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19 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XI ZR 178/03
  5. Verkündet am:
  6. 13. Juli 2004
  7. Herrwerth,
  8. Justizangestelle
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. BGHR:
  16. ja
  17. _____________________
  18. BörsG §§ 50 (F: 21.12.2000), 53 (F: 13.7.2001);
  19. WpHG § 31
  20. a) Verträge über Indexzertifikate sind keine Börsentermingeschäfte.
  21. b) Zur Pflicht von Direkt-Brokern, Anleger beim Erwerb von Aktien oder Indexzertifikaten des Neuen Marktes auf Abweichungen von zuvor erklärten Zielvorstellungen hinzuweisen.
  22. BGH, Urteil vom 13. Juli 2004 - XI ZR 178/03 - OLG Hamm
  23. LG Detmold
  24. -2-
  25. Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die
  26. Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, Dr. Wassermann und die Richterin Mayen
  27. für Recht erkannt:
  28. Die Revision gegen das Urteil des 31. Zivilsenats des
  29. Oberlandesgerichts Hamm vom 10. März 2003 wird
  30. auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
  31. Von Rechts wegen
  32. Tatbestand:
  33. Der Kläger nimmt die beklagte Sparkasse wegen verlustreicher
  34. Geschäfte mit Aktien und Indexzertifikaten auf Schadensersatz und Bereicherungsausgleich in Anspruch.
  35. Der Kläger, der Belegschaftsaktien seines Arbeitgebers, der D.
  36. AG, besaß, eröffnete am 29. Juni
  37. 1998 bei der Beklagten ein "direkt-Depot" und erklärte, ohne Beratung
  38. Wertpapiere erwerben und veräußern zu wollen. Nach den vereinbarten
  39. Sonderbedingungen der Beklagten verzichtet der Kunde bei der Nutzung
  40. von "direkt-Brokerage" auf jegliche Beratungsleistung der Beklagten sowie auf individuelle Hinweise und Empfehlungen zu einzelnen Wertpapieren. Auf einem Fragebogen der Beklagten gab der Kläger am 30. Juni
  41. -3-
  42. 1998 an, er sei risikobewußt, strebe höhere Renditeaussichten bei überschaubaren Risiken an und wolle Geschäfte mit Aktien tätigen. Die Beklagte händigte ihm Broschüren mit Basisinformationen über die Vermögensanlage in offenen Fonds und in Aktien, Genußscheinen und Indexzertifikaten aus, in denen die Risiken von Aktien des Neuen Markts nicht
  43. besonders angesprochen wurden.
  44. In der Zeit von Dezember 1998 bis März 2000 erwarb der Kläger
  45. verschiedene am Neuen Markt gehandelte Aktien. Einen Teil dieser Aktien veräußerte er, in mehreren Fällen kurzfristig nach dem Erwerb, mit
  46. einem Verlust von insgesamt 7.576,71 €. Die restlichen Aktien befinden
  47. sich mit Kurswerten unter den Erwerbspreisen noch in seinem Depot.
  48. Ferner erwarb der Kläger in der Zeit von Oktober bis Dezember
  49. 2000 von der ...
  50. Bank emittierte, laufzeitabhängige Indexzertifika-
  51. te, denen der Nemax 50 zugrunde lag. Am 3. Januar 2001 veräußerte er
  52. sämtliche Zertifikate mit einem Verlust von insgesamt 11.429,24 €, kaufte am 9. Januar 2001 aber 740 Zertifikate zurück. In einem am
  53. 12. Januar 2001 ausgefüllten Fragebogen gab er an, spekulativ eine offensive Nutzung der Marktchancen bei entsprechend hoher Risikotoleranz anzustreben und Aktien, Genußscheine und Investmentzertifikate
  54. erwerben zu wollen. Er veräußerte alle Zertifikate am 1. März 2001 mit
  55. einem Verlust von 3.235,48 €.
  56. Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe ihre Aufklärungs- und
  57. Beratungspflichten verletzt. Die Geschäfte über die Indexzertifikate seien
  58. unverbindlich, weil er nicht börsentermingeschäftsfähig sei. Seine Klage,
  59. die er zuletzt auf Zahlung von 22.241,43 € nebst Zinsen und auf Fest-
  60. -4-
  61. stellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz aller Schäden aus dem Erwerb der noch in seinem Depot befindlichen Aktien, hilfsweise auf Feststellung der Pflicht zum Ersatz aller Schäden aus der Vermittlung von
  62. Wertpapieren im Rahmen des "direkt-Brokerage" gerichtet hat, ist in den
  63. Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
  64. Entscheidungsgründe:
  65. Die Revision ist unbegründet.
  66. I.
  67. Das Berufungsgericht hat Schadensersatz- und Bereicherungsansprüche des Klägers verneint und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt:
  68. Auf der Grundlage des zu berücksichtigenden Parteivorbringens
  69. scheide eine Beratungspflichtverletzung aus, weil der Kläger im Rahmen
  70. des "direkt-Brokerage" auf jegliche Beratung verzichtet habe.
  71. Die Beklagte hafte auch nicht wegen Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 31 Abs. 2 WpHG. Ob sie diese Pflicht verletzt habe, sei
  72. problematisch. Die Beklagte habe zwar ihre Pflicht als "direkt-Broker" zur
  73. standardisierten Anfangsaufklärung durch die Übergabe von Informationsbroschüren erfüllt. Fraglich sei aber, ob sie über die besonderen Ri-
  74. -5-
  75. siken der Papiere des Neuen Marktes weitergehend und gesondert aufklären mußte. Dies bedürfe indes keiner Entscheidung, weil eine etwaige
  76. Aufklärungspflichtverletzung jedenfalls nicht schadensursächlich geworden sei. Für den Kläger spreche zwar die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens. Sein Anlageverhalten, insbesondere das weitere Investieren in Aktien des Neuen Marktes trotz erlittener Verluste und das Bestehen auf dem von der Beklagten zunächst verweigerten erneuten Erwerb der Indexzertifikate im Januar 2001 trotz vorheriger Verluste und
  77. des zumindest jetzt erfolgten Hinweises auf den spekulativen Charakter
  78. der Geschäfte, lasse aber darauf schließen, daß er sich durch eine
  79. Aufklärung über die - unterstellten - besonderen Risiken von Papieren
  80. des Neuen Marktes nicht vom Erwerb dieser Aktien hätte abhalten lassen.
  81. Ein Bereicherungsanspruch gemäß § 812 BGB wegen des Erwerbs
  82. der Indexzertifikate bestehe nicht, weil diese Geschäfte nicht gemäß
  83. § 53 Abs. 2 BörsG a.F. unverbindlich seien. Ihnen fehlten die für Börsentermingeschäfte typischen Merkmale. Bei einem Indexzertifikat verpflichte sich der Emittent, am Fälligkeitstag einen Betrag zu zahlen, der dem
  84. Stand des zugrunde gelegten Aktienindex entspreche. Der Anleger zahle
  85. den am Indexstand orientierten Erwerbspreis sofort und nehme an Veränderungen des Kurses, der sich regelmäßig parallel zum Index entwickle, im Verhältnis 1 : 1 teil. Selbst wenn das Zertifikat mit einem Abschlag
  86. zum Indexstand gehandelt werde, ergebe sich allenfalls eine geringe
  87. Hebelwirkung. Das Risiko eines Totalverlustes sei nicht höher als bei
  88. einer Aktie.
  89. -6-
  90. II.
  91. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht in allen
  92. Punkten stand.
  93. 1. Rechtsfehlerfrei ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe wegen der Verluste in Höhe von 14.664,72 €,
  94. die er durch die Geschäfte mit Indexzertifikaten erlitten habe, kein Bereicherungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu. Diese Geschäfte sind keine gemäß § 53 Abs. 1 BörsG a.F. unverbindlichen Börsentermingeschäfte.
  95. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Börsentermingeschäfte standardisierte Verträge, die von beiden Seiten erst zu
  96. einem späteren Zeitpunkt, dem Ende der Laufzeit, zu erfüllen sind und
  97. einen Bezug zu einem Terminmarkt haben (BGHZ 92, 317, 320; Senat
  98. BGHZ 114, 177, 179; 142, 345, 350; 149, 294, 301; 150, 164, 168). Die
  99. besondere Gefährlichkeit dieser Geschäfte, vor der nicht börsentermingeschäftsfähige Anleger durch die §§ 53 ff. BörsG a.F. geschützt werden
  100. sollten, besteht darin, daß sie - anders als Kassageschäfte, bei denen
  101. der Anleger sofort Barvermögen oder einen Kreditbetrag einsetzen muß
  102. (vgl. BGHZ 103, 84, 87) - durch den hinausgeschobenen Erfüllungszeitpunkt zur Spekulation auf eine günstige, aber ungewisse Entwicklung
  103. des Marktpreises in der Zukunft verleiten, die die Auflösung des Terminengagements ohne Einsatz eigenen Vermögens und ohne Aufnahme eines förmlichen Kredits durch ein gewinnbringendes Glattstellungsgeschäft ermöglichen soll (Senat BGHZ 149, 294, 301; 150, 164, 169). Typischerweise sind mit Börsentermingeschäften die Risiken der Hebelwir-
  104. -7-
  105. kung (Senat BGHZ 139, 1, 6) und des Totalverlustes des angelegten Kapitals (Senat BGHZ 150, 164, 169) sowie die Gefahr, planwidrig zusätzliche Mittel einsetzen zu müssen, verbunden.
  106. b) Gemessen hieran sind die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge über Indexzertifikate keine Börsentermingeschäfte (vgl.
  107. Tilp,
  108. in:
  109. Allmendinger/Tilp,
  110. Börsentermin-
  111. und
  112. Differenzgeschäfte
  113. Rdn. 332; Wohlfarth/Brause WM 1998, 1859, 1866 f.; ebenso für Finanztermingeschäfte: Begr.RegE 4. FMFG, BT-Drucks. 14/8017, S. 85; Beck,
  114. in: Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar 3. Aufl. WpHG § 2 Rdn. 18).
  115. Indexzertifikate
  116. sind
  117. Schuldverschreibungen
  118. (vgl.
  119. Wohlfarth/
  120. Brause WM 1998, 1859, 1866; Luttermann/Backmann ZIP 2002, 1017,
  121. 1019; Beck, in: Schwark, Kapitalmarktrechts-Kommentar 3. Aufl. WpHG
  122. § 2 Rdn. 18), die den Anspruch des Inhabers gegen den Emittenten auf
  123. Zahlung eines Geldbetrages verbriefen, dessen Höhe vom Stand des
  124. zugrunde gelegten Index am Ende der Laufzeit abhängt. Der Leistungsaustausch durch Übertragung der Schuldverschreibung mit der darin
  125. wertpapiermäßig verbrieften Forderung hat Zug um Zug gegen Zahlung
  126. des Kaufpreises binnen der für Kassageschäfte üblichen Frist von zwei
  127. Tagen (BGHZ 103, 84, 87) zu erfolgen. Durch die spätere Rückzahlung
  128. des Emittenten an den Erwerber wird nicht der Vertrag über den Erwerb
  129. des Zertifikats, sondern die durch die Schuldverschreibung begründete
  130. Forderung erfüllt.
  131. Mangels hinausgeschobenen Erfüllungszeitpunkts fehlt dem Geschäft mit Indexzertifikaten die für Termingeschäfte spezifische Gefährlichkeit und damit das für die Qualifizierung als Börsentermingeschäft
  132. -8-
  133. wesentliche Schutzbedürfnis des Anlegers (vgl. Senat, BGHZ 150, 164,
  134. 170 und Beschluß vom 9. Dezember 1997 - XI ZR 85/97, WM 1998, 274,
  135. 275). Dieser wird nicht dazu verleitet, ohne oder mit verhältnismäßig geringem Einsatz eigenen Vermögens und ohne Aufnahme eines förmlichen Kredits auf Gewinn zu spekulieren. Sein Verlustrisiko ist auf den
  136. Kaufpreis für die Schuldverschreibung begrenzt, den er sofort bei Vertragsschluß in voller Höhe bezahlen muß. Die Gefahr, planwidrig zusätzliche Mittel einsetzen zu müssen, besteht nicht.
  137. Der Erwerb von Indexzertifikaten hat auch nicht die für Termingeschäfte spezifische Hebelwirkung. Da der Preis des Indexzertifikats in
  138. der Regel dem Index der zugrunde gelegten Aktien entspricht, erlangt
  139. der Erwerber des Zertifikats nicht die Möglichkeit, mit verhältnismäßig
  140. geringem Geldeinsatz weit überproportional an der Wertentwicklung des
  141. Index und der zugrunde gelegten Aktien teilzunehmen. Abweichungen
  142. des Preises des Indexzertifikats von der Wertentwicklung des Index, die
  143. sich aufgrund des Zinsniveaus, der Markterwartung und etwaiger Dividendenzahlungen auf die im Index berücksichtigten Aktien ergeben können, sind entgegen der Auffassung der Revision zu gering, um der für
  144. Termingeschäfte spezifischen Hebelwirkung gleichgestellt werden zu
  145. können (vgl. Wohlfarth/Brause WM 1998, 1859, 1867).
  146. Auch die Gefahr des Totalverlustes besteht bei Indexzertifikaten
  147. nicht in dem für Termingeschäfte typischen Maße. Während bei Termingeschäften aufgrund der begrenzten Laufzeit ein Totalverlust droht und
  148. insbesondere Optionsprämien durch bloßen Zeitablauf vollständig verfallen können (BGHZ 150, 164, 170 f.), besteht bei Indexzertifikaten grundsätzlich nur das Risiko, aufgrund eines ungünstigen Standes des Index
  149. -9-
  150. bei der Fälligkeit des Zertifikats nur einen Teil des gezahlten Kaufpreises
  151. zurückzuerhalten. Die Gefahr eines Totalverlustes aufgrund einer Insolvenz des Emittenten ist nicht größer als beim Direkterwerb von Aktien,
  152. der unzweifelhaft kein Börsentermingeschäft ist (Senat BGHZ 150, 164,
  153. 171). Die Gefahr der Insolvenz aller in den Index aufgenommenen Aktiengesellschaften ist sogar deutlich geringer als beim Direkterwerb von
  154. Aktien einzelner dieser Gesellschaften.
  155. Schließlich dient der Erwerb von Indexzertifikaten einem ähnlichen
  156. wirtschaftlichen Zweck (vgl. zu dessen Bedeutung für die Qualifizierung
  157. als Börsentermingeschäft: Senat BGHZ 133, 200, 206; 139, 1, 7; 150,
  158. 164, 171) wie der Direkterwerb von Aktien. Indexzertifikate eröffnen die
  159. Möglichkeit, an der Kursentwicklung des Index teilzunehmen, ohne alle
  160. in den Index aufgenommenen Aktien einzeln erwerben zu müssen. Auch
  161. dies unterscheidet den Erwerb von Indexzertifikaten von Termingeschäften.
  162. 2. Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Begründung, mit der das Berufungsgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers wegen Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 31 Abs. 2 WpHG verneint hat. Anders als das Berufungsgericht meint, wird eine tatsächliche Vermutung
  163. für die Schadensursächlichkeit einer Aufklärungspflichtverletzung nicht
  164. dadurch ausgeräumt, daß der Anleger trotz erlittener Verluste und ungeachtet eines nachgeholten Hinweises auf den spekulativen Charakter der
  165. Kapitalanlage weitere Geschäfte abschließt. Die Fortsetzung der Spekulation trotz eingetretener Verluste läßt nicht darauf schließen, daß der
  166. Anleger das Erstgeschäft auch nach gehöriger Aufklärung abgeschlossen hätte, sondern ist eher darauf zurückzuführen, daß er sich trotz der
  167. - 10 -
  168. Verluste über die Geschäftsrisiken nicht im klaren ist (Senat, Urteil vom
  169. 17. März 1992 - XI ZR 204/91, WM 1992, 770, 773). Ein nach dem Erstgeschäft erteilter warnender Hinweis rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil der Anleger diesem Hinweis unter dem Eindruck des Erstgeschäfts nicht mehr unvoreingenommen gegenübersteht (Senat, Beschluß
  170. vom 22. Juni 1993 - XI ZR 215/92, WM 1993, 1457, 1458).
  171. III.
  172. Das Berufungsurteil stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
  173. Die Beklagte hat zwar ihre Pflichten gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1
  174. Nr. 2 WpHG (vgl. zu dessen Bedeutung für Inhalt und Umfang vertraglicher Aufklärungspflichten: Senat BGHZ 142, 345, 356; ebenso für § 31
  175. Abs. 1 Nr. 1 WpHG: Senat BGHZ 147, 343, 348) verletzt. Es besteht im
  176. vorliegenden Fall aber keine tatsächliche Vermutung dafür, daß der Kläger nach ordnungsgemäßer Aufklärung die verlustbringenden Geschäfte
  177. nicht abgeschlossen hätte. Er hat den Ursachenzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem ihm entstandenen Schaden auch
  178. nicht nach allgemeinen Grundsätzen nachgewiesen.
  179. 1. a) Die Pflichten der Beklagten gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
  180. WpHG beschränkten sich im Rahmen des "direkt-Brokerage" nicht allein
  181. darauf, dem Kläger geeignetes schriftliches Material mit standardisierten
  182. Informationen über die in Aussicht genommenen Wertpapiergeschäfte
  183. zur Verfügung zu stellen. Sie war auch zu besonderer Warnung verpflich-
  184. - 11 -
  185. tet, wenn Kundenaufträge von der zuvor erklärten Zielvorstellung deutlich abwichen (Senat, Urteil vom 11. November 2003 - XI ZR 21/03,
  186. WM 2004, 24, 27; vgl. auch Senat BGHZ 142, 345, 357).
  187. b) Eine solche Abweichung liegt hier vor. In dem Fragebogen vom
  188. 30. Juni 1998 hatte der Kläger seine Risikobereitschaft bei den angestrebten Geschäften als "risikobewußt - höhere Renditeaussichten bei
  189. überschaubaren Risiken", nicht aber als "spekulativ - offensive Nutzung
  190. der Marktchancen bei entsprechend hoher Risikotoleranz" bezeichnet.
  191. Diese Zielvorstellung traf auf die seit Dezember 1998 erworbenen Aktien
  192. des Neuen Marktes und die Indexzertifikate, denen der Nemax 50
  193. zugrunde lag, nicht mehr zu. Hierbei handelte es sich um spekulative
  194. Geschäfte.
  195. Der Neue Markt wurde seit dem 10. März 1997 an der Frankfurter
  196. Wertpapierbörse als Marktsegment angeboten, in dem junge, innovative
  197. Wachstumsunternehmen Risikokapital aufnehmen konnten. Er sollte Anlegern die Investition in Aktien mit einem erhöhten Risiko und einer entsprechend erhöhten Gewinnchance ermöglichen (Kersting AG 1997, 222,
  198. 223). Besondere Risiken ergaben sich daraus, daß die Unternehmen des
  199. Neuen Marktes in der Regel nur mit wenigen Produkten und Dienstleistungen, die zudem erst kurze Zeit marktreif waren (vgl. Kümpel, Bankund Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. Rdn. 17.641) und sich am Markt noch
  200. durchsetzen mußten, am Wettbewerb teilnahmen. Das starke Wachstum
  201. warf Probleme für Unternehmensstruktur, Risikomanagement und Finanzierung auf. Mangels ausreichender Reserven hatten geschäftliche
  202. Rückschläge vergleichsweise starke Auswirkungen. Unternehmen des
  203. Neuen Marktes waren deshalb konkursgefährdeter als andere Unterneh-
  204. - 12 -
  205. men. Da es sich überwiegend um relativ junge Unternehmen handelte,
  206. die ihre Geschäftstätigkeit noch aufbauten, war ihre Bonität ebenso wie
  207. die Erträge und Dividenden oft gering. Die Aktien waren einem erheblichen Kursrisiko ausgesetzt, weil Kurssteigerungen oft nicht tatsächlich
  208. erwirtschaftete Gewinne, sondern nur die Erwartung künftiger Gewinne
  209. widerspiegelten. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) überstieg im Durchschnitt das in anderen Marktsegmenten übliche KGV deutlich. (vgl. Helmschrott/Waßmer WM 1999, 1853, 1858)
  210. Angesichts dieser Besonderheiten der Unternehmen des Neuen
  211. Marktes handelte ein Anleger, der Aktien des Neuen Marktes erwarb,
  212. entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht risikobewußt,
  213. sondern spekulativ. Über diese Abweichung von seiner im Fragebogen
  214. vom 30. Juni 1998 erklärten Zielsetzung hätte die Beklagte den Kläger
  215. vor dem ersten Erwerb solcher Aktien im Dezember 1998 und nicht erst
  216. bei der Ausfüllung des Fragebogens vom 12. Januar 2001 aufklären
  217. müssen.
  218. 2. Die Verletzung dieser Aufklärungspflicht ist aber für den Abschluß der Geschäfte und den dadurch verursachten Schaden des Klägers nicht ursächlich geworden.
  219. a) Für die Kausalität spricht keine tatsächliche Vermutung. Die
  220. Kausalitätsvermutung bei Aufklärungspflichtverletzungen setzt voraus,
  221. daß es nur eine bestimmte Möglichkeit "aufklärungsrichtigen" Verhaltens
  222. gibt (Senat BGHZ 124, 151, 161). Hingegen ist diese Vermutung nicht
  223. begründet, wenn eine gehörige Aufklärung beim Vertragspartner einen
  224. Entscheidungskonflikt ausgelöst hätte, weil es vernünftigerweise nicht
  225. - 13 -
  226. nur eine, sondern mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens
  227. gab (Senat, Urteil vom 9. Juni 1998 - XI ZR 220/97, WM 1998, 1527,
  228. 1529 m.w.Nachw.).
  229. So lag es hier. Nach einer Aufklärung über den spekulativen Charakter des Erwerbs von Aktien des Neuen Marktes und die daraus resultierende Abweichung von der am 30. Juni 1998 erklärten Zielvorstellung
  230. wäre es nicht einzig vernünftig gewesen, von diesen Geschäften abzusehen. Aktien des Neuen Marktes waren nicht nur mit den bezeichneten
  231. Risiken behaftet, sondern boten - wie die über längere Zeit gestiegenen
  232. Kurse zeigen - auch entsprechende Gewinnchancen. Dies veranlaßte
  233. Ende der 1990er Jahre, als der Kläger die ersten Aktien des Neuen
  234. Marktes erwarb, zahlreiche Anleger, in den Neuen Markt zu investieren.
  235. Vor diesem Hintergrund ist offen, wie der Kläger sich nach gehöriger Information verhalten hätte. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil er
  236. die Aktien des Neuen Marktes nicht auf Empfehlung der Beklagten, sondern aus eigener Initiative erworben und dabei offensichtlich keine
  237. dauerhafte Kapitalanlage, sondern die Erzielung kurzfristiger Gewinne
  238. angestrebt hat. Er hat nämlich die ersten, im Dezember 1998 erworbenen Aktien bereits nach drei Tagen wieder verkauft und auch die nächsten, im Januar 1999 erworbenen Aktien von drei verschiedenen Unternehmen nur bis zum 11. Februar 1999 gehalten.
  239. b) Da mehrere Möglichkeiten der Reaktion des Klägers auf die gehörige Aufklärung denkbar sind, nämlich sowohl der Abschluß als auch
  240. das Unterlassen der verlustbringenden Geschäfte, hatte der Kläger den
  241. vollen Beweis dafür zu erbringen, daß er die Aktien des Neuen Marktes
  242. und die Indexzertifikate nicht erworben hätte, wenn die Beklagte ihre
  243. - 14 -
  244. Aufklärungspflicht ordnungsgemäß erfüllt hätte. Hierfür hat er jedoch
  245. keinen Beweis angetreten.
  246. IV.
  247. Die Revision des Klägers war daher als unbegründet zurückzuweisen.
  248. Nobbe
  249. Müller
  250. Wassermann
  251. Joeres
  252. Mayen