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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 79/01
  4. vom
  5. 20. März 2001
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Vergewaltigung u.a.
  9. -2-
  10. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des
  11. Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. März 2001
  12. gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
  13. 1.
  14. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  15. Landgerichts Magdeburg vom 23. November 2000 mit
  16. den Feststellungen aufgehoben
  17. a)
  18. in dem den Fall II 2 der Urteilsgründe betreffenden
  19. Einzelstrafausspruch,
  20. b)
  21. 2.
  22. im Gesamtstrafenausspruch.
  23. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
  24. Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
  25. des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des
  26. Landgerichts zurückverwiesen.
  27. 3.
  28. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
  29. Gründe:
  30. Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen sexueller Nötigung und
  31. wegen Vergewaltigung" unter Einbeziehung einer viermonatigen Freiheitsstrafe
  32. aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren
  33. verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er
  34. die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg; im
  35. übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  36. -3-
  37. 1. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch
  38. keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das
  39. Landgericht im Fall II 1 der Urteilsgründe wegen sexueller Nötigung zum
  40. Nachteil der Versicherungskauffrau Gudrun A. zur (Einzel-)strafe von vier
  41. Jahren Freiheitsstrafe verurteilt hat. Insoweit erhebt der Beschwerdeführer
  42. auch keine ausdrücklichen Einwendungen.
  43. 2. Dagegen hält der Strafausspruch rechtlicher Prüfung nicht stand,
  44. soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II 2 wegen "Vergewaltigung"
  45. zum Nachteil von Frau H. zu der Einsatzstrafe von fünf Jahren und sechs
  46. Monaten Freiheitsstrafe verurteilt hat. Das Landgericht hat die Strafe dem
  47. Strafrahmen
  48. des
  49. qualifizierten
  50. Tatbestandes
  51. des
  52. § 177
  53. Abs. 4
  54. StGB
  55. entnommen. Das Vorliegen eines minder schweren Falles des Absatzes 5
  56. 2. Alt. der Vorschrift hat es verneint. Diese Strafrahmenwahl und die
  57. Strafzumessungserwägungen im engeren Sinne begegnen durchgreifenden
  58. rechtlichen Bedenken.
  59. a) Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hatte der
  60. Angeklagte mit der Geschädigten, die als Prostituierte tätig war, für den Abend
  61. des Tattages einen "Hausbesuch" in seiner Wohnung für die Dauer von zwei
  62. Stunden und einen vereinbarten Preis von 500 DM verabredet. Da er jedoch
  63. über kein Geld verfügte, um sie "für ihre Dienste zu bezahlen", hatte er von
  64. vornherein den Entschluß gefaßt, mit ihr "auch gegen ihren Willen sexuelle
  65. Handlungen durchzuführen" (UA 5). Nachdem Frau H. erschienen war,
  66. verschloß er die Wohnungstür. Bald darauf zog er ein Messer und eine
  67. Wäscheleine bzw. einen Strick hervor und forderte Frau H. "im Befehlston auf,
  68. sich auszuziehen, wobei er ihr das Messer entgegenhielt", was sie aus Angst
  69. -4-
  70. tat. Nachdem er sich ebenfalls entkleidet hatte, mußte sie sich auf den Bauch
  71. legen. Sodann legte er sich auf sie und führte "geschlechtsverkehrsähnliche
  72. Bewegungen" aus, wobei er das Messer "in Reichweite" ablegte. Anschließend
  73. mußte die Geschädigte mit ihm den Oralverkehr ausüben. "Dabei hielt er das
  74. Messer wieder in der Hand" (UA 6). Schließlich legte er sich wieder auf sie,
  75. steckte sein Glied zwischen ihre Brüste und gelangte so zum Samenerguß.
  76. b) Hiernach hat das Landgericht den Angeklagten zu Recht nach § 177
  77. Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1 StGB wegen “Vergewaltigung” (zur Bezeichnung der
  78. Tat im Schuldspruch vgl. BGH NJW 1998, 2987, 2988; Lackner/Kühl StGB
  79. 23. Aufl.
  80. § 177
  81. Rdn. 11)
  82. verurteilt.
  83. Daß
  84. es
  85. nicht
  86. auch
  87. die
  88. weitere
  89. Tatbestandsalternative des Absatzes 1 Nr. 3 der Vorschrift (Ausnutzen der
  90. schutzlosen Lage) als verwirklicht angesehen hat, beschwert den Angeklagten
  91. nicht. Die Feststellungen belegen auch, daß der Angeklagte das Messer im
  92. Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB "verwendet" hat. Hierfür genügt, daß der
  93. Täter das gefährliche Werkzeug bei der Tat als Drohmittel einsetzt (BGH StV
  94. 1998, 487; BGH, Beschluß vom 16. Mai 2000 - 4 StR 89/00, jeweils zu § 250
  95. Abs. 2 Nr. 1 StGB). Das gilt jedenfalls dann, wenn der Täter aufgrund der Nähe
  96. zum Opfer diesem jederzeit ohne weiteres mit dem Messer Verletzungen
  97. beibringen kann.
  98. c) Dagegen ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, daß
  99. der Angeklagte auch das Regelbeispiel des besonders schweren Falles der
  100. "Vergewaltigung" (§ 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB) verwirklicht hat. Zwar hat
  101. der Angeklagte mit dem Oralverkehr eine sexuelle Handlung erzwungen, die
  102. - wie in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 beschrieben - "mit dem Eindringen in den
  103. Körper verbunden" war. Jedoch ist - wie die Revision zu Recht geltend macht -
  104. -5-
  105. die weitere Voraussetzung des Regelbeispiels, nämlich der "besonders
  106. erniedrigende"
  107. Charakter
  108. der
  109. abgenötigten
  110. sexuellen
  111. Handlung,
  112. nicht
  113. genügend dargetan.
  114. Zwar ist nach der Legaldefinition in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB jede
  115. erzwungene sexuelle Handlung, die "mit einem Eindringen in den Körper
  116. verbunden" ist, auch dann, wenn sie keinen Beischlaf darstellt, im
  117. Schuldspruch nicht als "sexuelle Nötigung", sondern als "Vergewaltigung" zu
  118. bezeichnen (BGH, Urteil vom 23. März 1999 - 1 StR 25/99, bei Pfister NStZ-RR
  119. 1999, 353 Nr. 32; Lackner/Kühl aaO). Doch genügt für die Annahme des
  120. Regelbeispiels abgesehen von dem erzwungenen Beischlaf nicht jede andere
  121. mit einer Penetration verbundene sexuelle Handlung. Vielmehr ist dies nur
  122. dann der Fall, wenn die dem Beischlaf "ähnliche" sexuelle Handlung das Opfer
  123. "besonders erniedrigt". Zwar kommt diesem einschränkenden Merkmal der
  124. "besonderen Erniedrigung" in Fällen des Oral- und Analverkehrs regelmäßig
  125. keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH NStZ 2000, 254), weil sich der
  126. erniedrigende Charakter dieser sexuellen Handlungen im allgemeinen von
  127. selbst versteht. Grundsätzlich bedarf es aber, wie der Senat in der
  128. Entscheidung BGH NJW 2000, 672 f. = StV 2000, 198 ff. (m.krit.Bspr.
  129. Renzikowski NStZ 2000, 367 f.) näher ausgeführt hat, jeweils der positiven
  130. Feststellung der Umstände des Einzelfalls, die in wertender Betrachtung die
  131. Annahme der "besonderen Erniedrigung" des Tatopfers stützen (so auch
  132. Tröndle/Fischer
  133. StGB
  134. 50. Aufl.
  135. § 177
  136. Rdn. 23
  137. d;
  138. Lenckner/Perron
  139. in
  140. Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 177 Rdn. 20; a.A. Renzikowski aaO).
  141. Daran fehlt es hier.
  142. -6-
  143. Die Feststellungen lassen die Möglichkeit offen, daß die vom
  144. Angeklagten
  145. erzwungenen
  146. sexuellen
  147. Handlungen
  148. einschließlich
  149. des
  150. Oralverkehrs ihrer Art nach von der von ihm zuvor mit der Geschädigten
  151. getroffenen Verabredung zum entgeltlichen Sexualverkehr umfaßt waren. Unter
  152. diesen Umständen könnte der Senat die Auffassung des Landgerichts, "diese
  153. Art des Sexualverkehrs (habe) eine besondere Erniedrigung der Geschädigten
  154. dargestellt" (UA 10), nicht bestätigen. § 177 StGB schützt in erster Linie das
  155. Recht auf sexuelle Selbstbestimmung (vgl. BTDrucks. 13/7324 S. 5). Deshalb
  156. ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die grundsätzliche Bereitschaft
  157. des Tatopfers zu sexuellen Handlungen regelmäßig ein für die Beurteilung des
  158. Schuldgehalts der nach § 177 StGB qualifizierten Tat bestimmender Umstand
  159. (BGH StV 1995, 635 (nur LS); 1996, 26; BGH, Beschluß vom 21. November
  160. 2000 - 4 StR 489/00; wie hier auch der 5. Strafsenat des BGH, NStZ 2001, 29;
  161. dagegen Bedenken des 2. Strafsenats des BGH, bei Pfister NStZ-RR 1998,
  162. 326 Nr. 30 und Urteil vom 16. August 2000 – 2 StR 159/00). Der entscheidende
  163. Grund dafür, in Fällen der vorliegenden Art das Verhalten des Täters milder zu
  164. beurteilen, liegt darin, daß das Schwergewicht des Tatunrechts nicht in der
  165. Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts des Tatopfers liegt,
  166. sondern in den weiter verwirklichten Straftatbeständen, mit deren Hilfe der
  167. Täter zum Vollzug der sexuellen Handlung gelangen will (BGH StV 1996, 26,
  168. 27). Das läßt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, das auch
  169. Prostituierten uneingeschränkt zusteht (so der 2. Strafsenat des BGH bei
  170. Pfister NStZ-RR 1998, 326 Nr. 30), unberührt. Davon zu trennen ist aber die im
  171. Rahmen der Strafzumessungsregel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB zu
  172. erörternde Frage, ob die sexuellen Handlungen das Opfer "besonders
  173. erniedrigen". Vollzieht deshalb der Täter nur diejenigen sexuellen Handlungen,
  174. zu deren Durchführung sich das Tatopfer gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt
  175. -7-
  176. hatte, so fehlt es regelmäßig an dem Anhalt, daß das Opfer – worauf es
  177. ankommt – gerade die sexuellen Handlungen als entwürdigend empfindet (vgl.
  178. Lackner/Kühl aaO). Daß sich der Täter dabei der Nötigungsmittel des § 177
  179. StGB in der Absicht bedient, seine sexuellen Ziele ohne Zahlung des
  180. vereinbarten Dirnenlohns zu erreichen, führt für sich allein nicht zu einer
  181. anderen Bewertung, sofern nicht weitere entwürdigende Umstände hinzutreten.
  182. Anders verhält es sich dagegen, wenn der Täter das Tatopfer zu anderen als
  183. den vereinbarten Sexualpraktiken zwingt.
  184. d) Der aufgezeigte Rechtsfehler läßt den Schuldspruch in diesem Fall
  185. wegen “Vergewaltigung” unberührt; soweit nach der Senatsentscheidung NJW
  186. 2000, 672 bei Nichtannahme “besonderer Erniedrigung” in diesen Fällen die
  187. Tat im Schuldspruch nur als “sexuelle Nötigung” zu bezeichnen ist, hält der
  188. Senat daran nicht fest. Auf dem Rechtsfehler beruht aber der Strafausspruch.
  189. Zwar ist der vom Landgericht angewandte Strafrahmen des § 177 Abs. 4 StGB
  190. unabhängig von der Annahme eines besonders schweren Falles des
  191. Absatzes 2 der Vorschrift eröffnet. Jedoch liegt es nahe, daß diese Annahme
  192. die Erwägungen zum minder schweren Fall nach Absatz 5 2. Alt. der Vorschrift
  193. zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt hat.
  194. e) Davon abgesehen kann der Strafausspruch auch deshalb nicht
  195. bestehen bleiben, weil die Strafzumessungserwägungen im engeren Sinne
  196. ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler aufweisen. Das Landgericht wertet zu
  197. Lasten des Angeklagten, "daß er - obwohl sich Täter und Opfer aus
  198. vorangegangenen Sexualkontakten kannten - nunmehr den Geschlechtsverkehr erzwingen wollte" (UA 16). Damit wertet das Landgericht zu Ungunsten
  199. des Angeklagten letztlich, daß er die Tat begangen hat. Dies verstößt gegen
  200. -8-
  201. das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB (BGH, Beschluß vom
  202. 1. März 2001 - 4 StR 36/01). Aus dem gleichen Grund begegnet auch die
  203. weitere straferschwerende Erwägung rechtlichen Bedenken, "der Angeklagte
  204. (habe) sich auch nicht von seinen Handlungen dadurch abbringen lassen, daß
  205. offensichtlich zwischen der Geschädigten und <ihrem Bekannten> per Handy
  206. Kontakt bestand" (UA 13).
  207. Über den Einzelstrafausspruch im Fall II 2 der Urteilsgründe ist deshalb
  208. neu zu befinden.
  209. 3. Die Aufhebung der Einzelstrafe im Fall II 2 der Urteilsgründe entzieht
  210. auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
  211. Meyer-Goßner
  212. Maatz
  213. 
  214. BGHSt:
  215. nein
  216. BGHR:
  217. ja
  218.  
  219. Athing
  220.  
  221. Veröffentlichung: ja
  222. StGB § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
  223. Erzwingt der Täter nur solche dem Beischlaf ähnliche, mit einem
  224. Eindringen
  225. in
  226. den
  227. Körper
  228. verbundene
  229. sexuelle
  230. Handlungen
  231. (Vergewaltigung), zu deren Durchführung sich das Tatopfer zuvor
  232. gegen Entgelt freiwillig bereit erklärt hatte, ist das Regelbeispiel des
  233. besonders schweren Falles der sexuellen Nötigung nur erfüllt, wenn
  234. weitere entwürdigende Umstände die “besondere Erniedrigung” des
  235. -9-
  236. Opfers durch die sexuellen Handlungen ergeben (im Anschluß an BGH
  237. NJW 2000, 672).
  238. BGH, Beschluß vom 20. März 2001 – 4 StR 79/01 – LG Magdeburg