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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 399/10
  5. vom
  6. 17. November 2010
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHSt:
  10. ja
  11. Veröffentlichung:
  12. ja
  13. ________________________
  14. StGB § 306a Abs. 2
  15. Ist das "Gebäude" im Sinne von §§ 306a Abs. 2, 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Einzelfall
  16. zugleich ein "Wohngebäude", dann müssen zur Vollendung des Auffangtatbestands
  17. der schweren Brandstiftung nicht notwendigerweise auch Wohnräume von der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung betroffen sein.
  18. BGH, Urt. vom 17. November 2010 - 2 StR 399/10 - LG Erfurt
  19. in der Strafsache
  20. gegen
  21. wegen schwerer Brandstiftung
  22. -2-
  23. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. November
  24. 2010, an der teilgenommen haben:
  25. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  26. Prof. Dr. Rissing-van Saan,
  27. die Richter am Bundesgerichtshof
  28. Dr. Appl,
  29. Prof. Dr. Krehl,
  30. Dr. Eschelbach
  31. und die Richterin am Bundesgerichtshof
  32. Dr. Ott,
  33. Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
  34. als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
  35. Justizangestellte
  36. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  37. für Recht erkannt:
  38. -3-
  39. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
  40. Erfurt vom 15. April 2010 wird verworfen.
  41. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
  42. Von Rechts wegen
  43. Gründe:
  44. 1
  45. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu
  46. einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
  47. I.
  48. 2
  49. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte unter
  50. Schizophrenie. Er setzte am 22. Oktober 2009 kurz nach 11.30 Uhr in einem
  51. Wohnblock in Erfurt in zwei Kellerräumen auf dem Boden liegende Textilien und
  52. andere herumliegende Gegenstände in Brand. Er wusste, dass sich Mieter im
  53. Hause aufhielten, die durch Rauchentwicklung gefährdet oder verletzt werden
  54. konnten; dies nahm er jedoch billigend in Kauf. Er wollte das Gebäude zumindest teilweise zerstören. Tatsächlich kam es zur Verbrennung von Teilen der
  55. Kellerboxen und ihres Inhalts, zur Verschmorung von Stromleitungen im Keller,
  56. zur Zerstörung von Kellertüren und zur Verrußung von Kellerräumen. Dadurch
  57. entstand ein Sachschaden im Wert von mehr als 10.000 Euro. Acht Personen in
  58. den Wohnräumen des Hauses erlitten Rauchvergiftungen und mussten deswegen behandelt werden. Ein konkretes Motiv des Angeklagten bei der Brandle-
  59. -4-
  60. gung konnte nicht festgestellt werden. Er litt aber zur Tatzeit nicht an Wahnvorstellungen, sondern handelte möglicherweise zur Entlastung von inneren Anspannungen.
  61. 3
  62. In dieser Handlung hat das Landgericht eine schwere Brandstiftung des
  63. Angeklagten in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen gesehen. Es hat die §§ 306a Abs. 2, 306 Abs. 1 Nr. 1, 223 StGB
  64. angewendet. Eine weiter gehende Qualifikation nach § 306b Abs. 1 StGB wegen Verursachung einer Gesundheitsbeschädigung bei einer großen Zahl von
  65. Menschen hat es nicht angenommen. Zugunsten des Angeklagten ist die Strafkammer von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit gemäß § 21 StGB ausgegangen. Seine Unterbringung in einem psychiatrischen
  66. Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat sie nicht angeordnet, weil die paranoide
  67. Schizophrenie mit Erfolg medikamentös behandelt werde.
  68. 4
  69. Die Revision des Angeklagten beanstandet mit der Sachbeschwerde vor
  70. allem die Beweiswürdigung des Landgerichts.
  71. II.
  72. 5
  73. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
  74. 6
  75. 1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist bereits aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 10. August 2010 genannten
  76. Gründen rechtsfehlerfrei. Die rechtliche Wertung des Landgerichts ist im Ergebnis zutreffend.
  77. 7
  78. a) Die Strafkammer ist zu Recht vom Vorliegen einer schweren Brandstiftung ausgegangen. § 306a Abs. 2 StGB greift ein, wenn ein Objekt im Sinne
  79. von § 306 Abs. 1 StGB in Brand gesetzt oder durch Brandlegung ganz oder
  80. teilweise zerstört wird und der Täter dadurch einen anderen Menschen in die
  81. -5-
  82. Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt. Dies ist nach den Feststellungen
  83. geschehen.
  84. 8
  85. Durch Brandlegung wird die gänzliche oder teilweise Zerstörung des Objektes verursacht, wenn diese auf einer tatbestandsrelevanten Handlung beruht.
  86. Es muss sich ein mit der Brandlegung typischerweise geschaffenes Risiko im
  87. Zerstörungserfolg verwirklicht haben, wozu auch Verrußungsschäden am
  88. Brandstiftungsobjekt zu zählen sind, wie sie hier vom Angeklagten verursacht
  89. wurden. Dadurch liegt im Einklang mit dem Wortlaut des Gesetzes auch ein
  90. teilweises Zerstören des Gebäudes vor. Der Normzweck gestattet hier ebenfalls
  91. die Anwendung von § 306a Abs. 2 StGB, obwohl für die Vollendung von § 306a
  92. Abs. 1 StGB für den Fall des Zerstörens eines Wohngebäudes vorauszusetzen
  93. ist, dass auch Wohnräume von der Zerstörungswirkung der Brandlegung betroffen sind. § 306a Abs. 2 StGB besitzt durch die Verweisung auf Objekte nach §
  94. 306 Abs. 1 StGB einen anderen Bezugspunkt als § 306a Abs. 1 StGB. Dies
  95. wirkt sich auf die Auslegung des Begriffes des teilweisen Zerstörens des Objektes aus.
  96. 9
  97. Im Hinblick auf die hohe Strafdrohung des § 306a StGB muss nach der
  98. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein "teilweises Zerstören" von Gewicht vorliegen (vgl. BGH, Urt. vom 12. September 2002 - 4 StR 165/02, BGHSt
  99. 48, 14, 19 f.; Beschl. vom 10. Januar 2007 - 5 StR 401/06, NStZ 2007, 270;
  100. Beschl. vom 6. Mai 2008 - 4 StR 20/08, NStZ 2008, 519). Dies ist nur dann der
  101. Fall, wenn das Tatobjekt für eine nicht unbeträchtliche Zeit wenigstens für einzelne seiner Zweckbestimmungen unbrauchbar gemacht wird, ferner wenn ein
  102. für die ganze Sache nötiger Teil unbrauchbar wird oder wenn einzelne Bestandteile der Sache, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt und eingerichtet sind, vollständig vernichtet werden. Auch für die Qualifikation des § 306a
  103. Abs. 2 StGB ist diese einschränkende Auslegung des Merkmals des teilweisen
  104. -6-
  105. Zerstörens von Gewicht vorauszusetzen; allerdings ist sie mit Blick auf die Bezugsobjekte des § 306 Abs. 1 StGB rechtsgutsspezifisch zu verstehen.
  106. 10
  107. Einerseits ist der von § 306a Abs. 2 StGB in Bezug genommene Katalog
  108. der Brandstiftungsobjekte nach § 306 Abs. 1 StGB von demjenigen in § 306a
  109. Abs. 1 StGB qualitativ zu unterscheiden; andererseits nennt § 306a Abs. 2
  110. StGB das zusätzliche Merkmal der Gefahr einer Gesundheitsschädigung für
  111. einen anderen Menschen. Lässt § 306a Abs. 1 StGB bereits die Verursachung
  112. einer abstrakten Gefahr für Leib oder Leben von Menschen im Einzelfall genügen, weil die teilweise Zerstörung u.a. von Wohngebäuden ein generell hohes
  113. Gefährdungspotenzial für Menschen einschließt, so wird in § 306a Abs. 2 StGB
  114. bei der teilweisen Zerstörung von Objekten, die nicht zum Wohnen oder zum
  115. ständigen Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind, zusätzlich
  116. eine konkrete Gefahr für die Gesundheit von Menschen vorausgesetzt (vgl.
  117. Fischer, StGB 58. Aufl. § 306a Rn. 10, 11). Gesetzgeberischer Zweck der Auffangregelung ist es, auch bei Brandlegungen mit geringeren Objektschäden, im
  118. Fall einer konkreten Gesundheitsgefährdung für Menschen dieselbe Strafdrohung auszusprechen, wie sie in § 306a Abs. 1 StGB bereits für Fälle einer abstrakten Gefährdung genannt wird (vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 19 f.; 13/9064
  119. S. 22). Ist das betroffene "Gebäude" im Sinne von § 306a Abs. 2 in Verbindung
  120. mit § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB zugleich ein "Wohngebäude", wie es der insoweit
  121. enger gefasste § 306a Abs. 1 StGB als Brandstiftungsobjekt voraussetzt, dann
  122. müssen zur Vollendung des Auffangtatbestands nicht notwendigerweise auch
  123. Wohnräume von der teilweisen Zerstörung durch Brandlegung betroffen sein.
  124. Es genügt hier, wenn ein anderer funktionaler Gebäudeteil, wie ein Kellerraum,
  125. für nicht unerhebliche Zeit nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden kann,
  126. sofern durch die typischen Folgen der Brandlegung, wie Rauch- und Russentwicklung, auch eine konkrete Gefährdung der Gesundheit eines Menschen verursacht wird.
  127. -7-
  128. 11
  129. Nach der Brandlegung in dem Wohnblock durch den Angeklagten wurden mehrere Kellerräume durch Verrußung für nicht unerhebliche Zeit in dem
  130. bestimmungsgemäßen Zweck als Versorgungs- und Aufbewahrungsräume unbrauchbar. Die Stromleitungen mussten erneuert werden, die Russschäden
  131. waren zu beseitigen und die verbrannten Kellertüren zu ersetzen; der Reparaturaufwand verursachte erhebliche Kosten. Der Senat entnimmt dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen, dass die Schadensbeseitigung nicht unerhebliche Zeit in Anspruch nahm. Dieser Objektschaden, zu dem eine konkrete
  132. Gefährdung von Menschen durch die Folgen der Brandlegung hinzukam, genügt zur Anwendung von § 306a Abs. 2 StGB.
  133. 12
  134. b) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe tateinheitlich mit
  135. der schweren Brandstiftung eine vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223
  136. Abs. 1 StGB in acht tateinheitlichen Fällen begangen, ist rechtsfehlerfrei.
  137. 13
  138. c) Auch soweit das Landgericht einen Ausschluss der Unrechtseinsichtsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit gemäß § 20 StGB verneint hat, ist dies
  139. nicht zu beanstanden. Eine paranoide Schizophrenie führt nicht generell zum
  140. Ausschluss der Schuldfähigkeit. Dies ist zwar bei akuten Schüben in der Regel
  141. anzunehmen (vgl. Senat, Beschl. vom 24. März 1995 - 2 StR 707/94, StV 1995,
  142. 405, 406; BGH, Beschl. vom 16. Januar 2003 - 1 StR 531/02). In lichten Momenten können aber Unrechtseinsicht und Steuerungsfähigkeit vorhanden gewesen sein. Das Landgericht hat aufgrund der Einlassung des Angeklagten angenommen, dass der Angeklagte nicht aufgrund von Wahnvorstellungen gehandelt hat. Dagegen ist nichts zu erinnern.
  143. -8-
  144. 14
  145. 2. Schließlich ist es im Ergebnis auch nicht zu beanstanden (§ 358
  146. Abs. 2 Satz 3 StPO), dass das sachverständig beratene Landgericht keine
  147. Maßregel nach § 63 StGB angeordnet hat. Ob die Gefährlichkeit des Angeklagten nach erstmaliger Diagnose und medikamentöser Therapie der Schizophrenie im Januar 2010 auszuschließen ist, kann offen bleiben. Jedenfalls ist ein
  148. Symptomzusammenhang zwischen der Erkrankung und der Brandlegung nicht
  149. festgestellt worden.
  150. Rissing-van Saan
  151. Appl
  152. Eschelbach
  153. Krehl
  154. Ott