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13 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XII ZB 214/14
  4. vom
  5. 29. April 2015
  6. in der Justizverwaltungssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO § 117 Abs. 2 Satz 2
  14. § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO gewährt dem Gegner eines Antrags auf Prozess- oder
  15. Verfahrenskostenhilfe kein subjektives Recht auf Akteneinsicht in die Erklärung
  16. über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers.
  17. BGH, Beschluss vom 29. April 2015 - XII ZB 214/14 - OLG Koblenz
  18. AG Idar-Oberstein
  19. -2-
  20. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2015 durch den
  21. Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. NeddenBoeger und Dr. Botur
  22. beschlossen:
  23. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss
  24. des 7. Zivilsenats - 4. Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Koblenz vom 18. März 2014 aufgehoben.
  25. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
  26. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
  27. Beschwerdewert: 1.000 €
  28. Gründe:
  29. I.
  30. 1
  31. In dem Ausgangsverfahren, einem rechtskräftig abgeschlossenen Scheidungsverfahren, war dem Ehemann Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden.
  32. Nach Abschluss des Verfahrens hat die Ehefrau beantragt, ihr die Erklärung
  33. über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehemanns (§ 117
  34. Abs. 2 ZPO) zugänglich zu machen.
  35. 2
  36. Das Familiengericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen hat die
  37. Ehefrau Beschwerde eingelegt, die das Oberlandesgericht als unzulässig ver-
  38. -3-
  39. worfen hat. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr Interesse
  40. auf Einsichtnahme weiter.
  41. II.
  42. 3
  43. Die zulässige Rechtsbeschwerde führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung
  44. über das Akteneinsichtsgesuch.
  45. 4
  46. 1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
  47. folgt begründet: Die Beschwerde sei nicht statthaft, da die Ehefrau durch die
  48. angefochtene Entscheidung nicht beschwert sei. Sie sei am Verfahren der Verfahrenskostenhilfe für den Ehemann nicht beteiligt. Beteiligt seien nur der Antragsteller, der Verfahrenskostenhilfe begehre, und das Gericht als Bewilligungsstelle. Nicht beteiligt sei der Gegner, auch wenn ihm nach § 118 Abs. 1
  49. Satz 1 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben sei. Daran habe sich
  50. durch Einfügung des zweiten Halbsatzes in § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO nichts geändert. Die Vorschrift schränke lediglich das gesetzliche Verbot ein, dem Gegner die Erklärung zugänglich zu machen, wenn diesem nach allgemeinen Vorschriften ein Auskunftsrecht zustehe; sie gewähre jedoch keinen eigenständigen Anspruch auf Einsichtnahme in die Erklärung und Belege.
  51. 5
  52. 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nur insoweit
  53. stand, als wegen ihrer der Antrag der Ehefrau auf gerichtliche Entscheidung
  54. zurückzuweisen ist.
  55. 6
  56. a) Gegen die im Beschwerdeverfahren ergangene Entscheidung ist das
  57. vom Oberlandesgericht zugelassene und von der Ehefrau eingelegte Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statthaft.
  58. -4-
  59. 7
  60. aa) Nach allgemeiner Auffassung dürfen Verfahrensbeteiligte dadurch,
  61. dass das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form erlässt, keinen
  62. Rechtsnachteil erleiden. Ihnen steht deshalb sowohl das Rechtsmittel zu, das
  63. nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das
  64. Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre. Dieser Schutzgedanke der Meistbegünstigung führt allerdings nicht
  65. dazu, dass das Rechtsmittel auf dem vom vorinstanzlichen Gericht eingeschlagenen falschen Weg weitergehen müsste; vielmehr hat das Rechtsmittelgericht
  66. das Verfahren so weiter zu betreiben, wie dies im Falle einer formell richtigen
  67. Entscheidung durch die Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel
  68. geschehen wäre (Senatsbeschluss vom 29. Mai 2013 - XII ZB 374/11 - FamRZ
  69. 2013, 1215 Rn. 7 mwN).
  70. 8
  71. bb) Im vorliegenden Fall ist die Rechtsbeschwerde nach § 29 EGGVG
  72. das statthafte Rechtsmittel.
  73. 9
  74. (1) Während eines laufenden Verfahrens richtet sich die Einsicht der Parteien in die Verfahrensakten nach § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 299
  75. Abs. 1 ZPO. Danach können die Beteiligten die Verfahrensakten einsehen und
  76. sich aus ihnen durch die Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen.
  77. 10
  78. (2) Dritten Personen kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung
  79. der Beteiligten die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird (§ 299 Abs. 2 ZPO; vgl. auch § 13 Abs. 2
  80. FamFG). Diese Entscheidung stellt einen Justizverwaltungsakt dar, gegen dessen Ablehnung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung statthaft ist (§ 23
  81. Abs. 1 EGGVG).
  82. -5-
  83. 11
  84. Nach zutreffender Auffassung unterfällt auch das Einsichtsgesuch eines
  85. Verfahrensbeteiligten in ein bereits abgeschlossenes Verfahren der Regelung
  86. des § 299 Abs. 2 ZPO. Das Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO dient
  87. allein der Prozessführung und erlischt, sobald das betreffende Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Hingegen ist die Aufbewahrung und Verwaltung von
  88. Gerichtsakten nach Abschluss eines Verfahrens grundsätzlich nicht Aufgabe
  89. des Spruchkörpers, der mit ihm befasst war, sondern der Gerichtsverwaltung.
  90. Dementsprechend muss gegebenenfalls die Gerichtsverwaltung eine Entscheidung darüber treffen, ob einem Beteiligten nach rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens Akteneinsicht gewährt werden soll (BFH NJW 2006, 399, 400;
  91. OLG München MDR 2009, 1065; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 299 Rn. 6c;
  92. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 73. Aufl. Rn. 16 "Rechtskraft";
  93. vgl. auch BVerfG NJW 2015, 610, 611; aA OLG Schleswig FamRZ 2013, 233;
  94. OLG Nürnberg Beschluss vom 13. Februar 2015 - 4 VA 2462/14 - juris;
  95. Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. Aufl. § 299 Rn. 21; MünchKommZPO/Prütting
  96. 4. Aufl.
  97. § 299
  98. Rn. 9;
  99. Wieczorek/Schütze/Assmann
  100. ZPO
  101. 4. Aufl.
  102. Rn. 9;
  103. Thomas/Putzo/Reichold ZPO 36. Aufl. § 299 Rn. 1; Hk-ZPO/Saenger 6. Aufl.
  104. § 299 Rn. 3).
  105. 12
  106. Im Übrigen ist der Gegner, soweit es im Prozess- bzw. Verfahrenskostenhilfeverfahren um die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen geht, von vornherein kein Beteiligter mit eigenen Verfahrensrechten
  107. (BGHZ 89, 65, 67 = FamRZ 1984, 373, 374), sondern steht, wenn er die Einsicht in die Unterlagen beantragt, einem "Dritten" im Sinne des § 299 Abs. 2
  108. ZPO gleich. Über ein solches Einsichtsgesuch hat - jedenfalls nach Abschluss
  109. des Verfahrens - die Gerichtsverwaltung zu entscheiden.
  110. 13
  111. (3) Zwar hat im vorliegenden Fall tatsächlich nicht die Gerichtsverwaltung, sondern das Familiengericht und damit eine funktional unzuständige Stel-
  112. -6-
  113. le über das Akteneinsichtsgesuch entschieden. Auch diesbezüglich gilt jedoch
  114. der Meistbegünstigungsgrundsatz, wonach die auf Akteneinsicht antragende
  115. Ehefrau dadurch keinen Rechtsnachteil erleiden darf. Ihr stand deshalb sowohl
  116. das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung
  117. statthaft war, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form und
  118. in funktionaler Zuständigkeit erlassenen Entscheidung zulässig gewesen wäre.
  119. Nach Einlegung eines der danach statthaften Rechtsmittel - hier Einlegung der
  120. Beschwerde - hätte das Oberlandesgericht das Verfahren weiter so betreiben
  121. müssen, wie dies im Falle einer formell richtigen Entscheidung durch die
  122. Vorinstanz und dem danach gegebenen Rechtsmittel geschehen wäre, nämlich
  123. als Justizverwaltungssache gemäß § 23 ff. EGGVG. Soweit die vom Oberlandesgericht tatsächlich getroffene Beschwerdeentscheidung in der falschen Verfahrensart ergangen ist, kann sie deshalb als solche mit der Beschlussformel
  124. einer Beschwerdezurückweisung keinen Bestand haben.
  125. 14
  126. b) In der Sache selbst ist die Rechtsbeschwerde allerdings nicht begründet.
  127. 15
  128. aa) Über den Antrag der Ehefrau auf gerichtliche Entscheidung kann der
  129. Senat in der Sache abschließend entscheiden, da diese zur Endentscheidung
  130. reif ist (§ 29 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 74 Abs. 6 FamFG).
  131. 16
  132. Dass die an sich zuständige Gerichtsverwaltung noch keine Ausgangsentscheidung nach Maßgabe des § 299 Abs. 2 ZPO getroffen hat, hindert eine
  133. Sachentscheidung des Senats nicht. Denn die Rechtsbeschwerde kann gemäß
  134. § 29 Abs. 3 EGGVG i.V.m. § 72 Abs. 2 FamFG nicht darauf gestützt werden,
  135. dass das Familiengericht seine Zuständigkeit für die Entscheidung über das
  136. Akteneinsichtsgesuch zu Unrecht angenommen hat.
  137. -7-
  138. 17
  139. bb) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unbegründet, da die
  140. Ehefrau ein rechtlich geschütztes Interesse an der Einsicht in die Erklärung des
  141. Ehemanns über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht
  142. glaubhaft gemacht hat (§ 299 Abs. 2 ZPO).
  143. 18
  144. (1) Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, hat der Gegner
  145. des Antragstellers im Prozesskostenhilfeverfahren kein Anhörungsrecht bei der
  146. vom Gericht neben der Erfolgsaussicht weiter vorzunehmenden Prüfung, ob die
  147. persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei die Bewilligung von
  148. Prozesskostenhilfe rechtfertigen (BGHZ 89, 65, 67 = FamRZ 1984, 373, 374).
  149. Die Prüfung dieser Voraussetzung ist allein Sache des Gerichts, das nach eigener Beurteilung etwaige zusätzliche Ermittlungen zu führen hat. Mit dem
  150. diesbezüglich fehlenden Anhörungsrecht des Gegners korrespondiert, dass
  151. dieser bereits während des noch laufenden Verfahrens kein Recht nach § 299
  152. Abs. 1 ZPO auf Einsichtnahme in die diese Angaben enthaltenden, gesondert
  153. geführten Teile der Prozessakten hat (BGHZ 89, 65, 67 = FamRZ 1984, 373,
  154. 374).
  155. 19
  156. (2) An den insoweit fehlenden Verfahrensrechten des Gegners hat auch
  157. die Einfügung des zweiten Halbsatzes in § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO durch Art. 29
  158. Nr. 6 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den
  159. Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-RG) vom 17. Dezember
  160. 2008 (BGBl. I S. 2586) nichts geändert, wonach die Erklärung und die Belege
  161. dem Gegner auch ohne Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden
  162. können, wenn der Gegner gegen den Antragsteller nach den Vorschriften des
  163. bürgerlichen Rechts einen Anspruch auf Auskunft über Einkünfte und Vermögen des Antragstellers hat.
  164. -8-
  165. 20
  166. Die eingefügte Bestimmung begründet kein Anhörungs- und auch kein
  167. Akteneinsichtsrecht des Gegners, sondern beschreibt die Modalitäten, unter
  168. denen die Erklärung und die Belege zugänglich gemacht werden können.
  169. Zweck der eingefügten Bestimmung ist, dem Gericht im Interesse der Richtigkeitsgewähr bezüglich der Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen
  170. Verhältnisse des Antragstellers grundsätzlich die Befugnis zu geben, die Erklärung des Antragstellers dem Gegner zur Stellungnahme zuzuleiten. Unter der
  171. Voraussetzung, dass zwischen den Parteien ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch über Einkünfte und Vermögen besteht, erschien es verfahrensökonomisch, den Gegner sogleich in das Verfahren einzubeziehen, um etwaige
  172. Unrichtigkeiten in der Erklärung so früh wie möglich korrigieren zu können (BTDrucks. 16/6308 S. 325; vgl. auch OLG Koblenz FamRZ 2011, 389; OLG
  173. Naumburg Beschluss vom 20. September 2013 - 8 WF 140/13 - juris Rn. 10
  174. mwN).
  175. 21
  176. Die Regelung hat somit lediglich objektiv-rechtlichen Charakter; sie dient
  177. allein einer verbesserten Aufklärung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse durch das Gericht im Interesse zutreffender Ergebnisse bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Gewährung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 167, 325). Die Bezugnahme auf bestehende materiell-rechtliche Auskunftsansprüche als Voraussetzung für die Zugänglichmachung der Erklärung dient lediglich der Gewährleistung datenschutzrechtlicher Belange (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 181 f.).
  178. 22
  179. Eine Verbesserung der subjektiven Rechtsstellung des Verfahrensgegners war damit nicht beabsichtigt. Das hätte nämlich eine Rechtsnorm erfordert,
  180. die nicht nur der Verwirklichung von Gemeinschafts- und Gemeinwohlinteressen dient, sondern zumindest auch bezweckt, Interessen des Einzelnen zu
  181. verwirklichen. Die eingefügte Regelung bezweckt dies jedoch nicht (Schürmann
  182. -9-
  183. FamRB 2009, 58, 59; BeckOK ZPO/Reichling [Stand: 1. März 2015] § 117
  184. Rn. 42; aA BeckOK ZPO/Kratz [Stand: 1. März 2015] § 127 Rn. 9a). Sie dient
  185. nicht der Befriedigung von - im Einzelfall streitigen - privatrechtlichen Auskunftsansprüchen der Parteien, sondern nur der verbesserten Amtsaufklärung.
  186. Subjektive Ansprüche auf Auskunftserteilung sind weiterhin in einem darauf
  187. gerichteten Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Sie in das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren eines anderen Verfahrens zu verlagern, entspricht
  188. erkennbar nicht der mit Einfügung des zweiten Halbsatzes in § 117 Abs. 2
  189. Satz 2 ZPO verfolgten Absicht des Gesetzgebers.
  190. - 10 -
  191. 23
  192. (3) Wenn aus den vorstehenden Gründen aber schon während des laufenden Verfahrens dem Gegner kein rechtlich geschütztes Interesse auf Einsicht in die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers
  193. zusteht, entsteht ein solches Recht erst recht nicht nach Abschluss des Verfahrens.
  194. Dose
  195. Schilling
  196. Nedden-Boeger
  197. Günter
  198. Botur
  199. Vorinstanzen:
  200. AG Idar-Oberstein, Entscheidung vom 23.01.2014 - 812 F 205/13 OLG Koblenz, Entscheidung vom 18.03.2014 - 7 WF 186/14 -