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8.5 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. XI ZR 392/12
  4. vom
  5. 9. Dezember 2014
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Dezember 2014 durch den
  9. Richter Dr. Ellenberger als Vorsitzenden, die Richter Dr. Grüneberg und
  10. Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt
  11. beschlossen:
  12. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am
  13. Main vom 11. September 2012 aufgehoben.
  14. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  15. über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  16. Streitwert: 191.000 €.
  17. Gründe:
  18. I.
  19. 1
  20. Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die von der Beklagten
  21. betriebene Zwangsvollstreckung aus einem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis.
  22. 2
  23. Im Juli 1999 schlossen der Kläger und die Beklagte mit der B.
  24. AG
  25. (im
  26. Folgenden:
  27. Bank)
  28. einen
  29. Darlehensvertrag
  30. über
  31. 700.000 DM netto. Zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs der
  32. -3-
  33. Bank wurde eine an einem Grundstück der Beklagten bestehende Eigentümerbriefgrundschuld in Höhe von 2,5 Mio. DM an die Bank abgetreten.
  34. 3
  35. Als in der Folgezeit das Darlehen nicht mehr bedient werden konnte, erwirkte die jetzige Beklagte gegen den jetzigen Kläger im Januar 2002 ein
  36. - rechtskräftig gewordenes - Urteil des LG Gießen, nach dem der Kläger der
  37. Beklagten den Schaden zu ersetzen hat, der daraus entsteht, dass noch nach
  38. dem 30. April 2000 (a) am Grundstück der Beklagten eine Grundschuld über
  39. 2,5 Mio. DM zugunsten der Bank eingetragen ist, und (b) die Beklagte gegenüber der Bank aus dem Darlehensvertrag von 1999 persönlich haftet.
  40. 4
  41. Am 22. Oktober 2004 begab sich der Kläger mit der Beklagten und deren
  42. Rechtsanwalt zu einem Notar und gab dort ein abstraktes Schuldanerkenntnis
  43. mit Zwangsvollstreckungsunterwerfung ab. Der Kläger erkannte in Ziffer II. 1.
  44. an, der Beklagten einen Betrag in Höhe von 375.000 € nebst gesetzlichen Zinsen nach § 288 Abs. 1 BGB ab dem 1. November 2004 zu schulden. Ihm wurde
  45. nachgelassen, an die Beklagte monatlich 2.000 € zu zahlen. Der Kläger verpflichtete sich zudem, die monatlich anfallenden Zins- und Tilgungsleistungen in
  46. Höhe von 2.013,21 € an die Bank zu zahlen; die Tilgungsleistungen sollten den
  47. in Ziffer II. 1. bezeichneten Schadensersatzanspruch reduzieren.
  48. 5
  49. Der Kläger zahlte in der Folgezeit monatlich 2.000 € an die Beklagte und
  50. 2.013,21 € an die Bank. Durch die Zahlungen an die Bank wurde das Darlehen
  51. in der Zeit bis zum 1. August 2010 in Höhe von 21.474,26 € getilgt. Die Zahlungen an die Beklagte belaufen sich auf insgesamt 191.000 €.
  52. 6
  53. Das Landgericht hat der Klage zu einem geringen Teil stattgegeben und
  54. die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde für unzulässig erklärt, soweit wegen mehr als 353.525,74 € vollstreckt wird, weil der Anspruch aus dem
  55. Schuldanerkenntnis um die Tilgung des Darlehens in Höhe von 21.474,26 € zu
  56. reduzieren sei. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen, da dem
  57. -4-
  58. Kläger weitere Einwendungen nicht zustünden. Insbesondere sei die Beklagte
  59. nicht um das Schuldanerkenntnis ungerechtfertigt bereichert.
  60. 7
  61. Mit seiner Berufung hat der Kläger beantragt, die Zwangsvollstreckung
  62. aus dem notariell beurkundeten Schuldanerkenntnis für unzulässig zu erklären,
  63. soweit wegen eines höheren Betrages als 162.525,74 € vollstreckt wird. Das
  64. Berufungsgericht hat die Berufung nach Erteilung eines Hinweises durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
  65. 8
  66. Der Kläger könne das Schuldanerkenntnis nicht gemäß § 812 Abs. 1
  67. Satz 1 Fall 1 i.V.m. Abs. 2 BGB kondizieren. Aus dem Urteil des LG Gießen von
  68. 2002 ergebe sich, dass im Verhältnis der Parteien zueinander der Kläger allein
  69. verpflichtet sein sollte, die Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag von
  70. 1999 zu begleichen. Dieses Innenverhältnis sei Gegenstand des abstrakten
  71. Schuldanerkenntnisses. Solange die Darlehensschuld nicht vollständig beglichen sei, bestünden diese Rechtsbeziehungen im Innenverhältnis und bildeten
  72. den Rechtsgrund für das abstrakte Schuldanerkenntnis. Bei diesem handele es
  73. sich um einen Vergleich im Sinne von § 779 BGB, durch den der Streit zwischen den Parteien über die Art und Weise der Erfüllung der in dem rechtskräftigen Urteil des LG Gießen festgestellten Verpflichtung des Klägers beseitigt
  74. werden sollte und in dem der Kläger durch die Verzinsungspflicht keine überobligationsmäßige Verbindlichkeit eingegangen sei.
  75. 9
  76. Auch die vom Kläger erklärte Hilfsaufrechnung mit Zahlungen, die er in
  77. Erfüllung des abstrakten Schuldanerkenntnisses in Höhe von insgesamt
  78. 191.000 € gezahlt habe, verhelfe der Berufung nicht (teilweise) zum Erfolg. Eine
  79. solche Gegenforderung könnte nur dann bestehen, wenn der Kläger diese Zahlungen gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB ohne Rechtsgrund geleistet hätte. Der Rechtsgrund liege jedoch in dem wirksamen abstrakten Schuldaner-
  80. -5-
  81. kenntnis. Dieses habe der Kläger nicht gemäß § 123 BGB wegen arglistiger
  82. Täuschung anfechten können, da er nicht getäuscht worden sei.
  83. II.
  84. 10
  85. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist statthaft und auch im
  86. Übrigen zulässig. Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO
  87. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da der angegriffene Beschluss den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103
  88. Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03,
  89. BGHZ 159, 135, 139 f. und vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010,
  90. 515, 516). Aus demselben Grund ist dieser Beschluss gemäß § 544 Abs. 7
  91. ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an
  92. das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
  93. 11
  94. 1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien
  95. zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen
  96. (BVerfGE 65, 293, 295; 83, 24, 35; 96, 205, 216; BVerfG, NJW-RR 2001, 1006,
  97. 1007). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen
  98. und in Erwägung gezogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung
  99. ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt eine
  100. gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus. Im Einzelfall müssen besondere
  101. Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht
  102. erwogen worden ist (BVerfGE 65, 293, 295 f.; 86, 133, 146; 96, 205, 216 f.;
  103. BVerfG, NJW 2000, 131; Senatsbeschluss vom 20. Januar 2009 - XI ZR
  104. 510/07, WM 2009, 405 Rn. 8).
  105. -6-
  106. 12
  107. 2. Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Das Berufungsgericht hat den Kerngehalt des Vortrags des Klägers übergangen, indem
  108. es nicht geprüft hat, ob dem Kläger aufgrund der unstreitigen Zahlungen an die
  109. Beklagte der Einwand der Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB zusteht, obwohl
  110. der Kläger - insbesondere in seiner Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des
  111. Berufungsgerichts vom 9. Juli 2012 - die Berücksichtigung dieser Zahlungen
  112. eingefordert und damit auch den Erfüllungseinwand geltend gemacht hat.
  113. 13
  114. 3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf dieser Gehörsverletzung. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 7, 95, 99; 60,
  115. 247, 250; 62, 392, 396; 65, 305, 308; 89, 381, 392 f.). Dies ist hier der Fall, da
  116. die titulierte Forderung durch die unstreitigen Zahlungen des Klägers an die
  117. Beklagte zumindest teilweise durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen sein könnte. Entsprechend der Forderungsberechnung in der Anlage zur
  118. Klageschrift kommt jedenfalls eine Erfüllung in Höhe von 63.533,16 € in Betracht. Eine weitergehende Erfüllung könnte eingetreten sein, wenn sich durch
  119. Auslegung des Schuldanerkenntnisses oder aus § 138 BGB ergäbe, dass die in
  120. Ziffer II. 1. anerkannten Verzugszinsen nicht unabhängig davon geschuldet
  121. -7-
  122. sind, ob der Beklagten, die nach dem nicht bestrittenen Klägervortrag keine
  123. Zahlungen an die Bank geleistet hat, durch ihre Haftung für das Darlehen oder
  124. die Grundschuld auf ihrem Grundstück tatsächlich ein konkreter Schaden entstanden ist.
  125. Ellenberger
  126. Grüneberg
  127. Menges
  128. Maihold
  129. Derstadt
  130. Vorinstanzen:
  131. LG Gießen, Entscheidung vom 21.09.2011 - 2 O 501/10 OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 11.09.2012 - 6 U 192/11 -