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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 180/03
  5. vom
  6. 6. August 2003
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Totschlags u.a.
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. August
  12. 2003, an der teilgenommen haben:
  13. Richter am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Bode
  15. als Vorsitzender
  16. und Richter am Bundesgerichtshof
  17. Dr. h.c. Detter,
  18. Richterin am Bundesgerichtshof
  19. Dr. Otten,
  20. Richter am Bundesgerichtshof
  21. Prof. Dr. Fischer,
  22. Richterin am Bundesgerichtshof
  23. Roggenbuck,
  24. als beisitzende Richter
  25. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  26. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  27. Rechtsanwalt
  28. in der Verhandlung
  29. als Verteidiger,
  30. Rechtsanwältin
  31. als Vertreterin des Nebenklägers,
  32. Justizhauptsekretärin
  33. und Justizangestellte
  34. Verkündung)
  35. als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
  36. (bei der
  37. -3-
  38. für Recht erkannt:
  39. 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  40. Landgerichts Kassel vom 16. August 2002, ausgenommen die
  41. Verurteilung wegen Erwerbs einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe sowie die Einziehungsanordnung, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Aufrechterhalten bleiben jedoch die äußeren Feststellungen zur Tötung der Ehefrau des
  42. Angeklagten.
  43. 2. Auf die Revision des Nebenklägers wird das vorgenannte Urteil
  44. mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte
  45. freigesprochen worden ist.
  46. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
  47. an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  48. Von Rechts wegen
  49. Gründe:
  50. I.
  51. -4-
  52. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit
  53. mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe sowie
  54. wegen unerlaubten Erwerbs einer solchen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt, die halbautomatische Selbstladepistole hat es
  55. eingezogen. Vom Vorwurf eines weiteren Tötungsdelikts (Tötung des
  56. A.
  57. ) hat die Schwurgerichtskammer den Angeklagten aus tatsächlichen
  58. Gründen freigesprochen.
  59. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte im Jahre 1998 von einer unbekannten Person eine halbautomatische Selbstladepistole. Die Waffe
  60. verwahrte er auf einem Betriebsgelände im Ö.
  61. in K.
  62. . Im Juli
  63. 2000 erhielt er Kenntnis von dem Gerücht, seine Ehefrau
  64. spätere Tatopfer, habe ein außereheliches Verhältnis mit
  65. zweiten Tatopfer. Am 28. August 2000 traf sich
  66. A.
  67. H.
  68. A.
  69. , das
  70. , dem
  71. mit dem Ange-
  72. klagten auf dem Betriebsgelände. Dem Angeklagten gelang es dann auch, seine Ehefrau unter einem Vorwand dorthin zu locken. In einer über den Büros
  73. gelegenen Wohnung kam es zu einem Zusammentreffen dieser drei Personen.
  74. Während seines Aufenthalts in dieser Wohnung wurde
  75. A.
  76. mit
  77. zwei Schüssen aus der Pistole entweder vom Angeklagten oder seiner Ehefrau
  78. getötet. Anschließend erschoß der Angeklagte seine Ehefrau mit dieser Waffe.
  79. Gegenüber den von ihm verständigten Polizeibeamten und gegenüber dem
  80. Notarzt erklärte er, seine Ehefrau habe zunächst
  81. A.
  82. erschossen
  83. und dann Selbstmord begangen. Entsprechende Angaben machte er auch in
  84. der Hauptverhandlung.
  85. Das Landgericht sieht es demgegenüber als erwiesen an, daß die Ehefrau des Angeklagten keinen Selbstmord begangen hat, sondern von diesem
  86. -5-
  87. erschossen worden ist. Ob
  88. A.
  89. vom Angeklagten oder seiner Ehe-
  90. frau getötet worden ist, hält die Schwurgerichtskammer aber entgegen der Anklage, die auch diese Tat dem Angeklagten anlastet, für ungeklärt und hat ihn
  91. insoweit freigesprochen.
  92. Gegen diese Entscheidung wenden sich, soweit der Angeklagte hinsichtlich des Vorwurfs der Tötung des
  93. A.
  94. freigesprochen worden
  95. ist, die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger mit ihren auf die Verletzung
  96. sachlichen und formellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft erstrebt darüber hinaus eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau.
  97. II.
  98. Beide Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, einer Erörterung der
  99. Verfahrensrügen bedarf es daher nicht.
  100. 1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dieses hat insoweit nur zu beurteilen, ob
  101. dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist
  102. dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtlich zu beanstanden sind die Beweiserwägungen auch dann, wenn sie erkennen lassen, daß das Gericht überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat,
  103. daß eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von
  104. -6-
  105. niemandem anzweifelbare Gewißheit nicht erforderlich ist, vielmehr ein nach
  106. der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gegründete Zweifel nicht
  107. zuläßt (st. Rspr.).
  108. In der Beweiswürdigung selbst muß der Tatrichter sich mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu
  109. Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei muß sich
  110. aus den Urteilsgründen ergeben, daß die einzelnen Beweisergebnisse nicht
  111. nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden. Denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die
  112. entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft eines
  113. Angeklagten ausreicht (vgl. u.a. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11;
  114. Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 2001, 491, 492; 2002, 48).
  115. 2. Diesen Anforderungen wird das Urteil, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, nicht gerecht.
  116. a) Die Urteilsgründe lassen eine Überspannung der Anforderungen an
  117. eine Verurteilung besorgen. Die Annahme, auch die Ehefrau des Angeklagten
  118. käme als Täterin hinsichtlich der Tötung des
  119. A.
  120. in Betracht, war
  121. nach der Widerlegung der Einlassung des Angeklagten, seine Ehefrau habe
  122. Selbstmord begangen, äußerst unwahrscheinlich und fernliegend. Das Landgericht hätte sich damit auseinandersetzen müssen, ob nicht die wenigen für eine
  123. Täterschaft der Ehefrau des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte schon
  124. dadurch relativiert worden sind, daß der Angeklagte nach den Feststellungen
  125. -7-
  126. versucht hat, deren Selbstmord vorzutäuschen. Zwar kann grundsätzlich eine
  127. widerlegte Einlassung allein nicht zur Grundlage einer dem Angeklagten ungünstigen Sachverhaltsfeststellung gemacht werden (vgl. BGH NStZ 1997, 96),
  128. etwas anderes muß aber gelten, wenn sich bei einem komplexen Tatgeschehen solche Teile der Einlassung als unrichtig erwiesen, die für die Beurteilung
  129. des gesamten Geschehens von wesentlicher Bedeutung sind und nicht losgelöst von dem anderen Teil beurteilt werden können. In einem solchen Fall darf
  130. bei der Beweiswürdigung die Widerlegung der Einlassung nicht außer acht
  131. bleiben (vgl. auch BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33). Der Tatrichter
  132. hätte im Rahmen einer Gesamtwürdigung nachvollziehbar darlegen müssen,
  133. daß hinreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit der lebensfremd erscheinenden Einlassung zur Tötung des
  134. A.
  135. bestehen. Dazu kommt,
  136. daß die Angaben des Angeklagten zum Tathergang ganz erheblich an Glaubhaftigkeit verloren, weil dieser seine Einlassung zum Tatgeschehen jeweils
  137. dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere den Bekundungen der
  138. Sachverständigen, anpaßte (vgl. UA S. 88, 94), wobei die Schwurgerichtskammer sich auch nicht damit auseinandersetzt, ob und welche Angaben der Angeklagte zu den Vorfällen früher gemacht hat.
  139. b) Soweit das Landgericht eine Verurteilung ablehnt, weil "nach Würdigung aller in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise Zweifel verbleiben", ob
  140. der Angeklagte auch
  141. A.
  142. getötet hat und dabei die Indizien, die
  143. gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, nur aufzählt (UA S. 88 ff.),
  144. deutet dies auf eine fehlerhafte Anwendung des "Zweifelssatzes" hin. Denn
  145. dieser Grundsatz gilt nicht für entlastende Indiztatsachen, aus denen lediglich
  146. ein Schluß auf eine unmittelbar entscheidungsrelevante Tatsache gezogen
  147. werden kann, sondern nur für die abschließende zusammenfassende Würdi-
  148. -8-
  149. gung aller Indiztatsachen (vgl. im einzelnen BGH NStZ 2001, 609 = BGHR
  150. StPO § 261 Beweiswürdigung 24 m. w. N.).
  151. c) Diese Gesamtwürdigung fehlt jedoch. Die Schwurgerichtskammer hat
  152. die für und gegen eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Gründe aufgezählt und isoliert gewürdigt, eine Gesamtprüfung und -würdigung aller Beweisanzeichen jedoch nicht vorgenommen. Die erheblichen für eine Täterschaft des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte hätten jedoch in eine
  153. Gesamtabwägung mit den wenigen gegen seine Täterschaft sprechenden Gesichtspunkten einbezogen werden müssen. Die lediglich summarische Feststellung der Indizien ohne eine Bewertung wird den Anforderungen an eine
  154. sachgerechte Beweiswürdigung nicht gerecht. Abgewogen werden mußte insoweit unter anderem, daß den auf eine Berührung der Tatwaffe durch
  155. H.
  156. hindeutenden DNA-Spuren an der Pistole (UA S. 89 - 92) und den an
  157. ihren Händen gesicherten Schmauchspuren (UA S. 92 - 95) keine Beweisbedeutung für ihre Täterschaft zukam, wenn der Angeklagte einen Selbstmord
  158. seiner Ehefrau vorgetäuscht hat, wovon das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeht. Ein Berühren der Tatwaffe war in diesem Zusammenhang unbedingt erforderlich, um Kontaktspuren des Tatopfers zu verursachen. Wichtig für die
  159. Gesamtwürdigung wäre auch gewesen, daß ein Motiv für eine Tötung des
  160. A.
  161. durch
  162. H.
  163. fern lag, nachdem der Angeklagte seine Ehefrau
  164. nur unter einem Vorwand dazu gebracht hatte, ihn zum Anwesen Ö.
  165. zu begleiten (UA S. 27 - 33), wo sich
  166. A.
  167. mit Wissen des Ange-
  168. klagten befand.
  169. Die fehlerhafte Beweiswürdigung führt zur Aufhebung des Urteils, soweit
  170. der Angeklagte vom Vorwurf der Tötung des
  171. A.
  172. freigesprochen
  173. -9-
  174. worden ist.
  175. 3. Keinen Bestand haben kann das Urteil des Landgerichts auch, soweit
  176. der Angeklagte hinsichtlich der Tötung seiner Ehefrau nur wegen Totschlags
  177. (§ 212 StGB), nicht aber wegen Mordes (§ 211 StGB) verurteilt worden ist.
  178. Denn eine mögliche Verurteilung des Angeklagten wegen der Tötung des
  179. A.
  180. kann Auswirkungen auf die rechtliche Einordnung der Tat zum
  181. Nachteil der Ehefrau des Angeklagten haben. Zumindest die Annahme niedriger Beweggründe oder die Verdeckung einer anderen Straftat liegt dann nicht
  182. fern. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Tötung von
  183. Bode
  184. H.
  185. können jedoch aufrechterhalten bleiben.
  186. Detter
  187. Fischer
  188. Otten
  189. Roggenbuck