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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 344/16
  5. vom
  6. 8. Dezember 2016
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
  10. ECLI:DE:BGH:2016:081216U1STR344.16.0
  11. -2-
  12. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
  13. vom 6. Dezember 2016 in der Sitzung am 8. Dezember 2016, an denen teilgenommen haben:
  14. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  15. Dr. Raum,
  16. die Richter am Bundesgerichtshof
  17. Prof. Dr. Radtke,
  18. Prof. Dr. Mosbacher,
  19. die Richterin am Bundesgerichtshof
  20. Dr. Fischer
  21. und der Richter am Bundesgerichtshof
  22. Dr. Bär,
  23. Staatsanwältin
  24. – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –,
  25. Staatsanwalt
  26. – bei der Verkündung am 8. Dezember 2016 –
  27. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  28. Rechtsanwalt
  29. – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –
  30. als Verteidiger,
  31. Rechtsanwältin
  32. – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –
  33. als Vertreterin der Nebenklägerin,
  34. Justizangestellte
  35. – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –,
  36. Justizobersekretärin
  37. – bei der Verkündung am 8. Dezember 2016 –
  38. als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
  39. für Recht erkannt:
  40. -3-
  41. 1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft
  42. und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 16. Februar 2016 werden als unbegründet verworfen.
  43. 2. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft
  44. und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
  45. 3. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu
  46. tragen. Eine Erstattung der dem Angeklagten durch die
  47. Revision der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen findet nicht statt.
  48. 4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels
  49. und die der Nebenklägerin hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
  50. Von Rechts wegen
  51. Gründe:
  52. 1
  53. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, Nötigung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
  54. Jahren und fünf Monaten verurteilt.
  55. -4-
  56. 2
  57. Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie das vom
  58. Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben
  59. keinen Erfolg.
  60. I.
  61. 3
  62. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war für den Angeklagten
  63. die Ehe mit der Nebenklägerin der „zentrale Dreh- und Angelpunkt seines Lebens und wesentlicher Quell seines Selbstwertgefühls“. Als ihm die Nebenklägerin eine außereheliche Beziehung gestand, wollte der Angeklagte das Scheitern der Ehe verhindern und bemühte sich sehr um seine Ehefrau. Am Abend
  64. des 5. September 2015 erklärte ihm die Nebenklägerin jedoch, an diesem Tag
  65. wieder mit ihrem Liebhaber zusammen gewesen zu sein und legte sich schlafen. Im Schlaf sprach sie beglückt vom Sex mit ihrem Liebhaber. Der Angeklagte erkannte, dass seine Bemühungen, seine Frau zurückzugewinnen und die
  66. Ehe fortzuführen, erfolglos gewesen waren. Mit der nun als akut erachteten
  67. Gefährdung seiner Ehe war der Angeklagte aufgrund seiner niedrigen Intelligenz und seiner wenig ausgeprägten emotionalen Entwicklung überfordert. Er
  68. sah die Ausübung von Gewalt als einzige Möglichkeit an, „dem Reden seiner
  69. Ehefrau ein Ende zu setzen, sie ‚festzuhalten‘ und weitere (sexuelle) Kontakte
  70. mit ihrem Liebhaber zu verhindern“. Um diese Ziele zu erreichen, kniete er sich
  71. seitlich neben die schlafende Nebenklägerin, packte sie mit beiden Händen „mit
  72. festem Griff“ am Hals und drückte mit den Daumen in die Kehlkopfgegend, ohne seine ganze ihm mögliche Kraft auszuüben und ohne sein ganzes Gewicht
  73. von über 140 kg in den Griff hineinzulegen. Gleichzeitig rief er wiederholt lautstark: „Du gehst mir nicht mehr fremd“. Er erkannte, dass das Würgen die Nebenklägerin erheblich verletzen könnte und mit der von ihm ausgeübten Intensität „potentiell“ lebensgefährlich war. Dies nahm er billigend in Kauf. In dem kräf-
  74. -5-
  75. tigen Griff an ihren Hals sah er jetzt die einzige Möglichkeit, das für ihn unerträgliche Schwärmen vom Sex mit dem Liebhaber zu beenden und weitere derartige Kontakte zu verhindern.
  76. 4
  77. Die Nebenklägerin wachte unmittelbar nach dem Beginn des Würgevorgangs auf. Ihre Atemwege waren durch das Zudrücken teilweise verlegt und sie
  78. hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Sie röchelte, rang nach Luft und
  79. wand sich auf dem Bett hin und her, um dem Griff des Angeklagten zu entkommen.
  80. 5
  81. Die drei Kinder des Angeklagten und deren Freunde hörten das laute
  82. Rufen des Angeklagten aus dem elterlichen Schlafzimmer und das nach Luft
  83. Schnappen der Nebenklägerin. Der Sohn B.
  84. betrat bereits fünf Sekun-
  85. den nach Beginn des Würgevorgangs das Zimmer, schrie seinen Vater an,
  86. „lass sie los“ und versuchte, ihn von der Nebenklägerin wegzuziehen. Der Angeklagte lockerte deswegen seinen Griff, so dass die Nebenklägerin atmen
  87. konnte. Dann festigte er seinen Griff wieder, da er sich in seinem verzweifelten
  88. psychischen Zustand nicht anders als durch das Würgen seiner Frau zu helfen
  89. wusste. Sekunden danach betraten auch die beiden anderen Kinder das
  90. Schlafzimmer. Zu dritt versuchten sie, den Angeklagten zurückzuziehen. Der
  91. Angeklagte lockerte deshalb erneut den Griff um den Hals der Nebenklägerin,
  92. den er insgesamt etwa zehn Sekunden aufrechterhalten hatte. Die Nebenklägerin verließ das Schlafzimmer.
  93. 6
  94. Als die Kinder den Angeklagten schließlich losließen, nahm er ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm an sich und machte sich
  95. auf die Suche nach der Nebenklägerin. Er wollte sie daran hindern, ihn zu verlassen und ihn weiter mit anderen Männern zu betrügen. Dabei nahm er billigend in Kauf, das Messer gegebenenfalls einzusetzen, wobei er sich über die
  96. -6-
  97. Art des Messereinsatzes noch keine Gedanken machte. Der Angeklagte rannte
  98. um den Wohnblock, fand die Nebenklägerin jedoch nicht. Schließlich ließ er
  99. sich von seinem Sohn D.
  100. 7
  101. das Messer abnehmen.
  102. 2. Das Landgericht hat das Würgen als gefährliche Körperverletzung
  103. gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet.
  104. 8
  105. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nicht angenommen. Im Rahmen
  106. einer Gesamtwürdigung hat es sich nicht mit hinreichender Sicherheit von dem
  107. kognitiven und voluntativen Element dieser Vorsatzform überzeugen können.
  108. Dabei hat die Strafkammer insbesondere die „affektiven Elemente der Tatausübung“, den spontanen Tatentschluss aufgrund der von der Nebenklägerin im
  109. Schlaf geäußerten Worte, die fehlende maximale Kraftentfaltung, die niedrige
  110. Intelligenz verbunden mit der emotionalen Überforderung, die Ehe mit der Nebenklägerin als „zentralen Dreh- und Angelpunkt seines Lebens und wesentlichen Quell seines Selbstwertgefühls“ und die nachfolgende Bewaffnung mit
  111. dem Messer berücksichtigt und sich mit der Gefährlichkeit der Tathandlung
  112. auseinandergesetzt.
  113. II.
  114. 9
  115. Die zunächst mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründete und einen
  116. umfassenden Aufhebungsantrag enthaltende Revision des Angeklagten beanstandet in ihrer Stellungnahme zu den Revisionsbegründungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage nur den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Eine teilweise Rücknahme der
  117. unbeschränkt eingelegten Revision liegt darin nicht, weil die Voraussetzungen
  118. des § 302 Abs. 2 StPO nicht dargetan sind.
  119. -7-
  120. 10
  121. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
  122. 11
  123. 1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung in der Tatbestandsvariante der
  124. lebensgefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.
  125. 12
  126. Nicht jeder Angriff auf den Hals des Opfers in der Form des Würgens ist
  127. eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5
  128. StGB. Von maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung, die zwar nicht dazu führen müssen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät, aber abstrakt geeignet sein muss, das
  129. Leben des Opfers zu gefährden (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005
  130. – 4 StR 185/05, NStZ-RR 2006, 11, 12 mwN).
  131. 13
  132. Der Angeklagte hielt die Nebenklägerin etwa zehn Sekunden mit festem
  133. Griff mit beiden Händen am Hals gepackt, drückte mit den Daumen in die Kehlkopfgegend, wodurch die Atemwege teilweise verlegt wurden. Angesichts der
  134. als glaubhaft angesehenen Bekundungen der Geschädigten – Todesangst und
  135. das Gefühl, ein Schleier bilde sich vor ihr, verspürt und gedacht zu haben, sie
  136. stehe kurz vor der Bewusstlosigkeit – ist es rechtlich nicht zu beanstanden,
  137. dass das Landgericht eine abstrakt lebensgefährdende Tathandlung angenommen hat. Der rechtsmedizinische Sachverständige, dem sich die Strafkammer angeschlossen hat, hatte ausgeführt, es hänge bei einem Angriff auf
  138. den Hals mit der festgestellten Dauer und Intensität weitgehend vom Zufall ab,
  139. nämlich vom Druckpunkt des Würgegriffs und der körperlichen Konstitution des
  140. Angegriffenen, ob lebenswichtige Funktionen zerstört werden, insbesondere die
  141. für die Sauerstoffversorgung des Gehirns wichtige Blutzufuhr bzw. Blutabfuhr
  142. beeinträchtigt oder der Kehlkopf eingedrückt wird. Hätte der Druckpunkt geringfügig anders gelegen, hätte sich das Verletzungsbild ganz anders darstellen
  143. -8-
  144. können. Für den Täter sei nicht kontrollierbar, ob durch das kräftige Zudrücken
  145. des Halses eine kreislaufrelevante Vene, empfindliche Teile des Kehlkopfs
  146. oder der Stimmlippen getroffen werden.
  147. 14
  148. 2. Im Strafausspruch enthält das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil
  149. des Angeklagten. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht
  150. trotz des Vorliegens des vertypten Milderungsgrunds des § 21 StGB infolge der
  151. erheblich verminderten Affektkontrolle als Folge einer Anpassungsstörung keinen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224
  152. Abs. 1 letzter Halbsatz StGB angenommen hat. Die Strafkammer hat in die gebotene Gesamtwürdigung zu Lasten des Angeklagten insbesondere dessen
  153. vielfache und einschlägige Vorstrafen, den Angriff auf die arglos eingeschlafene und schlafende Nebenklägerin und die psychologischen Folgen bei ihr eingestellt und deshalb einen minder schweren Fall auch bei Berücksichtigung des
  154. § 21 StGB abgelehnt.
  155. III.
  156. 15
  157. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft und die in der Sache ebenfalls darauf beschränkte Revision der
  158. Nebenklägerin beanstanden die Beweiswürdigung des Landgerichts insoweit
  159. als dieses einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten und damit eine
  160. Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts verneint hat.
  161. 16
  162. Die Revisionen bleiben ohne Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält in diesem Punkt revisionsrechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.
  163. -9-
  164. 17
  165. 1. Die Beweiswürdigung ist dann rechtsfehlerhaft, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. Dezember
  166. 2014 – 5 StR 136/14 Rn. 20 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15
  167. Rn. 18). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen
  168. hätte oder überzeugender gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom
  169. 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; vom 15. Dezember
  170. 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18 und vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15, StraFo
  171. 2016, 347, 348).
  172. 18
  173. 2. Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Tod als
  174. mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch
  175. gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente
  176. des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und
  177. gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH,
  178. Urteile vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom
  179. 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 Rn. 7, insoweit in NStZ 2014, 477 nicht abgedruckt; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467 und vom
  180. 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder
  181. Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom
  182. 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober
  183. 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012
  184. – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187), in welche insbesondere die objektive
  185. - 10 -
  186. Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine
  187. psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013,
  188. 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der
  189. Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Urteil vom
  190. 5. Juni
  191. 2014
  192. – 4 StR 439/13
  193. aaO;
  194. Beschluss
  195. vom
  196. 9. Oktober
  197. 2013
  198. – 4 StR 364/13 aaO; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13 aaO und vom
  199. 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter
  200. eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es
  201. – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände des Einzelfalls – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln
  202. begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11,
  203. NStZ 2012, 207, 208 mwN).
  204. 19
  205. 3. Diesen Anforderungen genügen die Erwägungen, mit denen das
  206. Landgericht das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint hat. Die
  207. Beweiswürdigung des Landgerichts ist weder widersprüchlich noch in einer
  208. Weise lückenhaft, dass dies den Bestand des Urteils gefährden könnte.
  209. 20
  210. a) Die Strafkammer ist für die Beurteilung des bedingten Tötungsvorsatzes von der gebotenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat und des Täters ausgegangen. Im Rahmen dieser Gesamtschau hat
  211. sie die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung beleuchtet und deren Bedeutung als gewichtigen Indikator (für beide Vorsatzelemente) eines bedingten Tö-
  212. - 11 -
  213. tungsvorsatzes gesehen. Sie hat ihr aber nur eine begrenzte Aussagekraft beigemessen, da durch das Eingreifen Dritter die Tathandlung bereits kurz nach
  214. deren Beginn unterbrochen wurde. Hierbei hat die Strafkammer dargelegt, dass
  215. ein Würgen mit tödlichem Ausgang regelmäßig einen deutlich längeren Würgevorgang erfordere, um die Blutversorgung des Gehirns nicht nur vorübergehend
  216. mit der Folge einer Bewusstlosigkeit zu unterbrechen, sondern dauerhaft. Auch
  217. eine vollständige Verlegung der Atemwege sei im Gegensatz zu der hier eingetretenen teilweisen Verlegung kaum denkbar, ohne gleichzeitig die Blutversorgung des Gehirns abzuschneiden.
  218. 21
  219. Damit hat die Strafkammer bereits das Vorliegen des Wissenselements
  220. des (bedingten) Tötungsvorsatzes in Frage gestellt und dessen Fehlen nachfolgend mit der subjektiven Befindlichkeit des Angeklagten belegt.
  221. 22
  222. Sie hat insoweit ausgeführt, auch die psychische Ausnahmesituation
  223. spreche dagegen, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation tatsächlich
  224. mit der Möglichkeit rechnete, die Nebenklägerin könnte durch seinen Griff an
  225. den Hals zu Tode kommen. Es sei durchaus möglich, dass der Angeklagte
  226. zwar die potentielle Lebensgefährlichkeit seines Handelns erkannt hatte, ohne
  227. sich aber in der konkreten Situation bewusst gewesen zu sein, dass sein Vorgehen zum Tod des Opfers führen könnte. Diese Überlegung enthält keinen
  228. Widerspruch.
  229. 23
  230. Auch wenn dem Angeklagten bewusst gewesen ist, dass man durch
  231. Würgen einen Menschen töten könne, belegt dies nur das Wissen um die allgemeine Gefährlichkeit eines solchen Angriffs gegen den Hals eines Menschen
  232. (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 7. September 2015 – 2 StR 194/15, BGHR
  233. StGB § 15 Vorsatz, bedingter 13 und vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR
  234. StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41 mwN). Daraus lässt sich indes nicht
  235. - 12 -
  236. ohne weiteres herleiten, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation
  237. auch tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, die Nebenklägerin könne zu Tode kommen, und er dies in seine Überlegungen mit einbezog. Es ist durchaus
  238. möglich, dass der Angeklagte zwar alle Umstände kannte, ohne sich indes in
  239. der konkreten Situation bewusst zu sein, dass sein Vorgehen zum Tode des
  240. Opfers führen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 – 4 StR
  241. 539/87, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 10; Beschluss vom
  242. 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41).
  243. 24
  244. Das Landgericht hat sich insoweit auch mit den besonderen Tatumständen auseinandergesetzt, die zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit führten:
  245. 25
  246. Aufgrund der niedrigen Intelligenz, der emotionalen Überforderung und
  247. des aggressiven Impulsdurchbruchs als Reaktion auf seine im Schlaf von ihrem
  248. Liebhaber schwärmende Ehefrau kann dem Angeklagten das Bewusstsein gefehlt haben, dass seine spontane Tathandlung ihren Tod zur Folge haben
  249. könnte.
  250. 26
  251. Die Strafkammer hat hierzu dargelegt, dass es die affektiven Elemente
  252. der Tatausübung (der plötzliche aggressive Impulsdurchbruch, der spontane
  253. Tatentschluss, seine lauten Rufe „Du gehst mir nicht mehr fremd“ während der
  254. Tatausführung trotz der in der gleichen Wohnung anwesenden Kinder) und die
  255. „deutliche Erosion seiner psychischen Stabilität“ verbunden mit seiner niedrigen
  256. Intelligenz eher wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Angeklagte einen
  257. möglichen tödlichen Ausgang seines Handelns nicht in den Blick genommen
  258. hat. Er sei bei emotionalen Herausforderungen schnell überfordert, was – wie
  259. die Vorverurteilungen zeigten – zu Gewaltdurchbrüchen als Handlungsalternativen führe.
  260. - 13 -
  261. 27
  262. Dass sich das Landgericht nicht von dem Vorliegen des Wissenselements des Tötungsvorsatzes hat überzeugen können, ist angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012
  263. – 4 StR 499/11 mwN).
  264. 28
  265. b) Auch das Vorliegen des voluntativen Elements des Tötungsvorsatzes
  266. hat die Strafkammer geprüft. Dafür sprach aus Sicht des Landgerichts, dass
  267. der Angeklagte trotz des hörbaren Luftschnappens der Nebenklägerin und dem
  268. Eintreffen seiner Kinder das Würgen fortsetzte; dagegen sprach, dass er es
  269. nicht mit der vollen, ihm möglichen Kraftentfaltung ausgeführt hatte und er sich
  270. gegen das Einschreiten der Kinder nicht – z.B. durch Schläge – gewehrt und
  271. zuvor auch nicht versucht hatte, die Nebenklägerin mit seinem Körpergewicht
  272. zu fixieren oder ihre Gegenwehr mit Schlägen oder auf andere Weise zu unterbinden. Auch Äußerungen des Angeklagten, die auf einen Tötungsvorsatz hindeuten könnten, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Fest standen lediglich die von der Strafkammer nicht näher hinterfragten Worte des Angeklagten
  273. „Du gehst mir nicht mehr fremd“, die verschiedene Interpretationen zulassen.
  274. 29
  275. Auch bei Prüfung dieses Elements hat die Strafkammer die psychische
  276. Befindlichkeit des Angeklagten, seine Persönlichkeit und seine niedrige Intelligenz herangezogen. Sie hat erwogen, dass der Angeklagte für sich keine andere Möglichkeit mehr sah, als die Nebenklägerin mit Gewalt festzuhalten und so
  277. weitere sexuelle Kontakte mit ihrem Liebhaber zu verhindern. Sein Ziel sei es
  278. nicht gewesen, die Nebenklägerin zu beseitigen, sondern mit allen Mitteln als
  279. seine Partnerin zu behalten. Dies verdeutliche seine spontane Äußerung gegenüber dem Ermittlungsbeamten zwei Stunden nach der Tat. Diesem erklärte
  280. er spontan und ungefragt, er habe die Nebenklägerin nicht töten wollen, er liebe
  281. - 14 -
  282. sie, er habe sie „nur am Hals packen und ein bisschen halten wollen, so als ob
  283. sie zu ihm gehöre und nicht wegsolle“.
  284. 30
  285. Dem Nachtatverhalten vermochte die Strafkammer keine objektiven Anhaltspunkte zu entnehmen, dass der Angeklagte das Messer ergriffen hat, um
  286. seinen Vorsatz, die Nebenklägerin zu töten, nun umzusetzen. Sie hielt es vielmehr für möglich, dass der Angeklagte das Messer nur dazu einsetzen wollte
  287. die Nebenklägerin zu nötigen, bei ihm zu bleiben bzw. mit ihm zu reden. Über
  288. die Art des Messereinsatzes hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.
  289. 31
  290. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass
  291. bei spontanen, unüberlegten und in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen auch aus dem Wissen um den möglichen Todeseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden
  292. Besonderheiten auf das selbstständig neben dem Wissenselement stehende
  293. Willenselement des Vorsatzes geschlossen werden kann (siehe nur BGH, Urteile vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267 f. und vom
  294. 3. Dezember 2015 – 4 StR 387/15, StraFo 2016, 110 f.). Die Einordnung und
  295. Würdigung eines spontanen oder in affektiver Erregung erfolgenden Handelns
  296. obliegt dabei dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR
  297. 387/15, StraFo 2016, 110 f.).
  298. 32
  299. Das Landgericht hat tragfähige Anhaltspunkte dafür benannt, warum bei
  300. dem Angeklagten selbst bei der erkannten Möglichkeit des Todeseintritts die
  301. Willenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gegeben ist.
  302. - 15 -
  303. 33
  304. 4. Auch die Milderung des Strafrahmens aus § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB über §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Prüfung stand. Bei Tatbegehung unterlag er einer erheblich verminderten Affektkontrolle als Folge
  305. einer Anpassungsstörung.
  306. IV.
  307. 34
  308. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO. Danach trägt bei erfolglosem Rechtsmittel des Angeklagten und des Nebenklägers
  309. jeder seine notwendigen Auslagen selbst, so dass hier eine Erstattung der dem
  310. Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen durch
  311. die Nebenklägerin nicht stattfindet, da auch die Revision des Angeklagten verworfen worden ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 473 Rn. 10a).
  312. Raum
  313. Radtke
  314. Fischer
  315. Mosbacher
  316. Bär