreche. Diese Einschätzung
- wird zum einen darauf gestützt, dass es dem Angeklagten an einem ernsthaften Therapiewillen fehle, da seine „Änderungsmotivation eher ungerichtet“
- sei und er seine Ablehnung in der Hauptverhandlung unter anderem damit
- begründet habe, er brauche etwas „längeres anderes“. Zwar kann – was das
- Landgericht im Ansatz zutreffend erkennt – die Therapieunwilligkeit des Täters ein gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel sprechender Umstand sein.
- In diesem Fall sind jedoch die Gründe und Wurzeln eines etwaigen Motivationsmangels festzustellen und es ist zu überprüfen, ob eine Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann (vgl.
- BGH NStZ-RR 2004, 263; DAR 1999, 196). Das Landgericht setzt sich insoweit nicht mit der naheliegenden Möglichkeit auseinander, dass die vom Angeklagten gegenüber dem Sachverständigen und in der Hauptverhandlung
- geäußerte Ablehnung einer Entziehungsbehandlung von dem Motiv getragen
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- sein kann, stattdessen die von dem Angeklagten selbst in erster Linie ausdrücklich erstrebte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu
- erreichen.
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- Soweit das Landgericht, dem Sachverständigen folgend, darauf abstellt, dass zunächst eine Sozialtherapie vorgenommen werden sollte, um
- eine Erfolg versprechende Entziehungsbehandlung zu gewährleisten, trägt
- auch das die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB
- nicht. Dabei bleibt nämlich unbeachtet, dass der Angeklagte zunächst nach
- der Regelvorschrift des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB einen Teil seiner Freiheitsstrafe von nicht unerheblicher Dauer vor der Vollstreckung der Maßregel zu
- verbüßen haben wird, der für eine sozialtherapeutische Behandlung genutzt
- werden kann. Sollte diese zum Zeitpunkt des regulären Übergangs des Angeklagten in die Vollstreckung der Maßregel noch nicht abgeschlossen sein,
- so kommt grundsätzlich auch die nachträgliche Anordnung des Vollzugs eines weiteren Teils der Strafe in Frage (§ 67 Abs. 3 Satz 1 StGB).
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- Der Verzicht auf die Unterbringung lässt sich auch nicht mit der von
- dem Sachverständigen übernommenen Auffassung begründen, „in der Fachwelt sei anerkannt, dass bei der Verhängung von Freiheitsstrafen über drei
- Jahren die Erfolgsaussichten mit jedem Jahr Freiheitsstrafe über drei Jahren
- erheblich abnähmen, da gerade bei einer Suchtbehandlung Therapiebemühungen nur Erfolg versprächen, wenn sie nicht nur im Strafvollzug, sondern
- zumindest auch teilweise ‚im täglichen Leben in Freiheit’ erprobt werden
- könnten“ (UA S. 48). Gerade diesem Umstand hat der Gesetzgeber mit der
- Einführung des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB, der bei langen Freiheitsstrafen den
- Vorwegvollzug eines Teils der Strafe vorsieht, Rechnung getragen (vgl.
- BT-Drucks. 16/1110 S. 11, 14).
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- Schließlich vermag auch die Berufung der Strafkammer darauf, dass
- „die Ausgangsbedingungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
- sehr ungünstig“ seien (unter Hinweis auf BGH StV 2008, 138), den Verzicht
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- auf die Unterbringung des Angeklagten nicht zu rechtfertigen. Die Entlastung
- des Maßregelvollzugs von Tätern mit sehr ungünstigen Ausgangsbedingungen war zwar ein Ziel der Umgestaltung des § 64 StGB in eine Sollvorschrift
- durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen
- Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (BGBl 2007 I 1327; vgl.
- BT-Drucks. 16/5137 S. 1 und 10 und 16/1344 S. 12 f.). Auf der Grundlage
- dieser Ermessensvorschrift kommt ein Absehen von einer Unterbringung in
- einer Entziehungsanstalt indes nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07; Schneider NStZ 2008, 68, 70). Es ist nicht ersichtlich, dass hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt.
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- 3. Der Senat hält die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs für angezeigt, um eine umfassende Neubeurteilung der Frage der
- Anordnung von Maßregeln gemäß §§ 64 oder 63 StGB nach neuer Begutachtung und der damit zusammenhängenden Bemessung der Strafen zu
- ermöglichen, zumal bereits die Ausführungen des Urteils zur Frage der
- Schuldfähigkeit des Angeklagten und – darauf beruhend – zur Prüfung seiner
- Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht frei von Bedenken sind.
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- a) Die Ausführungen des Landgerichts zur Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB – mit einer Ausnahme lediglich unter Anwendung des
- Zweifelssatzes – sind insgesamt wenig stringent. Insbesondere erschließt
- sich nicht ohne weiteres, weshalb es für die Frage der sicheren oder lediglich
- auf der Grundlage des Zweifelssatzes beruhenden Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf das Leistungsverhalten des
- Angeklagten in der Tatsituation ankommen soll. Es ist auch nicht erkennbar,
- weshalb eine akute Heroinintoxikation zwar bei dem vorletzten Raub am
- 9. Juni 2008 um 10.00 Uhr eine Rolle gespielt haben soll, nicht aber bei dem
- letzten am selben Tag um 11.45 Uhr begangenen Überfall.
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- b) Mit dem Sachverständigen geht das Landgericht davon aus, dass
- bei dem Angeklagten eine „dissoziale Persönlichkeitsstörung“ vorliege, die
- jedoch keinen Einfluss auf seine Einsichtsfähigkeit gehabt habe und auch
- seine Steuerungsfähigkeit während der Begehung der Taten nicht erheblich
- eingeschränkt habe. Das Urteil lässt dabei indes nicht erkennen, aufgrund
- welcher Tatsachen der Sachverständige diese Diagnose gestellt hat. Eine
- fundierte Auseinandersetzung in diesem Zusammenhang wäre deshalb erforderlich gewesen, weil dem Angeklagten in der Vergangenheit bereits forensisch-psychiatrische Diagnosen gestellt wurden, die von der Diagnose
- des Sachverständigen in dem hiesigen Verfahren abweichen. Dies gilt zumal
- vor dem Hintergrund der – vom Sachverständigen zudem erst spät – gewonnenen Erkenntnisse im Zusammenhang früherer Unterbringungen des Angeklagten im psychiatrischen Krankenhaus (vgl. hierzu UA S. 27 bis 29).
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- c) Das angefochtene Urteil trifft auch keine Festlegung dahingehend,
- ob die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung bereits nicht das Kriterium der
- „schweren anderen seelische Abartigkeit“ erfüllt oder – bei Erfüllung dieses
- Eingangskriteriums der §§ 20, 21 StGB – lediglich die Steuerungsfähigkeit
- des Angeklagten nicht oder etwa nur nicht erheblich beeinträchtigt hat. Die
- Diagnose selbst einer schweren Persönlichkeitsstörung ist nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ im Sinne der §§ 20, 21 StGB.
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- d) Gelangt auch das neue Tatgericht rechtsfehlerfrei zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung, wird es zu prüfen haben, ob Symptome vorliegen, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer
- und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 77, 78; BGHR StGB § 63 Zustand 34). Wenn danach eine schwere seelische Abartigkeit festzustellen ist
- und ein motivischer Zusammenhang zwischen psychischer Störung und Tatgeschehen besteht, liegt es dann aber nahe, dass sie sich in einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat; auch die Pla-
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- nung der Taten, wie sie das Landgericht mit dem Sachverständigen „bis auf
- wenige Ausnahmen“ feststellt (UA S. 26), spricht dann nicht ohne weiteres
- dagegen (vgl. BGH StraFo 2001, 249).
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- Basdorf
- Schneider
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- Raum
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- Brause
- König
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