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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 145/04
  5. vom
  6. 20. Juli 2004
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Totschlags
  10. -2-
  11. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Juli 2004,
  12. an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  14. Nack
  15. und die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Dr. Wahl,
  17. Dr. Kolz,
  18. Hebenstreit,
  19. die Richterin am Bundesgerichtshof
  20. Elf,
  21. Bundesanwalt
  22. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  23. Rechtsanwalt
  24. als Verteidiger,
  25. Rechtsanwältin
  26. als Vertreterin der Nebenkläger,
  27. Justizangestellte
  28. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  29. für Recht erkannt:
  30. -3-
  31. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger
  32. wird das Urteil des Landgerichts Kempten vom 21. Oktober 2003
  33. mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen
  34. zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über
  35. die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  36. Von Rechts wegen
  37. Gründe:
  38. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich die Revision der
  39. Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die der
  40. Nebenkläger. Die von den Nebenklägern erhobene Verfahrensrüge ist unzulässig, weil sie nicht ausgeführt wurde (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der
  41. Sachrüge beanstanden die Revisionen die Verneinung des Mordmerkmals
  42. Heimtücke und erstreben eine Verurteilung wegen Mordes. Die Rechtsmittel
  43. haben Erfolg.
  44. -4-
  45. I.
  46. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts gab es zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin, Frau B.
  47. , wie schon häufiger zu-
  48. vor, Streit. Sie verließ die Wohnung, schlug die Tür zu und ging bis zum Beginn der in das Erdgeschoß führenden Treppe. Der Angeklagte folgte ihr und
  49. holte sie ein. Sie sagte nun zu ihm, daß er gut im Bett sei und ihr im Haushalt
  50. helfe, jedoch in der Gesellschaft unmöglich sei. Sie sei etwas Besseres und er
  51. nichts. Danach drehte sie sich um und begann, die Treppe hinunterzugehen.
  52. Mit einem Angriff des Angeklagten rechnete sie nicht. In der Beziehung war es
  53. nie zu Gewalttätigkeiten gekommen. Der ca. 1,85 m große und 90 kg schwere
  54. Angeklagte war durch die Worte seiner Lebensgefährtin erregt und wollte diese
  55. zunächst zurückhalten. Er packte mit der linken Hand die ca. 1,60 m große
  56. Frau, die ihm den Rücken zugedreht hatte, am Hals und würgte sie. Gleichzeitig hielt er ihr mit der rechten Hand den Mund zu und preßte ihren Hinterkopf
  57. gewaltsam gegen seine Brust. Als der Angeklagte seine Lebensgefährtin in den
  58. Würgegriff genommen hatte, entschloß er sich, sie solange zu würgen, bis sie
  59. tot sei. Unter Ausnutzung seiner körperlichen Überlegenheit würgte er sie mindestens eine Minute lang, bis sie entsprechend seiner Absicht verstorben war.
  60. Abwehrverletzungen wurden beim Tatopfer nicht festgestellt.
  61. Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, er habe sie nur festhalten
  62. und nicht töten wollen.
  63. 2. Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das
  64. Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere von Heimtücke, hat es ausgeschlossen. Zwar sei die Frau objektiv arglos gewesen und habe mit einem Angriff des Angeklagten nicht gerechnet, als sie die Treppe hinuntergehen wollte.
  65. Es gebe jedoch keinen Nachweis dafür, daß der Angeklagte diese Arglosigkeit
  66. -5-
  67. bewußt zur Tötung ausgenutzt habe. Vielmehr sei die Kammer überzeugt, daß
  68. der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst gefaßt habe, als er die Frau gepackt
  69. hatte. Zu diesem Zeitpunkt sei sie dann nicht mehr arglos gewesen. Die Hauptverhandlung habe auch nicht ergeben, daß es vor der Tat zu keinem Wortwechsel gekommen, der Angeklagte der arglosen Frau von der Wohnung bis
  70. zur Treppe nur nachgeschlichen sei und diese dann, ohne irgendeine Vorwarnung, erwürgt habe.
  71. II.
  72. Diese Erwägungen sind rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und ohne hinreichende Begründung ein bewußtes Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit durch den Angeklagten verneint hat.
  73. 1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und
  74. Wehrlosigkeit des Tatopfers bewußt zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, daß
  75. der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGHSt 39, 353, 368;
  76. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 m.w.Nachw.). Das Opfer muß gerade
  77. aufgrund seiner Arglosigkeit wehrlos sein (BGHSt 32, 382, 384). Allerdings
  78. kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Opfer auch
  79. dann arglos sein, wenn der Täter ihm zwar offen feindselig entgegentritt, die
  80. Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff
  81. aber so kurz ist, daß keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 15). Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs.
  82. -6-
  83. 2. An diesen Maßstäben gemessen, hält die Bewertung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  84. a) Der erste Angriff auf das Opfer war hier ein Würgegriff von hinten an
  85. den Hals. Ein solcher verbunden mit dem gleichzeitigen Zuhalten des Mundes
  86. und gewaltsamen Pressen des Hinterkopfes gegen die Brust stellt nach seinem
  87. objektiven Erscheinungsbild einen tätlichen Angriff auf das Leben dar. Beweisanzeichen dafür, daß der Angeklagte diese Vorgehensweise gewählt hat, um
  88. Frau B.
  89. zurückzuhalten, lediglich am Weggehen zu hindern, hat das
  90. Landgericht nicht festgestellt. Das äußere Tatgeschehen, das in Fallgestaltungen der vorliegenden Art besonderen Beweiswert für die subjektive Tatseite
  91. hat, legt vielmehr den Schluß nahe, daß dieser Angriff mit Tötungsvorsatz erfolgte, zumal der Angeklagte Frau B.
  92. dann auch tatsächlich erwürgt hat.
  93. Sich dazu aufdrängende Darlegungen fehlen.
  94. Ferner sieht das Landgericht die Einlassung des Angeklagten, er habe
  95. seine Lebensgefährtin nur festhalten und nicht töten wollen, insoweit als widerlegt an, als er ab Beginn des Würgevorgangs mit direktem Tötungsvorsatz
  96. handelte, nicht aber beim Setzen des Würgegriffes. Bei einem derart massiven
  97. einheitlichen tätlichen Angriff hätte erörtert werden müssen, warum das Landgericht nicht von einer einheitlichen Motivation ausgegangen ist.
  98. Im übrigen läßt der festgestellte Geschehensablauf eine zeitliche Zäsur
  99. dahingehend nicht erkennen, daß das Opfer den Angriff auf sein Leben erkannt
  100. hätte, als der Angeklagte den Tötungsvorsatz faßte, und ihm deshalb auch
  101. noch hätte ausweichen können, somit nicht arglos gewesen sei.
  102. b) Selbst wenn der Angeklagte den Tötungsvorsatz erst gefaßt haben
  103. sollte, als er Frau B.
  104. in den Würgegriff genommen hatte, so schließt dies
  105. -7-
  106. die Arglosigkeit seines Opfers nicht von vornherein aus. Wie bereits oben ausgeführt, ist das Merkmal der Arglosigkeit auch dann gegeben, wenn bei offen
  107. feindseligem Verhalten das Opfer die Tötungsabsicht noch im letzten Augenblick erkennt, aber nicht mehr reagieren kann. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der überraschende Angriff von vornherein mit Tötungsvorsatz geführt wird, oder ob der ursprüngliche Handlungswille derart schnell in den Tötungsvorsatz umschlägt, daß der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt
  108. andauert, zu dem der Täter mit Tötungsvorsatz angreift. In beiden Fällen bleibt
  109. dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen (BGHR StGB
  110. § 211 Abs. 2 Heimtücke 3). Der vorausgegangene Wortwechsel beseitigte hier
  111. nach der Überzeugungsbildung des Landgerichts die Arglosigkeit des Opfers
  112. nicht. Es wurde vielmehr durch den ersten tätlichen Angriff von hinten in einer
  113. hilflosen Lage überrascht und dadurch daran gehindert, dem Anschlag auf sein
  114. Leben zu begegnen, was die fehlenden Abwehrverletzungen bestätigen.
  115. c) Für das bewußte Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit genügt es,
  116. daß der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose
  117. Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfaßt, daß
  118. er sich bewußt ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535). Wenn der
  119. Angeklagte seine Lebensgefährtin in der beschriebenen Art und Weise von
  120. hinten packte, der gegenüber er trotz vieler Streitigkeiten noch nie Gewalt ausgeübt hatte, liegt die Annahme nahe, daß er sich des überraschenden Angriffs
  121. bewußt war. Die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es ein Ausnutzungsbewußtsein verneint, sind nur auf dem Hintergrund der zeitlichen Einordnung des Tötungsvorsatzes und der daraus folgenden rechtsfehlerhaften Bewertung der Arglosigkeit nachvollziehbar. Daraus hat das Landgericht nicht
  122. tragfähige Schlüsse auf das Ausnutzungsbewußtsein gezogen. Der Annahme
  123. -8-
  124. eines solchen steht auch die Erregung des Angeklagten nicht entgegen. Das
  125. Landgericht hat nicht festgestellt, daß der Angeklagte die für die Heimtücke
  126. maßgeblichen Umstände aufgrund seiner Erregung nicht in sein Bewußtsein
  127. aufgenommen hat.
  128. 3. Bei dieser Sachlage liegt Mord in der Begehungsform der Heimtücke
  129. nahe. Das Urteil kann danach keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum
  130. äußeren Tatgeschehen sind von den Rechtsfehlern nicht betroffen und können
  131. bestehen bleiben.
  132. Nack
  133. Wahl
  134. Hebenstreit
  135. Kolz
  136. Elf