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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 68/03
  5. vom
  6. 16. Juli 2003
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Anstiftung zum versuchten Totschlag
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Juli 2003,
  12. an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Rissing-van Saan,
  15. die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Dr. h.c. Detter,
  17. Dr. Bode,
  18. Rothfuß,
  19. Prof. Dr. Fischer,
  20. Bundesanwalt
  21. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  22. Rechtsanwältin
  23. als Verteidigerin,
  24. Justizangestellte
  25. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  26. für Recht erkannt:
  27. -3-
  28. 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  29. Landgerichts Trier vom 24. Juli 2002, soweit es die Angeklagte
  30. P.
  31. betrifft, mit den Feststellungen - mit Ausnahme derer
  32. zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben.
  33. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Mainz
  34. zurückverwiesen.
  35. 2. Die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil
  36. wird verworfen. Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels und die dadurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
  37. Von Rechts wegen
  38. Gründe:
  39. I. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Anstiftung zum versuchten
  40. Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Die Angeklagte rügt die
  41. Verletzung formellen und materiellen Rechtes. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, daß eine Verurteilung wegen versuchten Mordes (in
  42. -4-
  43. Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) mit rechtsfehlerhafter Begründung
  44. abgelehnt worden sei.
  45. Das Rechtsmittel der Angeklagten hat keinen Erfolg. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die sich nicht gegen
  46. die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen wendet, greift in vollem Umfang
  47. durch.
  48. II. Das Landgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
  49. Die Angeklagte und der Nebenkläger heirateten 1983 in Polen. 1987
  50. siedelten sie in die Bundesrepublik Deutschland über, wo in demselben Jahr
  51. ihr Sohn M.
  52. zur Welt kam. Im Laufe der Jahre verschlechterte sich das
  53. eheliche Klima. Das Zusammenleben nahm immer mehr den Charakter eines
  54. Ehekrieges an. Die Angeklagte, die selbst berufstätig war, gönnte sich einen
  55. bürgerlichen Lebensstil, der Nebenkläger dagegen lebte äußerst sparsam. Im
  56. Jahre 1996 erwarben sie gemeinsam eine Doppelhaushälfte. Bereits 1997
  57. wurde über eine Ehescheidung gesprochen. 1999 trat die Angeklagte dem Gedanken einer Scheidung erneut näher. Ihr war allerdings bewußt, daß der Nebenkläger erbittert um das Eigentum am Haus kämpfen und sich einen Verzicht
  58. auf das gemeinsame Sorgerecht für den Sohn teuer bezahlen lassen würde. Ihr
  59. war klar, daß bei einer Scheidung ihr aufwendiger Lebensstil in Gefahr geraten
  60. würde. Die Angeklagte lernte im Rahmen ihrer geschäftlichen Tätigkeiten den
  61. Zeugen O. kennen, von dem sie auch vom Zeugen L. erfuhr, der mehrmals im
  62. Jahr nach Kiew fuhr. Ihr kam der Gedanke, die Fahrten des L. nach Kiew für
  63. ihre Interessen auszunutzen. Sie beschloß, ihren Ehemann in Kiew beseitigen
  64. zu lassen, da sie die Mühen eines Scheidungsverfahrens und die zu erwarten-
  65. -5-
  66. den erheblichen finanziellen Einbußen nicht in Kauf nehmen wollte. L. erklärte
  67. sich etwa Mitte 2000 bereit, bei seiner nächsten Reise nach Kiew, die er Anfang Oktober 2000 plante, den Auftrag der Angeklagten auszuführen. Dazu, ob
  68. die Angeklagte ihre Vorstellung nur mit O. erörterte oder ob sie durch Vermittlung des O. unmittelbar Kontakt mit L. aufnahm, hat die Kammer keine Feststellungen getroffen. Die Angeklagte mußte nun dafür Sorge tragen, daß der
  69. Nebenkläger sich zum selben Zeitpunkt in Kiew aufhalten würde wie L. Die Angeklagte versprach dem Nebenkläger Erstattung von Unkosten, eine Geldprämie und Übereignung ihres Hausanteils, wenn er - was frei erfunden war - eine
  70. äußerst wichtige geschäftliche Angelegenheit in Kiew für sie erledige. Sie besorgte für den Nebenkläger, der sich letztlich dazu bereitfand, ein Visum und
  71. Flugtickets. Am 12.10.2000 brachte sie den Nebenkläger zum Flughafen und
  72. teilte ihm mit, daß er ihren Geschäftspartner am Flughafen an einem Schild mit
  73. der Aufschrift "Kargo" erkennen würde. L. war bereits am 10.10.2000 in Kiew
  74. eingetroffen und hatte sich am Morgen eine Pistole Kaliber 7,65 mit fünf
  75. scharfen Patronen besorgt und diese in einem Gebüsch an einem einsamen
  76. Ort versteckt. Mit einem Papier mit der Aufschrift "Kargo" machte er am Flughafen den Nebenkläger auf sich aufmerksam. Als L. vom Nebenkläger die Aushändigung von Reisepaß und Ticket erbat, begann dieser mißtrauisch zu werden. L. nahm den Nebenkläger in seinem Auto mit, um ihn angeblich ins Hotel
  77. zu bringen. Als L. in eine dunkle Seitenstraße abbog und dort anhielt unter
  78. dem Vorwand, er müsse "austreten", stieg auch der erneut mißtrauisch gewordene Nebenkläger aus. L., der seine Pistole aus dem Gebüsch geholt und in
  79. seiner Jackentasche versteckt hatte, kam zurück und lief hinten um das Auto
  80. herum auf die Beifahrerseite zu. Das Mißtrauen des Nebenklägers war jetzt
  81. "vollends geweckt". L. zog die Pistole heraus und schoß zweimal in den Kopf
  82. des Nebenklägers. Der Nebenkläger konnte trotz seiner schweren Kopfverlet-
  83. -6-
  84. zungen fliehen und sich in Sicherheit bringen. L. war zunächst hinter dem fliehenden Nebenkläger hergelaufen. Als ihm aber bewußt wurde, daß sein Opfer
  85. entkommen war, versteckte er die Pistole. Er konnte aber kurze Zeit später
  86. festgenommen werden.
  87. L. wurde durch Urteil des Berufungsgerichts der Stadt Kiew rechtskräftig
  88. wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.
  89. III. Revision der Staatsanwaltschaft:
  90. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Verurteilung nur wegen Anstiftung zum
  91. versuchten Totschlag (in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) hält
  92. rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Schon bei der Verneinung der Mordmerkmale "Heimtücke" und "Habgier" weisen die Urteilsgründe durchgreifende
  93. Rechtsfehler auf.
  94. Der Tatrichter hat zu seiner Ansicht, die Angeklagte habe den L. nur zu
  95. einem versuchten Totschlag angestiftet, folgende Ausführungen gemacht:
  96. "Das Mordmerkmal der Heimtücke, von dem die Anklage ausgeht, ist
  97. nicht verwirklicht, da der Nebenkläger zur Zeit des Angriffs nicht arglos war.
  98. Wie aufgrund der Angaben des Nebenklägers festzustellen war, hatte bereits
  99. das Verhalten des L. am Flughafen dessen Argwohn geweckt; die Fahrt zu der
  100. alten Tankstelle und erst recht das Anhalten in der dunklen P.
  101. straße
  102. zum Zwecke des 'Austretens' hatten ihn wachsam und abwehrbereit gemacht.
  103. A. P. hat insoweit angegeben, daß er in beiden Fällen deshalb aus dem Pkw
  104. ausgestiegen sei, weil er das Gefühl gehabt habe, außerhalb des Fahrzeugs
  105. besser auf etwaige Gefahren reagieren zu können. Die Tatsache, daß L., als er
  106. -7-
  107. aus dem Gebüsch zurückkam, nicht zur Fahrer- sondern zur Beifahrerseite gekommen sei, habe ihn alarmiert. A. P. rechnete also mit einem Angriff und war
  108. reaktionsbereit, so daß nicht von Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausgegangen werden kann. Da es sich bei dem Mordmerkmal der Heimtücke um ein
  109. tatbezogenes Merkmal handelt, ist das Fehlen dieses Merkmals auch der Angeklagten zugute zu halten. Die Mordmerkmale der Habgier oder 'sonstige
  110. niedrige Beweggründe' können ebenfalls nicht als verwirklicht angesehen werden. Zwar handelte die Angeklagte in der Absicht, eine Verschlechterung ihrer
  111. wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Folgen der Scheidung zu verhindern,
  112. jedoch kann dieses Motiv nicht einem über die Gewinnsucht hinaus gesteigerten Gewinnstreben um jeden Preis gleichgesetzt werden. Entscheidend war für
  113. sie der Wunsch, für sich und ihren Sohn eine angenehme Existenzgrundlage
  114. zu erhalten. Der Umstand, daß auch die Sorge um das Wohl des Kindes Bestandteil ihrer Motivation war, verhindert auch die Annahme des Mordmerkmals
  115. der 'sonstigen niedrigen Beweggründe'."
  116. 1. Die Verneinung des Mordmerkmals "Heimtücke" begegnet rechtlichen
  117. Bedenken.
  118. Es kann dahinstehen, ob objektiv keine Heimtücke vorlag oder ob - wie
  119. die Staatsanwaltschaft meint -, ein heimtückisches Handeln des L. gegeben ist,
  120. weil der Nebenkläger in einen Hinterhalt gelockt wurde (vgl. hierzu u.a. Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 211 Rdn. 11 m.w.N.). Denn für die rechtliche
  121. Qualifizierung als versuchter Mord würde es genügen, daß der Haupttäter L.
  122. glaubte, heimtückisch zu handeln (vgl. u.a. BGHR StGB § 211 Abs. 2
  123. Heimtücke 19).
  124. Die
  125. Strafkammer
  126. hat
  127. aber
  128. die
  129. aufgrund
  130. des
  131. festgestellten
  132. Geschehensablaufs gebotene Würdigung des Umstandes unterlassen, daß L. -
  133. -8-
  134. was durch Verbergen der Waffe in der Jacke belegt ist - ersichtlich nach wie
  135. vor davon ausging, der Geschädigte rechne nicht mit einem Angriff gegen sich,
  136. und daß er dies zur Begehung seiner Tat ausnützen wollte.
  137. Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Strafkammer unter
  138. Beachtung dieser Grundsätze bei L. zur Annahme eines versuchten
  139. Heimtückemordes gelangt wäre. Es kann weiter nicht ausgeschlossen werden,
  140. daß die Angeklagte den entsprechenden Anstiftervorsatz hatte. Dieser muß die
  141. fremde
  142. Haupttat
  143. nicht
  144. in
  145. allen
  146. Einzelheiten,
  147. sondern
  148. nur
  149. in
  150. ihren
  151. Hauptmerkmalen erfassen. Ob entsprechende Merkmale der Tat dem
  152. Anstiftervorsatz zuzurechnen sind, hängt davon ab, ob die Rahmenvorstellung
  153. des Anstifters vom nachfolgenden Tatgeschehen dies umfaßt (vgl. u.a. BGH
  154. NStZ
  155. 1996,
  156. 434,
  157. 435).
  158. Da
  159. die
  160. Angeklagte
  161. den
  162. Nebenkläger
  163. unter
  164. Verschleierungsmaßnahmen zum Tatort Kiew gelockt hatte, liegt nicht fern,
  165. daß sie den L. vorsätzlich zu einer heimtückischen Tötung des Nebenklägers
  166. bestimmt hat.
  167. 2. Auch die Ablehnung des Mordmerkmals "Habgier" läßt Rechtsfehler
  168. erkennen.
  169. Der Tatrichter stellt zur Verneinung einer "Habgier" ausschließlich auf
  170. die Angeklagte ab, die aber nicht als Täterin, sondern als Anstifterin verurteilt
  171. wurde. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum
  172. Verhältnis des § 211 StGB zu § 212 StGB (vgl. u.a. BGHSt 22, 375; vgl. dazu
  173. auch Tröndle/Fischer StGB § 211 Rdn. 4 und 40 jeweils m.w.N.) kommt es für
  174. die Bejahung des täterbezogenen Mordmerkmals der Habgier auf die Person
  175. des Haupttäters und nicht auf den Teilnehmer an. Für letzteren sind seine
  176. Vorstellungen und Kenntnisse von der Motivation des Haupttäters maßgebend.
  177. Das Landgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob der Haupttäter L. habgierig
  178. -9-
  179. handelte und die Angeklagte dies wußte. Das lag hier nahe. Denn die Tat eines für Geld gedungenen "Mörders" stellt sich regelmäßig als eine typische
  180. Erscheinungsform der Tötung aus Habgier dar (vgl. dazu BGHR StGB § 211
  181. Abs. 2 - Habgier 1 m.w.N.). Die Angeklagte, die zum Nebenkläger einmal gesagt hat, sie kenne einen Mann, der für Geld Leute beseitige (UA S. 101), hat
  182. nach eigenen Angaben (UA S. 40) "eine finanzielle Belohnung nach Erledigung
  183. des Auftrags zugesagt". Die Einlassung der Angeklagten, L. habe die Tat nur
  184. aus Freundschaft zu O. begehen wollen (UA S. 44), hat sie anschließend dahin
  185. korrigiert, "der Mann, der nach Kiew gefahren sei, habe etwas dafür haben
  186. wollen, daß er den Auftrag übernommen habe" (UA S. 45).
  187. 3. Im übrigen drängten schon die bisherigen Feststellungen zur Erörterung einer Mittäterschaft der Angeklagten. Die Abgrenzung von (Mit-)
  188. Täterschaft zur Anstiftung hat der Tatrichter in wertender Betrachtung der Gesamtumstände vorzunehmen (vgl. hierzu u.a. BGHSt 37, 289, 291; BGH, Urt.
  189. vom 12. Dezember 1995 - 1 StR 571/95). Da der Tatrichter nach den Urteilsgründen die Abgrenzungsfrage nicht bedacht hat, fehlen bereits Feststellungen
  190. zu bedeutsamen Umständen. Der Tatrichter hat zum Beispiel offen gelassen,
  191. ob die Angeklagte den geplanten Tatablauf in Kiew kannte und ob sie jemals
  192. selbst Kontakt mit L. hatte. Entsprechende Feststellungen wird der neue Tatrichter zu treffen und dann die gebotene Wertung vorzunehmen haben. Er wird
  193. hierbei zu beachten haben, daß Mittäterschaft auch bei Tatbeiträgen nur im
  194. Vorfeld der Tatausführung in Betracht kommen kann.
  195. 4. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils. Dies
  196. gilt auch hinsichtlich der - für sich rechtsfehlerfrei festgestellten - gefährlichen
  197. Körperverletzung, die mit dem versuchten Tötungsdelikt in Tateinheit steht (vgl.
  198. - 10 -
  199. BGH, Beschl. vom 11. Februar 2003 - 4 StR 25/03; auch BGHR StPO § 353
  200. Aufhebung 1).
  201. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern jedoch nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Ergänzende,
  202. nicht in Widerspruch stehende Feststellungen sind möglich.
  203. 5. Im Hinblick auf die Nähe zur Tatvollendung ist im übrigen auch rechtlich bedenklich, daß der Tatrichter ohne jede Begründung von der Möglichkeit,
  204. wegen Versuch zu mildern (§§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB), Gebrauch gemacht
  205. hat (UA S. 118).
  206. 6. In Anbetracht des bisherigen Verfahrensganges hat der Senat die Sache - im Umfang der Aufhebung - an eine Schwurgerichtskammer eines anderen Landgerichts zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
  207. IV. Revision der Angeklagten:
  208. Die Revision der Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die Sachrüge und die
  209. Verfahrensrügen A II bis A VI der Revisionsbegründungsschrift vom
  210. 9. Dezember 2002 sind unbegründet. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 2. April
  211. 2003 Bezug genommen.
  212. Einer Erörterung bedarf aber die Verfahrensrüge A I, mit der beanstandet wird, § 338 Nr. 2 StPO sei verletzt, weil an der Entscheidung Richter mitgewirkt hätten, die von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen gewesen seien.
  213. 1. Dieser Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
  214. - 11 -
  215. Gegen den Zeugen O. lief parallel zur hiesigen Sache ein eigenes Verfahren zum nämlichen Sachverhalt. Die Vorsitzende Richterin (Fi.) im Verfahren gegen O. und der Beisitzer W. im dortigen Verfahren waren als Beisitzer im
  216. hiesigen Verfahren tätig. Da O. in der hiesigen Hauptverhandlung die Aussage
  217. unter Berufung auf § 55 StPO verweigerte, sollte Beweis erhoben werden darüber, wie sich O. im eigenen Verfahren als Angeklagter eingelassen hatte.
  218. Hierzu wurde am 30. Verhandlungstag der zweite berufsrichterliche Beisitzer
  219. (Fa.) des Verfahrens gegen O. als Zeuge vernommen. Am 31. Verhandlungstag beantragte die Verteidigung die Vernehmung der beiden beisitzenden Berufsrichter (Fi. und W.), des Rechtsanwalts D. sowie des Staatsanwalts Fr. als
  220. Zeugen bezüglich der Einlassung des O. In dem Beweisantrag wurde u.a. als
  221. Behauptung unter Beweis gestellt, O. habe sich in seinem Verfahren dahin
  222. eingelassen, daß "er Frau P.
  223. angeboten habe, als diese sich über ih-
  224. ren Ehemann beklagte, sich ihrem Ehemann als neuen russischen Freund vorzustellen und Frau P.
  225. es abgelehnt habe." Zur Begründung wurde auch
  226. angeführt, daß der Zeuge Fa. sich daran nicht mehr erinnern konnte und daß
  227. die beiden beisitzenden Richter (Fi. und W.) in der Lage seien, "die Aussage
  228. des gesondert verfolgten O. vollständig zu erinnern und die unter Beweis gestellte Tatsache zu bestätigen." Rechtsanwalt D. berief sich auf seine anwaltliche Schweigepflicht; Staatsanwalt Fr. konnte sich erinnern und die Beweisbehauptung insoweit bestätigen, als O. bekundet habe, er habe zu Frau P.
  229. gesagt, daß er zu ihr nach Hause kommen und ihren Mann erschrecken
  230. könne.
  231. Auf Befragen erklärte die Verteidigerin, daß ihr Beweisantrag damit nicht
  232. erledigt sei, und sie auf der Vernehmung der benannten beisitzenden Richter
  233. bestehe. Beide Richter äußerten sich dahingehend dienstlich, daß sie die im
  234. - 12 -
  235. Beweisantrag aufgestellte Behauptung nicht bestätigen können. Diese dienstlichen Erklärungen wurden verlesen.
  236. Nachdem hierzu keine Erklärungen abgegeben wurden, wies das Gericht durch Beschluß den Antrag auf Vernehmung der Zeugen Fi. und W. ab.
  237. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antrag sei insoweit unzulässig, "da die
  238. Zeugen dienstlich erklärt haben, die aufgestellte Behauptung nicht bestätigen
  239. zu können. Soweit auf dem Antrag beharrt wird, offenbart dies, daß der Antrag
  240. nur den Zweck verfolgt, die als Zeugen benannten Richter auszuschalten und
  241. das Gericht an der Ausübung seines Amtes zu hindern."
  242. Die Verteidigung beantragte daraufhin zum Beweisthema die Vernehmung der Dolmetscherin des Verfahrens gegen O. Diese wurde vernommen.
  243. Am 32. Verhandlungstag beantragte die Verteidigung zum Beweisthema die
  244. Vernehmung der ehrenamtlichen Richter und des Protokollführers des Verfahrens gegen O. Diese wurden am 33. Verhandlungstag vernommen. Am
  245. 34. Verhandlungstag beantragte die Verteidigung festzustellen, daß die beiden
  246. Beisitzer Fi. und W. von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen seien (§ 22 Nr. 5 StPO). Die Richter hätten in ihren dienstlichen
  247. Erklärungen nicht lediglich erklärt, nichts sagen zu können, sondern bekundet,
  248. die Beweisbehauptung nicht bestätigen zu können. Dies komme einer Zeugenvernehmung gleich.
  249. Dieser Antrag wurde durch Gerichtsbeschluß zurückgewiesen, da die
  250. Richter nicht zur Sache vernommen worden seien. Zur Begründung wurde
  251. weiter ausgeführt:
  252. "Dienstliche Erklärungen der genannten Art, die sich zu der Frage verhalten, ob der als Zeuge benannte Richter die in sein Wissen gestellten Be-
  253. - 13 -
  254. weisbehauptungen über Vorgänge aus einer früheren Hauptverhandlung bestätigen kann, erfüllen nicht ohne weiteres die Voraussetzungen einer Zeugenaussage im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO. Soweit sie allein dem Bedürfnis nach
  255. Zurückweisung rechtsmißbräuchlicher Zeugenbenennung erkennender Richter
  256. Rechnung tragen, sind sie nicht dazu bestimmt, Gegenstand der Beweiswürdigung zu sein, sondern sie sollen lediglich der Vorbereitung einer gerichtlichen
  257. Entscheidung darüber dienen, ob über Vorgänge, die für die Schuld- und
  258. Straffrage von Bedeutung sein können, Beweis zu erheben ist. Der Richter, der
  259. eine solche Erklärung abgibt, gerät damit noch nicht in die Zwangslage, seine
  260. eigenen Angaben im Vergleich mit anderen Zeugenaussagen einer Bewertung
  261. unterziehen zu müssen, so daß seine vom Gesetzgeber mit der Regelung des
  262. § 22 Nr. 5 StPO angestrebte kritische Distanz erhalten bleibt (BGH StV 2002,
  263. 294, 296). Es ist selbstverständlich, daß die Kammer ihrem Urteil nur Kenntnisse zugrundelegen darf, die im vorliegenden Verfahren ordnungsgemäß erhoben wurden."
  264. 2. Die Verfahrensweise des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu
  265. beanstanden. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 2 StPO liegt deshalb
  266. nicht vor.
  267. Bei dem angefochtenen Urteil hat kein ausgeschlossener Richter mitgewirkt. Die beiden berufsrichterlichen Beisitzer wurden in der Sache nicht als
  268. Zeugen vernommen. Die dienstlichen Erklärungen (vgl. hierzu auch BGHSt 44,
  269. 4 ff.) sind keine Zeugenaussagen im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO.
  270. Es kann dahinstehen, ob dem Generalbundesanwalt darin zu folgen ist,
  271. die Berufsrichter wollten mit ihren dienstlichen Erklärungen lediglich zum Ausdruck bringen, daß sie sich an die Beweisbehauptung nicht erinnern und sie
  272. deshalb nicht bestätigen können. Denn selbst wenn man die dienstlichen Erklä-
  273. - 14 -
  274. rungen dahin versteht, daß die beiden Richter sich daran erinnern, aber gerade
  275. deshalb das Beweisthema nicht bestätigen konnten, führt dies hier nicht dazu,
  276. daß deswegen von einer Zeugenvernehmung im Sinne des § 22 Nr. 5 StPO
  277. auszugehen ist.
  278. Der Richterausschluß kraft Gesetzes ist an abschließend aufgezählte
  279. Tatbestände geknüpft, denen objektivierbare Tatsachen und Vorgänge zugrundeliegen, die jederzeit zuverlässig und eindeutig nachprüfbar sind (vgl. BVerfGE 46, 34, 37). Diese auch als Konkretisierung des verfassungsrechtlichen
  280. Grundsatzes des gesetzlichen Richters zu verstehenden Vorschriften sind eng
  281. auszulegen (vgl. u.a. BGHSt 44, 4, 7). § 22 Nr. 5 StPO setzt voraus, daß der
  282. Richter in der Sache als Zeuge vernommen ist. Eine Zeugenvernehmung im
  283. Sinne des § 22 Nr. 5 StPO erfordert allerdings nicht stets eine persönliche Anhörung durch ein Organ der Rechtspflege; es kommen auch schriftliche Erklärungen in Betracht. Dienstliche Erklärungen sind jedoch nicht ohne weiteres
  284. solchen schriftlichen Zeugenerklärungen gleichzusetzen. Diejenigen dienstlichen Erklärungen eines Richters, die nicht dazu bestimmt sind, Gegenstand
  285. der Beweiswürdigung zu sein, sondern sich lediglich zu prozessual erheblichen
  286. Vorgängen und Zuständen verhalten, etwa wenn sie der freibeweislichen Aufklärung der Frage dienen, ob ein Richter überhaupt als Zeuge zu den in sein
  287. Wissen gestellten Tatsachen in Betracht kommt, führen nicht zum Richterausschluß nach § 22 Nr. 5 StPO (BGH a.a.O.).
  288. Der Verfahrensgang belegt hier, daß die dienstlichen Erklärungen nur
  289. der Vorbereitung der Entscheidung der Frage dienten, ob die beiden berufsrichterlichen Beisitzer als Zeugen vernommen werden sollten oder ob mit dem
  290. Beweisantrag prozeßfremde Zwecke verfolgt wurden.
  291. - 15 -
  292. Beweisanträge, mit denen prozeßfremde Ziele verfolgt werden, sind gemäß § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO als unzulässig zu verwerfen. Ein prozeßfremdes
  293. Ziel wird auch dann verfolgt, wenn ein erkennender Richter durch Benennung
  294. als Zeuge ausgeschaltet werden soll, obwohl in Wirklichkeit keine Sachaufklärung erstrebt wird (vgl. hierzu u.a. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 4, 9; BGHSt 7, 330, 331; 44, 4 ff.; 45, 354, 362; BGH StV 2002, 294,
  295. 296; zur Problematik insgesamt auch Rissing-van Saan MDR 1993, 310).
  296. Ein deutliches Indiz für diesen sachfremden Zweck ist das Beharren auf
  297. einer Zeugenvernehmung, wenn der als Zeuge benannte Richter bereits
  298. dienstlich erklärt hat, daß er die Behauptung, für die er als Zeuge benannt
  299. wurde, nicht bestätigen könne (vgl. u.a. BGHSt 7, 330, 331; BGHR StPO § 244
  300. Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 4). Es ist unerheblich, ob er die Behauptung nicht
  301. bestätigen kann, weil er sich nicht mehr erinnert oder weil er das Gegenteil der
  302. Behauptung in Erinnerung hat (vgl. hierzu auch BGH StV 2002, 294, 296 und
  303. 2003, 315).
  304. Ein Beweisantrag ist darauf gerichtet, daß ein Zeuge eine bestimmte
  305. Tatsache bekundet. Wenn nun der als Zeuge benannte Richter dienstlich erklärt, daß er die Beweisbehauptung nicht bestätigen könne, und gleichwohl der
  306. Antragsteller mit der Behauptung, der Zeuge werde das Beweisthema bestätigen, auf der Zeugenvernehmung des erkennenden Richters beharrt, legt ein
  307. solches Vorgehen nahe, daß prozeßfremde Zwecke verfolgt werden.
  308. Bei der gegebenen Sachlage konnte das Landgericht davon ausgehen,
  309. daß der Verteidigung bewußt war, daß die beantragte weitere Beweiserhebung
  310. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine anderen Erkenntnisse
  311. erbringen würde und daß der aufrechterhaltene Beweisantrag nur noch der
  312. Verfahrensverzögerung diente (vgl. BGH StV 2003, 315). Allein noch nicht ge-
  313. - 16 -
  314. klärt war nämlich die behauptete Bekundung des O., er habe angeboten, sich
  315. als neuer russischer Freund der Angeklagten vorzustellen. Die Zurückweisung
  316. des Antrags als unzulässig durch das Landgericht war daher rechtlich nicht zu
  317. beanstanden.
  318. Die Vorgehensweise der Kammer belegt zugleich, daß sie sich von
  319. vornherein der Problematik bewußt war, und daß deshalb die dienstlichen Erklärungen nicht als Zeugenaussagen über Tatsachen und Vorgänge zur
  320. Schuld- und Straffrage dienen, sondern nur im Freibeweisverfahren die Entscheidung vorbereiten sollten, ob mit dem Beweisantrag Sachaufklärung erstrebt wird oder lediglich prozeßfremde Zwecke verfolgt werden. Eine Bestätigung findet dies im Gerichtsbeschluß vom 34. Verhandlungstag, mit dem der
  321. Antrag auf Feststellung, daß die beiden Berufsrichter ausgeschlossen seien,
  322. zurückgewiesen wurde. Das bringt das Gericht unter Bezugnahme auf BGH
  323. StV 2002, 294 ff. eindeutig zum Ausdruck.
  324. 3. Eine Verletzung des § 261 StPO in Verbindung mit § 250 StPO liegt
  325. ebenfalls nicht vor.
  326. Äußert sich ein erkennender Richter in einer dienstlichen Erklärung über
  327. Wahrnehmungen, die er in einer früheren Hauptverhandlung gemacht hat, darf
  328. der Inhalt der dienstlichen Erklärung nicht für die Beurteilung der Schuld- und
  329. Straffrage im Rahmen der Beweiswürdigung verwertet werden (vgl. BGH StV
  330. 2002, 294). Das ist hier aber nicht der Fall. Das Landgericht hat sich darauf
  331. beschränkt, in den dienstlichen Erklärungen einen Anknüpfungspunkt für die
  332. Verfolgung prozeßfremder Zwecke durch die Verteidigung zu sehen. Ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe wurde der Inhalt der dienstlichen Erklärungen nicht verwertet, wie im Kammerbeschluß vom 34. Verhandlungstag bereits
  333. angekündigt worden war.
  334. - 17 -
  335. Rissing-van Saan
  336. Detter
  337. Rothfuß
  338. Bode
  339. Fischer