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  1. 5 StR 139/03
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. IM NAMEN DES VOLKES
  4. URTEIL
  5. vom 5. Mai 2004
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Bestechlichkeit u. a.
  9. -2-
  10. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 4. und 5. Mai 2004, an der teilgenommen haben:
  11. Vorsitzende Richterin Harms,
  12. Richter Häger,
  13. Richter Basdorf,
  14. Richter Dr. Raum,
  15. Richter Schaal
  16. als beisitzende Richter,
  17. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  18. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  19. Rechtsanwalt
  20. als Verteidiger,
  21. Justizangestellte
  22. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  23. -3-
  24. am 5. Mai 2004 für Recht erkannt:
  25. 1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
  26. Landgerichts Halle/Saale vom 5. Juni 2002 wird verworfen.
  27. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist und soweit die Anordnung des Verfalls unterblieben ist.
  28. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
  29. tragen.
  30. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
  31. Revision der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  32. – Von Rechts wegen –
  33. Gründe
  34. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit in zwei
  35. Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten
  36. verurteilt und ihn im übrigen vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die allein gegen
  37. den Freispruch und die Nichtanordnung des Verfalls gerichtete Revision der
  38. Staatsanwaltschaft ist erfolgreich.
  39. -4-
  40. Das Landgericht hat im wesentlichen folgendes festgestellt: Der Angeklagte war seit 1971 Angestellter der Stadt Halle/Saale, seit 1991 als stellvertretender Amtsleiter im Stadtplanungsamt, ab 1995 als Leiter der Koordinierungsstelle Stadtsanierung. Dabei hatte er im Rahmen der Förderung
  41. städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen – unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens – über die Vergabe von Aufträgen zu entscheiden.
  42. Der Angeklagte lernte den Hotelbetriebswirt K
  43. gen Gesellschafter und Geschäftsführer der R
  44. GmbH (im folgenden R
  45. S
  46. , den alleini-
  47. B
  48. P
  49. GmbH genannt), der mit dem Architekten
  50. zusammenarbeitete, persönlich eng kennen. Im Jahre 1992 und
  51. am 28. Januar 1993 erteilte der Angeklagte dem Zeugen K
  52. zwei
  53. Aufträge zur Erstellung von Bestandsaufnahmen bzw. Finanzierungs- und
  54. Nutzungskonzeptionen
  55. mit
  56. einem
  57. Gesamtvolumen
  58. von
  59. mindestens
  60. 289.103 DM. Im Frühjahr 1993 trafen sich der Angeklagte und K
  61. Café F
  62. in Halle. Der Angeklagte teilte K
  63. im
  64. mit, daß es in der
  65. Branche üblich sei, 5 % der Auftragssumme zu bezahlen, und wies darauf
  66. hin, daß K
  67. und S
  68. in der Vergangenheit bereits genug an
  69. den durch die Stadt erteilten Aufträgen verdient hätten. Dabei wollte er den
  70. Eindruck erwecken, daß er sich bei der Ausübung des ihm eingeräumten
  71. Ermessens im Rahmen der Vergabe entsprechender Aufträge durch eine
  72. Provision beeinflussen lasse und daß der R
  73. GmbH bei Ausbleiben der
  74. Zahlung die Nichtberücksichtigung bei weiteren Gutachtenaufträgen drohe.
  75. Das Landgericht hat nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte sich insgeheim, ohne dies aber K
  76. zu erkennen zu geben, vorbehielt, jeweils
  77. doch die sachgerechteste Lösung bei der Vergabe entsprechender Gutachtenaufträge auszuwählen. K
  78. fragte nach, in welchem Umfang eine
  79. Provision bezahlt werden solle. Der Angeklagte überließ diese Entscheidung
  80. seinem Gesprächspartner und forderte ihn auf, einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Daraufhin kamen K
  81. und S
  82. überein,
  83. daß eine jährliche Zahlung von maximal 50.000 DM in Raten an den Ange-
  84. -5-
  85. klagten möglich sei. Etwa eine Woche nach dem Treffen im Café F
  86. der Angeklagte sich erneut mit K
  87. traf
  88. , der auf Frage des Angeklagten
  89. die Zahlung von maximal 50.000 DM pro Jahr in Raten anbot. Der Angeklagte stimmte dem Angebot zu und sagte, daß die nächste Rate in der
  90. kommenden Woche fällig sei. In den folgenden Jahren wurden daraufhin
  91. mehrfach Ratenzahlungen von K
  92. und S
  93. an den Ange-
  94. klagten geleistet. Welcher Betrag bei jeder Rate an den Angeklagten gezahlt
  95. wurde, hat das Landgericht nicht feststellen können. Ebensowenig konnten
  96. Feststellungen dazu getroffen werden, welche Mindestbeträge K
  97. und S
  98. in dem Zeitraum von 1993 bis 1997 an den Angeklagten leis-
  99. teten und zu welchem Zeitpunkt diese Zahlungen erfolgten. In der Folgezeit
  100. bis zum Jahr 1997 erteilte der Angeklagte der R
  101. GmbH neun Gutachten-
  102. aufträge, für die insgesamt 1.051.204 DM Honorar gezahlt wurden. Der Angeklagte befand die Rechnungen der R
  103. GmbH als sachlich richtig und
  104. fertigte entsprechende Auszahlungsanordnungen aus. Über die sich aus der
  105. Vergabeordnung der Stadt Halle und weiteren Anweisungen ergebende
  106. Pflicht, insbesondere wegen der Überschreitung bestimmter Wertgrenzen
  107. seine Dienstvorgesetzten über die Vorgänge zu informieren, setzte der Angeklagte sich bewußt hinweg.
  108. Ab 1993 engagierte K
  109. sich auch als Bauherr und Investor in
  110. Sanierungsobjekten in Halle. Zu diesem Zweck wurden die Bauherrengemeinschaft R
  111. K
  112. –I
  113. zu 50 % beteiligt war, und die I
  114. Geschäftsführer K
  115. S
  116. R
  117. GbR, an der K
  118. GmbH, deren faktischer
  119. war, gegründet. Von April 1994 bis Juni 1995
  120. erwarb die genannte Bauherrengemeinschaft sechs Sanierungsobjekte in
  121. Halle. Sie stellte für alle Objekte Anträge auf Bewilligung von Fördergeldern
  122. aus dem Förderprogramm „Historische Altstadt“. Im Rahmen dieses Programms bestand die Möglichkeit, die Kosten für durchgeführte Notsicherungsmaßnahmen seitens der Stadt Halle unter Anrechnung auf bewilligte
  123. und später auszuzahlende Fördergelder an den jeweiligen Bauherren vorab
  124. auszukehren. Die Bauherrengemeinschaft trat ihre Ansprüche auf Auszah-
  125. -6-
  126. lung von Fördergeldern an die I
  127. R
  128. GmbH ab. Im Spätherbst 1995
  129. wurden Abschlagsrechnungen in Höhe von knapp 2 Mio. DM, die von der
  130. I
  131. R
  132. GmbH eingereicht worden waren, durch die D
  133. S
  134. mbH, die seitens der Stadt Halle als Sanierungsbetreuer eingeschaltet war, beanstandet. Die Bauherrengemeinschaft befand
  135. sich, wie der Angeklagte wußte, in einer angespannten finanziellen Lage. In
  136. dieser Situation äußerte der Angeklagte gegenüber K
  137. Treffen im Spätherbst 1995 im Café H
  138. bei einem
  139. in Halle, daß „wieder eine
  140. Rate fällig“ sei. Er beabsichtigte, die mit K
  141. und S
  142. beste-
  143. hende „Käuflichkeitsvereinbarung“ dahingehend zu erweitern, daß die Bezahlung der einzelnen Raten nicht nur für die Vergabe von Aufträgen an die
  144. R
  145. GmbH erfolgen sollte, sondern darüber hinaus die Bewilligung und zü-
  146. gige Auszahlung weiterer Fördermittel, insbesondere die Begleichung von
  147. eingereichten Abschlagsrechnungen der I
  148. R
  149. GmbH, „betreffen
  150. sollte“. Dabei wollte er gegenüber K
  151. zum Ausdruck bringen, daß er
  152. sich durch die entsprechende Zahlung bei seiner Entscheidung beeinflussen
  153. lassen würde. Das Landgericht hat nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte sich wiederum insgeheim vorbehielt, jeweils sachgerecht zu entscheiden. K
  154. erhoffte sich, das Wohlwollen des Angeklagten für die Be-
  155. willigung und Auskehr von Fördergeldern durch die Zahlung weiterer Raten
  156. „zusätzlich zu erkaufen“. Entsprechend der Aufforderung des Angeklagten
  157. leisteten K
  158. und S
  159. nach entsprechender Abrede unterein-
  160. ander weitere Ratenzahlungen an den Angeklagten. Umfang und Zeitpunkt
  161. der Ratenzahlungen, die bis August 1999 erfolgten, konnten im einzelnen
  162. nicht festgestellt werden. In der Folgezeit traf der Angeklagte zahlreiche Entscheidungen zugunsten der Bauherrengemeinschaft bzw. der I
  163. R
  164. GmbH. Er zeichnete insbesondere Rechnungen als richtig ab und erteilte
  165. entsprechende Auszahlungsanweisungen.
  166. -7-
  167. I.
  168. Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg.
  169. 1. Die Aufklärungsrügen sind unzulässig erhoben, weil die Beschlüsse, mit denen das Landgericht die den Beanstandungen zugrundeliegenden
  170. Anträge beschieden hat, nicht mitgeteilt werden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
  171. 2. Auch die Sachrüge versagt. Die umfassende sachlichrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils hat – auch eingedenk der erhobenen
  172. Einzelbeanstandungen – keinen Fehler zutage treten lassen.
  173. a) Dies gilt zunächst für den Schuldspruch.
  174. aa) Namentlich sind die Einzelangriffe gegen die Beweiswürdigung
  175. unbegründet.
  176. Das Landgericht hat unter umfassender Darstellung und entsprechender Würdigung belegt, weshalb es dem Zeugen K
  177. Mit der Aussage des Zeugen KOK Kr
  178. geglaubt hat.
  179. hat das Landgericht sich
  180. auseinandergesetzt. Die darüber hinausgehende Behauptung, der Zeuge
  181. habe bekundet, „seine umfangreichen Finanzermittlungen beim Angeklagten
  182. hätten keinen Hinweis darauf ergeben“, daß der Angeklagte „Zuwendungen
  183. erhalten hat“, sind urteilsfremd.
  184. Auch die Urheberschaft der im Rahmen einer Hausdurchsuchung bei
  185. dem Zeugen K
  186. gefundenen Liste „Zahlungen an L.“ hat das Land-
  187. gericht umfassend und rechtsfehlerfrei geprüft. Es ist dabei zu der Überzeugung gelangt, daß die Liste von dem Zeugen K
  188. Zeugin B
  189. erstellt und von der
  190. mit der Überschrift „Zahlungen an L.“ versehen worden
  191. ist. Zum letzteren hat das Landgericht das Gutachten des Schriftsachver-
  192. -8-
  193. ständigen Dr. H
  194. ausführlich wiedergegeben. Soweit die Revision be-
  195. hauptet, der Sachverständige habe ausgeführt, daß „es ihm möglich wäre,
  196. den Urheber zu bestimmen, wenn ihm von diesem ausreichend Vergleichsmaterial zur Verfügung stünde“, ist dies urteilsfremd. Eine entsprechende
  197. Verfahrensrüge ist nicht erhoben.
  198. bb) Zutreffend hat das Landgericht in beiden Fällen jeweils eine Bestechlichkeit gemäß § 332 Abs. 1 StGB (in der vor dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 13. August 1997, BGBl I 2038, geltenden Fassung) gefunden. Der Angeklagte hat als Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. c
  199. StGB) jeweils einen Vorteil für sich gefordert und angenommen. Dabei hat er
  200. sich im Sinne des § 332 Abs. 3 Nr. 2 StGB bereit gezeigt, sich bei der Ausübung des ihm zustehenden Ermessens durch den Vorteil beeinflussen zu
  201. lassen.
  202. b) Auch die Strafzumessung ist ohne Rechtsfehler. Die Tatsache, daß
  203. die Höhe der einzelnen Bestechungszahlungen nicht festgestellt werden
  204. konnte, nötigte das Landgericht schon deshalb nicht zu der von der Revision
  205. vermißten Erörterung, ob eine Strafe „im Bereich der Mindeststrafe“ in Betracht käme, weil die Höhe der Bestechungszahlungen jedenfalls nicht im
  206. niedrigen Bereich lag.
  207. II.
  208. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
  209. 1. Das Rechtsmittel ist zunächst insoweit begründet, als es sich gegen
  210. den Freispruch wendet. Dem Angeklagten wird mit der zugelassenen Anklage vorgeworfen, in Tatmehrheit zu den Fällen der Bestechlichkeit eine Einkommensteuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AO in vier
  211. Fällen begangen zu haben. Er habe in den Jahren 1993 bis 1996 von dem
  212. Zeugen K
  213. Bestechungsgelder jeweils in Höhe von 25.000 DM er-
  214. -9-
  215. halten. Er habe für das Jahr 1993 keine Einkommensteuererklärung abgegeben und in seinen Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1994 bis 1996
  216. die jeweils erhaltenen Bestechungsgelder verschwiegen. Dadurch sei die
  217. Einkommensteuer jeweils zu niedrig festgesetzt worden, nämlich für das Jahr
  218. 1993 um 9.300 DM, für das Jahr 1994 um 7.706 DM, für das Jahr 1995 um
  219. 8.128 DM nebst 609 DM Solidaritätszuschlag und für das Jahr 1996 um
  220. 8.778 DM nebst 659 DM Solidaritätszuschlag. Das Landgericht hat den Angeklagten von diesen Vorwürfen freigesprochen. Es hat sich an einer Verurteilung allein deshalb gehindert gesehen, weil es nicht hat feststellen können,
  221. in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte Zahlungen des
  222. Zeugen K
  223. erhielt. Es habe nicht einmal Mindestbeträge für die ein-
  224. zelnen Jahre feststellen können. Auch komme eine Wahlfeststellung nicht in
  225. Betracht. Dies hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
  226. a) Das Landgericht geht zutreffend davon aus, daß Bestechungsgelder erklärungspflichtige sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 EStG sind
  227. (BGHSt 30, 46, 51; Eisgruber in Kirchhof, EStG 3. Aufl. § 19 Rdn. 150 sub
  228. Schmiergeld; Fischer in Kirchhof aaO § 22 Rdn. 34; Wacker in Schmidt,
  229. EStG 22. Aufl. § 22 Rdn. 150 sub Schmier- und Bestechungsgelder; die beiden zuletzt Genannten je m.N. der Rspr. des Bundesfinanzhofs). Zudem hat
  230. das Landgericht festgestellt, daß der Angeklagte von K
  231. Beste-
  232. chungszahlungen erhielt, deren Umfang nach den weiteren Feststellungen
  233. beträchtlich gewesen sein muß. So ergeben sich aus dem jeweiligen Volumen der einzelnen Geschäftsvorgänge, auf die sich die beiden „Käuflichkeitsvereinbarungen“ bezogen, aus der vom Angeklagten gegenüber K
  234. als branchenüblich genannten Quote von 5 % der Auftragssumme,
  235. aus dem Zeitraum der zahlreichen Bestechungszahlungen und der Liste
  236. „Zahlungen an L.“ Anhaltspunkte für eine Bestimmung der Höhe der Zahlungen. Angesichts dieser Sachlage, bei der die Schuld des Angeklagten als
  237. solche feststeht, dagegen lediglich die Verteilung der Höhe der hinterzogenen Steuern auf die einzelnen Jahre ungewiß ist, gibt es für einen Freispruch
  238. keinen Raum. Zwar ist es erforderlich, bei einer Tatserie die Einzelakte so
  239. - 10 -
  240. konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen, daß sich daraus
  241. die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Deliktstatbestandes ergibt
  242. (BGHSt 40, 374, 376). Jedoch ist in solchen Fällen die Schuld des Angeklagten unter Zuordnung zu festgestellten Einzeltaten durch Schätzung zu
  243. erfassen.
  244. Steht bei Vermögensstraftaten nach der Überzeugung des Tatrichters
  245. ein strafbares Verhalten des Täters fest, so kann die Bestimmung des
  246. Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen (BGHSt 36, 320, 328; 38,
  247. 186, 193; 40, 374, 376). Ein solches Verfahren ist stets zulässig, wenn sich
  248. Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen (BGHR StGB vor § 1
  249. Serienstraftaten Betrug 1). Die Schätzung ist dann sogar unumgänglich,
  250. wenn über die kriminellen Geschäfte keine Belege oder Aufzeichnungen vorhanden sind. In Fällen dieser Art hat der Tatrichter einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang festzustellen. Die Feststellung der Zahl der
  251. Einzelakte und die Verteilung des Gesamtschadens auf diese Einzelakte erfolgt sodann nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ (BGHSt 40, 374, 376 f.;
  252. BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 31; BGH NStZ 1999, 581; BGH, Urt. vom
  253. 21. April 2004 – 5 StR 540/03). Läßt sich nicht für jedes Steuerjahr der
  254. Empfang von Zahlungen klären, kommt auch eine Feststellung im Wege der
  255. Wahlfeststellung in Betracht.
  256. b) Die Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen Steuererklärung
  257. war auch nicht unter dem Gesichtspunkt suspendiert, daß niemand verpflichtet ist, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen (nemo tenetur se ipsum accusare).
  258. Zwar regelt § 393 Abs. 1 AO, daß der Einsatz von Zwangsmitteln unzulässig ist, soweit der Steuerpflichtige eigene Steuerstraftaten offenbaren
  259. müßte, was in bestimmten Fällen sogar dazu führt, daß die Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen suspendiert ist (vgl. BGHSt 47, 8, 12; BGHR AO
  260. § 393 Abs. 1 Erklärungspflicht 2 und 3). Soweit der Steuerpflichtige mit einer
  261. - 11 -
  262. wahrheitsgemäßen Erklärung allgemeine Straftaten offenbart, ist er durch
  263. das Steuergeheimnis (§ 30 AO) sowie das in § 393 Abs. 2 AO normierte begrenzte strafrechtliche Verwertungsverbot geschützt (vgl. BVerfGE 56, 37,
  264. 47).
  265. Indes gilt dieser Schutz nicht uneingeschränkt. Vielmehr sieht das Gesetz in § 393 Abs. 2 Satz 2, § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO ausdrücklich eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses vor, wenn die Offenbarung im zwingenden öffentlichen Interesse liegt. In Anbetracht der überragenden Bedeutung
  266. der in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten Rechtsgüter für ein ordnungsgemäß
  267. funktionierendes Gemeinwesen wird dem Steuerpflichtigen demnach die Erklärung auch solcher Einkünfte zugemutet, durch deren Offenbarung er in
  268. den Verdacht einer Straftat geraten und durch die er sich der Gefahr der
  269. Strafverfolgung aussetzen kann (vgl. BGH, Urt. vom 10. August 2001
  270. – RiSt (R) 1/00, teilweise abgedruckt in NJW 2002, 834). Um einen Ausgleich
  271. im gegebenen Spannungsfeld – zwischen den in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO genannten Rechtsgütern einerseits, dem Schutz vor erzwungener Selbstbelastung und dem Steuergeheimnis andererseits, jeweils vor dem Hintergrund
  272. der gebotenen Sicherung eines vollständigen Steueraufkommens – zu finden, wird es naheliegen, an die Konkretisierung der gebotenen steuerlichen
  273. Erklärungen möglicherweise niedrigere Anforderungen zu stellen als sonst
  274. nach § 90 AO geboten. Eine solche Reduzierung des Erklärungsumfangs
  275. könnte etwa darin bestehen, daß die Einkünfte nur betragsmäßig, nicht aber
  276. unter genauer Bezeichnung der Einkunftsquelle zu benennen sein werden.
  277. Dies bedarf hier indes keiner weiteren Entscheidung, weil der Angeklagte
  278. gegenüber dem Finanzamt die Schmiergelder gänzlich verschwiegen hat.
  279. Jedenfalls ist das gefundene Ergebnis – eine steuerliche Erklärungspflicht im Hinblick auf erhaltene Schmiergelder – verfassungsrechtlich und
  280. konventionsrechtlich (Art. 6 Abs. 1 MRK) nur dann hinnehmbar, wenn bei der
  281. Rechtsfolgenentscheidung der enge zeitliche und sachliche Zusammenhang
  282. zwischen der Bestechlichkeit und der Steuerhinterziehung berücksichtigt wird
  283. - 12 -
  284. und dem durch eine straffe Zusammenziehung der zu verhängenden Einzelstrafen Rechnung getragen wird (vgl. zu den verfassungsrechtlichen Bedenken Rogall in Festschrift für Kohlmann 2003, S. 465, 469 f., 495 f. m.w.N.;
  285. vgl. zu § 393 Abs. 2 AO auch Senatsurteil vom heutigen Tag
  286. – 5 StR 548/03, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Darüber hinaus
  287. werden die mittlerweile erhebliche Dauer des Strafverfahrens und die damit
  288. verbundenen Belastungen für den Angeklagten in besonderem Maße bei der
  289. Strafzumessung zu berücksichtigen sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).
  290. 2. Zudem ist die Revision der Staatsanwaltschaft auch insoweit begründet, als sie sich gegen die Nichtanordnung des Verfalls richtet.
  291. Das Landgericht hat festgestellt, daß der Angeklagte von K
  292. Bestechungszahlungen erhalten hat, die nach den weiteren Feststellungen
  293. erheblich gewesen sein müssen (oben sub 1a). Es hat allerdings nicht aufklären können, in welchem konkreten Umfang und zu welchem Zeitpunkt die
  294. Zahlungen erfolgten. Es hat gemeint, deshalb sei die Anordnung des Verfalls
  295. des Wertersatzes nach §§ 73, 73a StGB nicht möglich. Auch eine Schätzung
  296. nach § 73b StGB hat es für ausgeschlossen gehalten. Dies hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
  297. a) Bestechungsgelder unterliegen grundsätzlich dem Verfall nach § 73
  298. StGB, ihre Surrogate dem Verfall des Wertersatzes nach § 73a StGB
  299. (st. Rspr. seit BGHSt 30, 46, 47). Der Umfang des aus der Bestechung Erlangten kann geschätzt werden (§ 73b StGB). Diese Regelung bleibt nicht
  300. hinter der oben sub 1a beschriebenen Regelung für die Schätzung der Höhe
  301. hinterzogener Steuern zurück.
  302. b) Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB steht dem hier nur in
  303. eingeschränktem Maß entgegen.
  304. - 13 -
  305. aa) Ansprüche der Stadt Halle/Saale als Arbeitgeber des Angeklagten
  306. und etwaigen Verletzten, die einer Verfallsanordnung entgegenstünden, liegen generell nicht vor (vgl. BGHSt 30, 46, 49; für Beamte im formellen Sinne
  307. ferner BGH NStZ 2000, 589, 590 und 2003, 423); der vorliegende Fall gibt
  308. dem Senat keinen Anlaß, die Grundsätze dieser Rechtsprechung in Frage zu
  309. stellen. Auch für einen Fall der Art, daß dem Dienstherrn ein Schaden entstanden wäre, der demjenigen Vermögenszuwachs spiegelbildlich entspräche, den der Angeklagte aus der Tat erlangt hat (vgl. BGHR StGB § 73 Verletzter 4 und 5, insoweit in BGHSt 46, 310 nicht abgedruckt; BGHSt 47, 22),
  310. ist nichts Tragfähiges festgestellt. Zwar läge eine Untreue des Angeklagten
  311. zum Nachteil der Stadt nicht ganz fern, wenn nachzuweisen gewesen wäre,
  312. daß er überhöhte Rechnungen zugunsten des Schmiergeldzahlers bewilligte.
  313. Dem steht aber hier letztlich entgegen, daß hinsichtlich der in Rechtskraft
  314. erwachsenen Bestechlichkeitsschuldsprüche zugunsten des Angeklagten
  315. unterstellt wurde, seine Diensthandlungen seien in der Sache nicht zu beanstanden gewesen. Eine etwaige doppelte Anwendung des Zweifelsgrundsatzes, welche im Zusammenhang mit dem Verfall das Vorliegen einer Untreue
  316. zugunsten des Angeklagten zu unterstellen vorschriebe, scheidet aus. Nach
  317. Sinn und Zweck setzt § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB den an den Schuldspruch
  318. anknüpfenden eindeutigen Beleg von Ansprüchen Verletzter voraus, weil
  319. selbstverständlich nicht ermöglicht werden soll, daß der Täter in Zweifelsfällen die grundsätzlich verfallene, nicht sicher den Ansprüchen Verletzter ausgesetzte Tatbeute etwa behalten dürfte.
  320. bb) Allerdings gehen die Ansprüche des Steuerfiskus den Ansprüchen
  321. des Justizfiskus vor (BGHR StGB § 73 Verletzter 3; BGH NStZ 2003, 423).
  322. Jedoch besteht hier der dem Steuerfiskus zustehende Anspruch nur in Höhe
  323. der auf die Bestechungszahlungen entfallenden Einkommensteuer. In dieser
  324. Höhe ist bei der Bemessung des Verfalls unter dem Gesichtspunkt des § 73
  325. Abs. 1 Satz 2 StGB – erforderlichenfalls wiederum im Wege der Schätzung –
  326. der dem Steuerfiskus zustehende Betrag auszunehmen (BGHSt 30, 46, 51;
  327. - 14 -
  328. zur Berücksichtigung von Steuern bei der Anordnung von Verfall vgl. BGHSt
  329. 47, 260, 265).
  330. Harms
  331. Häger
  332. Raum
  333. Basdorf
  334. Schaal