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9.4 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZB 18/05
  4. vom
  5. 14. Juni 2006
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. nein
  12. _____________________
  13. ZPO § 233 Fc
  14. Ist die Frist zur Berufungsbegründung richtig errechnet und deren Eintragung
  15. im Fristenkalender des Anwaltsbüros in der Handakte als erledigt notiert,
  16. muss der Anwalt die Eintragung im Fristenkalender nicht noch persönlich überprüfen.
  17. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05 - OLG Dresden
  18. LG Leipzig
  19. -2-
  20. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
  21. Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke
  22. am 14. Juni 2006
  23. beschlossen:
  24. Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss
  25. des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom
  26. 3. März 2005 aufgehoben.
  27. Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
  28. gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
  29. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten
  30. des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
  31. Streitwert: 106.885,07 €
  32. Gründe:
  33. 1
  34. I. Die Kläger verlangen von der Beklagten die Rückzahlung eines
  35. Darlehens in Höhe von 106.885,07 €. Das Landgericht hat die Klage ab-
  36. -3-
  37. gewiesen. Gegen das am 2. Dezember 2004 zugestellte Urteil wurde
  38. rechtzeitig Berufung eingelegt. Begründet wurde sie jedoch erst mit einem am 7. Februar 2005 eingegangenen Schriftsatz, in dem zugleich
  39. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die am 2. Februar 2005
  40. abgelaufene Frist zur Berufungsbegründung beantragt wurde.
  41. 2
  42. Die Kläger haben vorgetragen, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten habe die erfahrene und bewährte Bürovorsteherin nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist sowie die jeweils dazugehörigen Vorfristen zutreffend
  43. errechnet und auf einem an die Urteilsausfertigung gehefteten Zettel notiert. Diese Fristen seien zugleich in den Fristenkalender eingetragen
  44. worden mit Ausnahme der Berufungsbegründungsfrist, deren Eintragung
  45. aus unerklärlichen Gründen unterblieben sei. Auf dem Zettel, der an die
  46. Urteilsausfertigung in der Handakte geheftet war, sei jedoch die am
  47. 2. Februar 2005 ablaufende Berufungsbegründungsfrist zum Zeichen ihrer Eintragung in den Fristenkalender mit einem Haken und dem Zusatz
  48. "not." versehen worden. Diesen Sachverhalt hat die Bürovorsteherin an
  49. Eides statt versichert. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat weiter
  50. vorgetragen, er sei vom 24. bis 28. Januar 2005 in Urlaub gewesen; da
  51. die Vorfrist zur Berufungsbegründung am 26. Januar 2005 ablief, habe er
  52. die Berufung schon vor seinem Urlaub begründet und den Entwurf der
  53. Berufungsbegründung
  54. den
  55. Klägern
  56. zur
  57. Stellungnahme
  58. bis
  59. zum
  60. 31. Januar 2005 mit dem Hinweis übersandt, dass die Endfassung am
  61. 2. Februar 2005 bei Gericht sein müsse. Am 1. Februar sei die Antwort
  62. der Kläger in seiner Kanzlei eingegangen. Dass die Endfassung dann
  63. nicht am 2. Februar an das Berufungsgericht gefaxt worden sei, habe
  64. einzig daran gelegen, dass diese Frist nicht im Fristenbuch eingetragen
  65. -4-
  66. gewesen sei. Das Fristversäumnis sei wegen der Aufarbeitung des urlaubsbedingten Arbeitsrückstaus erst am 7. Februar 2005 aufgefallen.
  67. 3
  68. Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den
  69. vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen. Dagegen haben die Kläger rechtzeitig Rechtsbeschwerde
  70. eingelegt.
  71. 4
  72. II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.
  73. mit §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist nach
  74. § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.
  75. 5
  76. 1. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden bei der Überwachung seiner
  77. Bürovorsteherin vorzuwerfen sei. Jedenfalls habe er seine Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung der richtigen Eintragung des Fristendes in
  78. Bezug auf die Berufungsbegründungsfrist verletzt. Die Handakte habe
  79. ihm aufgrund der zum 26. Januar 2005 notierten Vorfrist nach seiner
  80. Rückkehr aus dem Urlaub am Montag, dem 31. Januar 2005, vorgelegen.
  81. Wenn er die Bearbeitung bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist
  82. am Mittwoch, dem 2. Februar 2005, habe zurückstellen wollen, habe er
  83. die Eintragung dieser Frist durch seine Bürovorsteherin im Fristenkalender kontrollieren müssen. Hätte er dies getan, wäre ihm aufgefallen,
  84. dass das Ende der Berufungsbegründungsfrist überhaupt nicht im Kalender eingetragen war. Dadurch hätte die Fristversäumnis vermieden werden können.
  85. -5-
  86. 6
  87. 2. Mit dieser Rechtsauffassung weicht das Berufungsgericht von
  88. der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab. Danach hat
  89. der Rechtsanwalt zwar die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Handakten zur Bearbeitung
  90. wegen einer fristgebundenen Prozesshandlung wie hier vorgelegt werden. Diese Pflicht erstreckt sich auch darauf, ob das (zutreffend errechnete) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Dabei kann sich
  91. der Rechtsanwalt jedoch grundsätzlich auf eine Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken. Ist die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender wie hier ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt und drängen sich insoweit keine Zweifel auf, braucht er nicht noch
  92. zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 1971 - V ZB 7/71 VersR 1971, 1125 unter 1; Urteil vom 1. Juli 1976 - III ZR 88/75 - VersR
  93. 1976, 1154 unter II; Beschlüsse vom 14. Oktober 1987 - VIII ZB 16/87 unter II 2 a und b, dokumentiert in juris; vom 22. Januar 1997 - XII ZB
  94. 195/96 - VersR 1997, 598 unter 1; vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03 FamRZ 2004, 1183 unter II 1 und 2; vom 1. Dezember 2004 - XII ZB
  95. 164/03 - FamRZ 2005, 435 unter II 3; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 233
  96. Rdn. 23 zum Stichwort Fristenbehandlung; Born, NJW 2005, 2042,
  97. 2046). Wollte man dem Berufungsgericht folgen, würde die zulässige
  98. Einschaltung von Bürokräften in die Fristenüberwachung weitgehend
  99. sinnlos, wie die Rechtsbeschwerde mit Recht hervorhebt.
  100. 7
  101. 3. Eine andere Rechtsauffassung ist auch dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. November 2002 (VI ZB 40/02 - NJW 2003, 437
  102. unter II 3 b) nicht zu entnehmen, auf den sich das Berufungsgericht
  103. -6-
  104. stützt. Soweit es dort heißt, dass dem Rechtsanwalt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Prüfungspflicht der Widerspruch zwischen dem von
  105. ihm persönlich bestimmten und in den Handakten notierten und dem im
  106. Fristenkalender festgehaltenen Fristende offenkundig geworden wäre,
  107. ergibt sich aus der Entscheidung nicht, dass sich in den Handakten neben dem vom Rechtsanwalt errechneten Fristende ein Vermerk befunden
  108. hätte, wonach die neue Frist auch im Fristenbuch notiert sei. Anders als
  109. im vorliegenden Fall kann es auch dann liegen, wenn der Rechtsanwalt
  110. die zur Vorfrist vorgelegte Akte nicht auf den Ablauf der Hauptfrist und
  111. deren Eintragung im Fristenbuch prüft, sondern mehrere Tage bis kurz
  112. vor dem Ende der Hauptfrist unbearbeitet lässt (vgl. BGH, Beschluss
  113. vom 17. Juni 1999 - IX ZB 32/99 - NJW 1999, 2680 unter II 2). Hier fiel
  114. der Ablauf der Vorfrist in die Urlaubszeit; der Prozessbevollmächtigte der
  115. Kläger hatte die Berufungsbegründung deshalb schon vor Antritt seines
  116. Urlaubs entworfen und den Klägern zur Stellungnahme mit dem Hinweis
  117. zugesandt, der Schriftsatz müsse in der Endfassung am 2. Februar 2005
  118. bei Gericht sein. Darin kommt zum Ausdruck, dass er den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist überprüft hatte, der ausweislich der Handakte
  119. auch im Fristenbuch vermerkt war.
  120. 8
  121. III. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Bedenken des
  122. Berufungsgerichts gegen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
  123. greifen nicht durch. Es sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für
  124. ein sonstiges Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger erkennbar, insbesondere bei der Organisation der Fristenkontrolle (vgl.
  125. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - NJW 2003, 1815
  126. unter II 3 a-c) oder bei der Überwachung der Bürovorsteherin. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat ergänzend vorgetragen und eides-
  127. -7-
  128. stattlich versichert, etwa zweimal pro Woche prüfe jeder in seiner Kanzlei
  129. tätige Anwalt stichprobenartig nach, ob die in den Handakten als notiert
  130. abgehakten Fristen auch tatsächlich im Fristenbuch eingetragen seien;
  131. Beanstandungen hätten sich bisher nie ergeben. Es fehlt danach jeder
  132. Anhalt dafür, dass die Bürovorsteherin die Erledigung in der Handakte
  133. etwa auch in anderen Fällen vor oder nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Eintragung im Fristenbuch vermerkt hätte (dazu vgl. BGH,
  134. Beschluss vom 5. Februar 2003 aaO unter II 3 d).
  135. Mithin haben die Kläger glaubhaft gemacht, dass die Frist zur Be-
  136. 9
  137. rufungsbegründung ohne eigenes oder ihnen nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt
  138. worden ist. Daher war ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen
  139. -8-
  140. die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Damit wird
  141. der angegriffene Beschluss des Berufungsgerichts, soweit darin die Berufung als unzulässig verworfen wird, gegenstandslos.
  142. Terno
  143. Dr. Schlichting
  144. Dr. Kessal-Wulf
  145. Seiffert
  146. Dr. Franke
  147. Vorinstanzen:
  148. LG Leipzig, Entscheidung vom 30.11.2004 - 5 O 3776/04 OLG Dresden, Entscheidung vom 03.03.2005 - 10 U 2308/04 -