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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 5 StR 109/15
  4. vom
  5. 14. April 2015
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige u.a.
  9. -2-
  10. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. April 2015 beschlossen:
  11. 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 8. Dezember 2014 gemäß § 349
  12. Abs. 4 StPO
  13. a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte
  14. der Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an Minderjährige in vier Fällen und der
  15. Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige schuldig ist, und
  16. b) mit den zugehörigen Feststellungen im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
  17. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  18. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  19. 2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO
  20. verworfen.
  21. -3-
  22. Gründe:
  23. 1
  24. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen in vier Fällen und Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch an einen Minderjährigen unter Einbeziehung der Strafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg;
  25. im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  26. 2
  27. 1. Nach den Feststellungen ließ der Angeklagte an vier Tagen den im
  28. Tatzeitraum März/April 2013 15-jährigen Sohn seiner früheren Lebensgefährtin
  29. Marihuana mitrauchen, das er für den gemeinsamen Konsum in eine Pfeife
  30. bzw. einen Joint gefüllt hatte (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe). Schließlich überließ er dem Jugendlichen, der an dem Betäubungsmittelkonsum inzwischen
  31. Gefallen gefunden hatte, eine Menge von 6,6 Gramm Marihuana. Davon konsumierte der Jugendliche gemeinsam mit Mitschülern am 26. April 2013, bevor
  32. das Rauschgift anschließend sichergestellt wurde (Fall 5 der Urteilsgründe).
  33. 3
  34. 2. Der Schuldspruch ist hinsichtlich der angewendeten Tatbestandsvarianten des § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtMG rechtsfehlerhaft und dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend zu ändern. Danach hat der Angeklagte sich nur
  35. im Fall 5 der Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige nach § 29a
  36. Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 BtMG und in den ersten vier Fällen jeweils des Überlassens
  37. von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Gebrauch an Minderjährige nach
  38. § 29a Abs. 1 Nr. 1 Fall 3 BtMG schuldig gemacht. Eine Abgabe von Betäubungsmitteln im Sinne dieser Vorschrift bedeutet jede Gewahrsamsübertragung
  39. an eine andere Person zur freien Verfügung. An der Gewahrsamsübertragung
  40. -4-
  41. zur freien Verfügung fehlt es aber, wenn das Betäubungsmittel, wie dies der
  42. Angeklagte getan hat, zum sofortigen Verbrauch an Ort und Stelle hingegeben
  43. wird; eine solche Fallgestaltung wird von der weiteren Tatbestandsvariante der
  44. Verbrauchsüberlassung erfasst (vgl. zur Abgrenzung BGH, Beschlüsse vom
  45. 8. Juli 1998 – 3 StR 241/98, NStZ-RR 1998, 347, und vom 5. Februar 2014
  46. – 1 StR 693/13, NStZ 2014, 717; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG,
  47. 7. Aufl., § 29a Rn. 13 f.).
  48. 4
  49. Der Richtigstellung des Schuldspruchs steht § 265 StPO nicht entgegen.
  50. 5
  51. 3. Die Strafzumessungsentscheidungen weisen durchgreifende Rechtsfehler auf.
  52. 6
  53. a) Das Landgericht hat bei den einzelnen Taten jeweils das Vorliegen eines minder schweren Falls im Sinne von § 29a Abs. 2 BtMG verneint und sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Strafzumessung als
  54. strafschärfenden Umstand berücksichtigt, dass der Angeklagte als Lebensgefährte der Mutter des Jugendlichen „zu diesem in einem betreuungsähnlichen
  55. Verhältnis stand und quasi in der Rolle eines Stiefvaters war“ (UA S. 13). Diese
  56. Bewertung steht jedoch im Widerspruch zu den Feststellungen und den weiteren Gründen des angefochtenen Urteils. Danach hat zwischen dem zur Tatzeit
  57. 25 Jahre alten Angeklagten und dem im großmütterlichen Haushalt lebenden
  58. Sohn seiner Lebensgefährtin ein „freundschaftliches Verhältnis“ (UA S. 4) bestanden. Nach Überzeugung des Landgerichts ist dem Angeklagten klar gewesen, dass der Jugendliche „ihn als den Älteren bewundert, auch und gerade
  59. wenn es sich eher um eine kumpelhafte Beziehung als um eine väterliche handelt“ (UA S. 13). Hierfür hat sich das Landgericht in der Beweiswürdigung ersichtlich auch auf die Aussage der Großmutter und gesetzlichen Vertreterin des
  60. Jugendlichen gestützt. Nach deren Beschreibung des engen freundschaftlichen
  61. -5-
  62. Verhältnisses, die in der Sache den Bekundungen des Jugendlichen selbst entspricht, seien „die beiden wie zwei Schulfreunde gewesen, wie zwei alberne
  63. Kinder“ (UA S. 11).
  64. 7
  65. b) Bei Fall 5 hat das Landgericht zudem straferschwerend gewertet, dass
  66. es sich bei den vom Angeklagten überlassenen 6,6 Gramm Marihuana nicht
  67. mehr nur um eine geringe, sondern um eine „normale“ Menge gehandelt habe.
  68. Ungeachtet seiner bereits zweifelhaften Annahme, bezüglich des hier zu beurteilenden Cannabiskrauts gelte eine Bruttogewichtsmenge von 6 Gramm als
  69. Obergrenze einer geringen Menge, wie sie in der Rechtsprechung für Cannabisharz (Haschisch) bisweilen angenommen worden ist (vgl. BayObLG,
  70. NJW 2003, 1681; Patzak, aaO, § 29 Teil 28 Rn. 39 mwN; siehe aber auch
  71. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1, 10 f.),
  72. hat das Landgericht damit einem – ohnehin nicht existenten (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 ff.) – „Normalfall“
  73. der Tatbestandsverwirklichung strafschärfende Wirkung beigemessen. Hierdurch hat es gegen § 46 Abs. 3 StGB verstoßen.
  74. 8
  75. c) Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei
  76. rechtsfehlerfreier Vorgehensweise zur Anwendung des § 29a Abs. 2 BtMG und
  77. deshalb zu milderen Einzelstrafen gelangt wäre.
  78. 9
  79. d) Schon die Aufhebung der Einzelstrafen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Überdies kann der Ausspruch über die Gesamtstrafe auch
  80. deshalb nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht bezüglich der nach § 55
  81. Abs. 1 StGB einbezogenen Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten
  82. aus dem Urteil des Amtsgerichts Schleswig vom 2. Juli 2014 zwar das Delikt
  83. und die Tatzeit benannt, jedoch die herangezogenen wesentlichen Zumessungserwägungen nicht nachvollziehbar dargestellt hat. Das vorliegende Urteil
  84. -6-
  85. lässt deshalb eine vollständige Überprüfung der Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe nicht zu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2009 – 4 StR 130/09,
  86. NStZ-RR 2009, 277, und vom 8. Februar 2011 – 4 StR 658/10; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1475
  87. mwN; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 55 Rn. 17).
  88. 10
  89. Schließlich hat das Landgericht bei der Gesamtstrafenbildung strafschärfend berücksichtigt, dass der Angeklagte „im Zeitpunkt der Hauptverhandlung
  90. nunmehr zweifach (vorbestraft)“ gewesen sei (UA S. 14). Damit hat es rechtsfehlerhaft die einbezogene Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Schleswig
  91. vom 2. Juli 2014 als Vorstrafe gewertet und dabei verkannt, dass als solche nur
  92. eine Verurteilung, die vor der dem aktuellen Verfahren zugrunde liegenden
  93. Straftat erfolgt ist, in Betracht kommt.
  94. Sander
  95. Dölp
  96. Berger
  97. König
  98. Bellay