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2020-08-27 21:55:39 +02:00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 307/17
vom
6. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2017:060917B1STR307.17.0
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu Ziffer 3 auf dessen Antrag - am
6. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 2. März 2017 mit den Feststellungen
aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen
bleiben jedoch aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung
des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO) und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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I.
3
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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1. Am 24. März 2016 gegen 20.15 Uhr hielt sich der spätere Geschädigte
R.
im Wohnzimmer der von ihm gemeinsam mit dem Ange-
klagten bewohnten Wohnung auf und schaute Fernsehen. Der Angeklagte
setzte sich zu ihm, wobei es zu einer verbalen Auseinandersetzung kam, in deren Verlauf sich beide erhoben. Der Angeklagte begann nun den Geschädigten
zu schubsen. Als dieser ihn daraufhin am Pullover packen wollte, stieß ihn der
Angeklagte mit dem Ellenbogen gegen den Oberkörper. Hierdurch ging der
Geschädigte zu Boden, wobei er einen Tisch umstieß. Als der Geschädigte sich
wieder aufrichten wollte, packte ihn der Angeklagte an der Schulter und schüttelte ihn. Es entwickelte sich eine Rangelei am Boden, in deren Verlauf der Geschädigte unter dem Angeklagten zum Liegen kam. Der Angeklagte presste
ihm nun einen elastischen Gegenstand über Nase und Mund, so dass der Geschädigte - wie vom Angeklagten beabsichtigt - keine Luft mehr bekam. Der
Geschädigte versuchte sich zu befreien und boxte dem Angeklagten mehrere
Male in die Seite. Dieser hielt dem Geschädigten aber weiter Mund und Nase
zu bis er nur noch röchelte und sich nicht mehr wehrte. In der Absicht den Geschädigten zu töten, drückte der Angeklagte weitere drei Minuten auf Mund und
Nase, so dass dieser weiterhin keine Luft bekam und infolge des vom Angeklagten verursachten Sauerstoffmangels verstarb.
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2. Das Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte zwar in der Lage war, das Unrecht seiner Tat einzusehen, aber erheblich in seiner Fähigkeit
eingeschränkt war, nach dieser Einsicht zu handeln, und schließt sich dabei
den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen an, der beim Ange-
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klagten eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert hatte und damit eine
krankhafte seelische Störung im Sinne eines Dauerzustandes als Eingangsmerkmal nach § 20 StGB.
II.
6
Die Revision des Angeklagten ist überwiegend begründet. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Schon dadurch wird auch die Erforderlichkeit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
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1. Die Ausführungen des Landgerichts zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat keine Nachprüfung, ob es zu Recht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bejaht und eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt
ausgeschlossen hat.
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a) Wenn sich das Landgericht - wie hier - darauf beschränkt, sich der
Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im
Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss
vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305 mwN). Dies gilt besonders in Fällen einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie. Gerade
hier führt die Diagnose einer solchen Erkrankung für sich genommen noch nicht
zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (st. Rspr.;
-5-
vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 - 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012,
239; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98 und vom 29. April
2014 - 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243). Erforderlich ist vielmehr die Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten
Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt
hat (BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 - 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305
und vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
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b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe im vorliegenden Fall
nicht gerecht. Vor allem fehlt eine nähere Darlegung des Einflusses des diagnostizierten Störungsbildes auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in
der konkreten Tatsituation.
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Die Urteilsgründe teilen zwar das Ergebnis der medizinischen Diagnose
des psychiatrischen Sachverständigen mit, wonach bei dem Angeklagten seit
Jahren eine paranoide Schizophrenie mit ausgeprägten und systematisch ausgestalteten Wahngedanken bestehe, die episodisch verlaufe (UA S. 19). Als
Anknüpfungspunkte für diese Diagnose werden Umstände herangezogen, die
in der früheren Krankengeschichte des Angeklagten liegen, die nur eine begrenzte Aussagekraft besitzen. So habe der Angeklagte dem Sachverständigen
berichtet, bereits vor vielen Jahren von Frau Merkel und Herrn Westerwelle
kontaktiert worden zu sein und 2003 von Franz Beckenbauer mit einem Zigeuner besucht worden zu sein. Es sei zu Vorfällen und körperlichen Übergriffen
gekommen. Weiter habe der Angeklagte auch geschildert, dass er gehört habe,
wie Nachbarn im Garten und in der Wohnung, aber auch Verkäufer in Geschäften schlecht über ihn geredet hätten. Mitarbeiter im Edeka-Markt hätten ihn als
"Spezi vom Franz" bezeichnet. Gleichzeitig weist der Sachverständige aber
-6-
auch darauf hin, dass es dem Angeklagten in der Vergangenheit immer wieder
gelungen sei, in verschiedenen Lebensbereichen so weitgehende Anpassungsleistungen zu zeigen, dass er "nicht völlig aus den gesellschaftlichen Bezügen
herausgefallen sei" (UA S. 21).
11
Ein erheblicher Einfluss der Krankheit auf das Handeln des Angeklagten
wird aber gleichwohl angenommen, da die realen Konflikte zwischen ihm und
dem Geschädigten, mit den wahnhaften Gedanken, dieser rede schlecht über
ihn und billige dessen Misshandlung von Dritten, interagierten und sich so in
einer erheblichen inneren Anspannung des Angeklagten auswirkten, was "seine
Steuerungsfähigkeit maßgeblich eingeschränkt und so die aggressive Tathandlung im Sinne eines Erregungszustandes erheblich begünstigt" habe (UA
S. 21). Auch sei beim Angeklagten keine weitreichende Distanzierung von diesen Wahrnehmungen zu erkennen gewesen, so dass "von einem anhaltenden
wahnhaften Erleben ausgegangen werden" müsse. Damit wird das Vorliegen
eines akuten psychotischen Schubs lediglich abstrakt als Möglichkeit in Betracht gezogen und durch die festgestellten Anpassungsleistungen des Angeklagten in der Vergangenheit auch wieder relativiert. Eine situationsbezogene
Erörterung der Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten unter dem Einfluss
der psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt der konkreten Tatsituation wird
aber nicht vorgenommen. Es fehlt damit an ausreichenden tatsächlichen
Grundlagen für die Annahme eines aktuellen Schubs der Erkrankung und eines
spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und der Tat. Die
überwiegend abstrakten Erwägungen lassen im Hinblick auf die konkrete Tatausführung sowohl die Variante offen, dass der Angeklagte nicht von einem
akuten Krankheitsschub betroffen war oder zumindest nur eine Möglichkeit
hierfür bestand.
-7-
12
2. Da der Senat umgekehrt nicht gänzlich auszuschließen vermag, dass
der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit und nicht nur im Zustand
verminderter Schuldfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die
strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat einschließlich der Unterbringung in einem
psychiatrischen Krankenhaus insgesamt neu verhandelt und entschieden werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen.
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Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen beruhen aber auf einer
mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler
nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht
kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht
widersprechen. Dies wird sich vor allem für solche Umstände aufdrängen, die
Rückschlüsse auf die Beurteilung der Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt zulassen.
Raum
Bellay
Bär
RinBGH Dr. Fischer ist im
Urlaub und deshalb an der
Unterschriftsleistung gehindert.
Raum
Hohoff