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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 385/03
  4. vom
  5. 2. Dezember 2003
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen versuchten Totschlags u.a.
  9. -2-
  10. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 2. Dezember 2003
  11. gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
  12. 1.
  13. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  14. Landgerichts Münster vom 27. Mai 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
  15. 2.
  16. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine
  17. andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des
  18. Landgerichts zurückverwiesen.
  19. Gründe:
  20. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
  21. Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei
  22. Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten gegen
  23. dieses Urteil, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.
  24. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 17. September 2003 hierzu ausgeführt:
  25. "Die Revision hat mit der in allgemeiner Form erhobenen
  26. Sachrüge Erfolg. Die Würdigung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
  27. -3-
  28. Die Kammer hat die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes im
  29. Sinne von § 212 Abs. 1 StGB entscheidend auf die objektive
  30. Tatausführung gestützt: Der Angeklagte habe seine geschiedene Ehefrau auch dann noch gewürgt, nachdem diese das
  31. Bewusstsein verloren hatte; dabei habe er gewusst, dass er
  32. die Herrschaft über das Geschehen aufgegeben und sein
  33. Opfer in eine Situation zumindest abstrakter Lebensgefahr
  34. gebracht habe (UA S. 11).
  35. Der Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz ist jedoch nur dann
  36. rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter in seine Erwägungen alle
  37. Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage
  38. stellen (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 30 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, da es lediglich auf die abstrakte
  39. Lebensgefahr des Würgeaktes für das Opfer (UA S. 9) verweist und allein aus der Kenntnis um diese Gefährlichkeit ohne Berücksichtigung der psycho-physischen Verfassung des
  40. Angeklagten auf sein Wissen und Wollen zur Tatzeit schließt.
  41. Die Feststellung, der Angeklagte habe die - nur abstrakte Lebensgefährlichkeit seines Vorgehens erkannt, belegt nur
  42. das Wissenselement des Vorsatzes. Weshalb der Angeklagte, der nach den Urteilsgründen mindestens eine Minute lang
  43. nur mit Verletzungsvorsatz gehandelt hat, während des Tatgeschehens seinen verbrecherischen Willen gesteigert und
  44. einen (bedingten) Tötungsvorsatz gefasst haben sollte, ist
  45. nicht ersichtlich. Jedenfalls sind dem Urteil weder äußere
  46. noch innere Umstände zu entnehmen, die zu einer solchen
  47. Änderung der Motivation des Angeklagten hätten Anlass geben können, zumal offen geblieben ist, wie lange und wie intensiv er seine geschiedene Ehefrau nach deren Bewusstlosigkeit gewürgt hat, und Feststellungen über Art und Ausmaß
  48. von eventuell im Halsbereich entstandenen Verletzungen
  49. nicht mitgeteilt werden. Die Strafkammer hat es insbesondere
  50. verabsäumt, die schon für sich wenig lebensnahe Vorstellung,
  51. der Täter handele während eines einheitlichen Tatgeschehens teilweise mit Verletzungs- und teilweise mit Tötungsvorsatz (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 47),
  52. mit dem zur verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21
  53. StGB führenden Affekt des Angeklagten in Beziehung zu set-
  54. -4-
  55. zen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass in psychophysischen Ausnahmesituationen die Erkenntnisfähigkeit und
  56. Willenskräfte des Täters beeinträchtigt sind. Hochgradige Alkoholisierung und affektive Erregung gehören deshalb zu den
  57. Umständen, die der Annahme eines Tötungsvorsatzes entgegenstehen können und deshalb ausdrücklicher Erörterung in
  58. den Urteilsgründen bedürfen (st. Rspr.; BGHR StGB § 212
  59. Abs. 1 Vorsatz, bedingter 6, 7, 9, 15, 40, 41, 48, 54). Das gilt
  60. umso mehr, wenn - wie hier - ein einleuchtendes Motiv für einen Vorsatzwechsel nicht ersichtlich ist, dem Tatgeschehen
  61. kein vergleichbares Vorverhalten des Angeklagten entspricht
  62. (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 54) und die
  63. affektive Erregung die Wahrnehmung selbst eigener körperlicher Schmerzen des Täters - der Angeklagte bemerkte den
  64. Biss eines Hundes in seine Wange nicht (UA S. 8) - verhinderte.
  65. Solche Darlegungen waren auch nicht deshalb entbehrlich,
  66. weil der Angeklagte unmittelbar nach der Tat seine geschiedene Ehefrau für tot hielt und selbst gegenüber den seine
  67. Selbstanzeige aufnehmenden Polizeibeamten auf ausdrückliche Nachfrage bloße Bewusstlosigkeit ausschloss (UA S. 8,
  68. 9). Diese Fehleinschätzung des Handlungserfolges ist für die
  69. subjektive Seite des eigentlichen Tatentschlusses ohne tragfähigen Beweiswert, da der Angeklagte nach den Feststellungen sich wegen seiner affektiven Erregung an das Tatgeschehen von Beginn bis zum Ende des Würgens glaubhaft
  70. nicht zu erinnern vermochte (UA S. 10, 13). Sie belegt lediglich seinen affektiven Zustand und erklärt seine panikartige
  71. Flucht (UA S. 13) sowie seine "schwere Erschütterung mit
  72. heftiger körperlicher Reaktion" bei seiner ersten Vernehmung
  73. (UA S. 8, 9, 13).
  74. Die unzureichende Erörterung der inneren Tatseite des Totschlags führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und
  75. zur Zurückverweisung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer. Diese wird unter Berücksichtigung - soweit feststellbar der physischen Verletzungsfolgen und der Dauer des Würgevorgangs, insbesondere nach dem Eintritt der Bewusstlosig-
  76. -5-
  77. keit, unter Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen die Auswirkungen des Affektes auf den Vorsatz als solchen und - für den Fall, dass wiederum von einem Übergehen
  78. des Körperverletzungs- in einen (bedingten) Tötungsentschluss auszugehen sein sollte - auf den Vorsatzwechsel zu
  79. prüfen und das Ergebnis in den Urteilsgründen darzulegen
  80. haben. Wegen der Einheitlichkeit des Schuldspruchs erfasst
  81. die Aufhebung auch die für sich genommen nicht zu beanstandende Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung."
  82. Dem stimmt der Senat zu.
  83. Tepperwien
  84. Maatz
  85. 
  86.  
  87. Kuckein
  88.    "!