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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 1 StR 179/11
  4. vom
  5. 18. Mai 2011
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen versuchten Totschlags
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Mai 2011 beschlossen:
  11. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 30. November 2010 nach § 349 Abs. 4
  12. StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
  13. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  14. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  15. Gründe:
  16. 1
  17. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
  18. Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von vier
  19. Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat
  20. mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.
  21. 2
  22. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
  23. 3
  24. a) Der Angeklagte sowie die Geschädigten M.
  25. ten in einem Schnellrestaurant in H.
  26. und U.
  27. arbeite-
  28. ; außerdem wohnten sie zusam-
  29. men in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Vor der Tat kam es zwischen M.
  30. war, dass M.
  31. und dem Angeklagten immer wieder zu Konflikten. Hintergrund
  32. den Angeklagten bei der Arbeit ohne triftigen Grund ständig
  33. -3-
  34. schikanierte. Nachdem M.
  35. wegen seines Verhaltens gegenüber dem An-
  36. geklagten von dem Filialleiter des Schnellrestaurants zurechtgewiesen worden
  37. war, wollte er sich an dem Angeklagten rächen. Deshalb schrieb er an dessen
  38. Freundin eine E-Mail, in der er unter anderem wahrheitswidrig behauptete,
  39. dass der Angeklagte sie schon mehrfach mit anderen Frauen hintergangen habe. In der Tatnacht konfrontierte die Freundin den Angeklagten mit M.
  40. s
  41. Behauptungen und teilte ihm mit, dass sie sich deshalb von ihm trennen werde.
  42. „Wütend und erregt“ suchte der Angeklagte daraufhin M.
  43. in dessen Zim-
  44. mer auf und es kam zwischen ihnen zu einer körperlichen Auseinandersetzung.
  45. Als der Geschädigte U.
  46. versuchte, die beiden auseinander zu bringen,
  47. schlug ihm der Angeklagte ins Gesicht, so dass er einen Nasenbeinbruch erlitt.
  48. 4
  49. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung flüchtete M.
  50. in das
  51. Treppenhaus. Dort wurde er von dem Angeklagten zu Fall gebracht und lag auf
  52. der linken Körperseite in zusammengekrümmter Haltung auf dem Boden und
  53. schützte den Kopf mit seinen Händen. Der Angeklagte, der barfuß war, trat nun
  54. mindestens fünf Mal von oben auf M.
  55. s rechte Kopfseite und traf diesen „in
  56. Höhe der Schläfe“. Durch das Eingreifen eines Nachbarn wurde der Angeklagte
  57. schließlich von weiteren Tritten abgehalten. Beim Weggehen rief der Angeklagte dem Geschädigten noch zu: „Das ist nicht das Ende. Du kannst nur von
  58. Glück reden, dass du Freunde hast, die dich verteidigt haben.“
  59. 5
  60. M.
  61. erlitt durch die Tritte nur geringe Verletzungen. Auf der rechten
  62. Kopfseite kam es zu Rötungen und Hautabschürfungen, unter anderem im Bereich der rechten Augenbraue. Auf der linken Kopfseite im Stirn- und Wangenbereich fanden sich nach der Tat mehrere Blutergüsse in Form von gelblichgrünlichen Verfärbungen, die durch das Aufschlagen der linken Kopfhälfte auf
  63. dem Boden verursacht wurden. Eine konkrete Lebensgefahr bestand für den
  64. -4-
  65. Geschädigten nicht; zu einer solchen Gefahr wäre es - so das Landgericht „nur bei Eintritt sehr fern liegender Umstände“ gekommen.
  66. 6
  67. b) Das Landgericht hat die Tritte des Angeklagten gegen den Kopf des
  68. Geschädigten M.
  69. rechtlich als einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit
  70. gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs.1 Satz 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Den
  71. Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz hat es dabei aus der abstrakten Gefährlichkeit der Tatausführung für das Leben des Geschädigten gezogen; auch
  72. einem „medizinischen Laien“ sei es bekannt, „dass Tritte gegen den Kopf, vor
  73. allem gegen den empfindlichen Schläfenbereich, tödliche Folgen haben können“. Dem Angeklagten seien diese Folgen jedoch bei der Tatausführung
  74. gleichgültig gewesen; er habe sich „keine näheren Gedanken“ darüber gemacht, ob M.
  75. die heftigen und zahlreichen Tritte überleben werde. Allein
  76. der Umstand, dass der Angeklagte beim Zutreten barfuß gewesen sei, stehe
  77. einem bedingten Tötungsvorsatz nicht entgegen.
  78. 7
  79. 2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem
  80. Tötungsvorsatz gehandelt, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  81. 8
  82. a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es
  83. zwar anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluss
  84. auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt. Dabei ist jedoch
  85. auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde
  86. nicht eintreten. Der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz erfordert deshalb, dass das Tatgericht die der Sachlage nach ernsthaft in Betracht kommenden Tatumstände, zu denen auch die psychische Verfassung des Täters
  87. bei der Tatbegehung sowie seine Motive gehören, in seine Erwägungen einbe-
  88. -5-
  89. zogen hat. Das gilt namentlich für spontane, unüberlegte, in affektiver Erregung
  90. ausgeführte Handlungen.
  91. 9
  92. b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Prüfung eines
  93. bedingten Tötungsvorsatzes werden die Ausführungen des Landgerichts im
  94. angefochtenen Urteil zu dem hier vorliegenden besonders gelagerten Fall nicht
  95. ausreichend gerecht.
  96. 10
  97. aa) Das Landgericht hat sich im Rahmen der gebotenen Gesamtschau
  98. der für die Bewertung der Tat bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände nicht damit auseinandergesetzt, dass die barfuß ausgeführten Tritte hier
  99. keine hochgradig lebensgefährlichen Gewalthandlungen darstellten. Nach den
  100. Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts sind wuchtige Tritte
  101. gegen den Kopf bzw. auf den Schläfenbereich zwar generell dazu geeignet,
  102. schwere Kopfverletzungen wie Impressionsfrakturen oder Gehirnverletzungen
  103. herbeizuführen. Auch kann es zu einer Bewusstlosigkeit des Opfers und einer
  104. damit verbundenen Gefahr der Einatmung von Blut (z.B. bei Verletzungen im
  105. Nasenraum) oder Erbrochenem kommen. Im vorliegenden Fall bestand aber
  106. aufgrund der nur oberflächlichen Verletzungen des Geschädigten (Blutergüsse
  107. und Hautrötungen im Gesicht), der zudem während des Tatgeschehens und
  108. auch danach stets bei Bewusstsein war, keine konkrete Lebensgefahr. Angesichts des Umstandes, dass es vorliegend gerade nicht zu schweren Kopfverletzungen gekommen ist, wie dies ansonsten bei wuchtigen Tritten gegen den
  109. Kopf zu erwarten gewesen wäre, hätte sich das Landgericht bei der Prüfung
  110. des bedingten Tötungsvorsatzes daher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die eher geringen Verletzungen des Geschädigten hier nicht dafür
  111. sprechen könnten, dass der Angeklagte die Tritte nicht mit der Wucht und Ent-
  112. -6-
  113. schlossenheit ausgeführt hat, die nötig gewesen wären, um seinem Opfer konkret lebensbedrohliche Verletzungen beizubringen.
  114. 11
  115. bb) Das Landgericht hätte weiterhin prüfen müssen, ob die affektive Erregung des Angeklagten, ausgelöst durch das die Tat provozierende Verhalten
  116. des Geschädigten, Einfluss auf sein Vorstellungsbild über die Folgen seiner
  117. Handlungen oder seinen Willen zur Tat hatte. Da das Landgericht eine solche
  118. Erregung hier festgestellt hat, bestand Anlass zu einer näheren Erörterung dieses Umstandes in den Urteilsgründen.
  119. 12
  120. An der insoweit bestehenden Prüfungspflicht des Landgerichts ändert es
  121. auch nichts, dass der Angeklagte trotz seiner starken Erregung weder in seiner
  122. Einsichts- noch in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen ist. Denn
  123. das Landgericht hat im Rahmen seiner Beweiswürdigung selbst festgestellt,
  124. dass sich der „wütende“ und „erregte“ Angeklagte im Augenblick des Zutretens
  125. „keine näheren Gedanken“ über die Folgen seiner Handlungen gemacht hat.
  126. 13
  127. cc) Schließlich erörtert das Landgericht nicht, warum es bei dem Angeklagten während der Tatausführung zu einem Vorsatzwechsel gekommen ist.
  128. Nach den Feststellungen handelte der Angeklagte bei Beginn und auch noch
  129. im späteren Verlauf der Handgreiflichkeiten „nur“ mit Körperverletzungsvorsatz
  130. (UA S. 13: „In diesem Moment erschien der Angeklagte wieder im Zimmer, um
  131. M.
  132. weiter zu verletzen.“). Weshalb der Angeklagte dann während des Ge-
  133. schehens im Treppenhaus, bei dem er mehrfach barfuß gegen den Kopf des
  134. Geschädigten trat, seinen Willen gesteigert und einen (bedingten) Tötungsvorsatz gefasst haben sollte, ist im Urteil nicht näher ausgeführt.
  135. 14
  136. 3. Da das Landgericht das Tatgeschehen - auch zum Nachteil des Geschädigten U.
  137. - als einheitliche Tat angesehen hat, ist das Urteil auf die
  138. -7-
  139. Revision des Angeklagten insgesamt aufzuheben und an eine andere als
  140. Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zu erneuter Verhandlung
  141. und Entscheidung zurückzuverweisen.
  142. Nack
  143. Wahl
  144. Jäger
  145. Graf
  146. Sander