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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 22/08
  4. vom
  5. 15. Februar 2008
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
  9. -2-
  10. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 15. Februar 2008 gemäß § 349
  11. Abs. 4 StPO beschlossen:
  12. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
  13. Aachen vom 25. September 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
  14. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  15. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
  16. des Landgerichts zurückverwiesen.
  17. Gründe:
  18. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverlet-
  19. 1
  20. zung in Tateinheit mit Beleidigung, wegen gefährlicher Körperverletzung und
  21. wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und seine Unterbringung in
  22. einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
  23. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge
  24. 2
  25. Erfolg.
  26. 3
  27. 1. Das Landgericht hat die Überzeugung gewonnen, dass bei allen Taten
  28. - im Fall 1 jedenfalls nicht ausschließbar - die "Einsichtsfähigkeit und/oder
  29. Steuerungsfähigkeit" des Angeklagten gemäß § 21 StGB erheblich eingeschränkt gewesen sei. Es liege eine krankhafte seelische Störung vor. Nach
  30. -3-
  31. Einschätzung des Sachverständigen leide der Angeklagte seit längerem unter
  32. einer paranoid-halluzinatorischen Psychose. Außerdem sei eine Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen und dissozialen Zügen im Sinne einer
  33. "schweren anderen seelischen Abartigkeit" gegeben. Erkrankung und Persönlichkeitsstörung seien von wiederkehrenden aggressiven Impulsdurchbrüchen
  34. gekennzeichnet. Die Analyse der ersten, am 31. Mai 2004 begangenen Tat lasse Raum für die Annahme, dass zu diesem Zeitpunkt eine psychische Beeinträchtigung in Form einer psychotischen Episode vorgelegen habe. Für den
  35. Zeitraum der weiteren, zwischen Oktober und Dezember 2006 begangenen
  36. Taten müsse mit hoher Wahrscheinlichkeit von dem Vorhandensein psychotischer Störungen und damit einhergehender aggressiver Impulsdurchbrüche
  37. ausgegangen werden. Im Rahmen der Begründung der Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB teilt das Landgericht mit, dass aufgrund unkontrollierbarer
  38. aggressiver Impulse praktisch zu jeder Zeit und an jedem Ort die Gefahr bestehe, dass der Angeklagte beliebige Personen ohne jeden Grund körperlich
  39. attackiere, wenn er sich in einem Zustand psychotischer Dekompensation befinde.
  40. 4
  41. 2. Diese Ausführungen tragen den Schuldspruch und die Anordnung der
  42. Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht. Die Anwendung
  43. des § 21 StGB kann nicht zugleich auf seine beiden Alternativen gestützt werden (st. Rspr., siehe BGHSt 49, 349; BGH NStZ-RR 2003, 233; BGHR StGB
  44. § 21 Einsichtsfähigkeit 3; BGH NJW 1995, 1229; BGH NStZ 1990, 333; 1989,
  45. 430). In der Regel darf der Tatrichter ebenso wenig offenlassen, ob die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit des Täters vermindert war (vgl. BGHSt 40,
  46. 357 f.; BGH NStZ-RR 2004, 38 f.; NStZ-RR 2003, 232; Fischer StGB § 20 StGB
  47. Rdn. 44 m.w.N.). Die erste Alternative des § 21 StGB scheidet aus, wenn der
  48. Täter trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit das Unerlaubte seines
  49. Tuns erkennt. Denn die Schuld des Täters wird nicht gemindert, wenn er trotz
  50. -4-
  51. erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit das Unrecht tatsächlich eingesehen
  52. hat (BGHSt 34, 22, 25 ff.; BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 1; BGH NJW
  53. 1995, 1229; NStZ-RR 2004, 38). Fehlt dem Täter dagegen bei Begehung der
  54. Tat die Einsicht wegen einer krankhaften seelischen Störung oder aus einem
  55. anderen in § 20 StGB bezeichneten Grund, ohne dass ihm dies zum Vorwurf
  56. gemacht werden kann, so ist auch bei nur verminderter Einsichtsfähigkeit nicht
  57. § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar (BGHSt 49, 349; BGHR StGB § 21
  58. Einsichtsfähigkeit 2-4; BGH NStZ 89, 430; 86, 264). Im Gegensatz dazu führt
  59. erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit ohne Weiteres zur Anwendung des §
  60. 21 StGB. Wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen hat der Tatrichter sich
  61. deshalb Klarheit darüber zu verschaffen, welche Alternative des § 21 StGB vorliegt (BGH NJW 1995, 1229; vgl. auch BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1).
  62. 5
  63. 3. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass die Strafkammer diesen
  64. rechtlichen Ausgangspunkt nicht zutreffend gesehen hat. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit, ob die Strafkammer annimmt, dem Angeklagten fehle die Unrechtseinsichtsfähigkeit oder
  65. die Steuerungsfähigkeit. Der Senat vermag dem Urteil auch nicht zu entnehmen, dass sich das Landgericht lediglich im Ausdruck vergriffen und - nur - die
  66. Steuerungsfähigkeit als zumindest erheblich vermindert angesehen hat. Dagegen spricht nicht nur die wiederholte Bezugnahme in den Urteilsgründen auf
  67. eine erhebliche Verminderung der "Einsichtsfähigkeit und/oder Steuerungsfähigkeit" (UA 31, 33), sondern auch das von der Kammer in Übereinstimmung
  68. mit dem Sachverständigen im Falle 1 als denkbar, in den Fällen 2-4 in hohem
  69. Maße als wahrscheinlich erachtete Vorliegen einer paranoid-halluzinatorischen
  70. Psychose zu den jeweiligen Tatzeiten, die in erster Linie die Einsichtsfähigkeit
  71. berühren würde.
  72. -5-
  73. 6
  74. 4. Danach ist weder sicher feststellbar, von welcher Alternative des § 21
  75. StGB das Landgericht ausgehen wollte, noch, ob nicht - was nach den Feststellungen vor allem in den Fällen 2-4 nicht auszuschließen ist - § 20 StGB anwendbar ist, weil dem Angeklagten nicht vorwerfbar die Einsicht wegen einer
  76. akuten psychotischen Episode gefehlt hat. Damit sind zugleich die rechtlichen
  77. Voraussetzungen des § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Sowohl der
  78. Schuldspruch als auch die Anordnung nach § 63 StGB können daher mangels
  79. eindeutiger Feststellungen keinen Bestand haben.
  80. Rissing-van Saan
  81. Rothfuß
  82. Roggenbuck
  83. Fischer
  84. Schmitt